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Mädchenglut

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21.04.2014
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Mädchenglut

Natürlich kenne ich die Geschichten von den Versenkten im See. Jeder hier kennt die. Wir jagen uns gerne einen Schrecken ein beim Schwimmen, stupsen mit Stöcken nach tretenden Beinen und kreischen, wenn wir selbst was abkriegen.
Vor ein paar hundert Jahren gab's 'ne Menge Wasserproben vor Ort. Ich hab' von dieser Magd gelesen, die mit ihrem Herrn und Meister gefickt hat; einem Bauern, den Hof gibt's noch heute. Die Bäuerin fand's heraus, also zeigte sie die Frau an und bezichtigte sie der Hexerei, was der Typ dann bezeugte. Klar, sie hatte ihn verzaubert, was sonst, schließlich war der Mann ja Katholik, also band man ihr die Daumen mit den Großzehen zusammen und schmiss sie in den See.

Mein Vater ist verbrannt, weil er sturzbetrunken im Bett geraucht hat. Bei irgendeiner Schlampe aus der Stadt, die gleich mit abgefackelt ist. So hat's mir zumindest meine Mutter erzählt. Ist schon lange her.
Vor Kurzem meinte sie, sie wäre glücklich mit ihm gewesen, bis ich auf die Welt gekommen bin.
»Und was soll das heißen?«
»Wir waren jung, reisten um die Welt.« Mutter lächelte. »Er hat fotografiert, war richtig gut. Rucksack, Kamera, ich mit Notizbuch, und los.« Sie sah auf die Zimmerpflanze mit den fettgrünen Blättern. »Dann vielleicht ein Buch, Diavorträge, um Geld für den nächsten Trip zu machen. Oder eine Strandbar eröffnen ...«
»Bis ich kam«, sagte ich.
»Sophie, Schätzchen«, sie strich mir übers Haar und sah mir in die Augen, »nicht immer alles falsch verstehen.«
Wir umarmten uns, dann setzte ich mich in den Schneidersitz und spielte an meinen Socken herum. Beschwor ein Bild in mir herbei: Ein Mann ohne Gesicht, im schwarzen Anzug, mit Schulterpolstern aus Blei und einer Aktentasche in der Hand.

Manchmal denke ich an die Scheiterhaufen, die dort aufgetürmt wurden, wo heute der Grillplatz ist. Schräg gegenüber der Gerichtseiche, die so alt ist, dass sie kaum mehr ihre Äste tragen kann.
Würstchen zu brutzeln, wo einst Frauen um ihr Leben gebrüllt haben, ist, na ja, heftig, finde ich. Aber das will ja eh niemand hören und wer weiß schon, was sich dort abgespielt hat, außer mir.
Andere finden es spooky, Nadine zum Beispiel, aber ich liebe die Hexengeschichten vom Ort, und manchmal, wenn ich lange genug mein Gesicht im Spiegel betrachte, wird mein braunes Haar zu rotem, bekommt meine Nase einen Höcker und ich muss lachen, ganz hexenhaft schrill, bis Mutter aus der Küche wettert: »Bist du jetzt völlig durch?«

*​

Das Feuer knistert und ich fliege durch die Nacht, Sterne glitzern wie Pailletten über mir, dann falle ich. Das kalte Wasser reißt mich aus einem Traum, der niemals enden soll. Während ich zurück ans Ufer schwimme, segelt Gregor johlend durch die Luft und klatscht mit dem Rücken voran in den See. Nadine sitzt auf einem Ast, Joe wirft ihr das Tau nach oben, aber sie fängt es nicht gleich, sagt: »Ich trau' mich nicht!«
»Komm schon. Ist saugeil, Nadine!«, rufe ich und trockne mich ab. Dann gibt sie sich einen Ruck, das Seil jetzt in Händen, und schwingt kreischend dem Wasser entgegen. Doch sie lässt nicht los, pendelt zurück, Joe in die Arme. Ich pruste los und Gregor ebenso, der klatschnass zu unserem Platz watschelt und sich trocken rubbelt. »Was war das denn?«, sagt er.

Der Ruf eines Vogels, irgendwo im Dunkel. Unser Lagerfeuer schießt Funken in die Nacht. Ich zucke zusammen, nehme einen Schluck Apfelkorn und lausche dem Sprechgesang der Frösche. Mir ist kalt, ich umarme mich selbst, reibe mir die Schultern und rücke näher zur Hitze. Die kleiner werdenden Flammenzungen spiegeln sich in Joes glasigen Augen.
»Hört ihr auch das Zischen verbrennender Leiber?«, sage ich. »Wenn die Haut aufplatzt und ...«
»Lass gut sein«, sagt Nadine. »Nicht schon wieder Horrorgeschichten.«
»Das sind keine Geschichten!«
»Muahaha«, macht Gregor, das letzte a zieht er in die Länge, Joe grinst nur vor sich hin.
»Kommt schon, mir ist langweilig.«
»Halt einfach die Klappe, Sophie, genieß mal die Ruhe!« Nadine wirkt genervt, Gregor lacht. »Du bist schon 'ne Nummer«, sagt er zu mir und zieht Nadine näher zu sich ran, küsst sie auf den Mund. Sie macht Anstalten, ihn wegzustoßen, gibt den Widerstand aber schnell wieder auf. Ich sehe ihre rosa Zunge aufblitzen, bevor sie verschlungen wird. Gregors Hand findet einen Weg unter ihr Shirt, sie stöhnt erstickt. Ich hasse sie! Beide! Starre wie gebannt hin und mir bleibt beinahe das Herz stehen, als mich was an der Schulter zupft.
»Ich hau ab«, sagt Joe. »Kommst du mit?« So wie er es sagt, mit diesem Lächeln im Gesicht, wird mir schlecht.
»Ich bleib noch.«
»Sicher?« Er nickt in Richtung Liebespaar. »Wir könnten es uns auch bequem machen, ein Stückchen weiter weg vielleicht.«
»Du spinnst wohl«, zische ich.
Er lacht, sagt: »Dann nicht«, und raschelt schon durchs Gebüsch, bleibt aber noch mal stehen. »Sophie ...«
»Was denn?«
»Ich ..., egal. Ciao.«
Ich nicke nur, dann ist er weg.

Nadine und Gregor kichern, ein Funkeln in den Augen. Er taxiert mich, lächelt, schiebt dann ein Bein über Nadine und drückt sie zu Boden. Ich sehe, wie ihre Hände über seinen Rücken wandern, wie sie dabei Falten in das Shirt reiben, wie sie ... ach, ich schnappe mir die Flasche, gehe ans Ufer und zähle die Sterne.
Irgendwann der letzte Schluck, und der war zu viel. Ich spüre, wie sich das süße Zeug nach oben kämpft, vermengt mit Säure, und kotze alles aus. »Nadine!«, rufe ich gequält. »Wir gehen!«

*​

Der Mittwoch ist mein Lieblingstag. Am Abend zuvor wechsle ich immer die Bettwäsche. Ist die Schule aus, lernen wir zusammen. Und anschließend genießen wir unsere Mädelszeit. Meine Mutter hat mir ein Abo zum Geburtstag geschenkt und Nadine und ich stürzen uns seit beinahe einem Jahr auf Fotostorys, Promiklatsch und Dumme-Jungen-Fragen.
Meine Mutter, nie ist sie da, immer am Arbeiten, aber ich muss zugeben, ihr Geschenk hat ins Schwarze getroffen, auch wenn wir eigentlich viel zu alt für so was sind.
»Habt ihr es schon mal gemacht?«
»Was?« Nadine legt die Illustrierte ab und starrt mich an.
»Habt ihr miteinander ... geschlafen? Neulich am See ...« Ich versuche, beiläufig zu klingen. »Du bist doch noch zu Gregor.«
»Geht dich das was an?« Ihre Wangen blühen auf.
»Nadine?«
Sie lacht jetzt. »Okay«, sagt sie, »ja, wir haben schon miteinander geschlafen. Zufrieden?«
»Hast du mir gar nicht erzählt.« Ich wälze mich zu ihr, drehe Knötchen in mein Haar. »Und?«, frage ich. »Wie ist es?«
Nadine legt sich auf die Seite, wir sehen uns tief in die Augen. Sie riecht nach Nivea. Wie sich ihr Brustkorb bewegt, ihr Kehlkopf hebt und senkt ...
»Es ist total schön mit ihm.«
»Wie berührt er dich?«
»Er ist ... zärtlich.«
»Zeig mir, was er macht.«
»Was?«
Ich nehme ihre Hand und lege sie mir auf die Brust.
»Nein«, sagt sie und zieht sie weg.
Ich greife erneut nach ihr, packe kräftig zu und ziehe sie mir in den Schritt. »Fasst er dich auch da an, Nadine?«
»Du spinnst wohl!«, schreit sie, reißt sich los und scheuert mir eine.

Hexen hüten Schätze. Tiegelchen und Fläschchen voller geheimnisvoller Tinkturen. Kräuter und Pulver und verbotene Bücher mit Sprüchen und teuflischem Wissen nennen sie ihr Eigen. Meinen Schatz bewahre ich in einem Holzkästchen auf, das ich selbst bemalt habe. Rot wie Blut und schwarz wie Krähenfedern. Ich ziehe die Schublade unterm Bett hervor, wühle mich nach hinten, durch Berge von Schlüpfern und viel zu klein gewordener Socken. Da ist es ja! Das Zahlenschloss klemmt schon wieder, ich gehe in die Küche und träufele Öl auf das blöde Ding. Reibe mir die Hände an der Jeans ab und ärgere mich über die Flecken darauf. Egal, ich will nicht, dass die Briefe fettig werden. Auch nicht das Haargummi – es riecht nicht mehr nach ihr! –, und schon gar nicht die karierten Zettelchen, Dutzende davon, fein säuberlich gestapelt. Magische Formeln, Versprechen, heimliche Gedanken.
Heute Abend am See? Den hab' ich gesucht! Ich glätte mit dem Handrücken die Falten im Papier, fahre mit dem Finger die Worte nach, sehe Nadine, eine Sitzreihe vor mir, wie sie ein Stückchen aus dem Collegeblock reißt, die Frage schreibt, und mir den Zettel nach hinten gibt. Ihr verschwörerisches Lächeln, ganz kurz nur, dann, als wäre nichts, den Blick wieder nach vorne gerichtet.

War klar, dass er kommt. Gregor hat die Handschrift erkannt, auch wenn sie nicht für ihn bestimmt war, sondern für mich! Lange vor ihm! Noch bevor er alles durcheinandergebracht hat. Er sitzt auf der Bank unter der Gerichtseiche und raucht.
»Hey«, sage ich.
»Sophie?« Er spricht es Soffi aus. Nicht schön, nicht französisch, nicht Sophie.
»Jepp.«
»Und Nadine? Ich dachte, sie wär übers Wochenende ...«
»Bei ihren Großeltern. Ist sie auch.«
»Ähm ... und das? Was soll das?« Er kramt den Zettel aus der Tasche und hält ihn mir entgegen. »Ich soll herkommen«, sagt er und steckt ihn wieder ein.
»Keine Ahnung. Verarsche. Vielleicht will sie nicht, dass du auf die Party gehst.«
Gregor nimmt einen Zug – die Falte zwischen den Brauen wird tiefer – und schaut zum See. Die Abendsonne hat einen roten Teppich aufs Wasser gemalt. Enten schlagen mit den Flügeln auf die Oberfläche, hetzen einander, halb fliegend, halb rennend.
»Vielleicht will sie einfach nur, dass du an sie denkst.«
Er schüttelt den Kopf und bläst Rauch durch die Nase.
»Oder dass du keinen Blödsinn anstellst.« Mehr fällt mir nicht ein. »Kann ich auch eine haben?« Ich nehme mir eine Zigarette aus der zerbeulten Gauloises-Schachtel neben ihm und setze mich.
Gregor greift sich in die Hose, fummelt ein Zippo raus und gibt mir Feuer. »Ihr hattet Streit, stimmt's?«
»Wieso?«
»Nadine hat gesagt: Hey, die ist total durchgeknallt!« Er lacht und schnippt die aufgerauchte Kippe weg. »Total durchgeknallt«, wiederholt er, reißt dabei die Augen auf und fuchtelt theatralisch durch die Luft. »Was war denn?«
»Wir verstehen uns wieder.«
Er nickt und angelt sich die nächste Zigarette aus der Schachtel. »Kommst du auch auf die Party heute?«
»Klar«, sage ich.
»Da wird sich Joe aber freuen«, sagt er und grinst.
Mir sticht Rauch in die Augen, ich kneife sie zusammen, reibe mir die Tränen weg und sage: »Okay. Und warum das?«
»Komm schon, hast du nichts bemerkt?«
Die Luft drückt bleiern, wir rauchen, moderiger Geruch vom See dringt zu uns rüber.
»Komische Aktion. Das mit Nadine«, sagt er.
Ich ersticke die Zigarette unter meiner Sandale, lege eine Hand auf Gregors Oberschenkel. Lasse sie dort liegen, für einen Moment, einen Augenaufschlag lang. »Wir sehen uns dann heute Abend, ja?« Den Stummel werfe ich in die tote Feuerstätte vor uns. »Ich bring was Selbstgebrautes mit«, sage ich und stehe auf.
»Das Rezept von deiner Oma? Fuck!« Gregor lacht wieder.
»Das Zeug hat's in sich, hab's vor zwei Wochen angesetzt.« Ich zwinkere ihm zu und schnalze mit der Zunge.
»Alles klar«, sagt er gedehnt und ich sehe, dass sich was in seinem Blick verändert hat.
»Ach, übrigens ... der Streit. Es ging dabei um dich.«
Die Idee, davonzurennen, gefällt mir. Ich drehe mich kurz um, lächele. Wie ein Fragezeichen hockt er da, und während ich ihn noch im Rücken spüre, verzieht sich mein Gesicht zu einem Grinsen, wird mein braunes Haar zu rotem und meine Nase bekommt einen Höcker.

*​

»Freut mich, dass du gekommen bist!« Joe streicht sich die Haare nach hinten. »Nichts gegen Nadine, ist aber echt mal schön, dich alleine zu treffen!« Ganz außer Atem ist er, Schweiß glänzt auf seiner Stirn.
»Alleine?« Ich sehe mich um und rümpfe die Nase.
Joe lacht. »Ja, okay, alleine nicht unbedingt. Ich meine ... du weißt schon ...«
Irgendjemand hat die Anlage hochgedreht. »Ist Gregor auch da?« Ich hebe die Stimme über die von Eddie Vedder, der gerade zu seinem I'm still alive ansetzt.
»Gregor? Hab ihn noch nicht gesehen.«
Den Rucksack stelle ich zwischen uns ab, mein ganzer Rücken ist feucht, ich zupfe an meinem Top und wedele ein paar aufdringliche Mücken weg.
»Siehst toll aus«, sagt Joe, dann geht mit einem Mal die Musik aus, manche lachen, andere motzen. »Scheiß Ding«, sagt er und läuft Richtung Generator, der bald wieder zu knattern beginnt.

»Noch 'n Schluck?«
»Scheiße«, sagt Gregor, nimmt mir die Flasche aus der Hand, hebt sie hoch und betrachtet sie von unten. »Haben wir das ganze Zeug leergesoffen?«
»Noch ist was drin«, sage ich.
»Nicht mehr lange.« Er setzt an und saugt den letzten Tropfen aus dem Flaschenhals. »Hast mich total abgefüllt, weißt du das?«
Ich lege meine Hand auf sein Knie, lächele mein bezauberndstes Hexenlächeln und taste mich seinen Oberschenkel entlang. Das Gelächter und die Musik in der Ferne werden leiser, als flögen wir davon. Weit weg. Aber wir sitzen hier. Ganz in der Nähe.
»Hey!«, sagt er und packt wie ein Schraubstock zu. Aber er löst sogleich den Druck. Ich reibe ihn zwischen den Beinen, seine Hand liegt noch auf meiner, aber er lässt mich machen, und ich spüre, was mit ihm passiert, spüre auch bald die andere Hand auf meiner Brust und die nach Gauloises und Schnaps schmeckende Zunge, die er in mich schiebt. Dann liegen wir hinter dem Baumstamm, auf dem wir eben noch saßen. Ich bin erregt, mehr nicht. Bin eine Hexe, Hexen wollen wissen. Das ist alles.
Er knöpft mir die Jeans auf, stopft mir die Zunge weiter in den Mund und die Hand in meine Hose. Er ist schwer, ich bekomme kaum Luft, will ihn wegdrücken, hauche: »Warte.« Aber er wartet nicht und für einen Augenblick verkrampft sich alles, ich drehe den Kopf zur Seite, Luft, ich brauche Luft und ich zwänge meine Hände unter seine Schultern und drücke so fest ich kann. »Warte«, sage ich und der Mühlstein über mir wird leicht. Ich weiß in diesem Moment nicht mehr, wie weit ich gehen soll, und doch greife ich in die Tasche und zaubere ein Kondom hervor. Strähnen hängen in seiner Stirn, ich rieche scharfen Schweiß. Der Mund ist halb geöffnet, verzieht sich zu einem Grinsen. Gregor zerrt mir ungestüm Hose und Schlüpfer runter, fädelt mein linkes Bein hindurch und hinterlässt einen Hosenklumpen am rechten. Der Boden fühlt sich kalt an. Nadeln piksen meinen Hintern. Ich rieche Rauch vom Lagerfeuer. Gregor kniet vor mir, rollt den Gummi über und ich schließe die Augen und denke an Nadine. Zärtlich hat sie gesagt. Er ist ... zärtlich. Mir tut er weh, ich stöhne nicht aus Lust, ich bin die Magd, die macht, was Herr und Meister ihr befielt.
Irgendwann ist es vorbei. Ich spüre ihn noch brennend in mir, aber er bewegt sich nicht mehr. Sein Atem wird ruhiger, meiner gleicht sich an.
»Verdammtes Arschloch!«
Gregor rollt von mir runter und wir sehen Joe vor uns stehen. Gregor springt auf und zieht sich die Hosen hüpfend hoch, das Kondom baumelt hin und her. Joe schubst und Gregor fällt. »Was soll der Scheiß?«, ruft er und Joe wirft sich auf ihn, schreit wieder: »Du blödes Arschloch!«.
Ich ziehe mich an, schnappe mir den Rucksack und renne los.

*​

Niemand spricht mit mir, sie weichen mir aus, schlagen Bögen, bevor sie an mir vorbeigehen. Alle an meiner Schule machen das, zumindest alle, die mich kennen, aber auch die, die mich nicht kennen. Sie wissen es oder ahnen, wer ich bin, was ich bin, schon immer gewesen bin.
Während ich hier am See sitze, die Eiche im Rücken, male ich mir einen schwarzen Fleck auf den Unterarm. Aus dem Fleck wird ein Herz, schwarz wie Krähenfedern. Ich nehme den Nagel in die Hand und hoffe, dass sie kommt.
Und sie wird kommen. Das weiß ich.

Sie steht vor mir, die schöne Klägerin, der erste weibliche Inquisitor der Geschichte.
»Ich werde mich nicht entschuldigen«, sage ich.
Nadine antwortet nicht, fixiert mich nur, die Arme verschränkt, die Haare zusammengebunden wie ein Tau.
»Willst du, dass ich büße!« Ich stehe auf, keine zwei Armlängen von ihr entfernt und halte den Nagel fest umklammert. »Hm? Willst du das?«
Ein Lächeln nur, ein höhnisches Grinsen.
Ich drücke mir den Nagel in den Unterarm, dort, wo mein Hexenmal gewachsen ist. Verziehe keine Miene. Nadines Blick ist nun nicht mehr so fest, ein leichtes Zucken, aber sie sieht nicht hin, nicht auf das, was warm über die Haut zu fließen beginnt.
»Verstehst du es jetzt!«, schreie ich.
»O Gott.« Sie dreht sich um, schüttelt den Kopf und sagt: »Du tust mir einfach nur leid.«
»Bleib stehen!« Doch sie bleibt nicht stehen, also krame ich das Fläschchen aus dem Rucksack. »Bleib stehn!« Schon ist sie beim Gebüsch und ich schreie so laut ich kann ihren Namen, so laut, dass man ihn im ganzen Ort hören wird, auf der ganzen Welt, und Nadine zuckt zusammen, dreht sich um und sieht, dass das Fläschchen aus Metall ist, dass das Feuerzeugbenzin ist, mit dem ich mir die Beine bespritze und dabei lache, hexenhaft schrill. »Erkennst du es?«, rufe ich, werfe die Metallflasche zu Boden und halte Gregors Feuerzeug in Händen. Ich drehe am Rädchen und es flammt auf. »Erkennst du's?«
»Du bist krank, weißt du das!«
Sie kehrt mir wieder den Rücken zu und ich lasse das Zippo fallen, höre dieses Geräusch, das ich schon immer geliebt habe. Dieses Wusch und als ich losrenne, wuscht es noch lauter und ich denke an meinen Vater, an die Schlampe aus der Stadt, fühle Nadines Blicke im Rücken, höre, wie sie mir nachruft, während ich mich in die Fluten stürze und schwimme und schwimme so schnell ich kann, so weit ich kann, bis die Lungen brennen.
»Sophie!«, ruft sie. Niemand spricht es so schön aus wie du, Nadine. Niemand.

Ganz klein ist sie geworden, dort am Ufer, von der Eiche zu ihrer Linken umrahmt. Sie fuchtelt mit den Armen, ruft erneut nach mir und ein warmes Kribbeln durchzieht mich und ich schwebe und kann nicht anders, als zu lächeln. Und das Wasser liebkost mich mit kühlen Fingern, überall. Ich lasse mich fallen. Unter mir nur Dunkelheit, über mir zucken Blitze aus Sonnenlicht, und Luftbläschen funkeln wie Perlen auf dem Weg nach oben. Ich schließe die Augen, höre das Pochen in meinem Kopf. Schneller, schneller. Trommelschläge auf einem Sklavenschiff. Ich ziehe die Beine an, versuche die Zehen zu packen und das Wasser dreht mich und dreht sich selbst in unsichtbaren Wirbeln. Dann halte ich sie fest umschlungen und irgendetwas zieht an mir wie an einem Griff, und als ich die Augen öffne, werde ich geblendet. Die Wasseroberfläche ist nah, es trennt uns nur noch ein Häutchen, das ich jetzt durchsteche, und Luft füllt meine Lungen. Brennend heiße Luft.

 
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Hey hell

Noch zum Konjunktiv:

m, ich weiß nicht, Konjunktiv (I) wollte ich möglichst vermeiden, mMn passt der einfach nicht so gut zur Jugendsprache.

Sehe den Punkt. Aber das spricht ja nur gegen meinen Vorschlag und nicht für deine Wortwahl. :D
Also, wer "bezichtigen" und "bezeugen" im Wortschatz hat, der kriegt auch einen Konjunktiv hin. Es war ja gerade mein Punkt, dass diese beiden Begriffe nicht zur Jugendsprache passen.


Vor Kurzem meinte sie, sie wäre glücklich mit ihm gewesen, bis ich auf die Welt gekommen bin.
Wie schon oben geschrieben. Welche Jugendliche würde sagen: "... sei glücklich gewesen"? Ich lasse das mal so (unsauber).
Ja, im Schweizerdeutschen ist das vielleicht anders, meine Schüler verwenden auf alle Fälle den Konjunktiv I. Aber gegeben, ich folge deiner Argumentation, dann müsste es doch heissen: "Vor Kurzem meinte sie, sie ist glücklich mit ihm gewesen ..." (Oder vielleicht: "sie war glücklich, bis ...") Weshalb willst du den Konjunktiv I unbedingt vermeiden, lässt sie dann aber im Konjunktiv II sprechen? Oder hab ich mal wieder die deutsche Sprache nicht kapiert?

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Hey @Raindog,

Mich hast du auch gepackt damit! :thumbsup: Die Story und ihr Sound entwickeln einen Sog, der einen von Beginn an reinzieht, drinnen hält, und erst am Ende wieder zum Luftholen an die Oberfläche entlässt. Sehr gelungen!
Das freut mich sehr! Und danke fürs Gratulieren :).

... und nun hast du in der Zwischenzeit wohl schon einiges geändert.
Wortkrieger sei Dank. Ist immer wieder schön zu sehen, wie sich die Reifezeit für Texte so enorm beschleunigt.

Natürlich kenne ich die Geschichten von den Versenkten im See.
Das ist wirklich ein Einstieg, der neugierig macht!
Ich geb's zu: Mir gefällt er auch :).

um Geld für den nächstes Trip zu machen
nächsten
Ups.

Rucksack, Kamera, ich mit Notizbuch und los
Komma nach Notizbuch?
Gesetzt.

Beschwor ein Bild in mir herbei
heraufbeschwören klingt irgendwie geläufiger ...
@wegen hat mich auf die Idee gebracht. Na ja, hat sie mir eher zum Geschenk gemacht. Hexen schwören halt herbei :).

bis Mutter aus der Küche donnert: »Bist du jetzt völlig durch?«
donnern passt mMn nicht recht zur Mutter, da stelle ich mir eher einen massigen, großen Mann vor, Vllt. wettert oder brüllt?
Sie wettert jetzt, danke.

Und “völlig durch” ist mir so richtig auch nicht geläufig, wahrscheinlich ist das ja regional unterschiedlich, ich kenne “völlig durch den Wind “, oder eben "durchgeknallt". Aber falsch ist es sicher nicht.
Mag sein, dass sich das regional unterscheidet. Ich kenne das schon so; vermutlich kommt's von duchgeknallt; ja. Ich lass' das erst mal so.

Doch sie lässt nicht los, sondern pendelt zurück,
Das sondern brauchst du eigentlich nicht: Sie pendelt zurück – fertig. Zerstört sonst auch etwas den Rythmus.
Weg damit.

Nadine und Gregor kichern, ein Glitzern in den Augen.
Die Stelle hatte ich mir schon markiert, als es noch glühende Kohlen waren, da wollte ich auch meckern, aber nun, von dem Glitzern, bin ich auch nicht so ganz Fan, das klingt für mich eher harmlos, so nach guter Fee … Vllt. Funkeln? Auch etwas abgedroschen, ich merk’s schon, aber vllt. fällt dir ja noch was selten Feuriges ein ...
Aus Glitzern ist ein Funkeln geworden (auch wegen der Pailletten). Hm, denke da aber sich noch mal darüber nach. Danke.

Reibe mir dann die Hände an der Jeans ab
Braucht es mMn nicht, das dann
Braucht's nicht, ne, also: Weg damit!

Eddi Vedder
Eddie
Autsch.

Die Wasseroberfläche ist nah, es trennt uns nur noch ein Häutchen, das ich jetzt durchsteche, und Luft füllt meine Lungen. Brennend heiße Luft.
Ja, und auch der Schluss ist perfekt!
:bounce:

Ich habe jetzt beim Durchgehen meiner gestern markierten Zitate gemerkt, dass du wirklich schon sehr viel geändert hast, eben gerade bei diesen Klischeebildern, und ich finde, das macht die Geschichte noch viel besser, als sie eh schon war. Mir haben auch deine letzten Stories gefallen, einfach, weil sie super erzählt waren, aber mit dieser hier kann ich persönlich inhaltlich noch mehr anfangen, und ja: Wow!
Wow! Freut mich, Raindog, und wie!


Was kann ich noch schreiben? Ich möchte mich einfach nur bei dir bedanken, auch für die Politur, hast mir geholfen, weitere Kratzer auszubügeln. Also: Vielen lieben Dank für den schönen und hilfreichen Kommentar!

Gruß

hell


Hey @Chai,

schön, dass du vorbeischaust.

... hab die Kommentare noch nicht gelesen, nur die Geschichte, und die hat mir total gut gefallen. Von Anfang an wurde ich tiefer und tiefer in diesen Hexenkessel gesogen. Informationen über Soffis (sehr schönes Detail übrigens) Innenleben und Vergangenheit werden geschickt eingeflochten, sodass ich gut mitgehen konnte und sie nicht nur als herzloses Miststück wahrgenommen habe.
Wunderbar! Das freut mich sehr.

Diese Szene mit der Mutter ist für mich eine wunderbare Schlüsselszene, durch die ich Sophies Persönlichkeit sofort fassen kann. Und auch die der Mutter. Geschickt wird Sophie manipuliert, unterschwellig wächst das Gefühl, sie sei Schuld am Tod ihres Vaters. Die beiden waren ja sooo glücklich, bis sie kam, und dann ist er mit der Schlampe aus der Stadt durchgebrannt. Im wahrsten Sinne. Aber natürlich hat sie alles wieder nur falsch verstanden. Kein Wunder, dass sie verwirrt ist, und wenn ich mir den restlichen Alltag zwischen den beiden vorstelle - wenn die Mutter dann mal da ist -, tun sich Abgründe auf.
Schön, was die Passage angestoßen hat, schön, dass das bei dir so funktioniert hat.

mein rundes Gesicht
Das runde Gesicht find ich etwas unrund. Hier habe ich den Eindruck, der Autor will mir nur klarmachen, wie Sophie aussieht.
:lol:
Verzichte nun darauf, ist raus.

Doch sie lässt nicht los, sondern pendelt zurück, Joe in die Arme, der laut auflacht. Auch ich pruste los und Gregor ebenso, der …
Das doppelte der klang etwas unelegant in meinen Ohren.
Entdoppelt, danke.

Gregor greift sich in die Hose,
Das Bild ist schief für mich. Noch greift er ja nur nach dem Feuerzeug, also würde ich eher Hosentasche schreiben.
Da muss ich nochmal darüber nachdenken. Merci für den Anstoß.

während ich ihn noch heiß im Nacken spüre
Das habe ich nicht verstanden. Wieso spürt sie ihn heiß im Nacken? Wahrscheinlich meintest du seine heißen Blicke, aber das wäre zu abgedroschen, aber heiß im Nacken trifft es mMn nicht.
Ich hab' das jetzt mal geändert, bin aber noch nicht ganz zufrieden damit. Ich behalt's im Auge.

ärmellosen Top
Ist ein Top nicht immer ärmellos?
Das kommt dabei heraus, wenn ich Mädchengeschichten schreiben will :).

Das widerspricht sich mMn. Gut, sie ist jetzt nicht Feuer&Flamme für ihn, aber immerhin erregt und wollen wissen klingt für mich nach gar keiner Erregung sondern nach kühlem Forscherdrang. Wobei - jetzt, wo ich das schreibe, verstehe ich, glaub ich, schon, wie das gemeint sein soll. Sie ist neugierig und gespannt, aber erregt klingt eben so, als hätte sie echt Bock auf ihn und will nicht bloß wissen.
Das möchte ich gerne ein wenig vage, was es mit dir macht, finde ich eigentlich ganz gut so. Vielleicht ist sie auch ein bisschen hin- und hergerissen, vielleicht verdrängt sie auch was. Wir wissen es nicht (und werden wir vermutlich auch nicht mehr).

Irgendwann ist es vorbei.
Ist vielleicht nicht so wichtig für den Text, aber hier habe ich das Blut vermisst, weil ich davon ausgegangen bin, dass Sophie noch Jungfrau war.
Ich hab das schon andeuten wollen, ja, also in die Richtung, dass man sich das denken soll. Zwischenzeitlich hab' ich nach deinem Komm ein wenig rotgefärbt, jetzt aber wieder nicht. Ich glaube, ich verzichte hier aufs Blut, behalte das aber mal im Hinterkopf.

Alle an meiner Schule machen das, zumindest alle, die mich kennen, aber auch die, die mich nicht kennen.
Der Satz klingt schief, obwohl ich mir andererseits vorstellen kann, dass Sophie mir das gerade genau so erzählt. Wie sie immer mehr zwischen den Extremen zerreißt. Trotzdem finde ich die Aussage etwas gewöhnungsbedürftig.
Ich vertraue mal (vorerst) darauf, dass Sophie das gerade genau so erzählt und du dich daran gewöhnst :).

Aber das sind alles nur Kleinigkeiten, denn insgesamt hat mich die Geschichte eben total gepackt, die verschieden Ebenen, die Figurenzeichnung, die Atmosphäre. Ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht.
Sehr gern gelesen.
Und - wie du dir denken kannst - ich habe dein Fazit unheimlich gerne gelesen.

Liebe @Chai, auch bei dir will ich mich ganz herzlich für deinen konstruktiven Wohlfühlkomm bedanken. Hat mich sehr gefreut, dass du dich mit meinem Text auseinandergesetzt hast!

Gruß

hell


Hey @Fliege,

... ich habe die Geschichte soo gern gelesen. Echt eine schöne Adoleszensstory.
Wie schön.

ich muss sagen, dass die Rabenfedern für mich total gut ins Bild von Sophie passen. Wie alt ist die? 15? Die muss sich ja erst ihre eigene Wirklichkeit zurechtbasteln und die baut darauf auf, was sie kennt, und was kennt sie? Filme, Bücher - Klischees :D. Und es ist ja auch das Alter der Extreme. Himmelhochjauchenzend oder zu Tode betrübt. Kaum was dazwischen. Irgendwie fängt die Geschichte für mich genau das ein.
Das freut mich riesig, denn ja, das wollte ich gerne einfangen, so schön, wenn das bei dir funktioniert hat. Eben, ich habe die Klischees ganz bewusst eingeflochten, du weißt ja, warum. War einigen dann aber doch too much, was ich auch nachvollziehen kann. Deshalb ist auch einiges wieder rausgeflogen. So wie es ist, gefällt's mir (gerade) ganz gut.

Natürlich kenne ich die Geschichten von den Versenkten im See. Jeder hier kennt die.
Toller Einstieg!
:)

Wir jagen uns gerne einen Schrecken ein beim Schwimmen, stupsen mit Stöcken nach strampelnden Beinen und kreischen, wenn wir selbst was abkriegen.
Die ganzen S-Wörter machen es nicht unbedingt einfacher, den Satz zu entwirren. Der ist nur halbgut.
Okay, da bin ich dran, hab' jetzt gerade angefangen damit, mehr schaffe ich im Moment aber noch nicht. Ich werde dran denken, wenn mein Kopf wieder freier ist (sonst lese ich's einfach noch mal nach :)).

»Ich hau ab«, sagt Joe. »Kommst du mit?« So wie er es sagt, mit diesem Lächeln im Gesicht, wird mir schlecht.
»Ich bleib noch.«
Hier dachte ich: krass. Wer guckt den da gern zu? Da keimte so die erste Ahnung in mir auf.
Ja, genau, schön, was dir alles auffällt.

War klar, dass er kommt. Gregor hat die Handschrift erkannt, auch wenn sie nicht für ihn bestimmt war, sondern für mich! Lange vor ihm! Noch bevor er alles durcheinandergebracht hat.
Ja, sie mag ihn nicht. Er hat, was sie will.
Eben.

»Hey!«, sagt er und packt wie ein Schraubstock zu. Aber er löst sogleich den Druck. Ich reibe ihn zwischen den Beinen, seine Hand liegt noch auf meiner, aber er lässt mich gewähren, ich spüre, was mit ihm passiert, spüre auch bald die andere Hand auf meiner Brust und die nach Gauloises und Schnaps schmeckende Zunge, die er in mich schiebt. Dann liegen wir hinter dem Baumstamm, auf dem wir eben noch saßen. Ich bin erregt, mehr nicht. Bin eine Hexe, Hexen wollen wissen. Das ist alles.
Wissen und zerstören, denke ich so.
Gefällt mir, wie du denkst.

Sie wissen es oder ahnen, wer ich bin, was ich bin, schon immer gewesen bin.
Hexe? Die, die mit dem Freund der Freundin vögelt? Homosexuell? Alles drin in dem Satz.
Ja, genau, toll!

Ich drücke mir den Nagel in den Unterarm, dort, wo mein Hexenmal gewachsen ist. Verziehe keine Miene. Nadines Blick ist nun nicht mehr so fest, ein leichtes Zucken, aber sie sieht nicht hin, nicht auf das, was warm über die Haut zu fließen beginnt.
»Verstehst du es jetzt!«, schreie ich.
Diese kleinen Dramaqueens!
Gell?!

»Sophie!«, ruft sie. Niemand spricht es so schön aus wie du, Nadine. Niemand.
Ach je, die Ärmste.
Mir ist sie auch ans Herz gewachsen, die Sophie.

Feine Geschichte. Das Hexenmotiv hat es mir angetan, ich glaub, davon lebt die Geschichte auch zu einem großen Teil. Ist schön eingewebt. Kritik hab ich keine im Gepäck. Sorry. Musste mit Leben :D.
Keine Sorge, das kann ich, gut sogar.

Fliege, richtig schön, dass du reingeschaut hast. Tolles Gefühl auch - kennst du ja ;) -, wenn man als Autor die Bestätigung bekommt, dass das Eine oder Andere auch funktioniert hat. Habe mich sehr über deinen Besuch gefreut, lieben Dank dafür!

Gruß

hell


Hey @Peeperkorn,

ich weiß nicht, Konjunktiv (I) wollte ich möglichst vermeiden, mMn passt der einfach nicht so gut zur Jugendsprache.
Sehe den Punkt. Aber das spricht ja nur gegen meinen Vorschlag und nicht für deine Wortwahl. :D
Also, wer "bezichtigen" und "bezeugen" im Wortschatz hat, der kriegt auch einen Konjunktiv hin. Es war ja gerade mein Punkt, dass diese beiden Begriffe nicht zur Jugendsprache passen.
Ja, kann schon sein, andererseits erzählt sie ja, dass sie von dieser Magd gelesen hat. Sie gibt das dann so wider, vermischt mit eigenem Vokabular. Aber ich will mich da jetzt auch nicht auf Gedeih und Verderb rauswinden bzw. verteidigen. Ist natürlich nicht in Stein gemeißelt.

Vor Kurzem meinte sie, sie wäre glücklich mit ihm gewesen, bis ich auf die Welt gekommen bin.
Wie schon oben geschrieben. Welche Jugendliche würde sagen: "... sei glücklich gewesen"? Ich lasse das mal so (unsauber).
Ja, im Schweizerdeutschen ist das vielleicht anders, meine Schüler verwenden auf alle Fälle den Konjunktiv I. Aber gegeben, ich folge deiner Argumentation, dann müsste es doch heissen: "Vor Kurzem meinte sie, sie ist glücklich mit ihm gewesen ..." (Oder vielleicht: "sie war glücklich, bis ...") Weshalb willst du den Konjunktiv I unbedingt vermeiden, lässt sie dann aber im Konjunktiv II sprechen? Oder hab ich mal wieder die deutsche Sprache nicht kapiert?
Meiner Erfahrung nach wird der Konj. II hierorts alltagssprachlich schon öfter verwendet, ja. Das heißt aber nicht, dass du die deutsche Sprache nicht kapiert hat :D (musste echt lachen).
Bisschen hin- und hergedreht hab' ich schon mal, zufriedenstellen konnte mich das allerdings noch nicht. Ich schau's mir mit etwas Abstand noch mal an, versprochen.

Gruß

hell

 

Hallo hell,

Ich erlaube mir mal, an dieser Stelle ein ganz unproduktives Lob auszusprechen: Die Geschichte hat mir ausgezeichnet gefallen. Besonders schön finde ich, wie du mit einfachen Mitteln wahnsinnig viel im Hintergrund aufscheinen lässt - ich denke zum Beispiel an die zu klein gewordenen Socken unterm Bett.

Die Geschichte hat einen echten Sog, was an der Protagonistin liegt, die sympathisch ist, obwohl (oder weil?) man als Leser rasch spürt, dass sie den einen oder anderen Knacks hat. Der Spannungsbogen stimmt und der Rahmen mit der Hexerei und Sophies Faszination gibt der Story noch mal eine zusätzliche Tiefendimension.

Lieblingsstelle:

Das Feuer knistert und ich fliege durch die Nacht, Sterne glitzern wie Pailletten über mir, dann falle ich. Das kalte Wasser reißt mich aus einem Traum, der niemals enden soll. Während ich zurück ans Ufer schwimme, segelt Gregor johlend durch die Luft und klatscht mit dem Rücken voran in den See. Nadine sitzt auf einem Ast, Joe wirft ihr schon das Tau nach oben, aber sie fängt es nicht gleich, sagt: »Ich trau' mich nicht!«

Zurecht empfohlen. Ich glaube, ich habe hier was gelernt. ;)

Schöne Grüße
Meridian

 

Hey @Meridian,

das freut mich sehr! Viel mehr kann ich gar nicht schreiben :D.
Lieben Dank fürs Lesen und das wohltuende Feedback.

Besten Gruß

hell

 

Mädchenglut ist ein ungewöhnliches, schönes Wort. Und der Satz »Bis ich kam« ist der entscheidende, denn beinahe alles, was danach kommt, ist eine Folge davon. Ich mag auch, dass der Grillplatz dort steht, wo früher die Hexen verbrannt wurden. Diese Kontinuität, obwohl nur eine ausgedachte, das hat schon was.

Sophie ist ein sehr ordentliches Mädchen, wechselt die Bettwäsche jeden Dienstag. Das beweist: Sie lebt heute, in Zeiten des Überflusses. Aber auch: Sie hat ein Problem, der sich z.B. in dem Tick äußert, Bettwäsche freudig! wöchentlich wechseln zu müssen.

Die Sprache der Jugendlichen, knapp und lakonisch, hast du gut getroffen, finde ich. Vordergründig geht es um Verführung zwecks Entjungferung. Aber die andere Geschichte in der Geschichte ist die von brennenden Beinen und anschließendem Sturz in den See. Dieser Selbstmordversuch erinnert natürlich an Hexenverbrennungen und Wasserproben, von denen die Protagonistin so fasziniert ist, dass ihre Freunde sie für eine Spinnerin halten. Aber so ist nun mal, Jugendliche steigern sich leicht in etwas rein – vor allem solche, die sich schuldig fühlen, auf der Welt zu sein: Schuldig ohne schuldig zu sein, das war auch das Schicksal der Hexen.

Was heute Verschwörungstheorien sind, die in der realen Welt zu Massakern führen können und auch führten, war damals der Glaube an Hexen – wir sind nicht so weit von damals entfernt.

Vielen Dank für diese gut geschriebene Geschichte, die meiner Aufmerksamkeit in Bezug auf Hexen bisher entgangen ist. Das hat aber auch den Vorteil, eine Geschichte vorzufinden, die von allen Fehlern befreit ist. :D

 

Hey Dion,

es freut mich sehr, dass du den Text entdeckt hast. Dadurch, dass er nach oben geschubst wurde, habe ich mich auch mal wieder intensiver mit ihm auseinandergesetzt. Ist schon immer spannend.

Mädchenglut ist ein ungewöhnliches, schönes Wort.
Das freut mich, Dion, mir gefällt es auch :).

Auch was du dem Text entnommen hast, deine ganze Lesart, ja, mehr kann ich mir als Autor gar nicht wünschen.

Ohne jetzt näher ins Detail zu gehen, möchte ich mich einfach bei dir bedanken. Du weißt schon, fürs Lesen, Kommentieren, Loben - generell für die Auseinandersetzung mit dem Text.

Besten Gruß

hell

PS:

Das hat aber auch den Vorteil, eine Geschichte vorzufinden, die von allen Fehlern befreit ist. :D
Ha ha, ja, hat definitiv Vorteile :).

 

Hey lana91,

schön, dass dir der Text gefällt.

Neben all dem Lob, freut mich das hier mit am meisten:

ich bin die Magd, die macht, was Herr und Meister ihr befielt.
Meine Frage, die mich eingangs so lange beschäftigte ist nun beantwortet, danke. Hast du etwa meine leichte Entrüstung "missbraucht", um mich mit mehr Emotion durch den Text lesen zu lassen und gibst mir nun das erlösende Zückerchen?
Zumindest wollte ich den Kreis schließen, den Faden noch mal aufnehmen, um ihn gänzlich zu verknüpfen. Auf höchstem Niveau? Na!, ich weiß nicht, Ist natürlich toll, dass dir nicht entgangen ist, dass ich mit dem Satz etwas bezwecken wollte - schön, wenn er dazu beigetragen hat, deine Anspannung (befriedigend) zu lösen :).

»O Mann.« Sie dreht sich um, schüttelt den Kopf und sagt: »Du tust mir einfach nur leid.«
Ginge in diesem Zusammenhang auch ein "O Gott"?
Jepp, ginge - gekauft :).

Besten Dank lana91 fürs Lesen, Kommentieren, Auseinandersetzen mit dem Text. Dein Besuch hier hat mich wirklich sehr gefreut.

Gruß

hell

 

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