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Liebeszauber

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14.10.2001
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Liebeszauber

„Ich hab’s mitgebracht.“ Geheimnisvoll zwinkerte Tine ihrer Kollegin und Freundin zu, kramte ein halbvolles Fläschchen aus ihrer Handtasche und hielt es Marie hin. „Braunglas“, erklärte sie, „weil Licht die empfindliche Substanz zerstören würde.“
Marie drehte den Verschluss ab und schnupperte. „Ich rieche nichts. Das kann gar nicht nützen.“
Tine schüttelte den Kopf. „Mensch, Marie! Das ist doch gerade der Trick! Pheromone sind Duftstoffe, die der Mensch nur unbewusst wahrnimmt. Kennst du nicht das Experiment mit dem Stuhl im leeren Wartezimmer, den man mit weiblichen Pheromonen besprenkelt hat? Alle Männer steuerten sofort darauf zu.“
Marie seufzte. „Auch Pheromone ändern nichts an meinen langweiligen braunen Haaren und den Kuhaugen.“
„Nun mach dich doch nicht immer selbst runter. Außerdem, wenn sogar leere Stühle mit dem Zeug Männer anlocken können ...“
„Meinetwegen.“ Marie tupfte sich ein paar Tropfen hinter die Ohren.
Tine riss ihr das Fläschchen aus der Hand. „Nicht kleckern, sondern klotzen!“ Kurzerhand goss sie die Flüssigkeit über Maries Kopf aus.
„Hilfe!“ Marie lachte. „Nicht dass mir jetzt ein ganzer Rattenschwanz von Männern hinterherläuft!“
„Nur der eine“, dachte sie, „der soll mir bitte, bitte hinterherlaufen.“
Sie fuhr den Computer hoch. „Wie lang hält die Wirkung eigentlich an?“, erkundigte sie sich.
Tine, die ihr gegenüber saß, hob den Kopf. „Ungefähr fünfzehn Stunden. Also denk dran: Heute Nacht oder nie!“
In diesem Augenblick steckte Jörg den Kopf zur Tür herein. „Guten Morgen, die Damen!“, rief er gut gelaunt.
„Hi, Kumpel“, begrüßte ihn Tine. Sie wohnten schon lange in derselben Straße.
Marie lächelte ihm zaghaft zu.
Jörg zögerte, dann trat er an ihren Schreibtisch. „Der erste warme Tag in diesem Jahr“, sagte er und schaute ihr ins Gesicht.
„Es scheint tatsächlich zu wirken!“, dachte Marie erstaunt. Sie spürte, wie sich ihr Lächeln vertiefte und ihre Augen anfingen zu strahlen. „Ja, endlich ist Frühling“, antwortete sie.
„Ich freu mich immer, wenn draußen alles wieder grün wird“, fuhr Jörg fort.
Urplötzlich war Maries Kopf hohl und leer. Stumm blickte sie auf ihre Hände hinunter.
„Na, dann noch viel Spaß bei der Arbeit.“ Jörg grinste zu Tine hinüber und verschwand.
Verzweifelt schaute Marie ihre Freundin an. „Was nützen mir die schönsten Pheromone, wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll?“
„Aber es klappt doch! Hast du nicht gemerkt, wie er dich ansieht?“, fragte Tine.
„Meinst du wirklich?“
„Na klar. Pass mal auf! Gleich gehst du in die Küche. Und auf dem Weg dorthin fragst du, ob du ihm einen Kaffee mitbringen sollst.“
„Ich will aber nicht aufdringlich ...“
Tine fiel ihr ins Wort. „Ach, Unsinn! Und denk daran: reine Pheromone! Meine Mutter konnte nur ein Fläschchen aus dem Labor mitnehmen. An so was kommen wir nie wieder ran.“
Marie fühlte sich gar nicht wohl in ihrer Haut, als sie zu Jörg hinüberging. Aber Tine hatte Recht. Heute sah er sie wirklich anders an als sonst.
„Möchtest du einen Kaffee?“, fragte sie.
„Oh ja! Schwarz, bitte.“
Mit zittrigen Händen stellte Marie kurz darauf eine Kaffeetasse vor ihn hin.
Und dann geschah das Wunder, auf das sie so lange gehofft hatte. „Wir könnten nach der Arbeit noch einen Spaziergang machen“, schlug er vor. „Und dann vielleicht was essen gehen.“
„Ja, gern.“ Nun zitterte auch noch ihre Stimme.
An diesem Tag konnte sie sich kaum auf ihre Arbeit konzentrieren.
Als sie sich abends verabschiedete, kicherte Tine. „Glück brauche ich dir wohl nicht zu wünschen“, sagte sie. „Bei der geballten Ladung Pheromone! Da kann ja gar nichts schief gehen!“
Als Marie mit Jörg durch den Park schlenderte, konnte auch sie die Wirkung der Pheromone nicht länger leugnen. Sie las in seinen Blicken und hörte an seiner Stimme, wie sehr sie ihm gefiel. Das machte sie so froh, dass es auf einmal ganz leicht war, mit ihm zu flirten.
Als sie nach dem Essen in einem kleinen Restaurant noch bei einem Glas Wein beisammen saßen, legte er seine große, warme Hand auf ihre. Das prickelnde Glücksgefühl, das sie durchströmte, war unbeschreiblich.
Bis ihr Blick auf seine Armbanduhr fiel. Schon fast Mitternacht. Bald musste die Wirkung der Pheromone verflogen sein.
Auch er schaute auf die Uhr, zog seine Hand zurück und senkte den Blick.
„Ich wusste es“, dachte Marie. „Es war einfach zu schön, um wahr zu sein.“
Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus.
Sie gab sich einen Ruck. „Heute Nacht oder nie“, hatte Tine gesagt.
„War ich ...“, stotterte sie, „fandest du mich ... heute – irgendwie ... anders als sonst?“
Verwundert blickte er hoch. „Wie kommst du darauf?“
„Weil du mich eingeladen hast und ...“ Vor Verlegenheit konnte sie nicht weitersprechen.
„Mir kam es tatsächlich so vor, als wärst du heute anders zu mir“, antwortete er.
Marie schluckte. „Sehe ich in denn in deinen Augen ... noch genauso aus wie heute Morgen – ich meine, genauso gut?“
Jörg schaute sie prüfend an. „Nein.“
Seine Antwort war wie ein Schwall Eiswasser.
„Du siehst noch viel hübscher aus“, setzte er hinzu.
Tränen stiegen ihr in die Augen. „Es sind doch bloß die Pheromone“, flüsterte sie.
Jörg starrte sie an. Dann griff er in seine Jackentasche und stellte ein leeres braunes Fläschchen vor sie hin.
„Tine?“, stieß Marie hervor.
Jörg nickte.
Einen Augenblick waren sie still. Dann brachen sie in Gelächter aus und lachten, bis sie kaum noch Luft bekamen. Als sie sich beruhigt hatten, schob Jörg die brennende Kerze zur Seite, beugte sich über den Tisch und küsste sie.
„Ich möchte wirklich wissen, was Tine in diese Medizinfläschchen gefüllt hat“, sagte er, als sie später Hand in Hand durch die Nacht gingen. „Ob sie uns das wohl verraten wird?“
Die zierte sich erst, doch dann erfuhren sie, was in den Fläschchen gewesen war: reines Leitungswasser.

 

Hi Jakobe,

eine nette Geschichte hast du uns da aufgetischt. :D

Ich habe nur eines zu monieren. Bitte lösche:


„Ich möchte wirklich wissen, was Tine in diese Medizinfläschchen gefüllt hat“, sagte er, als sie später Hand in Hand durch die Nacht gingen. „Ob sie uns das wohl verraten wird?“
Die zierte sich erst, doch dann erfuhren sie, was in den Fläschchen gewesen war: reines Leitungswasser.

Denn wir Leser sind auch so schlau genug, zu verstehen, um was es geht :).

Lieber Gruß
bernadettte

 

Sowas nennt man Placebo-Effekt.:D

Hallo Jakobe,

deine Geschichte finde ich heiter beschwingt, so richtig was zum Schmunzeln. Habe ich gerne gelesen.
Schwierigkeiten hatte ich anfangs, zu erraten, wo sich das Ganze abspielt. Zu Hause? Im Büro? Vielleicht könnte man das etwas früher deutlich machen.

Wie Bernadette finde ich auch, du solltest das Ende nicht zu sehr auswalzen. Ich würde den Punkt nach "Ob sie uns das wohl verraten wird?" setzen.

Grüße
Sturek

 

Liebe Bernadette, lieber Sturek,
danke für eure Kommentare. Auf der einen Seite habt ihr natürlich Recht: Jeder kann sich an seinen fünf Fingern abzählen, was in den Fläschchen war. Andererseits würde mir die Geschichte ohne das Ende irgendwie "unfertig" vorkommen. Aber eure Anmerkung hat mich auf eine Idee gebracht und ich habe den letzten Satz geändert. Es würde mich interessieren, was ihr davon haltet.
Viele Grüße
Jakobe

 

Hi Jakobe,
erst mal :thumbsup: keine Fehler (oder die Geschichte ist zu gut, als dass mir welche aufgefallen wären).
Dass Marie keine echten gekriegt hat, ist einem eigentlich von vornerein klar, aber die "Wendung", dass Jörg auch son Teil von Tine bekommen hat ... :thumbsup: :thumbsup:
Ich glaub, die erste Geschichte, bei der ich am Ende ein warmes Lächeln im Gesicht hatte ... :thumbsup:
Hat mir echt voll gut gefallen!!!
Man fühlt sogar noch richtig mit und ... ach, genug der Worte, noch schnell :thumbsup: für den Gesamteindruck und dann ne Empfehlung.
Bruder :sad: Tserk
P.S: Hm, ich muss mir noch überlegen, wen ich für diese Geschichte aus meinen top ten kicke ...

 

Da Kollege Tserk diese Geschichte empfohlen hat, kommentiere ich sie auch mal, wenn auch kurz: solide erzählt, mit flachen Figuren, komplett im Dienste des Schlusses stehend. Ich teile daher gerne das Fazit der meisten Leser: Nette Geschichte für zwischendurch, aber Empfehlung?! Naja.
Da sieht man mal wieder: Empfehlungen sind halt was subjektives ;)

 

Ich freue mich natürlich sehr, Tserk, dass du die Geschichte so gut findest. Ich habe übrigens damit bei einem Liebesgeschichten-Wettbewerb der "DeLias" den ersten Preis gewonnen. Du siehst also, du bist nicht der Einzige, dem sie gefällt. :-)
Andererseits stimmt natürlich auch, was Uwe und die anderen sagen: Es ist keine Geschichte mit riesigem "literarischem" Anspruch. Sie soll einfach nur ein bisschen Unterhaltung bieten.
Viele Grüße
Jakobe

 

Hallo Jakobe,

kurz, flott, amüsant - hat mir gefallen!
Letztlich kann die Geschichte auch zum Nachdenken anregen, durch was wir uns definieren, wie manipulierbar wir sind.

L G,

tschüß… Woltochinon

 

Ach je...
Das Thema ist alt (lies mal Robert Crumb), die Pointe ist schon vorgegriffen, weil man von Anfang an weiss, was in der Flache sitzt. Und dann bleibt doch alles leider sehr sittlich.
Schlussendlich ist der Text sehr dialoglastik.

 

Hallo, Woltochinon,
schön, dass du Spaß an der Geschichte hattest! Damit hat sie ihren Zweck erfüllt.
Viele Grüße
Jakobe

 

Ach je, Peter!
Gibt es überhaupt noch ein Thema auf dieser Welt, das noch nicht behandelt wurde? Muss nicht jeder Autor davon ausgehen, dass sein Stoff irgendwann, irgendwo, irgendwie von irgendwem schon mal aufgegriffen wurde?
Dialoge enthält der Text zweifellos, aber ist er dialog"lastig"? Ich finde zum Beispiel nichts ermüdender als ellenlange Beschreibungen und Handlungsabläufe.
Die Geschichte ist dir zu sittlich. Was hast du erwartet? Eine saftige Sexszene im Park? Das würde allerdings gar nicht zu den Charakteren und auch nicht zum Stil der Geschichte passen.
Ich fürchte also, in den von dir bemängelten Punkten kann ich dir nicht folgen. Na ja, macht nix!
Viele Grüße
Jakobe

 

Gibt es überhaupt noch ein Thema auf dieser Welt, das noch nicht behandelt
Natùrlich nicht.Aber man kann jedes Thema unendlich variieren. Aber wenn ich das habe, das der Author nichts neues zugefùgt hat an z.b. Roald Dahl und Konsorten, dann frage ich mich, wozu ...
Das würde allerdings gar nicht zu den Charakteren und auch nicht zum Stil der Geschichte passen.
Stimmt vielleicht. Also nichts fùr ungut

 

Hallo, Peter,
eigentlich finde ich es unfair, einem Autor vorzuwerfen, dass er etwas geschrieben hat, was ein anderer vor ihm schon einmal ähnlich dargestellt hat. Man kann dem Autor deshalb nicht einfach unterstellen, er hätte abgekupfert. So unwahrscheinlich ist es nicht, dass zwei Menschen unabhängig voneinander dieselbe Idee haben. Und das bedeutet auch nicht, dass die Geschichte, die zufällig später geschrieben wurde, deshalb schlecht ist.
Noch mal viele Grüße
Jakobe

 
Zuletzt bearbeitet:

hello Jakobe,

schöne Geschichte, ich habe zwar schon früh die Pointe geahnt, macht aber nichts - es gibt ja keine Vorschrift, der zufolge man Pointen erst am Ende bemerken darf!

'Kuhäugig' galt übrigens im alten Rom als besonderes Kompliment für Frauen und, wie ich finde, völlig zu recht, denn Kühe haben sehr schöne Augen. Vielleicht sollte sie besser 'Glubschaugen' sagen.

Mir persönlich ist der Schlußsatz zu viel, weil ich den Eindruck gewinne, für blöd gehalten zu werden. Da würde ich mich bernadettes Vorschlag anschließen.

Viele Grüße vom gox

 

Hallo Gox,
interessant, dass "Kuhaugen" im alten Rom ein Kompliment war! Das passt auch zu meiner Absicht, denn der Leser soll verstehen, dass Marie nicht hässlich ist, sich aber für unscheinbar hält.
Den Schlusssatz habe ich jetzt noch mal geändert. Vielleicht ist er so besser, weil er nicht ganz so sehr mit dem Holzhammer draufhaut. Ich weiß es nicht.
Vielen Dank und viele Grüße!
Jakobe

 

Man kann dem Autor deshalb nicht einfach unterstellen, er hätte abgekupfert.
Ich habe dir gar nichts unterstellt. Wenn du abgekupfert hättest, hätte die Geschichte mir wahrscheinlich sogar besser gefallen.Die besten Autoren sind abkupferer, aber sie sind sich dessen bewusst, und fügen allem abgekupferten ihren eigene Note bei. Alles was ich meinte war, wenn man über ein derart ausgetretenes Thema eine Geschichte schreibt, muss man aufpassen, das man nicht das Rad zum x-ten Mal erfindet. Aber was soll's eigentlich, wir haben ja alle noch viel zu lernen.

Nix für ungut.

 

Ich habe nun doch wieder das erste Ende genommen. Abgesehen davon, dass sich niemand positiv zu den geänderten Schlüssen geäußert hat, macht der ursprüngliche Schluss die Geschichte meinem Gefühl nach runder. Er passt einfach besser zu dieser Art "Unterhaltungsgeschichte".
Noch mals vielen Dank und viele Grüße
Jakobe

 

Hallo!
Ich war das erste Mal in der Rubrik, und mir hat deine Geschichte wirklich sehr gut gefallen! Eigentlich steh ich ja sonst nicht so auf Romantik und solche Sachen, ;) aber das ist wirklich nett zum Schmunzeln für zwischendurch - nicht zu lang, der Titel lockt einen sofort zum Anklicken - und den Schluss finde ich nicht sooo arg. Das mit dem Wasser ist zwar logisch - aber ich (persönlich) kenne genug, die da nicht draufkommen würden. Lass die Story so!

 

Liebe Evy,
danke für dein Lob! Ich hatte drei verschiedene Schlüsse ausprobiert, aber mit diesem fühle ich mich am wohlsten. Es handelt sich um eine "harmlose" Geschichte, die nur mal so zur Unterhaltung zwischendurch gelesen werden soll, so wie du sagst. Und dazu passt auch ein einfaches Ende am besten, finde ich.
Viele Grüße
Jakobe

 

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