Loslassen
„Hmpf“, stöhnte Jim und warf die Fernbedienung weg. Klackernd landete sie auf dem Boden.
Seit zwei Tagen erhob er sich nur dann vom Sofa, wenn seine Blase drückte oder der Pizzalieferant klingelte. Und obwohl weder das eine noch das andere in diesem Moment zutraf, setzte er sich aufrecht hin. Ein Schauer durchfuhr ihn, als würde sein Körper ihn warnen wollen. ´Ein bisschen zu spät, was!?´, fragte er seinen Körper. Er schaute noch einmal auf den flimmernden Bildschirm. ´Eindeutig zu viele schlechte Filme und ablenken konnten die mich nicht! ´
„Drrrring“, ertönte plötzlich die Klingel und ließ Jim aufspringen. ´Hab ich ´ne Pizza bestellt? ´ Grübelnd zog er eine Grimasse und schlurfte zur Haustür. Doch seine Frage wurde beantwortet, noch bevor er sie erreichte. Ungeduldig schlug die Person gegen die Tür und brüllte: „Jim! Ich weiß, dass du da bist! Jetzt mach endlich auf! Du li…Oh! Wow, wie siehst du denn aus?“
„Ja, ja Rob. Komm rein!“
Robert schloss die Türe und folgte seinem Freund ins Wohnzimmer. Dort ließ sich Jim wieder auf das Sofa fallen und bot Robert den Platz im Sessel an.
„Also, was ich…“, setzte Robert an, blickte sich jedoch geschockt um, bevor er fortfuhr: „Was ist denn hier los?“
Auf dem Couchtisch stapelten sich Pizzakartons umringt von Bierdosen, sowie Flaschen. Sogar der Boden war übersäht mit Zigarettenstummeln, Asche und diversen Kleidungs-stücken.
„´Ne kleine Party gehabt, stimmt´s? Hm ohne mich?!“, lachend beugte er sich über den Sessel, schubste etwas Müll herunter und klopfte Asche ab, dann erst nahm er Platz.
„Nein!“, entgegnete Jim bedrückt. Er war sich unschlüssig, ob er sein Problem mit ihm besprechen konnte. Wirkte er nicht ohnehin schon schwach?
„Ach, es ist nur…ich ahm, genieße die Zeit allein…wie du siehst.“
Robert zog eine buschige Augenbraue hoch.
´Oh, verdammt! Ich konnte noch nie gut täuschen. ´
„Komm schon! Was ist oder war los?“, wurde er weiter bedrängt.
„Nichts! Ich bin nur müde und…“, Jim versuchte zu lächeln, doch er wusste, wie schief es aussah.
„Ok. Ich will dich nicht überreden, es mir zu erzählen, aber danach geht´s dir vielleicht besser…“
´Wie kommt der denn darauf, dass es mir schlecht geht? ´, dachte Jim.
„Hör mal, ich hab Isabelle heut morgen getroffen…“
Jim keuchte ein „Oh!“ und blickte starr zum Boden.
„Es tut mir leid! Ich weiß nichts genaues, nur dass Marie Isabelle gebeten hat mitzuspielen, doch sie fand das zu anstrengend.“, sprach Robert weiter und setzte sich neben seinen Freund.
„Verdammt! Wie konnte sie mir das antun? Sie hat mir Prospekte von irgendeinem Wellnesshotel in Portugal vorgelegt und davon geschwärmt…sie hat Isabelle hierhin geschleppt und die ganzen drei Wochen Urlaub durchgeplant…und dann…argh …dann nachdem sie angeblich schon drei Tage fort ist, steht Isabelle auf einmal vor meiner Tür! Mann was soll das? Isabelle hat geheult und gebettelt ich möge ihr verzeihen…haha was hab´ ich denn davon? Ich will meine Marie zurück, verdammt!“ Jim brach zusammen. In einem durch berichtete er Robert die ganze Geschichte. Dieser hörte aufmerksam zu und sagte schließlich: „Du liebst sie doch! Und du kennst NUR die Version der besten Freundin! Es gibt bestimmt noch Hoffnung! Hast du eine Adresse von ihr bekommen? Ist sie denn wenigstens in Portugal?“
So viele Fragen und Emotionen in so kurzer Zeit waren zuviel für Jim. Ganz leise begann er zu weinen. Aber Robert stützte ihn auch jetzt. Er legte einen Arm um ihn und nuschelte beruhigende Worte. Es schien zu wirken. Nur einige Minuten später stand Jim auf, räumte ein paar Flaschen weg und verschwand im Bad. Mit frisch gewonnener Energie verwandelte er sich in einen gepflegten Mann und ging im Kopf den nächsten Schritt durch.
´Lieb ich sie wirklich noch so sehr? Oder kommt mir diese Situation gelegen? Ich könnte noch mal neu anfangen…´
Immer weiter kreisten seine Gedanken und Erinnerungen um vergangene Tage, schöne und grauenvolle Momente. Da klopfte es sachte an der Badezimmertür: „Jim, brauchst du noch lang? Soll ich was kochen?“
Er öffnete die Tür, trat strahlend ins Wohnzimmer und sah sich um. „Du bist unglaublich! Weißt du das? Klar, ich hab Hunger!“
Robert hatte das Wohnzimmer gesäubert und ging in die Küche. ´Tja, die Zukunft ist ungewiss! Aber jetzt wieder voller Lebensmut! ´, sagte sich Jim.