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Luxus ist nur eine halbe Stunde
Luxus ist nur eine halbe Stunde
Wir haben, bedingt durch die Geburt unserer Tochter Kathrin, einen recht großen Bekanntenkreis in unserem Viertel aufgebaut.
Man lernte sich über, die gemeinsam auf dem Spielplatz tobenden Kinder eigentlich zwangsläufig kennen und somit ist unser Nachwuchs die Ursache dafür, dass man sich nicht nur kennen sondern auch schätzen gelernt hat.
In der Zeit, in der Kathrin noch nicht auf der Welt war ist man sich zwar unwissentlich mehrfach begegnet, hatte aber keine Veranlassung gesehen, den anderen anzusprechen.
Betrachtet man die Sache also so wie sie sich uns heute darstellt, kann man mit fug und recht behaupten, dass Kathrin unser Leben nicht nur durch ihre bloße Anwesenheit sondern vielmehr auch mit ihrer unbekümmerten Art auf andere zuzugehen um vieles bereichert hat.
Unsere Tochter ist mit ihren zweieinhalb Jahren in ein Alter gekommen, in welchem sie uns auf der einen Seite sehr viel Freude aber auf der anderen Seite auch eine Menge an Arbeit bereitet. Durch sie gerät man in Situationen, die einen das ein oder andere Mal in eine Art Erklärungsnotstand versetzen können.
Damit sie verstehen was ich damit meine, schildere ich ihnen nur mal eine kleine Begebenheit.
Kathrin schaut zu gerne Serien in denen Frauen ihre Babys bekommen. Da die Geburt meistens mit einem dicken Bauch und Schmerzen vonstatten geht, wollte unsere Tochter wissen wo das Baby herkommt und warum die Mamas so schreien..
Wir erklärten ihr das die kleinen Kinder im Bauch der Mama sind und es der Mama ein wenig wehtut, wenn sie auf die Welt kommen.
Soweit so gut !
Seit dieser Erklärung läuft Kathrin in unserer Wohnung umher und meint, während sie ihren kleinen Bauch mühevoll raus streckt: „Papa, Mama guck mal. Kathrin hat Baby im Bauch!“
Dieses Verhalten zeigt uns auf eindrucksvolle Art und Weise, dass sie es wohl verinnerlicht zu haben scheint hat, woher die Babys kommen.
Um unsere Kleine nicht gänzlich um den Verstand zu bringen und weil wir der Meinung sind das sie mit zweieinhalb Jahren noch nicht alles wissen muss, haben wir ihr jedoch verschwiegen wie die Kinder in den Bauch hineinkommen.
Es geschah nun, dass wir zu unseren Freunden Manfred und Nicole fuhren, welche uns zu einer Grillparty eingeladen hatten. Nicole ist, dieses zur Erklärung, kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes.
Als nun unser Spross Nicoles Bauch sah lief sie sofort zu ihr hin und zeigte voller Freude auf den nun schon sehr rundlichen Babybauch. Kathrin erklärte ihr nun, das sie ein Baby im Bauch hat und das Baby heraus möchte.
Über diese Tatsache mussten alle etwas schmunzeln, als jedoch folgende Frage von Kathrin in den Raum gestellt wurde, waren alle etwas verduzt und zugleich im angesprochenen Erklärungsnotstand :“ Du? Hat Manni Baby reingemacht?“
Dieses ist nur ein Beispiel von vielen, wie es Kinder schaffen ihre Umwelt für sich zu entdecken und uns Erwachsene vor leichtere Probleme zu stellen.
Neben der Tatsache, das man gehörig auf seinen eigenen Sprachschatz achten sollte, wenn Kleinkinder zugegen sind.
Wir sind vor noch nicht allzu langer Zeit in eine größere Wohnung gezogen und hatten alle Hände voll zu tun.
Sie können sich kaum vorstellen wie viele Gegenstände man im Laufe von nur fünf Jahren ansammelt und in der Wohnung zu verstauen versucht.
Als es nun darum ging, die Möbel in der neuen Wohnung an dem dafür vorgesehenen Platz zu montieren, lief unser Sonnenschein durch die anderen, noch leeren, Räume und hatte sehr viel Spaß dabei.
Mein Spaß bestand darin meine Werkzeuge zu suchen und meiner Tochter hinterher zu laufen um sie von diversen „Spielsachen“ fernzuhalten. Natürlich bin ich kein Übermensch und verfüge deshalb auch nur über eine begrenzte Anzahl von Nervensträngen, welche sich in Gegenwart meiner Tochter langsam aber sicher verabschiedeten.
Da unter der Doppelbelastung, Montage und Töchterchen, meine Nerven bald blank lagen ließ ich meine überschüssige Energie durch den ein oder vielleicht auch anderen unglücklich gewählten Kraftausdruck freien Lauf.
Nachdem ich mit der Arbeit für den Tag fertig war ging ich samt Nachwuchs nach Hause.
Kathrin lief sofort in ihr Kinderzimmer und spielte mit ihrer Küche. Fünf Minuten später wusste meine Frau ganz genau welche Worte ich, beim Aufbau gebraucht hatte.
Sie ahnen es sicherlich, Kathrin hatte eine verbale Auseinandersetzung mit ihrer Kaffeekanne. Der Deckel klemmte ein wenig so das er diverse Ausdrücke über sich ergehen lassen musste, ehe er sich eines besseren belehren ließ und auf die Kanne passte.
Neben solchen Kleinigkeiten, mit denen man Tag für Tag zu kämpfen hat, verschieben sich durch die kleinen Quälgeister mitunter auch die Werte die man gewissen Sachen zugeordnet hatte.
Nehmen wir als Beispiel: Luxus.
Was galt vor der Geburt ihres Kindes bei ihnen als Luxus? Auto? Zweimal pro Jahr in Urlaub fahren? Restaurantbesuche unter der Woche? Am Wochenende lange schlafen? Mal eben ganz spontan irgendwo hinfahren?
Bei uns traf der ein oder andere Punkt zu.
Auto:
Wer Kinder hat weiß, dass das Familienauto kein Luxusgut mehr ist, sondern einzig und alleine den Zweck erfüllt den Wocheneinkauf zu transportieren und wenn sonst alles versagt, sein Kind abends in den Schlaf zu fahren.
Eine Zwischenfrage sei mir an dieser Stelle gestattet:“ Wie schaffen es unsere Kleinen eigentlich aus 20 Gramm Keks eine knappe Tonne an Krümeln zu produzieren?“
Zweimal im Jahr in Urlaub fahren:
So einen Stress tut sich niemand zweimal im Jahr an!!! Warum benötigt man für knappe 20 Kilogramm Mensch dreimal mehr Sachen als für knappe 100 Kilogramm?
Restaurantbesuche unter der Woche:
Sie laufen während des Essens mehr Kilometer (hinter ihrem Kind her) als der Kellner und haben eine trockene Kehle vom entschuldigen bei anderen Gästen.
Ganz nebenbei geht ihnen nach ungefähr einer Viertelstunde der Spruch :“ Ach nein wie süß die Kleine doch ist - ganz der Papa“ ungemein auf den Geist.
Am Wochenende lange schlafen:
Was, bitte schön, ist Wochenende???
Spontane Unternehmungen:
Spontanität muss generalstabsmäßig mit vierzehn Tagen Vorlauf geplant werden!!!
Nein, - Luxus wäre es heute für uns, wenn wir nur ein einziges Mal die Möglichkeit hätten, für eine lächerlich halbe Stunde in ruhe essen zu können.
Wie sie bemerken schreibe ich im Konjunktiv, weil es ein frommer Wunsch ist und es wahrscheinlich auch für die nächsten zwei Jahre bleiben wird.
Überraschungen sind gerne willkommen.
Eine solche Überraschung kündigte sich in Form der Idee einer Mutter vom Spielplatz an.
Anja, so heißt die Mutter, hatte uns nämlich den Vorschlag unterbreitet gemeinsam mit den anderen Eltern Brunchen zu gehen.
Es handelt sich bei den übrigen Eltern um ungefähr 7 Ehepaare und deren schätzungsweise 10 Kindern. Genaue Zahlen kann ich ihnen leider nicht liefern, da beim Versuch die Kinder zu zählen alle ständig durcheinander liefen und ich deshalb nicht mit letzter Sicherheit weiß wie viele es sind.
Die Tagesadresse für unser Vorhaben war ein alter Bauernhof in einer Nachbargemeinde.
Da niemand so recht wusste wo genau dieses Lokal gelegen war, machten wir kurz entschlossen eine Gärtnerei in unserer Wohngegend zum Treffpunkt der anstehenden Kolonnenfahrt. Diese Tour sollte gegen 9 Uhr am Sonntag beginnen und alle Eltern kamen so pünktlich wie es ihr jeweiliger Nachwuchs zuließ.
Wissen sie eigentlich woran man einen Ausflug von mehreren Familien mit Kindern am einfachsten erkennen kann?
Sie wissen es nicht?
Ich kann es ihnen sagen, man erkennt ihn an unzähligen, auf der Rückbank durch Kekskrümel verunstalteten Kombis. Meistens um nicht zusagen immer ist in der Heckscheibe der Name des Sprösslings zu lesen, was zur äußerlichen Unterscheidung der Autos beiträgt und außenstehenden gleichzeitig verrät wer für den Zustand der Inneneinrichtung verantwortlich ist.
Als wir, nach einer etwas längeren Anreise, am Ziel ankamen betraten wir zuerst die Lokalität um uns einen ersten Eindruck machen zu können.
Nein, Entschuldigung es muss richtiger weise heißen, „wir wollten die Lokalität zuerst betreten“, denn unsere Kinder sind instinktiv zuerst, an dem Restaurant vorbei, auf den dazu gehörigen Spielplatz gelaufen von welchem wir sie nur unter großen körperlichen Strapazen wieder wegbekommen haben.
Nachdem diese Schlacht länger dauerte als die eigentliche Anreise, nahmen wir endlich unseren gemütlichen Brunch in Angriff.
Eine der Bedienungen zeigte auf zwei hintereinander stehende Tische, die für uns reserviert gewesen sind. Wie sich schnell herausstellen sollte war für einen Erwachsenen zu wenig eingedeckt gewesen.
Dreimal dürfen sie raten wer am Ende ersteinmal keinen Platz gefunden hatte?
Genau - , es traf widererwartend mich und das obwohl meine Ehefrau einen Platz neben meiner Tochter inne hatte. Sie hätte nur einen weiteren Platz für mich freihalten müssen und alles wäre bestens gewesen, doch sie tat es nicht.
Ein Vater, der mein Elend erkannte, rückte etwas näher an das Ende des Tisches sodass ich einen neuen Stuhl zwischen ihn und meine Frau schieben konnte. Jetzt benötigte ich nur noch ein Gedeck, welches ich heimlich still und leise vom Nachbartisch organisierte.
Dieses blieb allerdings nicht allzu lange ungesühnt, denn ich wurde von einer etwas burschikos wirkenden Bedienung gefragt ob ich die Lücke auf dem Tisch hinter mir verursacht hätte.
Ehrlich wie ich bin gab ich es natürlich zu worauf ich einen bitter bösen Blick erntete und nicht wissen wollte was sie über mich dachte aber sich auszusprechen nicht traute.
Das alles geschah erst nachdem meine Mitstreiter bereits ihren ersten Kaffee eingeschenkt bekommen hatten und sowohl von der Serviererin als auch von dem Heißgetränk nichts mehr zu sehen war.
Was blieb mir anderes übrig als mich mit meiner frisch „geklauten“ Tasse auf den Weg durch das Lokal, welches ganz nebenbei auch noch über den Charme eines Kaffeefahrt-Ausflugslokals verfügte, zu machen?
Am Tresen wurde ich von meiner ganz speziellen „Freundin“ mit den Worten „Aha, nun doch Kaffee!?!“ wenig euphorisch in Empfang genommen.
Letztlich konnte ich noch glücklich sein nicht als „Gedeckdieb“ begrüßt worden zu sein
Mit dem ersten Kaffee des Tages bewaffnet machte ich mich auf den Weg zu meinem selbstinstallierten Platz an der großen Tafel. Dort angekommen stellte ich fest das mein „geklauter“ Stuhl wohl einer hinterhältigen Entführung zum Opfer gefallen sein musste, denn er war nicht mehr da.
Ich frage sie gibt es etwas schlimmeres oder unehrenhafteres als einen Dieb zu beklauen? Ich denke nein, wenn sich dann auch noch herausstellt, dass sie von der eigenen Tochter betuppt wurden ist das Maß gänzlich gefüllt!
Mein eigen Fleisch und Blut wollte sich meinen Stuhl ausleihen um selber neben ihrem Dreijährigen Freund Leon sitzen zu können. Nach kurzen aber wohl einprägsamen Worten gab ich nach und suchte mir eine neue Sitzgelegenheit.
Etwas genervt bewegte ich mich mit meinem Teller auf das in 50 Meter entfernt stehende Buffet zu .
Es stand genau am anderen Ende des ungefähr 200 Personen fassenden Saales der zum jetzigen Zeitpunkt nur durch uns belagert wurde.
Dort angekommen flitzten bereits die ersten Kleinkinder an mir vorbei in Richtung Kinderspielplatz. Mir schwante nichts gutes bei dem Gedanken daran, dass ich gleich mit Sicherheit auch meinen Spross an mir vorbeilaufen sehen werde und ihn ersteinmal an die endlosen Weiten des Spielplatzes verlieren werde.
Kaum das dieser Gedanke beendet war sah ich Kathrin aus dem Lokal laufen. Meinen Teller wegstellend machte ich mich auf die rasante Verfolgungsjagd und lieferte mir zusammen mit einer Mutter ein heißes Sprintduell.
Unsere Kinder in Sichtweite und unter Elterlicher Kontrolle, leisteten wir uns eine erste Entspannungszigarette des Tages.
Nach rund 10 Minuten konnte ich zumindest meine Tochter von der Idee überzeugen, endlich etwas zu essen und sich drinnen neben ihre Mutter zu setzen.
Im nachhinein bin ich mir nicht wirklich sicher ob meine Kleine sich von meinen Worten überzeugen ließ oder sie aus Mitleid den Weg ins Lokal einschlug.
Wie dem auch sei, sie war drin und nur das zählt!!!
Ich nahm meinen, komischer Weise noch auf mich wartenden, Teller und setzte mich auf meinen Platz, wo ich dann versuchte mein Frühstück in Ruhe und Gemütlichkeit zu mir zu nehmen. Es sollte mit einem herrlichen Schluck heißen Kaffee beginnen, das daraus nichts wurde verdankte ich dem nicht ganz unwichtigen Faktor Zeit. Er ließ meinen Kaffee in der zeit zwischen Buffet – Kinderspielplatz – Zigarette und retour natürlich kalt werden.
Es half alles nichts, ich musste wohl oder übel wieder aufstehen um mir bei meiner Intim-Feindin einen neuen zu holen.
Wir waren nun bereits eine halbe Stunde anwesend und ich hatte weder eine Tasse Kaffee getrunken noch etwas gegessen, als mich mein Tischnachbar fragte ob ich es hier auch angenehm finde, es wäre mal etwas anderes als immer nur zu hause zu frühstücken. Der Mann hatte gut reden, denn schließlich hingen ihm noch die Reste eines sehr wahrscheinlich wohlschmeckenden, frischen Schinkenbrötchens aus dem Mundwinkel und zum zweiten war seine Tasse bereits mehrfach gefüllt und erfolgreich geleert worden, was ich den äusseren Spuren der Tasse als auch der Tischdecke entnahm.
Mit später werdendem Morgen füllte sich das Lokal, sodass binnen kurzer Zeit der gesamte Saal gefüllt war und alle Eltern einschließlich mir Probleme hatten unseren Nachwuchs via menschlicher Sehkraft zu verfolgen. Was blieb uns also anderes übrig als die Verfolgung per pedes aufzunehmen?
Meine Gattin und ich wechselten uns mit der Beaufsichtigung von Kathrin regelmäßig ab, sodass wir, jeder für sich, doch noch in Ruhe frühstücken konnten und auch mit den anderen Leidensgenossen noch das ein oder andere Wort zu wechseln in der Lage waren.
Das Fazit dieses Morgens lag auf der Hand:
Ich habe entgegen meiner Gewohnheit nicht um 8 Uhr sondern zwischen 9.30 Uhr – 11.00 Uhr gefrühstückt . Sehr schön!!!
Ich habe entgegen meiner Gewohnheit alleine und nicht mit meiner Familie gefrühstückt. Noch schöner!!!
Ich habe entgegen meiner Gewohnheit bereits vor dem Frühstück geraucht. Noch schönerer!!!
Ich habe entgegen meiner Gewohnheit für 2 Brötchen mit Salami und einer Tasse Kaffee 10 Euro bezahlt. Die Krönung!!!
Das alles lässt für mich den Schluss zu das es auf ewig und drei Tage ein Luxus bleiben wird mit einem Kleinkind in ruhe essen zu können – noch nicht einmal eine lächerliche halbe Stunde.