Manipulationen
„…und das misslungenste Experiment ist der Mensch. Geleitet von Missgunst, Habgier und Überheblichkeit, trachtet er nach Unterdrückung der ihn umgebenden Spezies.
Ob sich der Schöpfer darüber klar war, dass er mit instrumentalisierten Charaktereigenschaften Mord und Totschlag zum Alltag machen würde, wage ich zu bezweifeln.
Genau deshalb sind wir hier, um zu erlernen, wie man dem begegnet.
Aber auch unter uns, denen die rechtschaffen sein wollen, gibt es immer einen Judas. Das sind die göttlichen Experimente!“, schloss der Professor die Vorlesung.
Aus zunächst ungläubigem Staunen entwickelten sich bald Streitgespräche unter den Kriminalistik-Studenten. „Und wer ist der Judas?“, tönte es aus der Masse, bevor der Professor die Türklinke runterdrücken konnte.
Ein Lächeln legte sich auf das Gesicht des Professors, und er schaute durch die Reihen, während alle Augen auf ihn gerichtet waren.
„Sie, ja Sie, in dem karierten Hemd. Wie heißen Sie?“, fragte er den Studenten.
„Matthias Gerber, Herr Professor!“, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
„Silentium.“ Der Professor wartete bis man eine Stecknadel hätte fallen hören.
„Meine Damen und Herren, darf ich Ihnen meinen Mörder vorstellen: Matthias Gerber!“ Er hinterließ nur schweigende, irritierte Studenten.
Der Professor rieb sich die Hände, als er in seinen Mercedes stieg. Er konnte mehrere Haken hinter gelungene Experimente machen.
‚Durchtrieben, berechnend und eiskalt‘ Die letzten Seiten seines in dreißig Tagen erscheinenden Buches, nahmen jetzt reale Formen an. Nun galt es, das allerletzte Kapitel ebenfalls in der Realität mit dem Höhepunkt auszustatten.
„Durchleuchten einer Person, deren Gewohnheiten und Charakterzüge feststellen, Fingerabdrücke auf einer Waffe sichern“, hatte er dem Privatdetektiv als Auftrag für seine Recherche mit auf den Weg gegeben. Schon nach der dritten Vorlesung hatte er sich auf Matthias Gerber als Mörder festgelegt, weil dessen bäuerliche Kleidung vom Rest der Studenten abstach. Und heute hatte er ihm ein Fehdehandschuh vor die Füße geworfen.
Professor Heinzel fuhr zu der arbeitslosen Freundin von Matthias Gerber, die dieser vergötterte.
‚Jeder Mensch hat seinen Preis‘, diese Theorie wollte er jetzt bestätigt sehen.
„Frau Pauli, ich biete Ihnen drei Wochen Urlaub auf Gran Canaria an, wenn Sie mir bei einem Experiment helfen“, dabei wedelte er mit dem Umschlag eines Reisebüros.
„Wenn Sie mir noch tausend Euro Taschengeld drauflegen, bin ich zu jeder Schandtat bereit!“, feilschte Ina Pauli in ihrem Kleinmädchendenken.
„Abgemacht!“, schlug Heinzel ein.
„Sie werden jetzt sofort packen, Ihr Flieger geht in vier Stunden. Ich bringe Sie zum Flughafen, dort werden Sie noch ein Telefonat nach meiner Vorgabe führen und mir dann ihr Handy geben. Während des Urlaubs dürfen Sie mit niemandem hier in der Heimat Kontakt halten. Das sind meine Bedingungen!“, dabei zog er zur Untermauerung ein Päckchen Fünfziger aus der Innentasche seines Sakkos.
Am Flughafen lief alles wie geplant. Ina rief Matthias an und heulte in ihr Handy: „Dein Professor Heinzel hat mich vergewaltigt. Ich kann damit nicht leben!“, dann legte sie auf ohne Matthias zu Wort kommen zu lassen und überreichte dem Professor ihr Handy.
Etwa zweihundertfünfzig Anrufversuche und SMS bei Ina, oder drei Tage später, tauchte Matthias vor dem Haus des Professors auf und betrat das Anwesen.
Die Haustür öffnete sich mittels elektrischen Türöffners.
Kaum im Haus, vernahm Matthias einen Schuss. Panisch lief er in das Wohnzimmer, und da saß der Professor im Sessel, erschossen.
Matthias saß in Untersuchungshaft, die Beweislage war erdrückend. Polizisten hatten die Mordwaffe mit seinen Fingerabdrücken im Handschuhfach seines Polos gefunden. Das Handy tat ein Übriges.
Erst mit dem Erscheinen des Buches erlangte Matthias die Freiheit wieder. Detailliert beschrieb der Professor wie er bei seinem Selbstmord wegen eines Krebsleidens von dem Privatdetektiv unterstützt wurde, der die Tatwaffe in Matthias Polo platziert hatte.
Die Tantiemen des Buches erhielt Matthias als Entschädigung.