Mitglied
- Beitritt
- 09.08.2004
- Beiträge
- 187
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Männlich
„Kein Problem!“, meint der Verkäufer. „Eine knappe Stunde dauert die Montage. Sehen Sie hier unser Beispiel. Selbst für einen Neueinsteiger in die wunderbare Welt der Heimwerker bereitet das Aufstellen dieses unverzichtbaren Produkts die reinste Freude.“ Sein Blick verrät mir, dass er mich bestenfalls für einen Neueinsteiger-Aspiranten hält.
„Hm...“
Knappes Statement, gönnerhaftes, leicht überhebliches Lächeln und knallhartes Standhalten des Verkäuferblicks meinerseits täuschen wohl nicht darüber hinweg, dass er mit seiner Einschätzung richtig liegt.
Tatsächlich macht das Möbel, bestehend aus Werkbank, Lochwand und Wandschrank einen bestechend einfachen und doch funktionellen Eindruck.
Kurze Zeit später verstaue ich drei bleischwere Kartonschachteln, die so gar keine Ähnlichkeit mehr mit dem Ausstellungsmodell haben, in mein nun deutlich tieferliegenderes Auto.
„Tiefer gelegtes Auto“, „Werkbank“. Zwei Männlichkeitssymbole mit einer Klappe. Lächelnd gebe ich Gas.
Auf der Heimfahrt rezitiere ich immer wieder den letzten Satz des Verkäufers. „Sie werden viel Freude daran haben.“ Freude? Freude bereitet mir ein kühles Bier, Sex oder allenfalls, wenn meinem penetrant tüchtigen Heimwerker-Nachbarn ein Dachziegel auf den Kopf fällt. Eine Werkbank gehört nicht zu jenen Dingen, welche mir Freude bereiten.
Der einzige Grund für diese Geldverschwendung ist eine Liste meiner Frau. Eine Liste, um genauer zu sein eine alphabetisch geführte Liste, auf welcher die Dinge aufgeführt sind, welche mich ihrer Ansicht nach zu einem richtigen Mann machen könnten.
„So nicht!“, entfuhr es mir, nachdem sie den Raum verlassen hatte. Schmollend zog ich meine pinkfarbene Rüschen-Schmusedecke etwas höher und betrachtete auf dem Zeigefinger meiner rechten Hand die Ergebnisse letzter, erfolgreicher Bohrungen.
Im Keller stehe ich nun etwas ratlos vor den ausgepackten Utensilien meiner neu erworbenen Werkbank, den ich, sollte der Verkäufer recht behalten, eine knappe Stunde später von dieser Liste streichen kann.
Entnehmen Sie bitte alle Teile den Kartons und vergleichen Sie die einzelnen Teile mit der Bauteileübersicht.
Ich vergleiche. Fazit: Kaum Übereinstimmung. Ich vergleiche erneut und kann nicht leugnen, dass zumindest gewisse Ähnlichkeiten bestehen. Rudimentär zwar. Aber immerhin. Die Stunde ist um.
Höchste Zeit, sich mit Punkt Zwei zu beschäftigen:
Die Abkantungen der Seitenwände diametral diagonal, sowie seitenstabil an die bereits vorhandenen Bohrungen des Bodenbleches legen und mit den Schlitz-Schrauben A5664, B9812bx, sowie den dazugehörenden U-Scheiben A3224 und B9784xy, sowie den Muttern A5555 und B7698wz befestigen.
Kein Problem. Triumphierend halte ich die Schlitz-Schraube A5664 in meinen Händen. Kurze Pause.
Ich betrachte die Arbeit der letzten drei Stunden. Keine Veränderung. Höchste Zeit für eine längere Pause.
„Es ist alles andere als kinderleicht, dieses Ding zusammenzukriegen. Meine Lebenszeit ist begrenzt, und ich möchte sie nicht nur hierfür verwenden!“
Der Verkäufer mustert mich nicht etwa argwöhnisch oder gar feindselig, nein, mitleidig trifft’s wohl eher.
„Woran hapert’s denn?“, fragt er mich verständnisvoll sanft.
Ich schnäuze mich, trockne eine Träne und breite die Bedienungsanleitung, welche die Grösse einer mittelalterlichen Schriftrolle hat, vor ihm aus.
„Was um Himmelswillen bedeutet „Gewindeplatte an die Halbrundniete und die Überwurfmutter befestigen?
Griffleiste...,
Laufschiene...,
Schliesszunge...,
Schliesskörper...!?
Bin ich Arzt??“ Meine Stimme überschlägt sich.
Kunden starren mich an. Kinder schmiegen sich näher an ihre Eltern. Ein kleines Rundes, das es nicht mehr rechtzeitig an Mutters Rockzipfel schafft, packe ich und halte es in die Höhe:
„Dies habe ich doch auch ohne Bedienungsanleitung oder höhere Schulbildung geschafft! Verdammt!“
Nachdem ich einer verdutzten Mutter ihr kleines Rundes zurückgegeben habe, begleiten mich zwei nette Sicherheitsbeamte nach draussen. Ihr fester Griff tut gut. Endlich fühle ich mich ernstgenommen.
Zuhause angekommen erwartet mich im Keller ein fixfertig montierter Werkbank und im Schlafzimmer mein Freund, der von meiner Frau in einer mir zwar nicht bekannten, aber doch recht eindeutigen Stellung, den Dank entgegennimmt.
Etwas enttäuscht ob des Vertrauensbruchs meines Freundes, ziehe ich mich in mein Zimmer zurück.
Mein Blick wandert zum Schreibtisch, zu meiner Liste und schliesslich zu einem neuen Eintrag. Ich erkenne die Handschrift meines Nebenbuhlers:
„Prioritäten setzen, mein Freund! Prioritäten setzen!“