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Männertag
Es ist ein bildschöner Donnerstag, Mitte Mai und die Sonne lässt den ersten Tag des Jahres die Temperatur auf angenehme 21 Grad steigen. Über dem Horizont erstreckt sich ein strahlend blauer Himmel, der mit weißen Wölkchen gescheckt ist. Die weiten flachen Felder sind in grünen und gelben Tönen gefärbt. Zwischen den einzelnen Flächen sind Wege, auf denen Familien und Freundesgruppen zu Fuß oder mit Fahrrädern unterwegs sind. Auf den frisch gemähten Wiesen sitzen hier und da kleine Grüppchen, die Picknicken. Es ist, ohne es beschönigen zu wollen, der schönste Tag auf Erden.
Nun begibt es sich an ebendiesen Tag, dass auch ich selbst mich auf mein Rad geschwungen habe und entlang der Menschenmengen durch das wunderschöne frühsommerliche Thüringen fahre. Alte und junge Leute sind unterwegs in großen und kleinen Gruppen. Mal hören sie Musik, mal plaudern sie in einem ruhigen Ton miteinander. Doch dann sehe ich in der ferne diese eine Truppe. Sie stehen zu etwa 20 auf einem kleinen Berg oder eher Hügel. Dort sitzen viele von ihnen in einem Planwagen, einer Art Anhänger, auf dem Sitzgarnituren stehen. Vor diesem Wagen ist ein roter Traktor gespannt, der gerade anläuft. Soweit so normal für dieses ländliche Gefilde. Doch je näher ich komme, desto klarer werden mir die Gestalten, die dieses Schauspiel veranstalten. Schwarze T-Shirts mit weißen und roten Aufdrucken, kurze schwarze Hosen und schwarze Sonnenbrillen verdecken die weiße oder in manchen Fällen auch rote Haut. Aus dem Berg von, schon muffig aussehenden Klamotten, ragen Köpfe ohne Haare raus. Es sind Skinheads und zwar die von der ganz dummen Sorte.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muss über den Hügel, den Weg entlang, der zu zwei Dritteln von dem Planwagen versperrt ist. Gerade an der Stelle, an der es am steilsten bergauf geht. Ich werde also langsam sein, pöbeln scheint keine Option. Dazu legt sich der Geruch von Alkohol auch schon aus 20 Metern Entfernung auf meine Nasenschleimhaut. Die Reaktionen scheinen daher unberechenbar. Langsam steuere ich auf die Menge zu und bereite mich innerlich schon mal auf einen blöden Spruch vor. Schlimmer kann es eigentlich nicht werden, denke ich mir in meinem vor Privilegien strotzenden Körper. Weiß, blond, groß, sportlich – am Ende halten sie mich noch einen von ihnen. Wobei bei ihnen doch meistens eher rot, Glatze, gekrümmt, Bierbauch passen würde.
Als ich gerade auf Höhe des Wagens bin und bisher nur ein paar argwöhne Blicke erhaschen konnte, springt der Traktorfahrer aus dem Führerhaus direkt vor mein Vorderrad. Ich erschrecke mich und höre sofort auf, in die Pedale zu treten. Durch das langsame Tempo, das ich davor hatte, stehe ich sofort still und drohe umzufallen. Gerade noch rechtzeitig setze ich einen Fuß auf den Boden des Waldwegs. „Sport am Männertag, Junge, was stimmt denn mit dir nicht?“, wirft mir der Fahrer sichtlich angeschlagen entgegen. „Von nichts kommt nichts!“, entgegne ich leicht überfordert aber in einem versucht netten Ton, um möglichst nicht anzuecken. „Naja aber so richtig ist das doch nichts. Du brauchst doch ein Bier.“, bellt er mich mit bereits deutlich rauer Stimme an. Dabei greift er von unten zur Tür des Traktors hoch und streckt mir eine Flasche „Deutsches Reichsbräu“ entgegen. Wie versteinert blicke ich auf die braune Flasche und dann auf das Bier. Das Etikett ist in altdeutscher Schrift bedruckt. „Ähm danke sehr nett, aber ich muss weiter.“, versuche ich mich noch rauszureden, doch der Entschluss des Traktorfahrers ist bereits in Stein gemeißelt. „Du schlägst doch jetzt kein Freibier aus? Was bist du denn für ein Mann. Am Herrentag nicht saufen ist die eine Sache aber dann auch noch so was ausschlagen. Da kannst du vergessen. Trink mit uns das Bier und dann schauen wir mal, ob du wirklich Radfahren willst.“ Spucketröpfchen fliegen aus seinem Mund, als er mit mir redet und gleichzeitig mit einem Feuerzeug, auf dem straight up ein Harkenkreuz ist, die Flasche öffnet.
Nunja was bleibt mir anderes übrig, ich gehe den Weg des geringsten Widerstands. Ein Bier mit Nazis wird mich nicht ruinieren und wenigstens haben sie dann eins weniger. „Was solls“, sage ich dem Traktormann und nehme das Bier entgegen, „Cheers!“ „Das heißt PROOOOST“ ruft er. Wie im Chor antworten die anderen Faschos: „PROOOOOOOOOOOST!“.
Direkt danach ist es still, alle trinken. Scheinbar war auch gerade ein Lied vorbei, welches aus einer riesigen Box, die mit einer Autobatterie betrieben wird, geschallt hat. Bis es zu Ende war, habe ich es gar nicht richtig wahrgenommen. Doch als die Klänge des nächsten Lieds zu hören sind, wird es mir bewusst, dass schon die ganze Zeit diese Rockmusik gelaufen ist, die sich dadurch auszeichnet, dass Männer mit rauen Stimmen über Bruderschaft, Familie und Löwen singen. Komisch, eigentlich sind ja Löwen aus Afrika. Aber der deutsche Marder ist eben doch nur bis zu einem begrenzen Grad männlich, stark und rechts.
Das hervorgeschriene Prost scheint etwas bei den Glatzenmännern ausgelöst zu haben. Mit dem neuen Lied fangen sie an zu jolen und zu grölen: „TREU, VEREINT UND HAND IN HAND KÄMPFEN WIR FÜRS VATERLAND. MUT UND STOLZ IN JEDEM MANN. BLUT UND EHRE FÜR DEIN HEIMATLAND.“ Weder textlich noch rhythmisch spricht mich dieses Werk an. Doch auf dem Planwagen beginnt es zu springen. Arm in Arm schreien die Männer, dass der Wagen wackelt. Der Traktorfahrer und fünf weitere Faschos hüpfen mit auf den Anhänger, sie springen und tanzen. Wobei es wohl falsch ist, es tanzen zu nennen. Ich glaube auch nicht, dass Nazis selbst von sich behaupten würden, dass sie tanzen. Vielleicht stampfen? Oder trampeln? So richtig ist es nicht einordenbar, es wirkt aber auf jeden Fall unkoordiniert und doch schon Tausende Male so praktiziert.
Ich stehe mittlerweile neben meinem Fahrrad, aber immer noch an derselben Stelle des Hügels und nippe am Bier. Es ist warm und schmeckt nach Bier, was habe ich auch erwartet. Eigentlich suchen diese Männer doch auch nur Liebe, denke ich und verwerfe den Gedanken gleich wieder. „Schrei nach Liebe“ ist bestimmt 70 Jahre alt und hat auch noch niemanden konvertiert. Was einen Nazi zum Nazi macht, bleibt für mich unklar. Vielleicht hat es ja doch frei nach Sarrazin etwa mit der DNA zu tun. Quatsch. Mit Rassenlehre kann ich mir das Verhalten des Lehrpersonals wohl kaum herleiten. Vielleicht sollte ich es auch gar nicht so verurteilen. Es sind ja doch nur ein paar gewaltbereite Männer, die verfassungsfeindliche Symbole mit sich herumtragen.
Gleichmäßig wippt der Wagen auf und ab, als ich plötzlich das Gefühl habe, dass sich neben mir etwas bewegt.
Es ist der Traktor. Scheinbar hat die Fahrerglatze die Handbremse nicht richtig angezogen, als er vor mich gesprungen ist. Nun ist sie losgerüttelt und der Wagen beginnt ganz langsam zu rollen. Ich könnte noch schnell rein springen und sie wahrscheinlich festmachen. Aber eigentlich will ich mich da auch gar nicht reinhängen. Ist ja deren Sache, vielleicht gehört das auch irgendwie dazu. Bevor ich was Falsches mache, mache ich lieber nichts. Allmählich wird der Traktor schneller, gerade war es nur Schrittgeschwindigkeit, doch da er nun mal am steilsten Stück steht, ist es schon längst zu spät, als der erste Nazi die Situation begriffen hat. Über die Lautstärke der Rockmusik kann er nur schwer zu den anderen durchdringen, doch ein paar Sekunden später wissen es dann alle. Sie sausen mit Wagen und Traktor den Hügel hinunter. Mittlerweile sind sie bestimmt 20 Meter von mir entfernt.
Als der erste vom Hänger abspringt, nehme ich noch einen Schluck vom Bier und stelle die noch fast volle Flasche auf einen Baumstumpf. Sachte schiebe ich mein Rad die letzten Meter den Hügel hinauf. Als ich oben bin, blicke ich zurück und sehe die schwarz-weiß-roten Figuren auf der Wiese kullern. Der Wagen hat sich ein ganzes Stück weiter den Berg hinunter quer gestellt und der Traktor ist nach hinten umgefallen. Die Figürchen wissen augenscheinlich noch immer nicht ganz, was gerade passiert ist.
Ich mache noch schnell ein Bild mit meinem Handy und schwinge mich wieder auf mein Fahrrad. Die Abfahrt auf der anderen Seite des Hügels bringt mich ohne Anstrengung in das nächste grüne Tal. Es ist, ohne es beschönigen zu wollen, der schönste Tag auf Erden.