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Marktmansch
Marktmantsch
„Hallo, wie geht’s? Alles klar? Tolles neues Auto hast du da!“, schnaufte Fred, kaum dass er sich vom Sattel des Bikes geschwungen hatte.
„1060 PS, ein Andrücken, bei dem einem schwindlig wird. Die Frontpartie hab ich ausgetauscht gegen die des Vorgängermodells. Ästhetischer“, antwortete Josef und drückte seinem besten Freund die Hand.
Sie setzten sich an ihren Tisch, mit Blick über den sauberen Marktplatz, der Brunnen frei von marodierenden Jugendlichen, eine Wohltat. Zwei hübsche junge Mädchen, keine zwanzig, kühlten ihre nackten Füße im Becken.
Fred zwinkerte. „Nett, oder?“
Josef verzog den Mund. „Die eine müsste eine Diät machen. Tolles Rad hast du da. Carbonrahmen?“
Fred richtete sich auf. „Nein, der Rahmen ist eine einzige Solarzelle und gleichzeitig der Akku. Dazu ABS und ein E-Motor mit wirklich Druck. Die Lackierung habe ich selbst entworfen. Möchtest du meine Kilometerleistung pro Woche und meinen durchschnittlichen Ruhepuls sehen?“
Josef nickte. „Nein.“ Er schwieg einen Moment. „In meinem Wagen habe ich die Holzeinlagen gegen Aluminiumteile getauscht. Selbst. Ich finde, Holz hat etwas Billiges. Was trinkst du?“
„Mineralwasser, rechtsdrehend, mit einem Spritzer Zitrone, aber nicht aus einem dieser Fläschchen, ich will eine frisch ausgepresste Zitrone“, sagte Fred in Richtung Bedienung und tupfte sich das Gesicht mit einem feuchten Tuch. Josef bestellte.
„Du solltest diese Tücher nicht verwenden. Der Alkohol, der enthalten ist, trocknet die Haut aus und lässt einen älter aussehen“, meinte Josef und nippte an seinem Kaffee.
Fred schob ihm die Verpackung hin. „Kein Alkohol. Bin ja nicht bescheuert.“
Josef schob die Sonnenbrille hoch. „Tatsächlich.“
„Kaffee ist übrigens weniger schädlich als lange angenommen. Du kannst ruhig noch eine Tasse trinken, solange du die dehydrierende Wirkung ausgleichst. Wo bleibt mein Mineralwasser? Was machen die Märkte?“
Josef faltete die Hände und schob die Schultern nach vorne.
„Man kann nicht einfach hoffen. Da alles hermeneutisch verschränkt ist, versuche ich, positive Energien in die Richtung der Märkte zu schicken“, sagte er und rückte die Sonnenbrille zurecht.
Fred nahm einen Schluck Mineralwasser und verzog das Gesicht.
„Verdammter Dreck. Fläschchen, man sieht es. Das Wasser hat dann eine ganz andere Trübung. Interessant! Wie schickst du Energien zu den Märkten? Kann man sich da beteiligen?“
„Nun, ich habe einen kleinen Raum, dunkel gebeizter Holzfußboden, weiße Wände, leer bis auf ein Tuch, das ich aus Indien mitgebracht habe.“
„Aha, aha“, machte Fred und knetete seine Unterlippe.
„Der Raum ist auch akustisch hervorragend gedämpft. Auf das Tuch lege ich lebende Materie und zermantsche sie mit einem Hammer. Die so freigesetzte Energie soll den Märkten zufließen“, sagte Josef und tippte gegen seine Kaffeetasse. Die Bedienung kam.
„Klingt vielversprechend. Der Kosten-Nutzen-Faktor scheint in Ordnung. Was wird denn so zermantscht?“, fragte Fred.
„Angefangen habe ich mit Regenwürmern. Ich konnte durchaus eine Wirkung auf mein Portfolio feststellen. Aber …“
„Ja, ja?“, insistierte Fred.
„Nun, es scheint eine Sunk-Cost-Fallacy zu geben: abnehmende Wirkung bei gleichbleibender Mantschmenge. Irritierend anfangs. Heute: Unsere Katze. Drei Punkte.“, sagte Josef langsam und nahm einen Schluck von seinem frischen Kaffee. „Die Handvoll Regenwürmer haben kaum einen Punkt geschafft. Nutzloses Gesindel.“
„Hervorragend! Drei Punkte! Wir sollten unsere Kräfte bündeln und zusammenarbeiten! Ich sehe eine Win-Win-Situation!“, rief Fred begeistert und ließ den Audi-Schlüssel um den Finger kreisen.
„So einfach ist es nicht“, antwortete Josef beschwichtigend. „Die Märkte sind launisch, man kann sie nicht leicht zufriedenstellen. Es funktioniert nicht immer. Die Schwingungen müssen stimmen. Leg meinen Autoschlüssel wieder hin.“
„Natürlich, natürlich“, sagte Fred und knetete wieder seine Unterlippe. Sein Blick schweifte unruhig umher und blieb am Brunnen hängen. Die beiden Mädchen ließen die nackten Beine immer noch ins Wasser baumeln. Die eine hatte Cellulite an den Oberschenkeln, eine Schande in so jungen Jahren.
„Optimal wäre natürlich ein Mensch“, sagte Josef.
„Aha?“, meinte Fred gedankenverloren.
„Ja, natürlich. Mit der Intelligenz steigt die Lebensenergie, die an die Märkte abgegeben werden kann. Ein Baby ist deswegen eher schlecht geeignet, so ein junger Mensch wäre gut“, sagte Josef.
Fred erwachte aus seiner Nachdenklichkeit und nahm einen Schluck rechtsdrehendes Mineralwasser. Er legte zwei Zeigefinger an die Lippen und sagte: „Ich denke jetzt einmal nur laut nach! Könnte man das maschinell unterstützen? Das Ganze vielleicht automatisieren? Wir könnten ein Joint-Venture mit Rupert in China eingehen, die Bedingungen wären perfekt, auch die Rohstoffe wären dort in Massen vorhanden.“
Josef trank seinen Kaffee aus und winkte der Bedienung.
„Wir sollten nichts überstürzen, alles sorgfältig planen“, meinte er ruhig. „Außerdem ist da noch die Frage, ob ich meine Idee so mir nichts, dir nichts mit dir teilen will. Sicher, wir sind Studienkollegen, aber du weißt ja, die Gesetze des Marktes nehmen auf so etwas keine Rücksicht.“
Fred zog die Augenbrauen in die Höhe.
„So läuft also der Hase. Natürlich.“
„Natürlich läuft so der Hase“, sagte Josef und stand auf. „Zahlst du?“
Er drückte auf den Autoschlüssel, und die Türen des Audi schwangen nach oben. Blaue LEDs zeichneten ein Muster auf die Karosserie. Ein angenehm vibrierender Ton erklang. Die beiden Mädchen am Brunnen drehten sich zu ihm um. Er hob die Hand, wirbelte den Autoschlüssel um den Finger und rief: „Na, Lust auf eine Testfahrt?“