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Maries kleines Geheimnis
Er betrat vor ihr das Restaurant, fragte den Kellner nach der Tischreservierung, und forderte sie mit einer einladenden Geste auf, Platz zu nehmen. Sicher hatte seine Sekretärin den Tisch bestellt und auch die Blumen für sie gekauft. Heiner hatte sich nicht einmal die Zeit genommen sich umzuziehen, ihm haftete noch der Geruch nach Geschäftsabschlüssen und Büroschweiß an. Marie betrachtete den Mann, den sie vor vielen Jahren die Treue versprochen hatte. Er hatte sich rein äußerlich kaum verändert. Aber seelisch hatten sie sich doch sehr weit voneinander entfernt. Der Kellner kam und fragte nach ihren Wünschen. Marie wechselte einen kurzen Blick mit ihm, sie erkannte einen spöttischen Zug um seine Mundwinkel. Heiner gab die Bestellung in einer Art auf, die sie an im hasste. Er schaute die Bedienung nicht an, sprach undeutlich und hatte es nicht einmal für notwendig erachtet, sie nach ihren Wünschen zu fragen. Er ging wohl davon aus, dass er schon wusste, was sie wollte. So war es die vielen Jahre gegangen, und sie hatte es sich gefallen lassen. Kinder hatte er immer verabscheut, was sollte er auch mit so kleinen und unberechenbaren Wesen anfangen? Heiner brauchte sein planbares, geradliniges Leben. Die scheinbar sicheren Gefühle von ihr, die schöne Regelmäßigkeit der Urlaubsreisen an immer dem gleichen Ort, die sonntäglichen Besuche bei seiner Mutter, für diese Überschaubarkeit war er bereit gewesen, hart zu arbeiten. Er war auf der Karriereleiter steil nach oben geklettert, hatte sich nicht geschont, und konnte ihr nun jeglichen materiellen Wohlstand bieten. Vor der Ehe hatte sie Jura studiert und ein gutes Examen abgelegt. Aber ihre Berufstätigkeit kam für Heiner nach der Eheschließung natürlich nicht in Frage. Sie sollte sich ganz auf die Unterstützung ihres Ehemannes konzentrieren.
Inzwischen wurde der Salat gebracht. Heiner sah sie an und sagte: „Ich freue mich auf unseren gemeinsamen Abend. Ich werde die Zeit mit dir genießen.“ Marie strich sich unter dem Tisch über ihren Bauch, spürte die kleine Rundung und lächelte belustigt in sich hinein. Was würde er wohl dazu sagen? Laut sagte sie: „Ich auch!“ Sie würde ihm noch etwas Zeit lassen.
Marie betrachtete die Hände des Kellners, der die Teller und das Besteck zusammen räumte. Sie wusste wie liebevoll und zärtlich diese Hände sein konnten. Sie zwang sich, den Besitzer dieser Hände nicht noch einmal anzuschauen.