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Long, Long Journey...
Für einen heimlichen Engel.
Stille.
Nur mein Atem darin.
Stille und ein verschwommenes Bild, eine alte Erinnerung, blass und unscharf.
Ich horche in den Flur hinaus, meine Augen fest geschlossen, und kann die Dunkelheit über spiegelglatte Fliesen kriechen hören. Ihre kalten Finger am Türschlitz, nirgendwo ein Licht. Sie leckt über den blanken Stein des Ganges und schmeckt vergangenen Schweiß. Schmeckt das verblichene Spiegelbild blank polierter Stiefel. Getrocknete Tränen auf Linien, an denen wir uns so oft ausgerichtet haben.
Gegenwärtige Vergangenheit, in abgestandener Luft gefangen.
Sie schleichen sich in mein Stilleben, zaghafte Schritte eines Unbekannten. Ihr Wiederhall malt verwaschene Abdrücke auf die Leinwand aus Dunkelheit, und dann ist da nur noch eine sanfte Melodie, auf deren Klänge die wie eine Perlschnur aneinander gereihten Fußabdrücke zu mir hin getragen werden:
“City lights shine on the harbour, night has fallen down… through the darkness and the shadow, I will still go on..”
Enyas elfenhafte Stimme, die von einem warmen Windhauch begleitet über meine Haut rinnt und alles Bildhafte verschwimmen lässt. Federleicht. Leise. Für einen Moment versiegt selbst mein Atem, um noch intensiver in diese Leere hinein horchen zu können. Lichtlose Leere, in der nur die zarte Melodie zu tanzen wagt.
“…long, long journey through the darkness… long, long way to go… but what are miles across the ocean… to the heart that's coming home…?”
Perlschnurschritte, sich langsam entfernend. Inne haltend, irgendwo im Nichts - und hinter einer vorsichtig zugedrückten Tür verschwindet der Zauber dieser Stimme, lässt mich allein zurück. Allein mit der Stille und der einsamen Nacht, mit nichts als dem streichelnden Hauch des Windes auf meiner nackten Haut.
Und in ihm spüre ich deinen verhaltenen Atem, lasse stumme Bilder an mir vorüber ziehen. Versuche die Bilder zu fühlen, während feine Härchen meiner Haut sich aufrichten und eine Illusion von Wärme ertasten. Wärme, wo es nichts gibt als kühles Laken und Metall. Bis meine Hände sie finden und ihre Sehnsucht stillen. Fingerspitzen auf zaghaftem Erschaudern.
Atmosphärisches Summen vibriert nach bis tief ins Herz, meine Augen öffnen sich halb. Flatternde Lider, huschende Silhouetten.
Es ist nur ein kleiner, blasser Streifen Licht, mit lautloser Verspieltheit auf dem Leinen verzitternd. Ich liege ruhig da. Beobachte ihn, meine Haut im Halbdunkel als silbergraue Leinwand darbietend. Es ist dieser blauschwarze Hauch von Nacht, der meine Stube noch viel leerer wirken lässt.
Stumme Bewegungen auf dem Bildschirm, nur sein Lichtschein tastet sich meine nackten Beine hoch. Er summt ein statisches Lied, ich kann es nicht hören, nur fühlen. Schatten aus Licht, die Schatten deiner Hände auf meiner Gänsehaut. Oder sind es meine Hände? Ich möchte es nicht wissen.
Stumme Bewegungen, und ich sehe nur dich in ihnen. Du bist es, dessen staubfarbene Uniform mit dem Sand verschmilzt. Du bist es, dessen erschöpftes Lächeln in der Kamera erfriert und die gedrungene Gestalt sich verloren in der Weite des Zooms auflöst. Während deine Hände auf mir ruhen und Erregung sich sanft auf der Oberfläche kräuselt, denke ich an dich und von was du in dieser kalten, einsamen Nacht wohl träumen magst.
Lange, lange haben wir uns nicht gehört und doch klingt deine Stimme irgendwo in mir nach, vermischt sich mit diesem Summen, mit der Erinnerung an Helikopterrotoren.
Lange, lange schon nicht mehr haben deine Hände die Hitze in meinem Körper gekühlt und doch streifen sie jetzt über mich, wie als ob glühender Sand darauf nieder rieselt. Sand, der den scharfen Geruch von Schweiß und Waffenöl trägt.
Der Lichtschimmer fließt an mir nieder und ich lege mich flach auf den Rücken, die Kühle am Rücken und die Wärme auf mir. Der still fließende Nachtwind. Schließe die Augen, versuche zu verdrängen, was der Bildschirm mir aufzwingen will. Versuche, die sogar noch im Halbdunkel kahle Decke herzudenken. Weißgrauer Verputz mit einem Riss. An der meine Blicke abprallen würden. Zerbrechen. Wie sie jetzt in der Dunkelheit hinter meinen Lidern ertrinken und mich alleine auf einem Bett aus rostigen Stahlrohren und dünner Schaumstoffmatratze zurücklassen. Mit der Erinnerung an die Wärme deines Körpers, deiner Wärme auf mir und in mir.
Sie ertrinken, lassen ihre Seele aufsteigen. Erinnerungen. Kannst du dich auch manchmal erinnern, wie wir gemeinsam am Flugfeld entlang gegangen sind, unser Schweigen jede Berührung hundert mal intensiver hat wirken lassen?
Du hast nie gesehen wie die Schatten der startenden Abfangjäger sich in deinen Augen wiederspiegelten, deinen kastanienbraunen Augen, die so viel Leid und Tod gesehen haben und doch immer wieder einladen, sich in ihnen zu verlieren. Um eine Ruhe zu finden, die ich selbst nicht besitze und doch so dringend brauche. Meine Hand an deiner unrasierten Wange, ein zerknittertes, ausgezehrtes Gesicht mit Augenringen, deren Tiefe sie wie aufgemalt wirken lässt. Und doch liegt eine Zärtlichkeit in deinem Lächeln, die verborgene Saiten in mir anstimmt, Saiten, die bis heute noch nicht wieder verklungen sind.
Deine Hände auf meinen Brüsten. Haut an Haut, zeichnen Buchstaben in einer fremden Sprache. Ich fühle einen sanften, heißen Strom in meinem Herzen. Was sind schon Worte. Was sind schon die Meilen, die zwischen uns liegen.
Und die tröstliche Dunkelheit dieser Nacht trägt mich einem neuen Tag entgegen. Ein neuer Tag ohne dich, ein Tag, der nur dazu dient Nächten wie dieser zu entfliehen.
Ich liege jetzt ganz ruhig. Ergebe mich dem abgekühlten Lufthauch und der Leere meiner Stube. Meines Herzes.
Eine Türe. Leise, zaghaft. Metallisches Klimpern, wie eine Schneeflocke auf erhitzter Haut.
Ich lausche in die Stille hinein und warte auf die Stimme, die langsam den einsamen Kasernenflur entlang schwebt, bis hin zu mir. Meine Tränen mit unsichtbaren Fingerspitzen verstreicht...
“...long, long journey through the darkness… long, long way to go… but what are miles across the ocean… to the heart that's coming home…?”
Da ist wieder dieser blanke Stein auf dem Fußboden. Türen, Seite an Seite, und alle sind sie verschlossen, ihre Reihe verliert sich in der Dunkelheit. Schritte, die auf dem langen Gang ihren eigenen Herzschlag in die Nacht hinaus schreien. Und langsam, ganz langsam, stehen die fließenden Bilder hinter meinen Lidern still...
”...long, long journey out of nowhere… long, long way to go… but what are sighs and what is sadness… to the heart that's coming home…?”
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2006, Artilleriekaserne Bad Reichenhall.