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Magendarmstimmung

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26.05.2001
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Magendarmstimmung

Und wieder eine dieser schrecklichen Nächte, in denen sich der Schlaf vor mir versteckt. Aber ich kriege dich schon noch, schrecklicher Schlaf, und wenn ich dich gefunden habe, werde ich endlich, endlich, endlich einschlummern können. Wo mag er sich nur versteckt haben, der Schlaf? Vielleicht ja zwischen der riesigen Schafherde, die ich im Laufe mehrerer Stunden mühselig weggezählt habe oder aber in der nächstgelegenen Apotheke zwischen den Schlaftabletten, die ich mir demnächst unbedingt kaufen sollte. Fünf Pillen davon, und der Schlaf hat sich lange genug vor mir versteckt. Und dann würde ich endlich, endlich, endlich einschlummern können.

Meine Freundin liegt neben mir, und natürlich schläft sie schon seit endlos vielen Stunden. Ich schaue sie an, und ich werde neidisch darauf, dass sie irgend einen unterhaltsamen Traum genießen kann, während ich ein verdammtes Versteckspiel mit dem Sandmännchen spielen muss. Auch im Schrank kein kleines, verrunzeltes Wesen, das mir den schlafbringenden Sand in die Augen streuen könnte, ich habe mich extra aus meiner warmen Bettdecke hervorgepuhlt, um nachzusehen. Und auch auf dem Flur keine Spur von meinem Kontrahenten, nicht auf der Toilette, nicht in der Küche und schon gar nicht im Kühlschrank. Nirgendwo kann ich das Sandmännchen finden, das sich nun schon seit viel zu langer Zeit vor mir versteckt hält. Ich werde wütend. Frustriert lege ich mich ins Bett zurück. Meine Freundin schläft noch immer, und sie sieht glücklich aus, während sie so vor sich hinträumt. Ob ich sie aufwecke? Dann könnte ich ihr wenigstens sagen, dass ich nicht einschlafen kann.

Mein Magen knurrt in die Dunkelheit des Schlafzimmers hinein, und das ist auch überhaupt kein Wunder. Manchmal vergesse ich tagsüber ganz einfach, dass ich etwas essen muss, und dann fällt es meinem Magen erst mitten in der Nacht ein, mich daran zu erinnern. Und er knurrt und knurrt und knurrt, und irgendwie hört es sich so an, als wenn er nach einem bestimmten Schema herumrumoren würde. Und dann hört mein Magen auf, Geräusche zu machen, und irgendwie habe ich das Gefühl, dass er auf eine Antwort wartet.

Meine Freundin macht gerade eine Diät, doch weshalb sie das macht, weiß ich nicht genau, denn sie war und ist überhaupt nicht dick. Und jetzt fängt auch ihr Magen zu knurren an – ebenfalls nach irgend einem merkwürdigen Rhythmus. Schade, dass ich kein Sprachforscher bin, denn dann hätte ich vielleicht verstehen können, was sich die beiden Mägen zu erzählen hatten. Mit meinem Wissen kann ich natürlich nur vermuten.

„Na?“, mag mein Magen gefragt haben. „Auch nichts zu essen bekommen?“

Und als Antwort mag der Magen meiner Freundin herübergeknurrt haben: „Nö. Schön seit Tagen nichts Richtiges. Ich habe überhaupt nichts mehr zu tun und hänge nur noch schlaff herum. Und das Fernsehprogramm ist auch langweilig.“

„Man hat es nicht leicht mit den Menschen“, mag sich mein Magen beim Magen meiner Freundin beschwert haben, „sie essen ganz einfach viel zu wenig.“

„Wenn wenigstens etwas im Fernsehen laufen würde ...“

„Das Leben könnte so schön sein, wenn ich in einem richtig verfressenen Menschen stecken würde, der tonnenweise Schokolade in sich hineinstopft. Dann hätte ich wenigstens etwas zu tun“, knurrte mein Magen wütend aus sich heraus.

„... in Fernsehsendungen sind so viele dicke Menschen, besonders in den Nachmittagstalkshows oder in Dokumentarfilmen über Amerika ...“

„Ja“, mag mein Magen daraufhin geantwortet haben, „in einem Amerikaner müsste man stecken. Amerikaner fressen doch den lieben langen Tag. Habe ich jedenfalls irgendwo gehört.“

„... aber im Fernsehen wird man sowieso nur belogen. Wahrscheinlich sind die Menschen in Amerika überhaupt nicht so dick, wie sie auf dem Fernsehbildschirm aussehen. Wahrscheinlich sind die Amerikaner in Wirklichkeit Dünnhäuter, und nur für die Fernsehzuschauer haben sie irgendwelche begabten Specialeffektsexperten auf ihr Idealgewicht aufgeblasen ...“

„In Amerika ist alles besser. Und dicker!“

„ ... und in Amerika wird es wahrscheinlich auch nur solche Klappergestelle geben, die nie an uns Mägen denken. Die ganze Welt besteht aus Dünnen, und nur im Fernsehen sind so viele Menschen dick. Wir werden nach Strich und Faden belogen und betrogen.“

Und so knurrten sich die beiden Mägen noch etliche weitere Stunden an, doch ihr Gespräch drehte sich immer nur ums Essen und wie schlecht es ihnen beiden doch ging. Als sie anfingen, sich über das schreckliche Wetter in diesen Tagen aufzuregen, bin ich gottseidank eingeschlafen, und ich kann nicht sagen, wie lange sich die beiden noch unterhalten haben. Womöglich haben sie sich sogar die gesamte Nacht um die Ohren geschlagen. Morgen früh werde ich erst einmal ausgiebig frühstücken und meinem Magen das Maul mit etlichen Kalorienbergen stopfen. Noch eine Nacht würde ich diese Gespräche über fette Amerikaner beim besten Willen nicht aushalten können.

[Beitrag editiert von: Ben Jockisch am 04.02.2002 um 13:22]

 

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