Was ist neu

Manuel

Seniors
Beitritt
22.10.2004
Beiträge
819
Zuletzt bearbeitet:

Manuel

„Ich verstehe das nicht“, sagte Manuel ratlos. „Wir sind doch immer gut miteinander zurecht gekommen. Hast du an meiner Arbeitsweise irgendetwas auszusetzen?“
„Na ja …“ Erwin zögerte. Er hatte schon seit einer Weile gewusst, dass dieses Gespräch notwendig sein würde, und ihm mit einiger Beunruhigung entgegen gesehen. Es war nicht leicht, mit Manuel zu diskutieren. Meistens zog Erwin den Kürzeren. Aber diesmal stand sein Entschluss fest.
„Weißt du, du machst deine Sache schon gut“, sagte er schließlich. „Aber du übertreibst es ein bisschen.“
„Ich übertreibe?“ Andere Leute hätten empört nach Luft geschnappt, Manuel hingegen breitete mit einer heftigen Bewegung seine Flügel aus. Der eine brachte die Deckenlampe zum Pendeln, der andere warf Erwins Yuccapalme um. Fast erschrocken faltete Manuel seine Flügel wieder zusammen. „Ich übertreibe?“, wiederholte er ein bisschen ruhiger. „Ich bitte dich, ich tue doch nur meine Arbeit!“
„Ja, und das ist ja auch sehr schön“, entgegnete Erwin gequält. „Trotzdem. Deine dauernde Anwesenheit macht mich ein bisschen nervös.“
„Andere Leute wären froh über einen so aufmerksamen Schutzengel“, hielt Manuel ihm entgegen und verschränkte die Arme. „Ich hab Kollegen, wo es ganz anders läuft. Dieser Flugzeugabsturz letzte Woche zum Beispiel. Wenn Samuel und seine Freunde auf ihren Kegelabend verzichtet hätten, wären da bestimmt weniger Leute ums Leben gekommen. Das ist ein Fall von grober Fahrlässigkeit und du solltest dich glücklich schätzen, dass ich …“
„Ja, aber weißt du, zuviel Fürsorglichkeit ist auch nicht gut.“ Erwin wies auf seinen Knöchel. „Weißt du, warum der geschwollen ist?“
Manuel rückte verlegen seinen Heiligenschein zurecht.
„Du bist auf der Treppe gestolpert. Was mir sehr leid tut, denn ich habe extra alle Stufen überprüft –“
„Ich weiß. Deswegen bin ich auch über dich gestolpert.“
„Aber wenigstens nicht über eine lockere –“
„Hör auf, Manuel. Das ist ja nicht das einzige Beispiel. Letzte Woche an der Ampel –“
„Du wolltest bei Rot gehen!“, verteidigte sich Manuel. „Ich habe dich nur von der Fahrbahn gezogen.“
„Und zwar auf den Radweg, danke sehr. Jetzt weiß ich auch, was es heißt, sich gerädert zu fühlen.“
„Aber du bist wenigstens von keinem LKW überrollt worden.“
„Das wäre nun auch nicht mehr viel unangenehmer gewesen“, brummte Erwin und erinnerte sich an den Aufprall des Vorderrades zwischen seinen Beinen, was ihn zu seinem nächsten Punkt brachte.
„Und was war das bitte schön für eine Aktion, als du Marlene aus meinem Bett gezerrt hast?“
„Was das war? Du hattest kein Kondom, Erwin! Jedes Kind weiß doch -“
„Mag sein, aber ein wirklich guter Schutzengel hätte mir eins besorgt und nicht meine Freundin auf den Fußboden geworfen!“
„Ich weiß doch nicht, wie man diese komischen Automaten bedient“, sagte Manuel hilflos und warf einen Blick auf die sanft weiterpendelnde Deckenlampe. „Und außerdem ist Marlene doch gar nicht deine Freundin.“
„Nein. Jetzt nicht mehr.“
Einen Moment herrschte betroffenes Schweigen. Manuel zupfte eine Feder aus seinem linken Flügel und drehte sie gedankenverloren zwischen seinen Fingern.
„Trotzdem“, setzte er schließlich an. „Das ist doch kein Grund für eine Kündigung. Ich meine es doch nur gut. Ich könnte mich bessern. Es gibt auch Fortbildungsseminare. Ich kann ja mal mit Gabriel reden …“
„Vergiss es, Manuel“, unterbrach ihn Erwin. „Es ist vorbei. Ich möchte unser Dienstverhältnis zum nächstmöglichen Termin auflösen.“
Manuel betrachtete das zerknautschte Etwas, das eben noch eine Feder gewesen war, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
„Oh nein, bitte“, sagte Erwin verlegen.
„Das kann nicht dein Ernst sein“, schluchzte Manuel und schnipste die Knautschfeder über Erwins Schreibtisch. „Du bist doch gar nichts ohne mich. Und weißt du eigentlich, was mit entlassenen Schutzengeln passiert?“
„Ach, du findest sicher bald einen neuen Schützling.“
„Nein! Der Chef wird mich als ungeeignet einstufen. Wahrscheinlich kriege ich zur Strafe diesen dämlichen Wachposten vor dieser Gartentür, wo ich den ganzen Tag so ein dummes Schwert halten muss, und ich habe doch eine Metallallergie!“
Er fuhr sich mit seinem weiten Ärmel über die Nase und fuhr fort: „Oder ich muss eine Umschulung machen und werde ins Orchester eingewiesen, dabei kriege ich doch immer Schluckauf beim Posaunespielen, oder sie degradieren mich zum weihnachtlichen Wunschzetteleinsammler, oder vielleicht …“ Er schluchzte immer heftiger, und Erwin reichte ihm ein Taschentuch.
„Danke“, murmelte Manuel. „Auf alle Fälle ist Schutzengel mein Traumberuf. Meine Arbeit macht mich glücklich. Du kannst mich doch nicht vor die Tür setzen.“
„Es tut mir Leid, Manuel, aber an meiner Entscheidung ist nichts zu rütteln. Ich habe beschlossen, dass ich mit eurem ganzen Verein nichts mehr zu tun haben will.“
„Wie meinst du das?“
„Ich mache auch eine Art Umschulung. Ich werde jetzt Atheist.“
„Aber Erwin!“
Manuels Augen waren jetzt kullerrund und erschrocken. „Wie kannst du denn so was beschließen?“
Erwin warf einen kurzen Blick auf seinen Knöchel. „Ich denke, es wird mir ganz gut gehen.“
„Aber so wirst du niemals ins Himmelreich kommen!“
„Eure Eintrittspreise sind mir eh zu happig. Als Atheist kann ich sonntags wenigstens ausschlafen.“
„Du solltest noch mal darüber nachdenken“, murmelte Manuel. „In unser beider Interesse.“
„Es gibt nichts nachzudenken. Wenn du jetzt bitte gehen würdest?“
„Vielleicht quetschen sie mich auch einfach auf eins dieser Buntglasfenster. Das kannst du nicht zulassen, Erwin!“
Mit unbewegter Miene wies Erwin zum Fenster. Manuel seufzte ein letztes Mal, kletterte aufs Fensterbrett und breitete seine Flügel aus.
„Leb wohl, Erwin!“, sagte er traurig und flog davon.
Erwin ließ sich erleichtert in seinen Drehstuhl sinken. Endlich. Er war frei und unbeobachtet. Sein Leben würde ab heute entscheidend ruhiger und schmerzloser verlaufen. Er lehnte sich zurück und schloss entspannt die Augen.
Die Deckenlampe über ihm schaukelte noch immer.
Bis sie sich löste und Erwin erschlug.

 

:rotfl:

Hallo Malinche,

erst einmal muss ich dir zu deiner Geschichte gratulieren. Ich habe mich köstlich amüsiert.

Einziger Kritilpunkt war das Ende, das für mich ein wenig überraschend war. Könntest du vielleicht nicht das eine oder andere Mal nochmal die Lampe ins Gespräch kommen. Zum Beispiel, das der eine der Beiden in etwa in der Mitte des Geschichte auffällt, dass die Lampe sich hin- und herbewegt oder der Engel nochmal darankommt.

Ansonsten hab ich nichts zu bemängeln - wirklich gute Geschichte!

cu_christoph

 

Hallo Christoph,
puh, da fällt mir aber ein Stein vom Herzen ... ich hatte eigentlich sogar Bedenken, die Geschichte zu posten. Aber allein schon für deinen :rotfl:-Smiley hat es sich gelohnt.
:) Danke!
Ich habe die Lampe in der Mitte nochmal eingebaut, hoffentlich bessert das die Sache. Aber ganz vorwegnehmen wollte ich das Ende halt auch noch nicht.
Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

Hallo Malinche,

muss mich Christoph da anschließen. Schöne Geschichte, schönes Ende! Nichts zu meckern... und das von mir :sad:

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo Malinche,

wirklich nett, das Ende naja..., aber sonst ein Volltreffer die Geschichte!

LG
W Urach

 

Wow, danke euch allen! Auch wenn es mir immer etwas unheimlich ist, wenn vita nix zu meckern hat :lol: Offenbar hält mein persönlicher Schutzengel seine Hand über diese Geschichte ...
liebe Grüße
ciao
Malinche

 

Dem würde ich aber dann mal nicht kündigen:)!Vielleicht noch einen zweiten einstellen?!

 

Hallo Malinche,

Ich kann mich meine Vorgängern nicht wirklich anschließen.
An manchen Stellen musste ich zwar schmunzeln, aber Lachkrämpfe hat die Geschichte bei mir nicht ausgelöst. Vielleicht hätte ich die Kommentare nicht vorher lesen sollen. Die haben meine Erwartungshaltung hinsichtlich des Humors gewaltig angehoben.
Das Ende war mir zu makaber. Aber das ist Ansichtssache...

Gruß,
131aine

 

Hallo Malinche!

:D :D Grosses Lob an deine Dialoge, die sind echt toll!
Das Ende kam für mich auch überraschend, aber genau das hat mir am meisten gefallen! Nicht, dass ich zynisch bin, aber ein bisschen Sarkasmus muss schon sein. Sonst wäre dein Schutzengel zu niedlich gewesen!
Aber hättest du das Ende nicht ausführlicher schildern können? Ich fand es ein wenig zu knapp.

Liebe Grüsse
sirwen

 

Hi Malinche,,

hehe, hat mir einfach gefallen, der arme Engel, wo er doch eine Metallallergie hat.... :D

Tja, meckern kann ich nicht... deine Geschichte hat mir einen ansonsten schnöden Uni-Mittag versüßt.

Liebe Grüße,

Ronja

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Blaine, sirwen, Felsenkatze,
danke erstmal für eure Kommentare! :)
Blaine: ich habe sie ehrlich gesagt auch nicht in der Erwartung auf große Lachkrämpfe reingestellt. Wenn du zwischendurch schmunzeln konntest, bin ich damit schon vollauf zufrieden. Es sollte halt auch mal was für "zwischendurch" sein. Das Ende ... ja, es ist makaber, aber im Prinzip konsequent.
sirwen: "ein bisschen Sarkasmus muss schon sein ..." - das Ende ist offenbar wirklich Ansichtssache. Schön, dass du es passend findest. Es ausführlicher machen? Ich glaube, das wäre nicht so gut. Eine Deckenlampe fällt nun mal schnell runter. ;)
Ronja: auch nix zu meckern? Langsam glaube ich wirklich an den persönlichen Geschichtenschutzengel. Ich freue mich, dass Manuel und Erwin (möge er in Frieden ruhen) deinen tristen Uni-Alltag aufgemuntert haben.
Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

Hi

jetzt hat mein PC die Antwort geschluckt *grml

also nochmal: Schöne Geschichte, wirklich sehr gut, außer das Ende hat mich nicht sehr überzeugt. Vielleicht fällt dir da noch was ein? Aber sonst wirklich lustig und unterhaltsam :lol:

LG Stoni

 

Hallo Stoni,
schön, dass es dir gefallen hat! :D
Ja, das Ende ... die Geschichte gehört in die Tradition einiger meiner Texte, die von meinen Freunden als "Ätsch!-Texte" bezeichnet werden. Weil sie am Ende so eine Art 'Ätsch' haben. In diesem Fall in Form einer Deckenlampe. Ich weiß nicht wirklich, wie ich es 'gut' ändern könnte. Aber vielleicht fällt mir ja noch was ein.
Danke fürs Lesen,
liebe Grüße
ciao
Malinche

 

Hi Malinche,

kein Spanien und nichts was in diese Richtung deutet ;) Aber das ist völlig egal, denn hier hast du ein Prachtexemplar einer Kurzgeschichte abgeliefert. Sie ist witzig und besitzt dabei sogar eine gewisse Tiefe. Damit meine ich, dass sich hinter dem vordergründigen Humor tatsächlich ein Diskussionspotential verbirgt.
Ich hab mich auf jeden Fall köstlich amüsiert und Manuel in mein Herz geschlossen. Ist doch ein lieber Engel, der gute...

Viele Liebe Grüße...
morti

 

Hallo morti!
Prachtexemplar? Ähem, jetzt bräuchte ich einen errötenden Smiley. Danke sehr! Freut mich, dass es dir gefallen hat. Und Manuel freut sich natürlich auch und fragt an, ob er nächstens bei dir anfangen dürfte ... Teilzeitjob oder so ... ;)
liebe Grüße
ciao
Malinche

 

Sanyasala,

mir hat deine Geschichte gut gefallen, doch konnte ich mir das Ende denken, als er kündigen wollte. Ich hätte aber nie gedacht, das eine einfache Lampe das schaffen kann. Ich hätte gedacht sie wären in einem Wohnzimmer (wegen der Palme)?
Am Beginn dachte ich aber eher an einen Drachen, frag mich nicht warum *g, doch hat mir die Idee mit dem Schutzengel sehr gefallen. Ich mochte ihn sehr und deswegen besaß er für mich viel Tiefe, das finde ich immer wichtig.
Wie macht man eine Umschulung um Atheist zu werden? *g
Ich mochte die Geschichte und ich habe geschmunzelt.

LG
Sola Lan

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sola Lan,
schön, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Mh, ich hatte beim Schreiben eine Art Arbeitszimmer vor Augen, wo Erwin an seinem Schreibtisch sitzt und sich auch eine Palme hingestellt hat, damit es etwas grüner ist. Ich glaube, dass auch eine normale Lampe das schaffen kann, wenn sie einen an der richtigen Stelle trifft.
Dass Manuel für dich Tiefe besessen hat, ist so mit das größte Lob, das du mir für diese Geschichte aussprechen kannst ... danke sehr! :)
An einer Umschulung interessiert? Ich würde Erwin normalerweise fragen, aber leider ist er ja tot ...
Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom