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Mannstoll
„Am Ende ist jeder doch jedem im Weg, nur nicht sich selbst!“, flüsterte Jason. Er war den Tränen nah. Er blickte misstrauisch zur Seite, räusperte sich und war bereit für die Rede, aber Friedhöfe machten ihn nun mal nervös. Er hatte die Sätze oft in seinen Gedanken geübt, aber noch nie laut ausgesprochen. Um Zeit zu gewinnen, zog er die Nase hoch und kratze sich vorsichtig am penibel rasiertem Bart. Mit der Zungenspitze feuchtete er die Oberlippe an, noch ein tiefer Atemzug und los! Die Worte verließen jedoch nur gedrückt seinen Mund. „Kalte Stimmbäder“, nannte Jasons Mutter dieses Phänomen.
„Du warst alles, was ich immer sein wollte. Hast das Leben geführt, von dem ich immer geträumt habe. Mir in tausend Nächten vorgestellt habe, es selbst zu führen.“ Er musste schlucken.
„Wie du weißt, haben wir uns in der letzten Zeit leider nicht mehr so oft gesehen und auch die Anrufe an den Feiertagen wurden immer weniger, die Telefonate sogar kürzer. Trotdem hast du uns zu Weihnachten immer eine Karte geschickt, in dieser wundervollen Handschrift. Ich habe sie alle aufgehoben, ehrlich! Einge von ihnen kann ich sogar auswendig, so oft wie ich sie gelesen habe. Und wie du anfangs deine Ehe geführt hattest, war einfach nur aufopfernd. Selbstverständlich blieb auch dir nicht verborgen, dass ich deiner Frau allmählich mehr Aufmerksamkeit schenkte als es normal war, obwohl du es warst, der mich zum Essen nach Hause eingeladen hatte. Und selbst als du uns erwischt hattest und das Verhältnis nicht mehr versteckt werden musste, wurde ich noch freundlich von dir auf der Straße gegrüßt. Nie eine Spur von Wut oder Zorn in deinem Gesicht, nie hat man dich Fluchen gehört. Du hast nie getrunken, ja nicht mal geraucht. Vor allem kein schlechtes Wort über jemanden verloren.“ Jason musste die Augen schließen, denn es fiel ihm nicht leicht, anderen gegenüber seine Meinung zu äußern.
„Die haben sich bei jeder Gelegenheit das Maul über dich zerissen! Das wusstest du, oder? Sie haben sich gefragt, warum du so ein elender Feigling warst. Warum du mir nie die Stirn geboten hast. Nicht einmal, als deine Kinder anfingen mich Papa zu nennen. Oder weißt du noch, als ich statt deiner bevördert wurde, da hast du mir sogar noch mit einem ehrlichen Lächeln gratuliert. Oh diese warmen, sanften Hände. Auch hast du es mir nie übel genommen, dass ich dich ein halbes Jahr später entlassen habe. Mensch Tommy, sie haben mir sogar deinen Wagen gegeben!“ Fast hätte er ein bisschen gelacht, doch er wusste, dass was jetzt kam, war mehr als schmerzende Wahrheit.
„Ich liebte deine innere Stärke so sehr, dass ich sie einfach zerstören musste, denn anders hätte ich es nicht mehr ausgehalten!“ Die letzten Worte unterstrich er mit heiserer Verachtung: „Zusätzlich diese warme, wohltuende Aura, die dich immer umgab. Warum durftest du neuen Lebensmut schöpfen, ich aber nicht aufhören an dich zu denken?
Als die Ärzte letztendlich bei dir den Tumor diagnostizierten, hattest du immer noch das Talent, von Anderen die Trauer zu nehmen und hast sogar deinen Bauspahrvertrag auf Helen überschrieben. Bestimmt wegen der Kinder.
Nun bist du tot. Mit anfang Vierzig aus dem Leben getreten. Das war es gewesen. Ich wette, du hast bis zum Ende an ein Happy End geglaubt, die Hoffnung gewahrt. Und nun ist kein einziger Motherfucker an deinem Grab, bis auf mich!“
Jason warf die Blumen mit einer lässigen Handbewegung auf den stumpfen, kalten Grabstein. Die wenigen Blühten waren verkümmert und teilweise abgestorben, was aber zum restlichen Gesamtbild des Friedhofs passte. Helen und die Drecksblagen waren Gott sei Dank schon lange aus der Stadt! Nun hatte er Tom für sich ganz alleine und niemand würde mehr lästige Fragen stellen. Er stieg in seinen BMW und fuhr in Richtung Schwulenstrich. Er war mies drauf, Paplo wird viel hergeben müssen, wenn er die 20 Dollar haben wollte. Er griff in seine Jackentasche, wo er den Flachmann und die Zigaretten spührte, stellte das Radio lauter und gab Gas.