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- 11.04.2001
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Mandril
Prolog
Die Föderation hatte sich selbst überlebt. Zumindest war das die Parole, die von Terra ausgegeben wurde. Die drastische wirtschaft-liche Rezession hatte auf der Erde dazu geführt, daß skrupellose Politiker versuchten die unzufriedenen Massen mit Hetzparolen gegen alles nichtirdische einzustimmen. Ja, es ging sogar noch weiter. Die Historie wurde bemüht. Vor langer Zeit hatte Terra die Vormachtstellung innerhalb des interstellaren Völkerbundes inne. Gehörte die Erde nicht gar zu den wenigen Gründungsmitgliedern? Mittlerweile rangierte sie jedoch unter ferner liefen. Andere Plane-ten, mit nichtmenschlicher Bevölkerung hatten ihr schon lange den Rang abgelaufen. Seit das letzte Mal ein Mensch auf dem Posten des obersten Föderationspräsidenten gesessen hatte waren Jahrhun-derte vergangen.
Die ausgegebenen Parolen waren einfach. Hier die "Gu-ten", dort die "Bösen". Wie schon so oft in der Geschichte der Menschheit genügte ein Funke zur Entzündung des Hasses. Als Nichtmensch auf der Erde zu leben war gleichbedeutend mit Selbstmord. Konzentrationslager wurden eingerichtet. In Ihnen befanden sich auch viele politisch Andersdenkende, jene die die Zeichen der Zeit nicht früh genug erkannt oder es nicht für nötig erachtet hatten zu fliehen.
I
Die Flucht
Das Raumschiff war ein altes Linienschiff, das mittlerweile nur noch für Charterflüge eingesetzt wurde. Es flog von Centaurus, einem der wenigen Planeten, die der Erde die Treue hielten, hinaus an die Peripherie des Föderationsraumes. Es war von einer Flücht-lingsorganisation unter dem Deckmantel einer Kreuzfahrt gechar-tert worden um politisch Verfolgte aus dem Einflußbereich Terras herauszuschmuggeln.
Tyron Selies verließ den Aufenthaltsraum an Bord des Schiffes. Er brauchte Luft. Luft um wieder frei atmen zu können. Weniger im physischen als im psychischen Sinne. Die Stimmung im Aufenthaltsraum war denkbar schlecht. Alles redete nur über die Situation "zu Hause" und vor allem über das, was man hatte zurücklassen müssen um die Flucht überhaupt ermöglichen zu kön-nen. Im Grunde war es nur allzu verständlich, dachte Tyron, sich darüber Gedanken zu machen. Er selbst präferierte aber in die Zu-kunft zu blicken. Er hatte die Erde und alles was ihn dort band hinter sich gelassen.
Tyron blickte den sich vor ihm zu beiden Seiten erstre-ckenden langen Gang hinunter. Wohin sollte er sich wenden? Zu dieser "Tageszeit" befanden sich fast alle Passagiere im Aufent-haltsraum. Die Einnahme der Abendmahlzeit war soeben vorüber, nun unterhielt man sich noch einige Zeit und klagte sich gegenseitig sein Leid.
Er blickte nochmals den Gang hinunter. Rechts oder links? Eigentlich war es egal. Der Gang war in beiden Richtungen gleich karg. In einem sanften ockerton gehaltene Wände erstreckten sich in die Ferne.
Tyron entschied sich für links. In dieser Richtung lagen die Notfallkapseln, welche im Falle einer Havarie des Schiffes für einige Zeit das Überleben der Passagiere und Besatzung sichern sollten. Dort, so sinnierte er, dort gab es einige Panoramafenster durch die man die kalte Pracht der Sterne beobachten konnte. Er freute sich darauf in diesem Anblick zu versinken und sich seine Zukunft auf einer der Randwelten vorzustellen. So schlimm wie die meisten seiner Schicksalsgefährten malte er sich diese gar nicht aus. Evtl. gab es für ihn ja die Möglichkeit an Bord eines freien Han-delsschiffes in die Tiefen des unerforschten Raumes aufzubrechen. Das war etwas wovon er schon immer geträumt hatte.
Seine Schritte hallten in dem ansonsten leeren Gang nach. Hinter einer Biegung des Ganges konnte er die ersten Einstiegslu-ken in die Notfallkapseln und ein Panoramafenster erkennen. Vor einer der Luken kniete eine Person, die in den üblichen gelben Schiffsoverall gekleidet war. Neben ihr lag ein kleiner Koffer ge-öffnet auf dem Boden. Tyron konnte mit etwas Mühe allerlei elekt-ronisches Zeug im Koffer ausmachen.
Die Gestalt drehte plötzlich den Kopf in seine Richtung, wahrscheinlich hatte sie ein von ihm verursachtes Geräusch er-schreckt. Nun konnte er auch erkennen, daß es sich um eine menschliche Frau im Alter von ca. 35 Jahren handelte. Ihr relativ kurzes, blondes Haar war unter der auf ihrem Kopf sitzenden Schirmkappe kaum auszumachen.
"Entschuldigung, ich wollte sie nicht erschrecken," seine Worte hallten in dem leeren Korridor nach.
"Sie haben mich nicht erschreckt," ihre Stimme war ein angenehmer Altton. "Ich lasse mir nur ungern bei der Arbeit über die Schulter sehen."
Tyron trat an ihr vorbei auf eines der Panoramafenster zu. "Schön, nicht wahr," bemerkte er, den Blick auf die vorbeiziehen-den Sterne gerichtet.
"Sie waren noch nie im Raum, stimmt’s?" war ihre knappe Entgegnung.
Etwas betreten wandte er sich zu der Technikerin um. Sie kniete immer noch vor der Luke und war damit beschäftigt ein Meßinstrument an irgendwelche Schaltkreise anzuschließen. "Ist das so offensichtlich?" fragte er etwas verstimmt.
"Sagen wir mal so, es liegt nahe. Von denen da hinten war fast keiner jemals schon an Bord eines Raumschiffes." Mit einer abwertend wirkenden Kopfbewegung deutete sie in den Korridor der in Richtung Aufenthaltsraum führte.
"Sie halten nicht viel von uns Emigranten?" Es war mehr eine Feststellung denn eine Frage, die Tyron da stellte.
"Sie haben's richtig erfaßt. Ich halte nicht viel davon vor Schwierigkeiten davonzulaufen. Man sollte sich ihnen stellen und sie bewältigen, so schlimm kann es nicht sein!" Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, so als sei alles was zu sagen war gesagt worden.
"Ich fürchte, sie machen es sich mit ihrer Meinung etwas zu einfach. Vermutlich sind sie schon lange nicht mehr auf der Erde oder einem anderen von Menschen besiedelten Planeten gewesen. Die Situation eskaliert derart, daß vielerorts Befürchtungen laut geworden sind, daß sich das bis jetzt noch lokale Problem zu einem interstellaren ausweiten könne."
Die Technikerin hob erneut ihren Kopf und unterbrach ihre Arbeit. "Das sind die üblichen Parolen. Mann, denken sie doch einmal nach! Terra hat den Sternenbund gegründet - damals. Ich gebe ja gerne zu, daß es sehr lange her ist, aber in den Jahrhunder-ten die seitdem vergangen sind hat sich doch gezeigt, daß die Föde-ration grundsätzlich positiv zu bewerten ist. - Sicherlich gab und gibt es Dinge die verbesserungswürdig sind, aber deshalb wird niemand die Föderation verlassen oder sie gar auflösen. Auch nicht die neue terranische Regierung! Alles was da auf Terra passiert ist politisches Säbelgerassel - und sonst nichts, wenn sie verstehen was ich meine. Aus diesem Grund denke ich sollte man nicht weglaufen, sondern gegen die im Volk sich verbreitende Meinung, der Ster-nenbund sei an der wirtschaftlichen Misere schuld, ankämpfen." Sie sah ihn erwartungsvoll an, während sie sich weitere Argumente zurechtlegte.
"Es ist leider nicht so wie sie sagen," Tyron begegnete dieser, von der Technikerin vertretenen Meinung, nicht zum ersten Mal. Viele Bürger der Föderation dachten so. Die waren aber auch nicht auf Terra gewesen. "Die Stimmung auf Terra steht auf Sturm. Es sind immer lautere Rufe nach einem gerechten Krieg gegen die Nichtmenschen zu hören. Als Nichtmensch oder auch nur als Be-fürworter der Föderation auf der Erde zu leben bedeutet den fast sicheren Tod durch Lynchjustiz auf jeden Fall aber die Kasernie-rung in sogenannter Schutzhaft. - Früher hatte man einen anderen Begriff dafür - Konzentrationslager!"
Nach einer kleinen Pause fuhr er fort. "Ich war als Dozent im Fachbereich Geschichte an einer Hochschule auf Terra enor-mem Druck bezüglich meiner Lehrstoffe ausgesetzt. Als ich dem Ganzen nicht nachkommen wollte erhielt ich nachts Besuch von einem Schlägerkommando. Die Polizei wollte eine Anzeige nicht entgegennehmen und ich mußte lange suchen, bis ich einen Arzt fand, der mich behandelte. Aufgrund dieser Erfahrungen hatte ich mich entschlossen auszuwandern solange es noch ging. Die Regie-rung erwog schon sehr restriktive Maßnahmen um das Verlassen von Terra zu erschweren. Direkt eine nichtmenschliche Welt zu erreichen war sowieso ausgeschlossen und so ging ich zunächst nach Centaurus und von dort nach einer langen Wartezeit mit die-sem Schiff hier weiter. Während der Monate auf Centaurus hörte ich die schlimmsten Gerüchte über Ermordungen, Folter und Terror durch die vor einigen Jahren gegründete Legion, die Schutztruppe Terras, die nicht dem Föderationsrat, sondern der terranischen Regierung untersteht. Angeblich sollen sogar Raumschiffe, die Terra verlassen wollten von Kampfraumern der Legion aufgebracht worden sein. - Das sind zwar alles nur Gerüchte für deren Wahr-heitsgehalt ich mich nicht verbürgen kann, aber ich halte sie für durchaus realistisch," er hielt inne um zu verschnaufen, die letzten Sätze waren nur so aus ihm herausgesprudelt.
"So schlimm?" fragte die Technikerin. "Ich fürchte ich habe da einiges nicht mitbekommen während meines Dienstes hier an Bord." Sie sah sehr nachdenklich aus während sie sich wieder ihren Instrumenten zuwandte.
Die Sterne trieben langsam an den Panoramafenstern vor-bei. Tyron vertiefte sich in den sich ihm bietenden Anblick. Wie lange er so da gestanden hatte wußte er nicht. Er nahm nur plötzlich wahr, daß ihn jemand angesprochen hatte. Sein gedankenverloren wirkender Blick kehrte in die Realität zurück. Er sah sich um. Die Technikerin stand neben ihm und sah ihn zweifelnd an.
"Ich sagte gerade, daß ich noch etwas in der Notfallkapsel dort zu erledigen habe - wenn sie wollen können sie mitkommen, dort haben sie eine viel bessere Aussicht als von hier. Vor allem ist es da drin fast so wie in einem kleinen Shuttle. Sie werden schon sehen." Mit diesen Worten drehte sie sich um öffnete das Schott zu der Notfallkapsel welche sich rechts neben Tyrons Panoramafenster befand und kletterte hinein. Tyron folgte ihr etwas unbeholfen.
Das Panorama überwältigte ihn. Die Notfallkapsel bestand fast ausschließlich aus transparentem Material. Die Technikerin hatte recht gehabt, hier war der Ausblick einfach grandios. Im "Bug" der Kapsel konnte er einige Instrumententafeln und zwei Sitze ausmachen. Im "Heck" wo er z.Zt. stand befanden sich meh-rere zu Liegen ausklappbare Bänke. Im Notfall konnten sicherlich bis zu 20 Personen in der Kapsel Platz finden.
Die Technikerin nahm in einem der Sitze im vorderen Teil der Kapsel platz und öffnete ihren Instrumentenkoffer. "Bitte fassen sie nichts an," sagte sie an Tyron gewandt während sie die Verklei-dung einer Konsole entfernte. "Es funktioniert schon so wenig genug, ohne daß irgendwer noch mehr beschädigt." Sie schien es bereits zu bereuen, daß sie ihn hereingebeten hatte.
Tyron gab darauf keine Antwort, er starrte auf einen be-stimmten Punkt der außerhalb des Schiffes vorbeiziehenden Sterne. Irgend etwas schien dort nicht zu stimmen, die Sterne in diesem Bereich erschienen seltsam unscharf, so als würde heißer Wasser-dampf die Sicht ein wenig eintrüben. "Ist das normal?" fragte er die immer noch an der Konsole beschäftigte Technikerin.
"Was ist normal?" erwiderte die Technikerin gereizt.
"Na, dieses Wabern der Sterne dort oben," Tyron deutete auf einen Punkt oberhalb ihrer Köpfe.
"Dieses was?" entfuhr es ihr. "Oh, verdammt," entfuhr es ihr als sie die Anomalie entdeckte. "Ich muß die Brücke informie-ren." Sie berührte einen Schalter an der Konsole und fluchte weiter. "Dieses Scheißding funktioniert nicht. Ich muß ein anderes Inter-kom erreichen." Sie sprang auf und hastete in Richtung Tür. Tyron starrte entgeistert in den Weltraum hinaus.
"Da...," war das einzige, was er herausbringen konnte, als maximal ein paar hundert Meter entfernt, dort wo er vorher die Anomalie beobachtet hatte, ein anderes Raumschiff sichtbar wur-de. "Was ist das?"
Die Technikerin hatte endlich das Schott erreicht und blickte nun noch einmal zurück. "Zu spät," entfuhr es ihr. "Halten sie sich fest..." Ihre letzten Worte gingen fast in ohrenbetäubendem Lärm unter. Das fremde Raumschiff hatte sie unter Beschuß ge-nommen.
"Oh mein Gott... was ist das?" Tyron hielt sich verzweifelt an einer der Bänke fest während er mit angsterfülltem Gesicht in den Weltraum starrte.
"Das ist ein Angriff aus dem Hinterhalt auf ein unbewaff-netes Transportschiff," erwiderte die Technikerin. "Jetzt kann ich mir die Warnung an die Brücke sparen." Warnsirenen heulten und neuerliche Erschütterungen durchzogen das Schiff. Laut nachhal-lende, wie Donnerschläge klingende Geräusche wiesen darauf hin, daß sich überall im Schiff die Druckschleusen schlossen.
"Ein Leck in der Außenhülle, sonst würden sie nicht die Schotten schließen. Schnell helfen sie mir - dieses hier ist defekt, ich wollte es erst nachher reparieren!"
Tyron bewegte sich wie in Trance, irgendwie waren die Informationen die seine äußeren Sinnesorgane aufgenommen hatten nicht bis zum Gehirn vorgedrungen um dort verarbeitet zu werden. Die Technikerin mühte sich mit einem altmodisch wirkenden Hand-rad, der Notverriegelung, ab. Irgend etwas schien zu klemmen. Sie schrie ihn an ihr endlich zu helfen, schon war ein leichter Luftzug in Richtung Korridor zu spüren, das Leck in der Außenhülle zog die Luft ab. Gemeinsam schafften sie es das Schott zu schließen. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen stürzte die Technikerin nach vorn zu den Kontrollen und warf sich in einen der Sitze.
"Wir müssen uns vom Schiff lösen," sie sprach die Worte mehr zu sich selbst. "Wo sind die verdammten Kontrollen?"
Tyron erwachte langsam aus seiner Lethargie. "Was ist denn los, ich verstehe nicht..."
"Setzen sie sich hin und schnallen sie sich an," herrschte sie ihn an. "Das Schiff wird bei der nächsten Salve auseinander-platzen wie eine überreife Tomate, die sie auf der Erde aus dem zehnten Stock eines Hochhauses fallen lassen. - Wir müssen hier weg, eine solche Explosion hält auch die Rettungskapsel nicht aus." Ihre Hände berührten fieberhaft verschiedene Kontrollinstrumente. "Ich glaube jetzt habe ich es..." Ein Ruck durchfuhr die Kapsel als sie sich von ihrem Mutterschiff löste. Der von der Technikerin eingeschaltete Autopilot löste fast zeitgleich einen willkürlich be-rechneten Subraumsprung aus.
II
Gestrandet
Die Luft war frühlingshaft, ein milder Wind glitt über das Tal. Die Sonne stieg langsam über den Bergkamm im Nordwesten und sand-te ihre leicht violetten Strahlen auf die Ebene hinab. Ein aufmerk-samer Beobachter an Bord eines Raumschiffes in einer Umlaufbahn um den Planeten hätte sicherlich mit Hilfe seiner Scanner die tiefe Furche entdeckt, die sich quer durch den Talboden zog. An ihrem Ende hätte er sicher auch einen reichlich deformierten Klumpen Metall entdeckt, den sein Computer nach kurzer Datenbankrecher-che als die Überreste einer etwas veralteten Notfallkapsel identifi-ziert hätte. Der hypothetische Beobachter hätte dann sicherlich sofort Alarm ausgelöst und eine Rettungsmannschaft hinunter ge-schickt. - So weit so gut, dachte Tyron, der auf einem kleinen Hü-gel innerhalb des Tals unweit der notgelandeten Kapsel stand und den Sonnenaufgang beobachtete. So weit so gut, der kleine Schön-heitsfehler war, daß sich kein Raumschiff in der Umlaufbahn be-fand. Außerdem war ihr Notfallsender defekt, wie so ziemlich alle Instrumente an Bord der Kapsel.
Tyron sog die würzige Luft tief in seine Lungen ein. Das Tal sah ob der vielen blühenden Blumen und Sträucher wie ein bunter Flickenteppich aus. Er blickte wieder zurück in Richtung der Notfallkapsel. Ein paar Meter davon entfernt entfachte Shana gera-de ein kleines Feuer - vermutlich um Wasser für Kaffee zu erhitzen. <Wir müssen lernen uns die Ressourcen des Planeten zu Nutze zu machen,> er konnte ihre Stimme in seinen Gedanken nachhallen hören. <Bald werden die Notrationen der Kapsel aufgebraucht sein. Wir werden besser damit fahren sie so weit wie möglich zu stre-cken.> Über eine solche Situation fanden sich in der Literatur viele Beispiele. Wie oft war beschrieben worden, daß ein Raumschiff nach einer Havarie nur wenige Überlebende auf einem unerforsch-ten Planeten stranden ließ? Nur ging es unter den Schiffbrüchigen meist harmonischer zu als bei ihm und Shana. Alles was er vor-schlug wurde von ihr fast sofort kritisch verworfen.
Welchen Sinn machte es die Notrationen dermaßen zu strecken, daß sie höchstwahrscheinlich verderben würden? - Ande-rerseits lohnte es sich nicht mit ihr über diesen Punkt zu streiten.
Seine Gedanken schweiften ab während sein Blick wieder über das Tal wanderte. Es grenzte schon fast an ein Wunder, daß sie diesen Planeten gefunden hatten. Der Autopilot der Notfallkap-sel hatte einen willkürlichen Subraumsprung vorgenommen, der sie aus dem Gefahrengebiet herausbringen sollte. Shana war der Über-zeugung, daß das Linienschiff kurze Zeit später explodiert sein müsse. <Vermutlich hat keiner außer uns diesen hinterhältigen Angriff überlebt,> ihre Stimme erwachte erneut in seinem Kopf. <Darüber hinaus hat wahrscheinlich niemand auf der Brücke die Zeit gefunden einen Notruf auszusenden. Wir werden also noch nicht einmal vermißt!> Ihrer Überzeugung nach waren es Raumpi-raten gewesen, die das Linienschiff angegriffen hatten - aber welche Intention sollten sie gehabt haben es vollständig zu zerstören? Ein solches Vorgehen versprach keinen Profit. Viel wahrscheinlicher war da doch seine Vermutung, die terranische Legion hätte sich unliebsamer Dissidenten entledigen wollen. - Nun, absolute Sicher-heit würden sie höchstwahrscheinlich nie erlangen werden.
Die Notfallkapsel war, was schon an ein Wunder grenzte, fast vorschriftsmäßig bestückt gewesen - wenn auch, bedingt durch die harte Landung, einiges zerstört worden war, beinhalteten die Vorratsbehälter an der Unterseite der Hülle doch eine Menge brauchbarer Sachen. Wichtigstes Utensil für sie war wohl Freitag. Tyron hatte den Roboter nach einer Romanfigur aus einem fast vergessenen Buch in dem eine ähnliche Situation wie die in der sie sich momentan befanden, geschildert wurde, getauft.
Freitag war einer der Vielzweckroboter die auf vielen Raumschiffen zu finden waren. Er war mit einer eigenen kleinen Antigrav-Einheit ausgestattet, die es ihm erlaubte neben seinem eigenen Körpergewicht noch kleinere Lasten zu tragen.
Sein Kopf glich eher einer rechteckigen Schachtel mit einem Durchmesser von ca. zwanzig cm denn einem menschlichen Schädel. Ausgestattet mit sechs Armen war er ein unerbittlicher Arbeiter, vor allem wenn es um Standardreparaturaufgaben an technischen Geräten ging. Ohne Ersatzteile konnte jedoch auch er nichts am desolaten Zustand der Geräte innerhalb der Notfallkapsel ändern.
Derzeit versuchte Freitag aus den Überresten der Kapsel eine einigermaßen komfortable Behausung für die zwei Menschen herzurichten.
Tyron blickte wieder auf die weite Ebene hinaus. An sei-ner Hüfte baumelte, in einem extra dafür konstruierten Holster, eine leichte Strahlenwaffe aus der Vorratskammer der Notfallkap-sel. Shana hatte darauf bestanden, daß er die Waffe stets mitnahm wenn er sich von der Kapsel entfernte. Genau nach Vorschrift, man konnte nie wissen welche Gefahren auf einem unbekannten Plane-ten auf einen warten konnten.
Wilde Tiere schien es auf diesem Flecken Erde nicht zu geben. Säugetiere oder Vögel schienen sogar überhaupt nicht vor-handen zu sein, lediglich eine Vielzahl von unterschiedlich großen, insektenähnlichen Tieren, die unablässig über den sich im Tal aus-breitenden Blumenteppich surrten bzw. sich unter die Sträucher verkrochen wenn man ihnen näher kam, waren auszumachen. Die Evolution schien auf diesem Planeten seltsame Wege gegangen zu sein.
Langsam drehte er sich wieder um und trottete in Richtung der Notfallkapsel zurück.
Dort angekommen ließ er sich in der Nähe der Feuerstelle auf einem der von Freitag ausgebauten Sitze der Notfallkapsel nieder und griff nach dem vor ihm auf der improvisierten Tischplat-te stehenden, heißen Kaffee. Shana, von Kopf bis Fuß in ihren gelben Overall gekleidet, frühstückte bereits.
“Ah, der Herr geruht auch sich wieder einmal blicken zu lassen,” bemerkte sie scharf. “Ich denke wir sollten uns die not-wendigen Arbeiten teilen, ich jedenfalls habe keine Lust dazu dir alles hinterherzutragen!”
Die alte Leier, Tyron tat zu wenig, ruhte sich auf ihre Kosten aus. Seine Argumente, für diese Arbeiten doch den Roboter einzusetzen wurden von ihr mit einem verächtlichen Achselzucken und dem Hinweis auf eine gewisse Faulheit der Männer bezüglich gewisser Arbeiten abgetan. Insofern vermied er so gut es ging oh-nehin fruchtlose Diskussionen über dieses Thema mit ihr.
Die Tage vergingen, einer wie der andere. Abwechslung wurde lediglich durch immer wieder neu zu entdeckende Insekten-arten geboten. Darunter waren auch Insekten von beachtlicher Kör-pergröße zu vermerken. Ein Phänomen, das jeder Wissenschaftler sofort für unmöglich erklärt hätte, hätte man es ihm ohne den hand-festen Beweis vorzulegen erzählt.
Freitag, der auf Erkundungsausflüge geschickt wurde, berichtete von Unmengen an Tieren die, irdischen Büffelherden des 18. Jahrhunderts nicht unähnlich, über die Ebenen der Nachbartäler zogen und dabei den Pflanzenbewuchs fast vollständig auf einer Breite, die der Ausdehnung der Herde entsprach, verzehrten.
Bislang hatte sich noch keine dieser Herden in ihr Tal verirrt, unter Umständen lag es daran, daß die Tiere wußten bzw. instinktiv ahnten, daß dieses Tal nur einen Zugang hatte und somit eine Art Sackgasse darstellte.
Aus der Zwangsgemeinschaft der beiden Menschen war mittlerweile eine Zweckgemeinschaft geworden. Beide wußten, daß sie sich gegenseitig brauchten um geistig einigermaßen gesund zu bleiben, da sich beide darüber klar waren, daß eine Rettung vermut-lich erst in Jahren zu erwarten war - wenn überhaupt. Wenn es nach Tyron gegangen wäre, hätte er sich durchaus eine weitergehende Beziehung mit Shana vorstellen können. Sie unterließ jedoch kaum eine Gelegenheit ihn daran zu erinnern, daß sie von Adam und Eva und der Gründung eines neuen Menschengeschlechts so viel halte wie von den kleinen mückenähnlichen Tieren welche sie Nacht für Nacht piesackten - nämlich überhaupt nichts. Überhaupt könne er sich seine machohaften Phantasien irgendwo hinstecken, baden im nahen Teich ginge sie immer noch allein!
Der Roboter bot kaum Abwechslung. Er war nicht als Gesellschafter programmiert, seine Kommunikationsmöglichkeiten beschränkten sich auf die Abgabe von kurzen Standardberichten über die von ihm verrichteten Arbeiten.
Tyron und Shana versuchten mit der Zeit besser miteinan-der auszukommen. Angesichts der beschränkten Beschäftigungs-möglichkeiten war dies allerdings oft nicht einfach.
Nachdem die Notrationen allmählich zu Ende gingen, Shana hatte bezüglich des Verbrauchs derselben nachgegeben, wurde die Idee geboren, eine der größeren Insekten zu erlegen. Shana hatte mittlerweile mit Freitags Hilfe einige Standardbordge-räte zur Untersuchung fremdartiger Lebensbausteine reparieren können, so daß eine Verträglichkeitsanalyse zwecks des Verzehrs von einheimischer Nahrung möglich wurde.
Der Jagdtag begann mit langwierigen Vorbereitungen.
Freitag hatte eine Herde ausgekundschaftet, die, unter Berücksichtigung ihres bisherigen Marschtempos, das Nachbartal am Abend erreichen mußte.
Freitag und Shana errichteten aus Wrackteilen eine Art Trage mit improvisierten Kufen, welche unter vereinter Kraftan-strengung aller drei mit einer zusätzlichen Gewichtsbelastung von rund einhundert Kilogramm über die Ebenen gezogen werden konnte. Von den Gewichten befreit war Freitag alleine in der Lage das Gefährt zu ziehen.
Der Marsch ins Nachbartal nahm ungefähr drei Stunden in Anspruch.
An einer Stelle nahe des Talzugangs, durch den man die Herde erwartete, hoben die drei einen Graben aus, den sie mit Zweigen und großen Blättern bedeckten. Um den Graben herum ließen sie die Vegetation unangetastet. Breite Korridore rechts und links davon fackelten sie jedoch ab, um so zu erreichen, daß die Tiere angelockt von der verbliebenen Nahrungsquelle den Graben passieren mußten. Hier sollte es möglich sein, eines der gestrau-chelten Tiere durch einen gezielten Strahlwaffenschuß aus nächster Nähe zu töten. Einen direkten Schuß traute sich niemand von ihnen zu, da sie den Umgang mit derartigen Waffen nicht gewohnt waren.
Aber es kam alles ganz anders, niemand hatte mehr im entferntesten an die Möglichkeit der Existenz von Raubtieren ge-dacht - bis die Schmetterlinge kamen.
Nach einer langen Zeit des Wartens kündigten sich die ca. zwei Meter langen und einen Meter hohen, heuschreckenähnlichen dabei allerdings flügellosen Tiere durch ein leises Rauschen an. Dieses Rauschen, welches schnell zu einem wahren Getöse an-schwoll, stammte von den sich immerfort öffnenden und schließen-den Mäulern der Kreaturen.
Die beiden Menschen und der Roboter hatten sich hinter einem kleinen Hügel nahe des ausgehobenen Grabens versteckt.
Plötzlich waren die Tiere da, allerdings anders als man sich das vorgestellt hatte. Eine regelrechte Stampede schwappte in das Tal. Die Tiere waren von irgend etwas aufgeschreckt worden. Den Grund konnten die Menschen auch kurze Zeit später erahnen. Über der Herde schwebten fünf mit großen, sehr schön gemusterten Flügeln ausgestattete Insekten, deren Gefährlichkeit man durch die am Kopf angebrachten Greifzangen erahnen konnte.
Die Raubtiere waren gefunden.
Shana riß wie aus einem Reflex heraus handelnd ihre Strahlwaffe aus dem Holster und legte diese auf die Herde an. “Los mach schon,” schrie sie Tyron zu. Dieser blickte jedoch nur ge-schockt und fassungslos auf die sich mit hoher Geschwindigkeit auf sie zu bewegenden Tiere. “Tyron, die überrennen uns, wir müssen sie stoppen,” schrie die Frau während sie bereits den Abzug ihrer Waffe mehrmals betätigte. Die Tiere, die quasi als Vorhut der Her-de nur noch gut fünfzig Meter von ihnen entfernt waren, hielten verwirrt und verschreckt inne, als sich vor ihnen Staub und Sand-fontänen, bedingt durch Shanas Fehlschüsse bildeten.
Die Schmetterlinge sahen wohl in diesen verwirrten Tie-ren leichtere Beute als in deren Artgenossen in der sich immer noch schnell bewegenden Hauptherde, und ließen sich im Sturzflug auf sie fallen. Ein furchterregender Kampf begann. Die Greifzangen der Schmetterlinge spießten die fast wehrlosen Pflanzenfresser regelrecht auf, mit ihren starken Kiefern brachen sie das harte E-xoskelett ihrer Opfer auf und machten sich daran sie zu verschlin-gen.
Mittlerweile hatte auch Tyron seinen Schock überwunden und seine Waffe gezückt. Shana bedeutete ihm aber jetzt nicht mehr zu schießen, da die Hauptherde, in Anbetracht der Raubtiere vor ihnen, einen Umweg durch das Tal nahm, um den Schmetterlingen zu entgehen.
Die Menschen und der Roboter kauerten sich hinter dem Hügel in das hohe Gras. Sie wollten nach Möglichkeit die Entde-ckung durch die Schmetterlinge, und so eine Auseinandersetzung mit ihnen, vermeiden.
Ungefähr eine halbe Stunde nach den sich überstürzenden Ereignissen erhoben sich die Raubtiere wieder majestätisch in die Luft und ließen ein blutbeflecktes Mahl zurück.
Neben ausgeschlachteten Kadavern lagen auch zahlreiche, durch ihre Artgenossen während der Stampede getötete oder schwer verletzte Tiere im Gras des Tales.
Die Menschen entschieden sich für ein Tier, welches nicht weit von ihrem Standort durch Genickbruch verendet, von den Schmetterlingen aber nicht angerührt worden war. Der Transport dieses Tieres zurück in ihr Tal erwies sich bedeutend schwieriger als erwartet.
Aus Angst vor der Möglichkeit von den evtl. zurückkeh-renden Raubtieren überrascht zu werden, wurde der Luftraum stän-dig von den Menschen beobachtet. Besonders schwierig gestaltete sich die Ersteigung des kleinen Passes, des Durchlasses in ihr Tal, da hier die zu bewältigende Steigung zusätzliche Kraftanstrengung forderte. Sie waren gezwungen an der höchsten Stelle des Passes ein Nachtlager aufzuschlagen, da die Dunkelheit über ihnen herein-brach. Abwechselnd hielt je einer der Menschen Wache, da beide dem Roboter nicht zutrauten, die evtl. auftretenden Gefahren kor-rekt einzuschätzen.
Als sich der nahende Morgen durch erste zarte Sonnen-strahlen über den Bergkämmen ankündigte, waren sie bereits wie-der unterwegs. Vom Paß aus war die Furche die die Notfallkapsel in den Boden gegraben hatte bereits gut auszumachen gewesen, es dauerte trotzdem noch bis in den späten Abend des folgenden Ta-ges hinein, bis sie mit ihrer Beute erschöpft doch wohlbehalten wieder in ihrem Lager anlangten.
***
Die folgenden Tage verliefen fast so ereignislos wie die Tage vor der Jagd. Lediglich einmal gerieten die beiden Menschen in leichte Panik. Es hatten sich zwei der großen Schmetterlinge in ihr Tal verirrt.. Nachdem die Tiere allerdings festgestellt hatten, daß hier keine lohnenswerte Beute zu finden war, flogen sie relativ schnell wieder in ihre gewohnten Jagdgründe.
Nichtsdestotrotz sah Tyron nunmehr die Notwendigkeit ein ständig eine Waffe bei sich zu haben, wenn er sich von der Notfallkapsel entfernte. Wer wußte schon welche Überraschungen dieser Planet noch zu bieten hatte?
Die Verträglichkeitsanalyse bezüglich der Verwendung von einheimischer Nahrung hatte ergeben, daß das Fleisch der Heuschrecken, sie hatten die Tiere in Ermangelung eines anderen Namens so getauft, ebenso wie das Fleisch anderer, kleinerer Insek-ten und einige Pflanzen durchaus für Menschen geeignet war. Inso-fern war die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln vorerst gesi-chert, wenn auch immer wieder Gedanken an den wohl bald bevor-stehenden Winter in ihren Köpfen Gestalt annahmen. Es wurde allmählich ganz eindeutig Herbst auf diesem gottverlassenen Plane-ten irgendwo im Nichts.
Die Menschen hatten sich inzwischen recht gut eingerich-tet. Aus den Überresten der Notfallkapsel war eine relativ geräumi-ge Behausung entstanden, in die man sich vor den Unbilden des Wetters zurückziehen konnte.
Unweit des Lagers existierte ein kleiner See, der von meh-reren, aus den umliegenden Höhenzügen stammenden Bächen ge-speist wurde. Auch hier hatte eine durchgeführte Analyse ergeben, daß das Wasser ohne Probleme zur Versorgung dienen konnte.
Immer wieder diskutierten Tyron und Shana über die poli-tische Situation auf der Erde. Tyron versuchte ihr, die sie über die Lage dort so gut wie keine Ahnung hatte, klarzumachen, wie weit Terra bereits schon gegangen war und welche Ziele die Regierung, so man sie überhaupt noch so nennen konnte, seiner Ansicht nach hatte.
Shana geriet immer mehr ins Grübeln. Hatte sie anfangs seinen Ausführungen noch sehr zweifelnd gegenübergestanden, lenkte sie nun immer mehr ein.
***
Der Herbst gestaltete sich fast wie im Bilderbuch. Die Temperatu-ren waren angenehm, Niederschläge hielten sich in Grenzen und was vor allem eine wichtige Rolle spielte, die beiden Menschen begannen sich gegenseitig zu akzeptieren.
Tagsüber versuchten die beiden, den Vorschriften des Notfallhandbuchs folgend, Vorräte für den Winter zu sammeln und vor allem diese auch sicher zu lagern, was bei weitem das größere Problem darstellte.
Freitag hatte den Auftrag erhalten von den das Tal um-schließenden Berghängen Holz zu besorgen um dann daraus witte-rungsgeschützte Lagerflächen für die Vorräte zu schaffen.
Am Abend eines arbeitsreichen aber ansonsten ereignislo-sen Tages beschloß Shana, wie so häufig, noch ein bißchen im Teich schwimmen zu gehen, während Tyron das Abendessen zube-reitete. Die Strahlwaffe lässig über die Schulter geworfen stand sie vor dem auf der Erde sitzenden Tyron und beobachtete ihn, wäh-rend dieser sich gerade mit dem Schneiden von Gemüse abmühte. “Vielleicht hast du ja Lust nachzukommen, wenn du fertig bist, Ty,” sagte sie in einem für Tyron völlig neuen Tonfall. Auch die Abkürzung seines Namens hatte sie bislang noch nie benutzt.
Er blickte verblüfft auf und starrte sie verständnislos an.
“War ja nur so ´ne Idee. Nichts für ungut,” sie wandte sich dem Roboter zu. “He Freitag kommst du mit? Unser Herr hier ist scheinbar nicht in der Stimmung.” Und ohne ihm auch nur die Chance einer Erwiderung zu geben, drehte sie sich um und ging, gefolgt von dem kleinen Roboter in Richtung Teich davon.
Tyron sah ihr nach bis sie hinter der kleinen Baumreihe, die den Teich umgab, verschwunden war. In Ermangelung einer anderen Tätigkeit wandte er sich wieder dem Kochen zu, allerdings nicht ohne sich fest vorzunehmen bei nächster Gelegenheit hinter den Sinn dieses Szenarios zu kommen.
Shana hatte mittlerweile ihren Overall am Ufer des Tei-ches abgelegt und dem Roboter die Strahlwaffe übergeben. Irgend-wie war es ihr lieber jemand am Ufer zu wissen, der so ein Ding auch bedienen konnte - nicht auszudenken was passieren konnte, sollten die Schmetterlinge plötzlich über den Teich hereinbrechen.
Freitag schwebte unbeteiligt auf seinen Antigrav-Feldern am Ufer während sie sich durch das Schilf, welches hier am Ufer wuchs, in das Wasser hineingleiten ließ. Nach den Anstrengungen des Tages war dies eine herrliche Erfrischung. Das Wasser war nicht tief, an der tiefsten Stelle lag der Grund gerade mal etwas über einen Meter unter der Wasseroberfläche. Trotzdem konnte man ein wenig schwimmen, da das gegenüberliegende, ebenfalls mit einer Art Schilf bewachsene Ufer, rund zwanzig Meter entfernt war.
Zuerst merkte sie überhaupt nicht, daß etwas ungewöhnli-ches im Gange war. Als sie jedoch zufällig Freitag ansah, bemerkte sie, daß sich dieser über die Wipfel der Bäume erhoben hatte und mit seinen Sensoren in Richtung Lager blickte. Sie schwamm so schnell sie konnte zurück zum Ufer und zog sich aus dem Wasser. “Was ist los, Freitag? Was gibt’s dort besonderes?” fragte sie den Roboter, keine Antwort von ihm auf diese komplexe Frage erwar-tend.
Durch das Geäst der Bäume konnte nun auch sie das Lager einsehen. Ein Schock fuhr ihr durch die Glieder, dort stand ein Gleiter neben der Notfallkapsel, ein terranischer Gleiter der Legion, wie sie nach kurzer Zeit feststellte.
Soldaten sprangen aus ihm heraus und fuchtelten mit ihren Strahlengewehren herum. Tyron hatte seine Waffe gezogen und schien bereit zu sein zu... “Oh nein,” entfuhr es ihr. Er hatte ge-schossen. Allerdings schien er niemanden getroffen zu haben. Jetzt galt es zu handeln. “Freitag,” der Roboter wandte ihr seine Senso-ren zu. “Schnell zurück zum Lager, versuche zu vermitteln, ich komme so schnell ich kann nach.”
Der Roboter erhob sich über die Baumwipfel und schweb-te, schnell beschleunigend, auf das Lager zu. Shana raffte ihre Sa-chen zusammen und wollte hinterherlaufen, als plötzlich ein greller Lichtblitz ihre Augen blendete. Sie blieb an einen Baum gelehnt stehen und wartete ab, bis sich ihre Augen wieder regeneriert hat-ten. Dem Lichtblitz war ein dumpfer Knall gefolgt, sie brauchte kein Hellseher sein um zu ahnen was mit Freitag geschehen war. Und richtig, als sie ihre Augen wieder öffnete, sah sie die verkohl-ten Überreste des kleinen Roboters etwa auf der Hälfte der Strecke zwischen dem Teich und dem Lager liegen.
Tyron war inzwischen entwaffnet worden. Er saß auf ei-nem ihrer Stühle und wurde von den Soldaten befragt. Shana wußte nun nicht mehr wie sie handeln sollte. Es bestand schließlich die Gefahr, das auch sie einfach von einem dieser schießwütigen Solda-ten über den Haufen geschossen wurde, bevor diese sie als terrani-sche Bürgerin identifizierten. Tyron schien nicht Unrecht gehabt zu haben mit seinen Ausführungen bezüglich der Situation auf Terra.
Sie blickte wieder zu ihm hin, das Verhör ging weiter, er schien keine befriedigenden Antworten zu geben, denn jetzt schlu-gen zwei der um ihn herumstehenden Menschen auf ihn ein. Er kippte vom Stuhl auf die Erde, aber sie ließen immer noch nicht von ihm ab.
Einer der Soldaten, es schien sich um einen Offizier zu handeln, winkte zwei seiner Leute heran und deutete auf das Wäld-chen mit dem Teich. Die beiden nahmen ihre Waffen in Anschlag und machten sich auf den Weg, während andere Soldaten damit begannen ihr Lager zu verwüsten.
Shana geriet in Panik, sie blickte sich wie ein gehetztes Tier um. Wohin? Das war der einzige Gedanke, der sich in ihrem Kopf drehte. Der Teich, das konnte die Rettung bedeuteten. Sie versuchte so gut es ging die Spuren ihrer Anwesenheit zu verwi-schen, nahm ihren Overall und ihre Stiefel und ließ sich wieder ins Wasser gleiten. Unterhalb der Wasserlinie brach sie einen Schilf-halm ab und versuchte durch ihn Luft zu holen. Es funktionierte! Also hatten die vielen Sonntagnachmittage in ihrer Kindheit, die sie vor den Holoschirmen verbracht hatte um die Abenteuer der Ster-nenhelden zu verfolgen, doch noch etwas Gutes gehabt.
Unter Wasser im Schilf versteckt wartete sie ab, dabei aber damit rechnend, daß sie jederzeit entdeckt werden konnte.
Die Soldaten schienen jedoch keine große Lust zum Su-chen gehabt zu haben, sie fanden sie nicht. Nach einer Zeitspanne, die Shana wie eine Unendlichkeit vorkam, wagte sie es wieder aufzutauchen. Sie konnte gerade noch erkennen, wie der Gleiter in nordöstlicher Richtung davonflog und sie im Tal alleine zurückließ.
Terras Legion hatte gute Arbeit geleistet, das Lager war so gut wie dem Erdboden gleichgemacht. Hier konnte sie nicht blei-ben. Freitag war irreparabel zerstört. Die ihm überantwortete Ener-giewaffe war nicht mehr auffindbar. Shana suchte in den Trümmern nach brauchbaren Gegenständen. Ein Rucksack, ein paar Lebens-mittel, eine Machete, ein Kompaß - das war alles was noch zu gebrauchen war, es mußte genügen.
Sie blickte noch einmal in die von dem Gleiter eingeschla-gene Richtung. Er war direkt nach Nordosten geflogen. Dort mußte es eine menschliche Basis geben. Dieses Gefährt war nicht für den Einsatz im Weltraum gebaut, es war nicht luftdicht. Sie machte sich auf den langen beschwerlichen Weg. Was blieb ihr auch anderes übrig? Auch wenn Tyron recht hatte und diese Terraner die Unter-drücker waren für die er sie hielt - es waren die einzigen Menschen weit und breit. Und darüber hinaus, fügte sie in Gedanken hinzu, darüber hinaus brauchte Tyron ihre Hilfe.
III
Mandril
Tyron erwachte und wünschte sich am liebsten sofort wieder das Bewußtsein zu verlieren. Er konnte die Schmerzen kaum ertragen. Sein ganzer Körper schien aus einer einzigen Schwellung zu beste-hen. Gebrochen schien jedoch nichts zu sein. Sein Kopf dröhnte wie der Korpus einer Glocke beim Mittagsgeleut, dies rührte ver-mutlich von den heftigen Schlägen her, die dazu geführt hatten, daß er das Bewußtsein verlor.
Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Shana war schwimmen gegangen, er hatte das Essen zubereitet. Plötzlich war, ohne jegliche Vorwarnung ein Gleiter aufgetaucht. An das sich anschließende Drama konnte er sich nur schemenhaft erinnern. Sein demolierter Körper sprach darüber aber Bände!
Freitag war eliminiert worden, daran erinnerte er sich - aber was war mit Shana? Er blickte sich hastig in seiner Zelle um, was er angesichts der sich verstärkenden Kopfschmerzen sofort bereute. Er sah nur aus grob behauenen Steinen zusammengefügtes Mauerwerk mit einem Metallgitter als Tür. Auffallend war die offensichtliche Diskrepanz zwischen der elektronisch gesicherten Zellentür und dem Mauerwerk. Der Boden bestand aus festgetrete-nem Lehm. Einziger Einrichtungsgegenstand war eine Holzprit-sche, die mit einer Wolldecke belegt war.
Tyron richtete sich langsam auf, immer bereit sofort inne-zuhalten, sollte die Bewegung zu schlimme Folgen haben.
Einzige Lichtquelle in diesem gerade mal sechs m² großen Raum war ein Fenster, besser gesagt eine Luke von vielleicht zwanzig cm Durchmesser, direkt unterhalb der sich in ungefähr drei Meter Höhe befindenden Decke.
Wo befand er sich? Tyron konnte nur vermuten, daß es sich um die Basis der Legionstruppen auf diesem Planeten handel-te. Aber was hatte der Anachronismus dieser Zelle hier zu bedeu-ten? Er hatte eigentlich ein modernes, aus Fertigteilen erbautes Gebäude erwartet.
Er schleppte sich zur Tür und versuchte in dem im Halb-dunkel liegenden Gang etwas zu erkennen. In der einen Richtung, von ihm aus gesehen rechts, endete der Gang in einer Sackgasse. In der anderen Richtung mündete er in einen etwas größeren Hof, welcher von Licht überflutet war. Tyron mußte seine Augen erst langsam an diese Lichtfülle gewöhnen.
Im Lichthof saß ein Soldat der Legion vor einem einfachen Tisch auf einem simpel gefertigten Holzstuhl. Er schien vor sich hin zu dösen. Tyron überlegte noch ob er ihn rufen sollte als plötz-lich Bewegung in die Szene kam.
Von der anderen Seite des Lichthofes näherte sich eine Gruppe von drei Menschen, der Soldat, der die Schritte der Neuan-kömmlinge wohl erst sehr spät gehört hatte, schnellte hoch und stand stocksteif, die linke Hand mit der offenen Handfläche auf die Brust gelegt, da.
“Rühren, Soldat,” sagte eine befehlsgewohnte weibliche Stimme. Die Sprecherin mußte eine der drei Personen sein, die nunmehr vor dem Tisch, mit dem Rücken zum Zellengang standen. “Irgendwelche besonderen Vorkommnisse?”
“Nein, mon Capitan,” brüllte der Soldat so laut er konnte.
“Wundert mich nicht,” antwortete die Frau. “Schlafend kann man nichts bemerken! Seien sie froh, daß ich sie geweckt habe und nicht einer der anderen Offiziere oder gar Mandril selbst, sie verstehen?”
“Oui, mon Capitan,” brüllte der Soldat abermals.
“Gut, nachdem das also geklärt ist, wo ist der Gefangene?”
“In Zelle siebzehn, mon Capitan,” antwortete der Soldat, während er in seiner Hosentasche nach dem elektronischen Code-schlüssel kramte.
Der Zellenwärter führte die drei anderen Soldaten den Gang entlang zu Tyrons Zelle. Dort angekommen hielt er den Co-degeber an das Türschloß und öffnete danach die archaisch wirken-de Zellentür.
Tyron, der sich auf seine Liege zurückgezogen hatte, stand langsam auf.
“Das ist also der Mann, der unseren großen Mandril so in Angst und Schrecken versetzt hat,” bemerkte die Offizierin trocken. “Nun, er sieht wirklich schrecklich aus. Wer hat ihn so zugerichtet, Soldat?” fragte sie in Richtung des Kerkermeisters gewandt.
“Die Patrouille, mon Capitan. Er wurde bereits in diesem Zustand hierher gebracht!”
“Und hier wurde mal wieder nichts unternommen, wie immer,” fügte sie stirnrunzelnd hinzu. “Ok, laßt mich jetzt für fünf Minuten mit ihm allein.” Sie winkte den sie begleitenden Soldaten mit einer Handbewegung zu den Raum zu verlassen.
Diesen schien die Anweisung allerdings nicht so recht zu gefallen. Sie sahen sich überrascht gegenseitig an, bis einer von ihnen den Mut faßte sich an die Vorgesetzte zu wenden. “Halten sie das für klug, mon Capitan? Ich meine, er könnte doch...”
Die Offizierin fixierte den Sprecher mit ihren stechenden braunen Augen während sie leise sprach. “Ich weiß genau was ich tue, Soldat! Oder wollen sie mir etwa unterstellen, das dies nicht der Fall sei? - Raus hier aber plötzlich!” Bei den letzten Worten war ihre Stimme laut geworden. Die Soldaten, offensichtlich einge-schüchtert, verließen fast fluchtartig die Zelle, während die Offizie-rin die Zellentür hinter ihnen schloß.
Nach einer kleinen Weile, in der sie ausreichend Zeit hatte ihn zu begutachten, zog sie aus ihrer graugelben Uniformjacke eine Packung Zigaretten hervor. “Rauchen sie?” fragte sie ihn, wobei sie ihm die geöffnete Packung quasi unter die Nase hielt.
“Nein, ich habe es mir vor langer Zeit abgewöhnt,” ant-wortete er kurz. Die ganze Situation kam ihm äußerst merkwürdig vor.
“Nun ja, vernünftige Entscheidung,” grummelte sie vor sich hin, während sie sich selbst eine ihrer Zigaretten in den Mund schob und anzündete. “Ich hoffe die Verletzungen sind nicht ganz so schlimm wie sie aussehen,” bemerkte sie mit einem angedeuteten Kopfnicken in seine Richtung. Eine Antwort hierauf erübrigte sich, sie hatte wohl auch keine erwartet, denn sie fuhr sofort fort. “Sie haben sicherlich einige Fragen die ihnen unter den Nägeln brennen - und ich habe auch einige an sie. Ich schlage vor, daß ich zuerst ein wenig referiere und dann den Part an sie abgebe, einverstanden?” Tyron nickte matt. “Na schön, also erst einmal zu meiner Person. Ich bin Capitan Alanna Sanchez, wie sie sehen können gehöre ich zu Terras Legion, wie alle anderen hier ebenfalls.
Wie ist denn ihr Name?”
“Tyron, Tyron Selies,” antwortete der Gefangene. Die ihm gegenüber an der Wand lehnende, etwa vierzig Standardjahre alte Frau beeindruckte ihn außerordentlich. Ihr langes, schwarzes Haar fiel offen bis auf ihre Schultern herab. gekleidet in die gelbgraue enganliegende Uniform der Legion, malten sich ihre Formen deut-lich unter dem Stoff ab. Sie war groß, größer als Tyron selbst, der mit seinen 1,90 Meter auch kein Zwerg war. <Wenn Shana jetzt wüßte was ich denke, könnte ich mich mal wieder auf einen Vortrag über Chauvinismus freuen,> dachte er bei sich.
“Sicherlich verwundert es sie, Mr. Selies, - wie es auch jeden anderen verwundern würde - die Legion so weit entfernt von Terras Hoheitsgebiet im Raum vorzufinden. Nun, das ist einfach zu erklären. Terra erzählt nicht jedem wie weit die Streitkräfte, die allein unter Terras Herrschaft stehen und nicht dem Föderationsrat unterstellt sind, bereits aufgerüstet sind und welche Aktivitäten bereits ablaufen.” Sie blickte Tyron forschend ins Gesicht um eine Regung in seinen Gesichtsmuskeln ablesen zu können. Das was sie bislang von sich gegeben hatte, hatte er sich allerdings bereits schon so ungefähr selbst zu recht legen können. “Terra braucht vor allem Rekruten, um genauer zu sein: Kanonenfutter! - Und wo bekommt man dieses am leichtesten, mal abgesehen von den allzu leicht zu manipulierenden Jugendlichen und dem Heer von Arbeits-losen innerhalb von Terras eigener Bevölkerung?” Tyron sah ver-ständnislos drein, jetzt konnte er ihr nicht mehr folgen. “Auch ganz einfach, wenn man die Fakten kennt! Man sucht in alten Archiven nach vor langer Zeit, vor der Gründung der Sternenföderation, von Menschen gegründeten und verloren gegangenen Kolonien. Es ist wirklich erstaunlich was da vor Jahrhunderten geschehen ist! Ganze Volksgruppen sind ausgewandert. Fast jeder Staat auf Terra wollte seine eigene Kolonie im Raum. Und es gab derer viele. Der ersten Euphorie folgte allerdings schnell die Ernüchterung angesichts der immens hohen Kosten. Zu vielen Kolonien wurden die Kontakte abgebrochen, da sich eine wirtschaftliche Ausbeutung der Ressour-cen in der damaligen Zeit, mit den beschränkten Beförderungsmit-teln, nicht verwirklichen ließ.
Viele der ursprünglichen Kolonisten wollten aber nicht mehr zurück zur Erde, dem überbevölkerten, dem Untergang ent-gegenstrebenden Planeten. Sie konnten ja nicht ahnen, welche Auswirkungen die Entdeckung fremder Intelligenzen und die Grün-dung des Sternenbundes haben würde.
Einige der ehemaligen Kolonien haben es allerdings auch aus eigener Kraft geschafft und den ursprünglichen technischen Standard, und damit den Kontakt zu Terra und später zur Föderati-on halten oder relativ schnell wieder aufbauen zu können. Aber einige fielen mehrere Entwicklungsstufen zurück, manche sogar bis in die Steinzeit, womit wir bei Mandril angelangt wären.” Sie zog heftig an ihrer Zigarette um sie nicht vollständig ungenutzt verglü-hen zu lassen. “Hier haben wir den Prototyp einer solchen ehemali-gen Kolonie. Sie ist zwar nicht direkt bis in die Steinzeit zurückge-fallen, aber für unsere Begriffe ist das Stadium in dem sich die hiesige Bevölkerung befindet auch nicht viel besser.
Wissenschaftler würden sicherlich so eine Art ausgehendes Mittelalter, d.h. Metall Be- und Verarbeitung, solide Stein- und Holzbauten aber keine Elektrizität und kein fließendes Wasser, feststellen. - Aber das interessiert Terra nicht!
Es sind Menschen, und die können lernen! Viel lernen brauchen sie wahrlich nicht, wo der Abzug einer Strahlwaffe ist, das können wir ihnen in fünf Minuten beibringen, na und der Feind, der Feind ist alles was nicht nach Mensch aussieht, aber trotzdem denken kann, sie verstehen?”
Tyron verstand, das war schließlich einer der Hauptgründe für seine Emigration gewesen. Es verwunderte ihn nur, daß diese Offizierin hier vor ihm, dies so klar ausdrückte. Hätte sie dies auf Terra oder vor Zeugen getan, so würde sie vermutlich nicht mehr leben. Stellte man ihm hier vielleicht eine Falle? Sollte er seine Gesinnung offenbaren? Aber das hätten sie doch auch einfacher haben können. Warum erzählte sie ihm das alles?
Die Frau schien seine Gedanken erraten zu haben, sie begann wieder zu sprechen. “Sie wundern sich sicherlich aus wel-chem Grund ich ihnen das alles erzähle. Nun, das ist auch relativ einfach. Ich war ursprünglich einmal Kadett in der dem Föderati-onsrat unterstellten Sternenflotte. Dort gab es für mich allerdings so gut wie keine Aufstiegsmöglichkeiten. Zum Teil lag dies an meinen nicht gerade überragenden Leistungen, zum Teil aber auch an der Quotenregelung, die es jedem Volk des Sternenbundes nur erlaubt den prozentualen Anteil an Flottenpersonal zu stellen, den sein Volk an Individuen im Verhältnis zu den Gesamtindividuen der Föderation ausmacht - und der ist für Terra mittlerweile denkbar gering geworden.
Also ergriff ich die Möglichkeit in der Legion Karriere zu machen, leider ohne mir über die hehren Ziele dieser Organisation im vorhinein ein ausreichendes Bild verschafft zu haben. - Jetzt, wo ich dieses Bild habe, ist es für ein Revidieren dieser Entscheidung zu spät, die Legion verläßt man nur tot!” Sie blickte immer noch forschend in Tyrons Gesicht, konnte aber keine Reaktion ablesen. “Ich hoffe, daß ich bei ihnen keinen Fehler gemacht, sondern sie richtig eingeschätzt habe,” führte sie ihre Ausführungen fort. “Mandril ist davon überzeugt in ihnen einen Spion des Sternenbun-des gefangengenommen zu haben. Sollte dies der Fall sein, so kann ich nur sagen: Hut ab, ich hätte nicht erwartet, daß der Sternenbund so schnell reagieren kann. - Ich vermute allerdings in ihnen ledig-lich das Opfer einer Havarie im Raum. Unter Umständen sind sie ein terranischer Emigrant, auf der Flucht vor Verfolgung durch das terranische Regime.” Sie legte eine kurze Kunstpause ein, bevor sie weiterfuhr. “Nun ist der Part an ihnen, Mr. Selies. Erzählen sie mir ihre Geschichte - und enttäuschen sie mich nicht!”
Tyron überlegte kurz ob er tatsächlich seine wahre Ge-schichte offenlegen sollte, dann sagte er sich jedoch, daß er kaum etwas zu verlieren hatte und begann damit, alles zu erzählen. Ledig-lich die Existenz von Shana sparte er vorerst aus.
Nachdem er geendet hatte begann die Frau erneut zu spre-chen. “So ähnlich, wenn auch nicht so dramatisch, hatte ich mir das vorgestellt. Den Soldaten haben sie davon noch nichts erzählt?” Tyron schüttelte den Kopf. “In Ordnung, dann müssen wir jetzt überlegen, was sie Mandril erzählen werden um möglichst unge-schoren davonzukommen...”
“Mandril, diesen Namen benutzen sie nun schon zum wiederholten Male. Einmal als Bezeichnung für diesen Planeten hier, dann wieder für eine real existierende Person, wie mir scheint. Wer ist Mandril?”
“Oh, ich vergaß. Mandril ist der von Terras Gnaden hier eingesetzte Gouverneur. Admiral James Mandril um genau zu sein. Er ist der hiesige absolute Herrscher, die letzte Instanz in allen Fragen - und darüber hinaus absolut größenwahnsinnig. Er hat das Sonnensystem, den Planeten, den Kontinent, diese Stadt hier und noch so manches andere Ding von Bedeutung direkt nach seiner Ankunft hier mit seinem eigenen Namen gesegnet. - Daran läßt sich bereits so manches ablesen, nicht wahr? - Aber warten sie ab bis sie ihn kennengelernt haben, machen sie sich selbst ein Bild von ihm.
Meines Erachtens sollten sie sich aber besser als Mitglied einer Sternenschiffsbesatzung ausgeben, als Steward vielleicht. Ich gehe mal davon aus, daß ihnen technische Kenntnisse bezüglich der Steuerung von Raumschiffen völlig abgehen?” Tyron nickte schwach. “Na, dann haben wir doch eine halbwegs brauchbare Legende für sie. Bleiben sie möglichst nahe an der Wahrheit, aber geben sie um Himmels willen nicht ihre Dissidentenrolle zu!” Sie holte kurz Luft um dann fortzufahren. “Und vor allem, verärgern sie Mandril nicht! Das kann er auf den Tod nicht ausstehen.”
***
Capitan Alanna Sanchez hatte untertrieben, Admiral James Mandril war nicht nur größenwahnsinnig. Er hielt sich für das größte Genie aller Zeiten auf allen Gebieten und in seiner Machtfülle war er absolut unbeschränkt.
Tyron Selies beobachtete den Herrscher dieses Planeten genau. Der Mann stand vor der Staffelei in seinem sogenannten Arbeitszimmer innerhalb des für ihn von den versklavten Eingebo-renen errichteten Palastes. Mandril war relativ klein und untersetzt, Tyron überragte ihn gewiß um mindestens einen halben Meter. Die Speckfalten, die sich um die Hüfte des etwa sechzig Standardjahre alten Mannes scharten wurden nur unzureichend durch die einer römischen Toga nachempfundene Kleidung verhüllt.
Das Zimmer, in das Tyron geführt worden war, wurde durch ein großes, mit einem durchsichtigen Material abgedecktes Oberlicht in eine strahlende Helligkeit getaucht. An den Wänden hingen handgeknüpfte Teppiche. Die Einrichtung bestand aus meh-reren zu Liege- beziehungsweise Sitzgruppen zusammengestellten, couchähnlichen Schaumstoffblöcken, welche mit weichen Stoffen bezogen waren.
Mandril hatte wohl eine gewisse Vorliebe für die römische Kultur zur Zeit des Beginns der abendländischen Zeitrechnung. Überall standen kleinere und größere Dinge, wie Amphoren und Statuen herum, die Tyron eindeutig dieser Menschheitsepoche zuordnen zu können glaubte. Sollten diese Gegenstände tatsächlich aus dieser Zeit stammen, dann war dieser Mandril über alle Maße reich zu nennen, was allerdings angesichts der hier von ihm ausge-übten Herrschaft auch kein Wunder war.
Schräg rechts vor der Staffelei saß eine vielleicht zwanzig Standardjahre alte Frau, vermutlich eine Eingeborene dieses Plane-ten, auf einer aus Pflanzenfasern geflochtenen, einfachen Matte, am Rande eines kleinen Schwimmbeckens. Sie war lediglich mit einem lendenschurzähnlichen Stück Stoff bekleidet. Ihre langen, schwar-zen Haare fielen offen auf ihre Schultern und ihren Rücken herun-ter. Hinter ihrem Rücken waren, wohl durch ein Antigravfeld gehal-ten, die ausgebreiteten, buntgemusterten Flügel eines dieser Raub-schmetterlinge zu sehen. Blickte man nicht genau hin, so konnte der Eindruck entstehen, die Flügel wüchsen aus den Schulterblättern der jungen Frau heraus. Mandril versuchte wohl diesen Eindruck in seinem Gemälde zu vertiefen.
Der Admiral malte verbissen weiter, obwohl er sich der Anwesenheit Tyrons durchaus bewußt war. Capitan Sanchez bedeu-tete Tyron mit einer kurzen Handbewegung ruhig zu sein und zu warten bis Mandril sich an ihn wenden würde.
Nach einiger Zeit und unzähligen Pinselstrichen später drehte sich Admiral James Mandril zu seinem Gefangenen um. “Das ist also der Agent des Sternenbundes?” fragte er mit stoischer Ruhe.
Capitan Sanchez fühlte sich befleißigt einzugreifen. “Ich glaube nicht, daß er ein Spion des Sternenbundes ist, großer Mandril.” Sie vollführte fast eine Verbeugung während sie ihren Vorgesetzten ansprach. “Er ist vielmehr ein einfaches Mitglied einer Sternenschiffsbesatzung. Sein Schiff erlitt eine Havarie, er konnte als einziger mit einer Notfallkapsel entkommen. Sicherlich werden die Daten des Bordbuches der von unserer Patrouille aufge-fundenen Kapsel dies bestätigen.”
“Alanna, du weißt doch genau so gut wie ich, daß diese hirnlosen Soldaten die Kapsel komplett zerstört haben. Nachdem ich von dem Vorfall erfuhr, habe ich persönlich ein paar Leute mit etwas mehr Verstand im Kopf hingeschickt - aber da war es schon zu spät. - Es ist furchtbar mit solchem Personal geschlagen zu sein, mein Lieber,” führte er in Tyrons Richtung gewandt aus. “Diese Ignoranten, mit denen ich hier geschlagen bin, stellen wirklich den Abschaum Terras dar. Kaum einer kann wirklich würdigen, was ich für sie und vor allem für Terra leiste. - Sehen sie alleine dieses Geschöpf hier,” Mandril deutete auf die junge Frau vor den Schmetterlingsflügeln, welche verängstigt den Kopf hob. “Ein Kommando meiner Garde wollte sie vor zwei Wochen auf offener Straße vergewaltigen! Dieses vollkommene Geschöpf schänden zu wollen! Ich habe sofort hart durchgegriffen, die Leute sind jetzt in der Terrorismusbekämpfung eingesetzt. Nicht wahr, ich habe dich gerettet, mein Kind.” Die Frau nickte kaum merklich, in ihren Au-gen war die pure Angst zu lesen. “Und ich habe dich dazu auserko-ren auf meinem Meisterwerk verewigt zu werden. Ist das nicht ein schönes Gefühl ein vollkommenes Meisterwerk zu sein? Ein Bild-nis, welches nicht altern wird? - Selbstverständlich wirst du nicht dazu in der Lage sein, dieses Meisterwerk durch deinen niedrigen Verstand zu entweihen, nach Fertigstellung des Bildes werde ich dich in einem Torpedo in die Sonne schießen lassen, nur so kann das Werk wirklich unsterblich werden. Du erkennst doch meine Fürsorge an, nicht wahr mein Kind?”
Für die Frau war das alles wohl zuviel, sie brach laut schluchzend zusammen und wälzte sich auf dem Boden.
“Schon wieder!” Mandril war empört. “Das ist also die Dankbarkeit, vielleicht hätte ich dich doch meinen Männern über-lassen sollen. - Alanna, laß sie in ihre Zelle bringen, ich werde morgen weiter malen. Jetzt will ich mich mal unserem neuen Gast widmen.” Während Capitan Sanchez zwei Soldaten mit der Aufga-be betraute, die Frau wegzubringen, beäugte der Admiral Tyron intensiv. “So, ich soll also meiner Adjutantin Glauben schenken und in ihnen keinen Spion, sondern lediglich einen Schiffbrüchigen sehen? - Dann erzählen sie mir doch mal ihre Story, ich hoffe für sie, daß sie mich überzeugen können.”
Tyron, der mittlerweile vom Wahnsinn des vor ihm ste-henden Mannes überzeugt war, begann erneut seine Geschichte zu erzählen. Wie ihm die Offizierin geraten hatte, blieb er möglichst nahe an der Wahrheit um sich in keine Lügengebilde zu verstri-cken. Lediglich seine Rolle auf Terra und die Existenz Shanas verschwieg er. Es verblüffte ihn selbst wie gut er seine Stellung als einfacher Steward auf einem Raumschiff schildern konnte. Und was das wichtigste war, Mandril schien ihm Glauben zu schenken.
IV
Menschen
Shana hatte es aufgegeben die Tage zu zählen. Ihrer Schätzung nach war sie jetzt ungefähr einen Monat lang unterwegs. Immer noch versuchte sie die vermutete Basis der Legion zu erreichen. Zwei weitere Male war bislang ein Gleiter der Terraner fast über ihren Kopf hinweggeflogen. Beide Male hielt sie sich jedoch in einem Waldstück auf, so daß die Besatzung sie wohl nicht ausma-chen konnte. Warum sie sich noch immer versteckte wußte sie selber nicht. Auf der einen Seite ging sie doch in diese Richtung um auf die menschliche Basis auf diesem Planeten zu stoßen, auf der anderen Seite jedoch, hatte sie die Soldaten und vor allem deren Umgang mit Tyron und Freitag noch allzu gut im Gedächtnis.
Wie mochte es Tyron in der Zwischenzeit ergangen sein? Ihr Gewissen quälte sie immer noch entsetzlich. Obwohl sie sich sagte, daß sie damals keine Möglichkeit gehabt hatte ihm zu helfen, machte sie sich dennoch Vorwürfe deswegen.
Auf ihrem bisherigen Marsch war sie durch die unter-schiedlichsten Landstriche dieses Planeten gekommen. Von Men-schen unberührte Wildnis jeglicher Art wechselte sich gegenseitig ab. Sowohl Flora als auch Fauna lieferten ihr ein vielfältiges Nah-rungsangebot. Bislang hatte sie auch noch immer Glück bezüglich der Verträglichkeit der Nahrung, welche sie zu sich genommen hatte, gehabt. Da ihr Analysegerät unwiederbringlich zerstört wor-den war, war sie gezwungen auf gut Glück auszuprobieren, welche Nahrungsmittel für sie geeignet waren. Einige wenige Male hatte sie Magen- und Darmbeschwerden nach dem Verzehr von gewissen Obstsorten bekommen, dies war aber auch schon alles gewesen.
Nach einem relativ kargen Frühstück brach sie ihr kleines Lager wieder einmal ab und marschierte weiter. Der Herbst war in diesem Landstrich jetzt richtig eingekehrt. Die Blätter an den Bäu-men begannen sich immer schneller zu verfärben. Bald würde sie sicherlich keine Früchte mehr an den Bäumen finden. Es wurde Zeit endlich die menschliche Basis zu erreichen. - Die Richtung stimm-te, das bestätigte ihr sowohl ihr Kompaß als auch die Flugrichtung der beiden Gleiter, die sie beobachtet hatte. Einzig die Entfernung, die sie noch zu überwinden hatte, konnte sie nicht abschätzen.
Plötzlich hielt sie verdutzt inne. Was war das? Ohne das es ihr aufgefallen war, ging sie jetzt bereits seit einiger Zeit an einem Waldsaum entlang, was an sich noch nicht auffällig war. Sehr be-fremdlich hingegen waren die Pflanzen, die in ordentlichen Reihen neben dem Wald wuchsen. Das sah einer von intelligenten Lebewe-sen angelegten Kulturlandschaft verdammt ähnlich, wenn sie auch die Pflanze als solche nicht erkannte.
Blitzschnell drehte sie sich um und spähte in alle Him-melsrichtungen. - Da, ungefähr einen Kilometer rechter Hand von ihrem jetzigen Standort entfernt in einer Talsenke stand ein Haus, einem Bauerngehöft nicht unähnlich.
Kurzerhand entschlossen änderte sie ihre Marschrichtung und ging auf das Gehöft zu. Näher herangekommen konnte sie unterschiedliche Teile der Hofstatt ausmachen. Sie glaubte Ställe, eine Scheune und ein Wohnhaus unterscheiden zu können.
Die Landschaft, die das Gehöft umgab wurde eindeutig einer landwirtschaftlichen Nutzung unterzogen. Die angebauten Nutzpflanzen waren Shana zwar durchweg unbekannt, angesichts des breiten Spektrums an Nutzpflanzen in der erforschten Galaxis war dies allerdings kein Wunder. - Das hier jedoch planmäßig und nicht willkürlich angepflanzt worden war, war deutlich zu erken-nen.
Dies konnte schlechterdings nicht der Stützpunkt der Le-gion auf diesem Planeten sein, Soldaten eigneten sich nicht zu Bau-ern! Sollte dieser Planet, wider Erwarten, schon lange Zeit koloni-siert sein? Der Bauernhof machte jedenfalls nicht den Eindruck als sei er in den letzten Jahren erbaut worden.
Dem Augenschein nach konnte er durchaus ein oder zwei Jahrhunderte auf dem Buckel haben, irgendwie mutete er archaisch an.
Wenn jedoch bereits so lange eine Kolonie hier existierte, warum hatte man sie und Tyron dann nicht bereits viel früher ent-deckt, zum Beispiel als sie mit der Notfallkapsel in die Umlaufbahn eintraten? Und warum hatte ihr Bordcomputer keine energetischen Aktivitäten auf der Planetenoberfläche feststellen können? Alles Fragen, die sie sich selbst nicht beantworten konnte.
Shana beschloß vorerst den Versuch zu machen unbemerkt dem Gehöft näher zu kommen und erst dann zu entscheiden, ob sie sich offenbaren sollte.
Von einer kleinen Hecke gedeckt schlich sie sich immer näher an das Wohnhaus heran. Dort angekommen versuchte sie durch ein geöffnetes Fenster ins Innere zu blicken.
Plötzlich hörte sie hinter sich ein Geräusch. Bevor sie sich allerdings umdrehen konnte, hatte sich bereits eine dunkle, schwere Gestalt auf sie geworfen. Shana versuchte sich zu wehren, hatte aber gegen den überraschend aufgetretenen Gegner keine Chance, sie wurde unsanft zu Boden geworfen.
“Ich hab ihn, Mum,” brüllte die mittlerweile auf ihrem Rücken kniende Gestalt.
In Shanas Blickfeld waren lediglich die weißen Kieselstei-ne zu sehen mit denen der schmale Weg rund um das Gehöft ge-pflastert war und ein Stückchen der Hauswand. Schritte waren zu hören, zwei in Holzschuhen steckende, nackte Füße kamen in Sha-nas Gesichtskreis.
“In Ordnung, du kannst ihn umdrehen, Jay,” sagte die Stimme der vor Shana stehenden Frau.
Kräftige Arme packten Shanas Schultern und drehten sie um. Dicht vor ihrem Gesicht schwebten drohend die Zinken einer Heugabel, welche die Bäuerin in der Hand hielt.
“Das ist ja ´ne Frau, Mum,” rief die noch immer auf Shana kniende Person aus. Shana registrierte im Unterbewußtsein, daß es sich dabei um eine Jugendliche von vielleicht fünfzehn Standard-jahren handelte.
“Wer sind sie und was wollen sie hier? Antworten sie schnell, Ma´am, ich weiß nicht wie lange ich dieses schwere Ding hier noch halten kann!” Die Heugabel schwankte bedenklich vor Shanas Gesicht hin und her.
“Mum, ich glaube nicht, daß sie zur Legion gehört. Sieh doch ihre zerrissene Kleidung an!” Die Tochter deutete auf Shanas arg verschlissenen Schiffsoverall.
“Sei still, Jay. Laß sie reden.”
Shana wußte nicht so recht was sie sagen sollte. Der Schock nach so langer Zeit wieder unter Menschen zu sein hatte ihr die Sprache verschlagen. Aus den Worten der Tochter meinte sie schließen zu können, daß die Legion hier nicht gern gesehen wurde. Schließlich stammelte sie einige Worte aus denen man unter Um-ständen schiffbrüchig und Flüchtling heraushören konnte.
“Ich glaube, du hast recht, Jay. Laß sie los.” Shana reckte ihren zusammengestauchten Körper und begann sich langsam auf-zurichten. Die Heugabel immer noch drohend in der Hand haltend, beobachtete die Bäuerin argwöhnisch jede ihrer Bewegungen.
“Keine Angst, ich benehme mich anständig,” murmelte Shana, während sie sich notdürftig den Schmutz von ihrer Kleidung klopfte, nicht das dies viel ausgemacht hätte, der Zustand in dem sich ihr Overall ohnehin befand sprach Bände. “Wäre es nicht unter Umständen sinnvoll unsere weitere Unterhaltung im Haus und vor allem ohne dieses Ding da fortzusetzen?” Sie deutete auf die Heu-gabel.
Langsam senkte die Bäuerin das Werkzeug und lehnte es an die Hauswand. Nach wie vor skeptisch bedeutete sie der Frem-den ihr ins Haus zu folgen.
***
Shana lebte nun schon rund zwei Wochen auf dem Bauernhof, welcher lediglich von Rowenna, der Bäuerin und ihrer Tochter Jay bewirtschaftet wurde. Der Bauer und der ältere Bruder Jays waren, wie Shana nach kurzer Zeit erfahren hatte, von der Legion <einge-zogen> worden. Dies war bereits vor ungefähr zwei Jahren gesche-hen. Seither hatten sie keine Nachricht mehr von ihnen erhalten. Die Legion war so mit vielen Bauern in der Region verfahren. Alle Männer im wehrfähigen Alter waren eingezogen worden, die Frau-en blieben in der Regel zur Bewirtschaftung der Höfe und zur <Produktion> des Nachwuchses, und damit der neuer Soldaten, zurück. Das letzteres ohne den Einsatz von Männern schlechter-dings unmöglich war, schien dem Militär entgangen zu sein.
Shana erfuhr auch viel über die Geschichte des Planeten.
Nachdem der Kontakt zu der Heimatwelt der Menschen vor Jahrhunderten abgebrochen war, geschah das Unvermeidliche. Der allgemeine Lebensstandard, ohnehin nie sonderlich hoch gewe-sen, sackte in Folge der verlernten technischen Fähigkeiten bezie-hungsweise niemals vorhandenen technischen Errungenschaften dramatisch.
Allerdings war hier, im Vergleich zu vielen anderen Pla-neten mit ähnlicher Entwicklung, positiv zu vermerken, daß das politische System sich nicht zurück entwickelt hatte. Nach wie vor bestand eine Art Demokratie in dem auf momentan ca. sechzig Millionen Individuen geschätzten Volk. Allerdings war diese eher im kleinen denn im großen zu suchen. Mangels eines <äußeren Feindes> gab es keinen überregionalen Zusammenschluß und keine Armee, sondern lediglich lokale Sicherheitskräfte, deren Aufgabe es war neben ihrer täglichen Arbeit Streit zu schlichten und Verbrechen aufzuklären. Eine Regierung, ein ausgeklügeltes Steu-ersystem oder ähnliche Einrichtungen gab es ebenfalls nicht. Ört-lich wurden in öffentlicher Abstimmung Räte gewählt, die in Ab-stimmung mit den Räten der jeweiligen Nachbargemeinden die für das Zusammenleben notwendigen Beschlüsse faßten. Eine Art föderales System auf kleinster Ebene hatte sich hier entwickelt.
Ein schwieriges und sehr wackliges politisches System, wie Shana fand, aber es hatte wohl einige Jahrhunderte gehalten - bis die Legion den Planeten wiederentdeckte.
Eine Bezeichnung für den Planeten hatte es seltsamerweise nie gegeben, lediglich eine alte Registriernummer war in den Akten von der Legion aufgespürt worden. Die Bevölkerung hatte nie die Notwendigkeit gesehen, dem Planeten einen Namen zu geben.
Der Befehlshaber der Legion hatte als eine seiner ersten Amtshandlungen verfügt, daß der Planet, wie auch viele andere Dinge, in Zukunft seinen Namen zu tragen hatte.
Allein schon dieses Dekret hatte großen Unmut in der Bevölkerung hervorgerufen. Obwohl die Möglichkeit der Wieder-aufnahme des Kontaktes zum Rest der Galaxis ursprünglich begrüßt wurde, schlug die Stimmung recht bald ins Gegenteil um, als die wahre Absicht der Terraner immer mehr hervortrat.
Die Folge war allzubald offener Widerstand in der Bevöl-kerung gegen die Aktionen der Legion.
Man hatte zwar so gut wie keine andere Möglichkeit, au-ßer durch Flucht, die Rekrutierungen zu umgehen, es gab jedoch zahlreiche Menschen die den mehr oder weniger offenen Kampf gegen das neue Regime wählten. Eine Untergrundbewegung ent-stand!
Dieser gehörten auch Rowenna und ihre Tochter Jay an. Über sie versuchte Shana Erkundigungen über den Verbleib Tyrons einzuziehen.
Bedingt durch die zu überbrückende Entfernung bis zur Basis der Legion, Mandril getauft, dauerte es ungefähr drei Wo-chen bis durch die Kanäle der Untergrundbewegung die Nachricht weitergegeben wurde, daß Tyron lebte und in Mandril festgesetzt sei. Man hatte allerdings noch keinen direkten Kontakt zu ihm aufgenommen.
Shana drängte nunmehr darauf tiefer in die Organisations-struktur aufgenommen zu werden um mit Hilfe der Untergrundbe-wegung eine Befreiungsaktion für Tyron planen und durchführen zu können. Dies stieß jedoch auf wenig Gegenliebe. Man war noch immer nicht hundertprozentig davon überzeugt, daß Shana kein Agent der Legion war, der die Untergrundbewegung unterwandern sollte. So gewährte man ihr über die Kenntnis der Zelle, die sie durch den Kontakt zu Rowenna und Jay gewonnen hatte, keinen weiteren Einblick..
Auch durch Zufall konnte sie keine weiteren Einblicke gewinnen, da auch Rowenna und Jay, neben der dritten Mitglieds-person ihrer Zelle, einer Bäuerin eines benachbarten Gehöftes, nur jeweils eine weitere Kontaktperson außerhalb ihrer Zelle kannten.
Rowenna und Jay versprachen ihr jedoch, ihre Wünsche durch diese Kontakte bis zur Spitze der Bewegung durchzugeben.
Der Winter kam und ging. Es war sehr lange her, daß Shana das Wechselspiel der Jahreszeiten selbst erlebt hatte. Sie war ziemlich lange im Raum gewesen.
Irgendwie wurde sie durch das Wetter in ihre Kindheit zurückversetzt. Besonders der Frühling weckte längst verschollen geglaubte Erinnerungen in ihr.
***
Die Monate, die sie bislang auf dem Bauernhof verbracht hatte waren relativ ereignislos verlaufen. Sie hatte bei der täglichen Arbeit geholfen so gut sie konnte, was sich anfangs fast als zusätz-liche Belastung denn als echte Hilfe darstellte. Mittlerweile jedoch war sie zu einer fast unersetzbaren Arbeitskraft geworden. Die Arbeit als solche bereitete ihr auch Vergnügen. Vor allem die Ver-sorgung der Tiere in den Stallungen war sehr interessant vor dem Hintergrund, daß sich hier für Shana eine völlig fremde Fauna auftat.
Shana hielt sich wieder einmal im Stall auf als die Gleiter der Legion landeten. Durch das offene Stalltor konnte sie beobach-ten, wie die Soldaten aus den Schwebefahrzeugen sprangen und, nach allen Seiten mit ihren Strahlwaffen sichernd, das Gehöft be-setzten. Das Wohnhaus und die angrenzenden Wirtschaftsgebäude wurden gründlich durchsucht, Rowenna, Jay und Shana wurden im Wohnzimmer des Hauses eingesperrt.
Die drei starrten sich gegenseitig an. Der Sinn der Aktion war für sie nicht nachvollziehbar. Shana konnte nicht gemeint sein, wäre sie es gewesen, dann hätte die Durchsuchung des Gehöftes nicht mehr sein müssen. - Nein, der Grund mußte anderweitig zu suchen sein.
Die drei mußten nicht sonderlich lange warten. Ungefähr eine Dreiviertelstunde nachdem man sie eingesperrt hatte öffnete sich die Tür wieder. Ein Offizier der Legion und zwei weitere Sol-daten erschienen im Raum und winkten Rowenna wortlos heraus. In ihr Schicksal ergeben folgte diese den Männern.
“Verhör,” brummte Jay, die mit den Praktiken der Legion vertraut zu sein schien. “Vielleicht haben wir Glück und entgehen einer Vergewaltigung, es sind auch Frauen unter den Soldaten.”
Shana starrte sie entsetzt an. Die Möglichkeit einer Ver-gewaltigung war ihr bislang nicht in den Sinn gekommen. Sie sah sich wie ein gehetztes Tier um. Fluchtmöglichkeiten schien es nicht zu geben. Draußen vor den Fenstern standen Wachposten.
“Daran solltest du nicht mal denken,” flüsterte Jay leise. “Beim Fluchtversuch erschossen nennt man sowas. Denk lieber an die Geschichte die du ihnen über deine Herkunft erzählen mußt!”
Shana erinnerte sich. Bereits kurz nach ihrer Ankunft hat-ten sie sich eine Legende für Shana zurechtgelegt. Sollte sie einmal in die Zwangslage geraten Auskunft über sich erteilen zu müssen, so sollte sie sich als entfernte Cousine Rowennas ausgeben. Ir-gendwo im Süden aufgewachsen war sie nach dem Tod ihres Man-nes zu Rowenna und Jay gezogen um diesen bei der Bewirtschaf-tung des Hofes zu helfen.
Die Tür öffnete sich erneut, der Offizier, von zwei anderen Soldaten begleitet, winkte Jay zu. Von draußen konnte man plötz-lich Schreie einer Frau hören.
“Mutter,” Jay warf sich den Soldaten entgegen und ver-suchte an ihnen vorbei in den Korridor zu gelangen. Grinsend hiel-ten die Männer sie auf. Die Schreie Rowennas gingen in ein Win-seln über. Shana blickte verzweifelt aus dem Fenster. Die Wachposten standen vor dem geöffneten Scheunentor und starrten alle wie gebannt auf das sich für Shana nicht erkennbare, im Innern der Scheune abspielende Drama.
Völlig unerwartet zuckte plötzlich ein Energieblitz über den Hof hinweg. Einer der Soldaten klappte lautlos zusammen. Panik entstand unter den verbliebenen Soldaten. Sie versuchten Deckung auf der offenen Hofstatt zu finden, während weitere Ener-gieblitze grausam ihre Opfer unter ihnen fanden.
“Rebellen, also doch...” diese Worte hörte Shana noch aus dem Mund des Offiziers bevor dieser mit seinen Leuten nach drau-ßen stürmte. Er versuchte, offensichtlich verzweifelt, einen der auf dem Hof geparkten Gleiter zu erreichen. Ein irrsinniges Unterfan-gen, da über dem Hof ein mit Strahlwaffen gelegtes Sperrfeuer lag.
Kurze Zeit nach dem Beginn des Kampfes war dieser auch schon zu Ende. Über den Hof verstreut lagen tote und sterbende Soldaten der Legion. Shana mußte sich übergeben als sie aus der Tür des Wohnhauses nach draußen trat. Jay war sofort nach Been-digung der Schießerei zur Scheune hinübergelaufen. Nun kam sie mit einem irren Gesichtsausdruck wieder aus derselben heraus.
“Jay...” Shana wußte nicht was sie sagen sollte, ahnte sie doch was dieser Gesichtsausdruck zu bedeuten hatte.
“Mum...” weiter kam sie nicht, von den Hügeln, die das Gehöft umgaben schlichen die Angreifer, noch immer darauf be-dacht Deckung zu finden, auf sie zu. Shana hatte deren Existenz völlig vergessen. Für sie war lediglich wichtig gewesen, daß die Soldaten der Legion nun keine Bedrohung mehr für sie darstellten.
Die Angreifer waren mittlerweile herangekommen, es handelte sich um ungefähr zwanzig Personen jeglichen Alters und beiderlei Geschlechts. Gekleidet waren alle ähnlich wie Jay und Shana in bequeme, weite Hosen und Hemden, die aus Pflanzenfa-sern hergestellt wurden.
Ohne das es eines Kommandos bedurft hätte begannen die Rebellen mit der Durchsuchung des Gehöfts. Wahrscheinlich ver-muteten sie noch den einen oder anderen versteckten Soldaten dort. Jay und Shana wurden sofort in die Scheune abgedrängt, wohl um aus dem Schußfeld zu gelangen.
Vereinzelt waren in der Zeit darauf Entladungen von Strahlwaffen zu hören. Anscheinend hatten sich doch, unbemerkt von Shana und Jay, einige Soldaten im Gehöft verstecken können.
Jay starrte immer wieder zu einem verkohlten Leichnam hinüber, der etwas weiter hinten in der Scheune lag. Erst nach eini-ger Zeit wurde Shana klar, daß es sich hierbei um Jays Mutter han-deln mußte. Im Durcheinander während des Angriffs der Rebellen hatten die Soldaten wohl mangels eines anderen erreichbaren Fein-des ihre Wut und Angst an ihr ausgelassen.
“Es tut mir leid,” sagte plötzlich eine Stimme in die einge-tretene Stille hinein.
Shana drehte sich um, im offenen Scheunentor stand eine Frau in den mittleren Jahren. Ihr kurzgeschnittenes, braunes Haar war unter einer Schirmmütze fast vollständig versteckt. Trotz feh-lender Rangabzeichen oder anderer Äußerlichkeiten war Shana klar, daß es sich bei ihr wohl um die Anführerin des Rebellentrupps handelte.
“Es tut mir wirklich leid,” wiederholte sie nochmals. “Wir sind zu spät gekommen.”
“Ihr seid zu spät gekommen!” Jay schrie diese Worte förmlich heraus. “Tut doch nicht so scheinheilig. Euretwegen sind sie doch überhaupt erst hier aufgetaucht,” sie deutete auf die auf dem Hof liegenden toten Soldaten. “Wenn es euch nicht geben würde, dann würde Mum noch leben!”
“Jay, sie können doch nichts dafür,” Shana versuchte zu vermitteln. “Du selbst gehörst doch auch der Untergrundbewegung an, wie auch deine Mutter ihr angehört hat - aus gutem Grund. Auch wenn diese Leute hier nicht in der Gegend gewesen wären, wären die Terraner irgendwo anders über Höfe oder Dörfer herge-fallen und hätten ihren Terror verbreitet. Sicher, es hat uns hier getroffen, aber die Schuld kannst du nicht ihnen anlasten.”
“Aber Mum würde noch leben,” stellte Jay fest. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. “Ich muß sie begraben!”
Ich glaube das geht nicht,” bemerkte die immer noch im geöffneten Tor der Scheune stehende Frau. “Wir müssen so schnell wie möglich weg von hier. Sicherlich wird bald eine Patrouille nach denen da suchen.” Sie deutete mit einem Kopfnicken auf die im Hof liegenden Soldaten. “Wir werden uns noch schnell mit dem Nötigsten versorgen und dann mit den Gleitern da draußen ver-schwinden. - Ihr könnt mitkommen oder hierbleiben und sie beerdi-gen, wie ihr wollt. Hierbleiben würde ich euch allerdings nicht empfehlen.”
“Ihr wollt unseren Hof plündern? Dann seid ihr auch nicht viel besser als die Terraner!”
“Jay, sie haben keine andere Wahl. Außerdem hat sie recht. In kürzester Zeit werden weitere Soldaten hier auftauchen und den Hof dem Erdboden gleichmachen, das wirst du nicht ver-hindern können. Im Gegenteil, wenn du es versuchst wirst du so enden wie deine Mutter. - Ich denke es ist besser wenn wir mit ihnen gehen.” Shana versuchte die aufgebrachte Jay aus der Scheu-ne zu schieben.
“Aber Mum...”
“Für deine Mutter kann niemand mehr etwas tun, Jay. Komm jetzt, ich glaube die Beladung der Gleiter ist bald abge-schlossen.”
Während die Anführerin der Rebellen mit Shana und Jay gesprochen hatte, hatten ihre Leute die vorhandenen drei Gleiter mit allem brauchbaren und vor allem verstaubaren beladen. Nun sah man erwartungsvoll zu den beiden herüber. “Wir fliegen jetzt. Habt ihr euch entschieden?” Die Anführerin sprach zwar formell beide an, man konnte ihr aber anmerken, daß sie im Grunde ledig-lich Jay meinte, da Shana sich bereits entschieden hatte mitzukom-men.
Wortlos schob Shana das Mädchen auf die Gleiter zu, vorbei an drei verwundeten, gefangenen Soldaten, die man ent-waffnet, gefesselt und in eine Hofecke gelegt hatte, den einzigen Überlebenden auf Seiten der Soldaten.
“Was wird aus ihnen?” entfuhr es Shana.
“Wir lassen sie hier zurück, sollen sich ihre Leute doch um sie kümmern. Einsatzfähig sind sie wohl für einen längeren Zeit-raum nicht mehr, und was für uns viel wichtiger ist, wir haben den Terranern mal wieder eine große Schlappe beigefügt und ihre tech-nischen Ressourcen, die ihnen hier auf Mandril zur Verfügung stehen, geschmälert. Darüber hinaus haben wir auf absehbare Zeit ihre Kräfte in diesem Gebiet gebunden. Sie werden mit einem ma-ximalen Aufgebot an Mensch und Maschine nach uns suchen. So haben sie keine Zeit ihren eigentlichen Missionszweck zu erfüllen.”
“Aber die Gleiterspuren werden sie doch verfolgen können und uns somit relativ leicht aufspüren,” wandte Shana ein.
“Sicher, aber wir werden zahlreiche Zwischenlandungen machen und bei mehreren von ihnen werden Teile unserer Truppe aussteigen. Zum Schluß werden die Gleiter per Autopilot weit übers Meer geschickt, dort werden sie dann kreuzen bis die Energiequel-len versagen. So werden die Terraner auch die automatischen Bordaufzeichnungen über den Flugverlauf nicht auswerten können. Ich denke wir haben eine gute Chance davonzukommen. - So jetzt aber genug, ihr kommt mit mir,” die Anführerin gab das Signal zum Start. Shana und Jay nahmen zusammen mit ihr und weiteren vier Rebellen in einem der Gleiter platz.
“Mandril wird siegen, so oder so,” bemerkte der als Pilot eingeteilte Mann als der Gleiter vom Boden abhob.
“Subversiv,” Shana deutete auf den Piloten. “Ihr seid ein merkwürdiger Haufen, wenn ihr in euren eigenen Reihen so redet.”
Die Rebellen an Bord des Gleiters brachen in schallendes Gelächter aus. “Ihr befindet euch wohl recht weit am Ende der Informationskette, ansonsten hätte euch sicherlich bereits die Nach-richt erreicht, daß wir der Untergrundbewegung einen Namen ge-geben haben,” bemerkte die Anführerin amüsiert.
***
Tyron hatte schon oft erlebt, daß Mandril schlechte Laune hatte. Der heutige Tag jedoch zeigte den kleinen Mann in einer Stimmung die jeder Beschreibung trotzte.
In den letzten Monaten hatte sich zwischen dem uneinge-schränkten Herrscher auf diesem Planeten und seinem Gefangenen ein gewisses Vertrauensverhältnis gebildet. Mandril schätzte es sich mit ihm über Gott und die Welt zu unterhalten. Es hatte sich einge-spielt, daß Tyron ihn im Laufe des Vormittags aufsuchte um, wäh-rend des ersten ausgiebigen Eßgelages des Tages, mit ihm Schach oder Go zu spielen und dabei die neuesten Entwicklungen in der Politik der Föderation zu besprechen. Mandril erwies sich als scharfer Beobachter und kühler Taktiker, Eigenschaften die aller-dings stets mit einem aufbrausenden, ja cholerischen Temperament einhergingen.
Bereits auf dem Weg durch die Palastkorridore, die Tyron mittlerweile wie ein freier Mann durchschreiten durfte, bemerkte er die Spuren der schlechten Stimmung des Gebieters der Gebieter. - Mandril erfand fast täglich neue Titel für sich selbst.
Die Sklavinnen, eine andere Bezeichnung für die in seinen Diensten stehenden weiblichen Mitglieder der eingeborenen Bevöl-kerung gab es nicht, schienen ihr möglichstes zu versuchen nicht aufzufallen und sich, soweit dies nicht unabdingbar war, nicht Mandrils Gemächern zu nähern.
Tyron trat, die linke Hand zum Gruß mit der offenen Handfläche auf die Brust gelegt, in das Audienzzimmer Mandrils ein.
“Ah, Tyron, komm her, komm her,” Mandril stand, wie üblich in seine römische Toga gekleidet, an seinem großen aus Marmor gefertigten Schreibtisch. In der einen Hand einige große Zettel Papier haltend, winkte er mit der anderen Hand den An-kömmling zu sich. “Hier sieh her, das haben sich diese Terroristen als neueste Schandtat ausgedacht...,” er warf Tyron einen der Zettel zu.
Tyron hob den Zettel, der nicht weit von Mandrils Schreibtisch zur Erde gefallen war, auf und las ihn aufmerksam durch. “Der übliche Bekennerbrief, Sire. Die Terroristen überneh-men die Verantwortung für den überfall auf eine der Legionspa-trouillen...”
“Dummkopf,” schrie der Herrscher, inzwischen krebsrot im Gesicht. “Der Name der Terrorgruppe, sieht denn das keiner?”
“Mandril...,” Tyron las den unter dem Bekennerbrief ste-henden Namen langsam.
“Ja, sie schmücken sich mit meinem Namen, und was noch schlimmer ist, sie machen es publik beim Volk. Ich höre sie schon lauthals schreien: Mandril für Mandril! - Was soll ich tun, Tyron? Sie haben alles zu einer Farce gemacht, ich kann doch den Gebrauch meines Namens nicht verbieten! Sie machen mich lächer-lich.” Tränen rannen von seinen Augen über die aufgeplusterten Wangen. “Ich muß gegensteuern, hart durchgreifen, das ist klar. Wo ist mein Stab?”
Die herbeigerufenen Offiziere waren in kürzester Zeit zur Stelle. Auch ihnen war der als Flugblatt verteilte Bekennerbrief bereits bekannt. Sie hatten aus diesem Grunde wohl bereits mit einer Einberufung des Stabes gerechnet.
Außer Capitan Sanchez gehörten dem Stab noch zehn weitere Offiziere beiderlei Geschlechts an. Tyron hatte eigentlich erwartet aus dem Zimmer gewiesen zu werden, wie es ansonsten bei Besprechungen dieser Art üblich war. In diesem Falle jedoch schien Mandril seine Anwesenheit völlig vergessen zu haben.
Wie üblich hielt Mandril seine mit Haßtiraden gespickten Reden. Die übrigen Offiziere hörten still zu und gaben lediglich manchmal, wenn Mandril dies erwartete, beifälliges Gemurmel von sich.
Es lief wieder auf die üblichen Maßnahmen nach einem durchgeführten Terrorakt hinaus. Aus allen Teilen der Bevölkerung sollten wahllos Personen festgenommen und verhört werden. Mandril wollte auf diese Weise neue Informationen über die Unter-grundbewegung erhalten.
Nachdem der Herrscher so seine Anweisungen gegeben hatte, gab er seinen Offizieren zu verstehen, daß er sich nunmehr wieder den wichtigen Dingen seines Lebens, der Schaffung unver-gänglicher Kunstwerke widmen wolle - schließlich harrten einige Bilder noch immer nach Vollendung durch den Meister.
Tyron verstand es sich unauffällig mit den Offizieren des Stabes in den Flur hinaus zu schleichen. Mandril war so tief in die Vorbereitungen zu seiner Malerei versunken, daß er um sich herum alles vergaß.
Auf dem Korridor setzte ein Gemurmel unter den Offizie-ren ein, welches mit größerer Entfernung zu Mandrils Gemächern immer lauter wurde. Ein jüngerer Offizier, Tyron konnte die Dienstgradabzeichen nicht erkennen, erinnerte sich jedoch, daß er Marone hieß, machte gerade eine Bemerkung über Mandrils wohl nicht mehr ernst zu nehmenden Geisteszustand.
“Was wollen sie damit sagen, Leutnant?” Capitan Sanchez schaltete sich ein. “Ist ihnen klar, daß sie mit solchen Äußerungen Zersetzung der Truppenmoral betreiben?”
Der junge Mann beeilte sich den erweckten Eindruck zu entkräften. “Nein, nein, ich meinte nur, daß nicht alle Anweisungen ungefiltert an die Truppe weitergegeben werden sollten. Die einfa-chen Soldaten könnten sie mißverstehen...”
“Ah ja, Leutnant.” Capitan Sanchez verhielt ihren Schritt ein wenig und blieb so mit dem jungen Offizier ein wenig hinter der Gruppe der anderen Offiziere zurück. “Ich denke wir sollten uns mal eingehender unterhalten. - Sie sind erst seit etwa einem Monat hier auf Mandril, nicht wahr?” Marone nickte schweigend. “Ok, sagen wir gegen Mittag in meinem Büro, sie wissen wo das ist?”
Der Offizier, nicht so recht wissend was er von der Sache halten sollte, nickte schwach und entfernte sich schnellen Schrittes. Zurück blieb Capitan Sanchez und Tyron, der den Vorfall aufmerk-sam beobachtet hatte.
“Du gehst große Risiken ein, Alanna,” bemerkte er dem Leutnant nachblickend.
“Nicht hier, Tyron, nicht hier. Komm wir gehen in mein Büro.” Dort angekommen ließ sich die Adjutantin Mandrils auf ihren Stuhl hinter ihrem schweren Holzschreibtisch fallen. “Ich gehe also große Risiken ein, ja? Und was machst du? Meinst du etwa Mandril wäre nicht informiert über deine Beziehung zu sei-nem Model? Ich würde eher dir raten etwas mehr Vorsicht walten zu lassen.”
Tyron war schockiert. Ja, er hatte sich des öfteren mit Lobena getroffen. Anfangs lediglich um ihr über die schweren Stunden, die sie als Mandrils Vorlage für sein Kunstwerk zu verbringen hatte hinweg zu helfen, später dann... “Woher weißt du davon?” fragte er die Offizierin.
“Ty, das pfeifen die Spatzen bereits von den Dächern! Es würde mich nicht verwundern, wenn Mandril ein weiteres Meister-werk in Angriff nehmen würde, mit dir und ihr als Hauptpersonen. Romeo und Julia vielleicht. Du solltest wirklich besser aufpassen! - Aber zurück zu Marone, ich glaube er könnte zu uns passen. Ich beobachte ihn bereits seit seiner Ankunft hier, er steht nicht hinter der Sache. Stand ihr wahrscheinlich bereits auf Terra zweifelnd gegenüber und hier, nun ja, für einen normal denkenden Menschen sollte es hier eigentlich selbstverständlich sein in Opposition zu Mandril zu treten.”
“Alanna, wie viel Unterstützung hast du mittlerweile in der Truppe?”
“Ungefähr zehn Prozent der Soldaten dürften sich uns anschließen wenn es hart auf hart kommt. Darüber hinaus bin ich mir der Unterstützung zweier Offiziere des Stabes sicher. Welche das sind verrate ich dir nicht, aus Sicherheitsgründen, du verstehst? Du würdest sie bei der kleinsten Folter ausplaudern und wir können leider nicht sicher sein, daß Mandril dich nicht eines schönen Tages doch noch auseinandernehmen läßt.”
“Die Unterstützung reicht wohl noch nicht um ihn zu stür-zen, nicht wahr?” Tyrons Stimme klang verzweifelt.
“Nein, dazu sind es zu wenig. Zumal ständig neue Solda-ten von Terra kommen um uns hier zu unterstützen. Eigentlich ein geschickter Schachzug. Die hier in Dienst gepreßten Soldaten schickt man zur Ausbildung nach Hause und von dort kommen die Leute hierher um das Soldatenhandwerk zu lernen.”
“Was ist mit Shana?” Tyron konnte die Frage nicht länger zurückhalten, sie brannte ihm schon seit Tagen auf der Zunge, er hatte jedoch keine Gelegenheit gefunden mit Alanna unter vier Augen zu sprechen. Er hatte vor zwei Wochen endlich genug Ver-trauen zu Capitan Sanchez fassen können und ihr die ganze Ge-schichte erzählt. Sie hatte versprochen zu versuchen Shana zu fin-den.
“Shana, ich dachte du wärst inzwischen an Lobena interes-siert?” zog ihn die Offizierin auf. Als sie jedoch seinen gequälten Gesichtsausdruck sah fuhr sie fort. “Na ja, das mußt du mit dir selbst ausmachen. Leider habe ich aber keine guten Neuigkeiten für dich. Die Patrouillen, die ich in das Gebiet der Absturzstelle ge-schickt habe, haben zwar eine alte Fußspur entdeckt, diese aber nicht weit verfolgen können. Tut mir leid, Ty, entweder sie irrt noch immer in der Wildnis da draußen herum oder...” Sie ließ das Ende offen. “Außerdem ist es auch für mich sehr schwer Patrouillen mit einem so klaren Suchauftrag loszuschicken ohne das Mandril etwas davon bemerkt. Ich glaube ich kann in diesem Punkt nicht mehr für dich tun.”
Tyrons Stimmung war recht gedrückt, als er das Zimmer der Adjutantin verließ. Der Tag hatte mit einer schlechten Laune Mandrils angefangen und wie so oft an solchen Tagen folgte eine Hiobsbotschaft der nächsten, so als ob Mandril selbst mit seinem Gemütszustand darauf Einfluß nahm. Tyron wollte sich am liebsten wieder in sein Bett verkriechen, das konnte er sich jedoch nicht so ohne weiteres leisten, Mandril würde sicherlich bald, seiner Malerei überdrüssig, nach ihm rufen.
V
Revolution
Die Struktur der Organisation Mandril, wie sich die Untergrundbe-wegung nun bereits seit langem nannte, überraschte Shana immer wieder. Nirgendwo existierte ein großes Lager oder gar eine Armee der Rebellen. Trotzdem konnten immer wieder kurzfristig größere Mengen von kampfbereiten Menschen zusammengezogen werden um, mit wie aus Geisterhand organisierten Waffen und Gerätschaf-ten, exakt an den Punkten zuzuschlagen, an denen die Legion es nicht erwartete und an denen es erheblichen Schaden anrichtete.
Darüber hinaus war eine, für den Erfolg der Rebellen nicht unterzubewertende, psychologische Kriegsführung installiert wor-den. Wichtigstes Element dieses Feldzuges war die Namensgebung der Untergrundbewegung. Mandril für Mandril, schrien die mobili-sierten Massen, während sie mit Transparenten in den Händen durch die Hauptstadt zogen.
Der Herrscher, wohl wissend, daß nicht er gemeint war, konnte nichts unternehmen ohne den Grundsatz der Verhältnismä-ßigkeit der Mittel zu verletzen. Seine Soldaten ließen sich bereits bei solchen Demonstrationen nicht mehr auf der Straße sehen, man fürchtete allein durch ihre Anwesenheit die Situation derart eskalie-ren zu lassen, daß ein Flächenbrand den ganzen Planeten erfaßt hätte.
Eine solche Bewegung hätte die Legion zwar, wenn auch nur unter äußerster Anstrengung, niederschlagen können, die Fol-gen wären jedoch verheerend gewesen. Terra hätte eine solche Inanspruchnahme von technischen und menschlichen Ressourcen niemals akzeptiert, und was noch viel wichtiger für Mandrils Ent-scheidung war nicht zu offensiv gegen das Volk vorzugehen, war, daß er später noch ein Volk haben wollte, welches ihn als Planeten-herrscher anerkannte. Nach einer Niederschlagung eines so offenen Aufstandes aber, wäre es kaum zu erwarten gewesen, daß auch nur nennenswerte Teile der Bevölkerung dies überleben würden.
So ließ er Demonstrationen zu und tat in der Öffentlichkeit so, als ob er nicht bemerken würde, daß sie gar nicht im positiven Sinne auf ihn gemünzt waren. Sein Militärapparat jedoch arbeitete auf Hochtouren. Man versuchte durch relativ willkürliche Festnah-men Informationen über die Führer der Untergrundbewegung zu erlangen. Dies war jedoch nur von zweifelhaftem Erfolg gekrönt und führte zudem dazu, daß weitere, bis dato noch unentschlossene Menschen sich der Bewegung anschlossen. Geheimdienstberichten zufolge war die Bevölkerung bereits zu rund dreißig Prozent mit Rebellen durchsetzt.
***
“Wann schlagen wir endlich los? Wir können doch nicht ewig zu-sehen, wie Mandril unterdrückt und ausgebeutet wird,” es war nicht das erste Mal, daß Shana die Geduld verlor und sich ihrem Unmut über die Unentschlossenheit der Führung der Organisation Luft machte. “Ich meine, je länger wir warten desto schwächer werden wir und desto fester sitzt Mandril mit seinen Schergen auf dem Thron.”
Der mit ihr in einer kleinen Taverne in der Hauptstadt zusammensitzende Mann nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife und lehnte sich behaglich in seinem Stuhl zurück. “Ich muß dir widersprechen, Shana. Je länger wir warten, desto mehr Zulauf haben wir...”
“Und desto mehr Truppen läßt Mandril von Terra einflie-gen, er hat unerschöpfliche Ressourcen, unsere gelegentlichen Ü-berfälle auf die eine oder andere Patrouille sind nicht mehr als ein Mückenstich für ihn, zwar unangenehm aber nicht lebensbedroh-lich. - Wir müssen endlich etwas Handfestes unternehmen, Shom! Die Revolution muß beginnen.” Sie knallte ihr, mit einer alkoholi-schen Flüssigkeit gefülltes Glas mit voller Wucht auf die Tischplat-te. Andere Gäste sahen sich nach ihr um.
“Hey, nicht so laut, Shana. du weißt die Schergen sind überall!” Er blickte beschwichtigend in die Runde und nach und nach verloren die anderen Gäste das Interesse an den beiden. “Hast du mal darüber nachgedacht was passiert wenn wir Mandril wirk-lich stürzen sollten? - Nein, nicht wahr? Dann ist beileibe nicht eitel Sonnenschein. Alle zwei bis drei Monate kommt ein Schiff von Terra hierher. Stell dir mal vor was passiert wenn wir siegreich waren und dann plötzlich so ein Raumer im Orbit erscheint. Wir wären ihm hilflos ausgeliefert! - Nein, so können wir nicht vorge-hen. Wir müssen einen anderen Weg finden, welchen das weiß ich allerdings im Moment auch nicht.”
“Man könnte zumindest als freier Mensch sterben,” warf Shana ein.
“Das ist falsches Heldentum, Shana. Und das weißt du genausogut wie ich. Lieber tot als unterdrückt? Ein toller Spruch. - Früher hast du anders geredet. Ich erinnere mich daran, daß du oft unentschlossene Bauern mit feurigen Reden angestachelt hast der Lethargie des Alltags zu entrinnen und endlich Farbe zu bekennen. Es gibt immer einen Weg alle Schwierigkeiten zu überwinden, man muß sich ihnen nur stellen und nicht vor ihnen davonlaufen. Das waren so ziemlich deine Worte. Nun ich denke offensichtlicher Selbstmord ist so etwas ähnliches wie davonlaufen, findest du nicht?”
Shana fühlte sich nicht besonders wohl in ihrer Haut. Sie mochte es nicht so vorgeführt zu werden. “Zumindest könnten wir endlich mal versuchen Tyron aus den Klauen des Ungeheuers zu befreien. Schon vor drei Jahren, kurz nach meiner Ankunft hier auf Mandril habe ich versucht in der Organisation Unterstützung für diesen Plan zu gewinnen...”
“Und damals sagte man dir, daß es unmöglich sei jeman-den aus Mandrils Hauptquartier herauszuholen ohne Unterstützung von Innen!” Shom zog noch einmal tief an seiner Pfeife bevor er weitersprach. “Heute jedoch sieht diese Sachlage anders aus, wir haben jemand im Palast, in engster Nähe Mandrils installiert! - Es wird nicht mehr lange dauern, Shana, dann wird Tyron wieder frei sein.”
Shana starrte ihn ungläubig an. “Warum erfahre ich das erst jetzt? Ich hätte doch...” Sie wurde von ihrem Gegenüber un-sanft unterbrochen.
“Du bist emotional zu tief in diesem Fall engagiert, das hätte zu Problemen führen können. Glaub mir, es ist besser so, wenn du nicht alle Einzelheiten kennst. Sobald er frei ist, werden wir ein Treffen für euch arrangieren. Allerdings wirst du sicher verstehen, daß wir zuerst mit ihm längere Zeit arbeiten müssen, er kennt so viele Details aus Mandrils nächster Nähe, er ist sehr wich-tig für unsere Bewegung.”
Shana griff nach ihrem Glas und leerte es in einem Zug. Das waren Neuigkeiten, die sie erst einmal verdauen mußte.
***
Es war Aufregung in den Palastkorridoren zu spüren. Überall zeigte sich geschäftiges Treiben. Tyron hatte bereits mehrfach versucht zu Capitan Sanchez vorgelassen zu werden, war aber bereits am Vor-zimmer des Vorzimmers gescheitert.
Auch Mandril selbst war, entgegen aller üblichen Gepflo-genheiten, nicht mit der Verwirklichung seiner Kunstwerke be-schäftigt. Er befand sich in der Nachrichtenzentrale, welche in direkter Verbindung mit den beiden sich zur Zeit im Orbit befindli-chen Raumschiffen stand.
Irgend etwas wesentliches ging vor, Tyron konnte zu sei-nem Leidwesen aber nicht ermitteln was das war. Frustriert machte er sich auf den Rückweg zu seinen Gemächern. Dort angekommen wußte er nicht so recht was er weiter tun sollte. Hier schien alles so seltsam ruhig zu sein.
Sollten die Rebellen einen starken Schlag gegen die Solda-ten der Legion führen? Mandril hatte in letzter Zeit oft derartige Besorgnisse ihm gegenüber geäußert.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ Tyron von seiner Liege aufschrecken, er eilte zur Tür in der Erwartung Alanna dort vorzu-finden. Seine Enttäuschung war groß, als er statt ihrer eine junge Mandrilanerin in der Uniform der Reinigungskräfte in seine Gemä-cher einließ.
Ohne ihn eines Blickes zu würdigen schloß die junge Frau die Tür hinter sich und begann sofort damit das Zimmer mit ihren Augen abzusuchen. “Sind sie allein?” fragte sie schnell.
“Ja,” entgegnete der Angesprochene verblüfft. “Ist der Putzfrau etwas zugestoßen? Sie waren doch für diese Woche hier nicht eingeteilt und...”
“Wir haben den Dienst getauscht, aber das tut jetzt nichts zur Sache,” fuhr sie ihm über den Mund. “Wir haben nicht viel Zeit. - Ich soll ihnen schöne Grüße von Shana übermitteln,” sie ließ ihre letzten Worte erst einmal in Ruhe auf Tyron einwirken.
“Shana, sie lebt?” Tyron konnte die Neuigkeit nicht fas-sen. “Kommen sie doch, setzen sie sich. Sie müssen mir erzählen...”
“Keine Zeit, ich darf kein Risiko eingehen. Für diese Zimmer hier darf ich maximal fünf Minuten Zeit aufwenden. Zu kurz für lange Erklärungen. Nur so viel, wir arbeiten an einem Plan sie hier herauszuholen.” Tyron machte Anstalten etwas zu sagen. “Nein, lassen sie mich ausreden! Sie haben doch gute Kontakte zu Capitan Sanchez und auch Mandril selbst würde ihnen so manchen Wunsch erfüllen, wie man sagt. Fordern sie mich doch als Konku-bine an, dann haben wir die Möglichkeit länger in unverfänglicher Weise miteinander zu sprechen. Mein Name ist Jay, ich arbeite in Kolonne...” Jay wurde von der sich öffnenden Tür und der herein-stürmenden Adjutantin Mandrils unterbrochen.
“Tyron, wir müssen...,” sie unterbrach sich selbst als sie die Mandrilanerin sah. “Du hast Besuch, wie ich sehe,” sie schloß die Tür hinter sich und begutachtete die Putzfrau genau. “Eine neue Gespielin wie, Tyron? Ich frage mich ob ich mich in dir nicht doch getäuscht habe, du scheinst das Leben an Mandrils Seite so langsam zu genießen...”
“Alanna, du verkennst die Situation, das ist keine Gespie-lin, sie gehört der Widerstands...,” weiter kam er nicht. Jay hatte ein Messer aus ihrem Ärmel gerissen und stürzte sich mit dem Schrei “Verräter” auf den Lippen auf ihn. Trotz des Überraschungseffek-tes konnte Alanna das Schlimmste verhindern, mit einem gezielten Fußtritt entwand sie der Angreiferin das Messer und schleuderte es quer durch den Raum.
Jay, ihrer Waffe beraubt, versuchte den durch die Wucht des Aufpralls ihres Körpers gegen den seinen zu Boden gegangenen Tyron zu erwürgen. Ihre langen Finger gruben sich in seinen Hals, ihr Gesicht war haßerfüllt.
Alanna zog ihre Strahlwaffe und feuerte kurze, schwach dosierte Feuerstöße auf die Angreiferin, bis deren Bewegungen erschlafften. Dann zog sie sie von Tyron weg. Nach Luft röchelnd wälzte sich dieser auf der Erde.
“Ich denke du bist mir eine Erklärung schuldig,” bemerkte die Adjutantin während sie dem immer noch nach Luft schnappen-den Tyron auf die Beine half.
“Ist sie, ist sie...?”
“Ich hoffe nicht, aber Rücksicht konnte ich nicht nehmen, ansonsten hättest du keine Chance mehr gehabt. Sie wollte dir den Kehlkopf brechen. Warum Tyron? Was war hier los?”
“Ein schreckliches Mißverständnis, wir müssen ihr helfen! Sie gehört zur Untergrundbewegung, Shana hat sie geschickt.”
“Oh verdammt, ich glaube da ist wirklich so einiges schief gelaufen. Komm hilf mir, wir legen sie auf dein Bett.”
Jay war, wie sich nach kurzer Untersuchung herausstellte lediglich bewußtlos. Die Energiestöße aus Alannas Waffe hatten ihr nichtsdestotrotz stark zugesetzt, ihre Atmung ging nur stoßweise und setzte zeitweise sogar ganz aus.
“Ein Arzt, Alanna, wir müssen einen Arzt holen!” Tyron war verzweifelt. “Wir können doch nicht zulassen, daß sie stirbt, sie ist doch fast noch ein Kind!”
“So etwas zählt in diesem Krieg nicht, wie du weißt, Ty. - Ich muß sehen was ich tun kann, aber es wird nicht einfach.” Sie unterbrach sich und starrte eine Zeitlang wie gebannt aus dem Fens-ter. “Ty, ich weiß nicht wie ich es sagen soll - Terra hat ernst ge-macht!”
Tyron blickte sie nichts verstehend an. “Was meinst du damit?” fragte er.
“Die Föderation, sie liegt in Schutt und Asche! Schiffe der Legion haben zahlreiche Planeten mit vorwiegender oder aus-schließlicher nichtmenschlicher Bevölkerung zu Schlacke ver-brannt. In der Galaxis tobt Krieg! Terra hat zum heiligen Krieg aufgerufen. - Tyron, das wovon alle geglaubt haben, daß es niemals passieren würde ist geschehen.
Mandril befindet sich schon den ganzen Tag in der Nach-richtenzentrale, er wartet auf Anweisungen. Tyron, ich weiß nicht was ich tun soll...” Alanna, die ansonsten immer sehr selbstsicher und unerschütterbar wirkende Frau, schien mit ihrer Kraft am Ende zu sein.
Tyron konnte zuerst überhaupt nicht aufnehmen was ihm da an Neuigkeiten zugetragen worden war. Sicherlich, er war von der Erde geflohen weil sich eine entsprechende Geisteshaltung immer mehr breit machte, aber Theorie und Praxis waren wie im-mer zwei verschiedene Paar Schuhe.
Was hatte Alanna gesagt? Mehrere Planeten, die von Nichtmenschen bewohnt waren, seien zu Schlackehaufen im All verbrannt worden! Sie hatten wohl überhaupt keine Chance zur Gegenwehr gehabt.
“Alanna, wir müssen etwas unternehmen...”
“Und was bitte schön willst du unternehmen? Da draußen im All rasen bis an die Zähne bewaffnete Raumflotten der Periphe-rie der Föderation entgegen. Nichts konnte sie bislang aufhalten. Jeder Widerstand war zwecklos. Terras Legion hat einfach alles überrannt was sich ihr in den Weg stellte. Niemand, nicht einmal Eingeweihte wie Mandril, scheint gewußt zu haben wieviel Kriegs-potential Terra wirklich aufgebaut hat! Tyron, ich glaube die Men-schen sind nicht mehr zu stoppen!”
“Oh nein, Alanna. Man darf den Kopf niemals in den Sand stecken. Terra kann nicht siegen, auch wenn es im Augenblick so aussehen mag. Dazu existieren zu viele andere Föderationswelten, die sich gegen Terra erheben werden - und auch wir hier werden das tun. Machen wir den Anfang, werfen wir Terra aus Mandril heraus!” Tyron hatte sich in Eifer geredet, ohne daß es ihm selbst aufgefallen war. Alanna hingegen sah die Sachlage nicht ganz so pathetisch.
“Ty, viele Föderationswelten werden versuchen sich neut-ral zu verhalten. Sie werden darauf spekulieren sich aus dem Krieg heraushalten zu können - und damit wird der Generalstab auf Terra sicherlich rechnen. Die Erde hat eine gute Chance aus diesem Wahnsinn als Herrscherin der Galaxis hervorzugehen.”
“Trotzdem hat Tyron recht,” krächzte eine arg in Mitlei-denschaft gezogene Stimme aus Richtung des Nachbarzimmers. Tyron und Alanna stürzten so schnell es ging wieder zu Jay zurück, die sie im Nebenzimmer auf das Bett gelegt hatten. Sie sah furcht-bar aus. Der Energieschock hatte ihre Glieder komplett gelähmt. Nur mit Mühe schien sie ihren Mund öffnen zu können.
“Sie kommt wieder zu sich, es scheint, daß die Strahlwaf-fenentladung doch nicht so intensiv war wie wir angenommen ha-ben,” bemerkte Alanna. “Es tut mir leid, Mädchen, aber das mußte sein. Du hättest ihn sonst umgebracht.”
“Jay, sie heißt Jay, Alanna,” warf Tyron ein.
“Du hast Kontakt zur Widerstandsbewegung, Jay?” fragte Alanna weiter.
Mühsam krächzte Jay ihre Antwort heraus. “Ja, Mandril hat mich hier eingeschleust. Ich...”
“Halt,” unterbrach Tyron das begonnene Gespräch. “Das grenzt ja an Folter was wir hier tun. Ich denke wir sollten erst mal einen Arzt...”
“Ty, hast du vergessen was ich vorhin sagte? Wie sollten wir den Vorfall hier geheimhalten? - Nein, ich habe mir etwas an-deres überlegt. In den Notrationen der Soldaten, die immer vor einem Gefecht oder einer Strafexpedition verteilt werden befinden sich verschiedene Medikamente, die unter anderem auch bei leich-ten Strahlwaffenschockzuständen Anwendung finden sollen. Ich werde versuchen an so eine Notration heranzukommen. Ich denke, sie wird hier ihren Zweck bestens erfüllen.”
Einige Stunden später ging es Jay bereits wieder etwas besser. Die Lähmung der Gliedmaßen ließ langsam nach. Aufstehen konnte sie zwar noch nicht, ihre Arme und ihren Kopf konnte sie jedoch wieder bewegen.
Alanna versuchte in den nächsten Tagen so oft wie mög-lich bei Tyron und Jay vorbeizuschauen. Dies gestaltete sich jedoch als äußerst schwierig, da sie stark von Mandril beansprucht wurde. Terra hatte den Befehl gegeben möglichst viele menschliche Res-sourcen von Mandril, wie auch von einigen anderen wiederentdeck-ten Kolonien, zu einem kleinen unbekannten Planeten am Rande der Peripherie zu verschiffen. Es schien, daß sich dort die entschei-dende Schlacht um die Vorherrschaft in der Galaxis abspielen wür-de. Mandrils Stab arbeitete auf Hochtouren um die logistischen Probleme, die eine solche Massenrekrutierung mit sich brachte, zu lösen.
Im Orbit um Mandril warteten zwei, bereits mit Material und Waffen beladene Truppentransporter auf die rekrutierten Sol-daten.
Nachdem Jay sich mehrere Tage nicht mit ihren Kontakt-personen in Verbindung gesetzt hatte, versuchten diese ihrerseits ein Lebenszeichen von ihr zu erhalten. Über eine Küchenhilfe nahm man erneut Kontakt zu Tyron auf. Jay, die damit gerechnet hatte, schaltete sich sofort ein und gab die Neuigkeit über die Entwick-lung in der Galaxis weiter. Innerhalb kurzer Zeit kam eine Nach-richt zurück, die Jays Gesundung geradezu gespenstisch vorantrieb, Mandril rüstete zur Revolution. Die Führung der Rebellenbewe-gung hatte sich dazu durchgerungen jetzt alles auf eine Karte zu setzen. Terras Einfluß hier auf Mandril sollte ein für alle mal been-det werden. Man schätzte den Zeitpunkt als günstig ein, da Terras Kräfte sicherlich andernorts stark gebunden waren. Darüber hinaus war man mehr als überrascht davon zu hören, daß sich auch inner-halb der Legion eine Widerstandsbewegung formiert hatte.
Die Zusammenarbeit der beiden Gruppen gestaltete sich äußerst schwierig. Auf beiden Seiten waren große Ressentiments gegenüber der jeweiligen anderen Seite vorhanden. Für die einen bestand die Legion nur aus Schlächtern und Vergewaltigern für die anderen war die Untergrundbewegung eine Gruppe von Mördern, die ohne irgendwelche Rücksichtnahme aus dem Hinterhalt jedwe-de Patrouille bedrohte.
Der Tag X näherte sich. Der Aufstand sollte vor der ge-planten Verfrachtung der rekrutierten Bevölkerungsteile auf die beiden Raumschiffe der Legion liegen. Alanna sollte mit Teilen der zur Rebellion bereiten Soldaten die zwei Raumschiffe erobern, der Untergrundbewegung oblag es, unter Mithilfe weiterer Legionäre, Mandrils Palast und weitere wichtige Stellungen der Legion auf dem Planeten einzunehmen, sowie Mandril selbst festzusetzen.
Der Plan als solcher relativ einfach barg viele Lücken und Tücken. Für Tyron, der notgedrungen als Übermittler der Nachrich-ten eingesetzt werden mußte, war es schwierig akzeptieren zu müs-sen, daß er zwar in der Planungsphase gebraucht wurde aber später in der aktiven Phase keinen Einsatz finden sollte.
“Einen Geschichtsprofessor können wir bei dieser Revolu-tion nicht gebrauchen,” Alannas Worte schwirrten ihm immer wie-der im Ohr herum. “Später, wenn alles vorbei ist, dann werden wir dich sicher brauchen. Wir werden dann vor der großen Aufgabe stehen hier auf Mandril Versöhnung zwischen unseren doch allzu unterschiedlichen Gruppen zu erreichen. Als Vermittler können wir da auf dich und Shana nicht verzichten. - Ich hoffe sie hat einen ebensolchen Einfluß auf die Rebellen wie du auf mich. Wenn du nicht gewesen wärst, ich hätte niemals dieser Allianz zugestimmt und auch jetzt bin ich noch äußerst skeptisch.” Das waren ihre Worte gewesen, bevor sie sich auf den Weg zu dem wartenden Shuttle machte um zu den Raumschiffen im Orbit zu fliegen. Tyron blieb untätig in seinem Quartier zurück.
***
“Capitan Sanchez, was verschafft mir die Ehre sie hier auf der Excalibur begrüßen zu dürfen?” Der Kommandant des Truppen-transporters begrüßte Alanna persönlich im Shuttlehangar. Damit hatte man in der Planungsphase nicht gerechnet. Vielmehr war man davon ausgegangen, daß die Raumschiffe recht schnell durch Über-nahme des Maschinenenraums und Abtrennung der Energieversor-gung aller wichtigen Teile, vor allem der Ambientenkontrollen in die Hände der Rebellen fallen konnten.
Und nun dies, der Kommandant grinste unverschämt über sein ganzes Gesicht. “Sie brauchen nicht zu antworten, Capitan. Ich weiß es bereits. - Bitte händigen sie mir ihre Waffen aus.” Rund um das Shuttle standen Soldaten, die, wie Alanna erst jetzt bemerkte, ihre Strahlwaffen im Anschlag hielten.
“Was soll das Solon?” fuhr sie den Kommandanten des Schiffes harsch an. “Mit welchem Recht...”
“Mit dem Recht, das ich gegen jeden Meuterer in An-spruch nehmen kann und werde,” brüllte er sie nieder. “Nehmt sie fest, alle.” Der letzte Satz war an seine Soldaten gerichtet. Alanna und die sie begleitenden Legionäre wurden ohne Gegenwehr inhaf-tiert. Eine Chance zur Gegenwehr hatten sie ohnehin nicht gehabt. Sie hatten darauf vertraut unter dem Deckmantel der Truppenzuge-hörigkeit unbehelligt auf das Schiff gelassen zu werden und demzu-folge die Waffen nicht schußbereit in den Händen gehabt.
“Bringt sie zur Brücke,” bellte Kommandant Solon noch seinen Untergebenen zu und deutete dabei auf Capitan Sanchez während sich bereits die Türen des Turboliftes hinter ihm schlos-sen.
Kurze Zeit später konnte auch Alanna die Brücke betreten, in Handschellen, eskortiert von zwei bis an die Zähne bewaffneten Legionären der Sicherheitsabteilung des Schiffes.
Die Brücke entpuppte sich, wie bei Schiffen dieser Bauart üblich, als relativ kleiner Raum mit nur fünf Mann Besatzung. Truppentransporter hatten keinerlei umfangreichen Sensoren-, Waffen- oder gar Schutzschildsysteme welche mehr Elektronik erfordert hätten, erinnerte sich Alanna. Lediglich einfache Systeme waren hier vorhanden. Auffallend war jedoch, daß alle Konsolen besetzt waren, das Schiff schien sich im Alarmzustand zu befinden.
“Woher wußten sie...,” Alanna kam nicht weiter mit ihrer Frage.
“Woher wir wußten?” Der Kommandant schüttelte sich vor Lachen. “Sie sollten doch am besten das System von Spionage und Gegenspionage innerhalb der Legion kennen. Mandril hatte wohl bereits seit langem den Verdacht, daß sie an seiner Entthro-nung arbeiteten. Er persönlich hat uns davon in Kenntnis gesetzt, daß sie auf dem Weg zu uns sind. - Mensch Alanna, ich hätte sie für klüger gehalten. Sicher, Mandril ist paranoid, aber wenn sie schon nach der Macht streben, dann sollten sie sich vorher der Unterstüt-zung der wichtigen Offiziere versichern!”
Daher wehte also der Wind, es schien so als ob nicht die Revolution aufgedeckt worden sei, sondern lediglich, bedingt durch Mandrils mißtrauisches Wesen, Alannas Aktivitäten als Versuch auf seinen Thron Anspruch zu erheben umgedeutet worden waren. Aber dies bedeutete, daß weder Mandril noch Kommandant Solon von dem wahren Ausmaß der Revolution eine Ahnung hatten, dach-te sie bei sich. Die Revolution konnte noch immer zum Erfolg füh-ren, sie mußte lediglich einen Weg finden dieses Raumschiff hier kampfunfähig zu machen.
“Kommandant, eine Meldung von der Roscommon, Sire. Über den visuellen Kanal.” der Kommunikationsoffizier blickte den Kommandanten fragend an.
“Auf den Schirm,” bellte dieser.
Der große Panoramaschirm, der bislang den Planeten Mandril und den ihn umgebenden Raum gezeigt hatte schaltete auf eine Innenansicht der Brücke des Truppentransporters Roscommon um. Ein junger Offizier hatte im Kommandosessel platz genommen.
“Marone, was machen sie da?” Die Verblüffung stand Kommandant Solon im Gesicht geschrieben. Bevor der Angespro-chene antworten konnte warf sich Alanna gegen ihre beiden Bewa-cher und stürzte sich in den Aufnahmefocus der Bildübertragungs-optik.
“Schilde hoch, Leutnant. Machen sie uns kampfunfähig! Hier ist einiges schief...” weiter kam sie nicht mehr, ihre Bewacher hatten sie mit Strahlwaffenschüssen ausgeschaltet.
Die kurze Nachricht hatte jedoch genügt. Marone handelte schnell. Sekundenbruchteile nach dem Vorfall wurde die Excalibur von Strahlwaffenschüssen durchgeschüttelt. Die relativ schwachen Schilde waren überhaupt nicht aufgebaut worden. Die ersten Schüs-se trafen die Reaktor- und Antriebssektion. Danach wurde die Waf-fenbestückung selbst unter Beschuß genommen. Kommandant Solon wurde binnen Sekunden zum Kommandanten über ein ma-növrierunfähiges und waffenloses Schiff.
Auf der von Rauch und Qualm durchsetzten Brücke der Excalibur meldete der Kommunikationsoffizier ein eingehendes Komsignal.
“Auf den Schirm,” war die fassungslose Reaktion des Kommandanten.
“Solon, ich nehme ihre Kapitulation an, erwarten sie unser Prisenkommando,” Leutnant Marone stand vor dem Kommando-stuhl seiner Brücke direkt hinter der Waffenkontrollkonsole. “Un-sere Waffen sind auf sie gerichtet, sie haben keine Chance.”
Solon faßte sich wieder. “Wir haben Geiseln, Meuterer. Sie werden wohl kaum...”
“Und sie sollten sich überlegen was sie da sagen, Solon. Sie haben keine Chance uns zu entgehen. Überlegen sie sich die Sache in Ruhe, ich habe im Moment andere Aufgaben. - Und,” fügte er hinzu, “ich würde an ihrer Stelle die Geiseln gut behandeln, das über sie und ihresgleichen zu fällende Urteil wird sicherlich auch maßgeblich davon abhängen.” Der Bildschirm schaltete nun wieder auf die Ansicht des Planeten Mandril um. Im Vordergrund rechts konnte man auch die Roscommon ausmachen, welche nun-mehr ihre Waffen auf den Planeten ausrichtete. Kurze Zeit später wurden zwei kurze Feuerstöße auf den Planeten abgegeben.
“Sire, die Kommunikationszentrale Mandrils übermittelt gerade an die Roscommon die bedingungslose Kapitulation,” der Komoffizier der Excalibur starrte beängstigt seinen Kommandanten an.
Dieser sank völlig fassungslos in seinem Kommandosessel zusammen. “Kapitulation, bedingungslos, der ganze Planet, alle Garnisonen?” stammelte er. “Wie kann das so schnell gehen?” Er blickte zu der reglos auf dem Boden liegenden Alanna hinüber. “Das hätte ich ihr niemals zugetraut, warum hat sie mich nicht eingeweiht, wir hätten Terra gewiß besser zusammen dienen kön-nen.”
***
Ganz Mandril feierte ekstatisch. Alle Straßen und Plätze waren geschmückt. Die offizielle Feier fand im großen Audienzsaal Mandrils statt. Zugegen waren die gewählten Vertreter aus allen Provinzen, die vor ungefähr einer Woche in einer langen ersten Sitzung des neugegründeten planetenweiten Volksvertretungsfo-rums die Parameter für die Behandlung der inhaftierten Legionäre gelegt hatten, sowie einige andere Personen, die maßgeblich am Erfolg der Revolution beteiligt gewesen waren.
“Eine umstrittene Entscheidung,” kommentierte Shana die vor kurzem bekanntgegebene Resolution bezüglich der gefangenen Legionäre. “Es wird starken Protest aus dem Volk geben!”
“So ist die Demokratie nun mal, Shana. Man kann es nicht jedem recht machen,” antwortete Tyron auf die unterschwellig vorhandene Frage Shanas nach seiner Meinung. “Ich persönlich erachte es als äußerst positiven Einstieg, daß man die Verbannung auf den unbewohnten Kontinent auf der anderen Planetenhalbkugel für alle Straftäter gewählt hat. Sie können dort versuchen sich selbst eine Gesellschaft aufzubauen, mit den einfachsten Mitteln.”
“Was machen wir wenn uns diese Gesellschaft dann aber nicht paßt?” mischt sich Jay ein.
“Dann müssen wir uns damit auseinandersetzen, aber ich denke das hat noch Zeit. Vorerst sollten wir unseren Erfolg genie-ßen und gebührend feiern.” Tyron wußte, daß diese Antwort sicher-lich nicht alle Teile der Bevölkerung befriedigen würde, er hoffte aber, daß sich die Mehrheit ihr anschließen würde. “Wo ist eigent-lich Alanna?” fragte er, nicht zuletzt um auf ein anderes Thema zu sprechen zu kommen.
“Dort drüben,” Shana deutete mit ihrer rechten Hand zu einer Gruppe etwas abseits stehender Menschen. Mitten unter ihnen konnte man eine Gestalt in einem Rollstuhl ausmachen. “Sie debat-tieren sicherlich wieder darüber, ob Mandril selbst unter den Op-fern des Strahlwaffenbeschusses aus dem All war oder ob er ent-kommen konnte, für manche ist der Krieg halt nie zu Ende.”
Tyron mußte an die vielen Toten denken, unter ihnen auch völlig unbeteiligte wie Lobena, die beim Beschuß des Palastes ums Leben gekommen waren. “Du bist ungerecht, Shana. Alanna ist unzweifelhaft eine derjenigen, die am meisten unter den Folgen der Unterdrückung zu leiden haben, sie wird wahrscheinlich nie mehr laufen können. Ihre für die Beinmotorik wichtigen Nervenstränge sind irreversibel zerstört worden.”
“Sicherlich ist sie schlechter bei dem Strahlwaffenbeschuß weggekommen als ich,” mischte sich Jay ein. “Trotzdem hat sie ihr Leben behalten - viele andere sind da schlimmer dran.” Wie meine Mutter, fügte sie in Gedanken hinzu.
“Ich denke wir sollten versuchen nach vorne zu blicken und nicht ständig zurück. Unser Planet hat Meineserachtens gute Chancen einen Weg in die Föderation zu finden, jetzt wo Terras Streitkräfte endlich endgültig geschlagen wurden.” Die Nachricht über die Niederlage Terras irgendwo bei einem kleinen unbedeu-tenden Planeten draußen an der Peripherie, war vor ein paar Tagen von den Subraumkomanlagen der Roscommon aufgefangen wor-den. “Wir müssen lediglich die Föderationregierung davon über-zeugen, daß wir nicht die Machenschafften Terras unterstützt, son-dern sie bekämpft haben - obwohl wir Menschen sind.” Tyron griff nach seinem Glas. “Was haltet ihr eigentlich von der Namenswahl für unseren Planeten?” Er blickte fragend in die Runde.
“Es war irgendwie vorprogrammiert,” kommentierte Jay. “Die Untergrundbewegung hieß so, der Revolutionsplan hatte den entsprechenden Decknamen, was lag da näher als dem Planeten diesen Namen zu verpassen?” Sie hielt kurz inne bevor sie bemerk-te: “An dieser zufälligen Namensgleichheit mit anderen Dingen wird man sich wohl kaum stoßen, oder?”
Tyron und Shana grinsten. “Irgendwo hast du recht, auf einen anderen Namen konnte man sich ja wohl auch nicht einigen,” Shana wandte sich an Tyron. “Ty, du hast vorhin von einem neuen Anfang gesprochen, wie meintest du das?”
Tyron sah sie lange an und ließ die Vergangenheit noch-mals Revue passieren bevor er antwortete. “Wenn du willst können wir es versuchen, Shana. Ich bin bereit dazu.” Die Zeit würde zei-gen wie sich alles entwickeln würde.