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Marrkesch

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07.03.2006
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Marrkesch

Marrakesch

Marrakesch

Mit zitternden Händen wählte ich die Nummer des Prüfungsamtes 0-7-2-7-5-3-8-7-2. Mein Herz klopfte bis zum Hals, in meinen Ohren rauschte es und auf der Stirn stand mir der kalte Schweiß. Ich war so nervös wie nie zuvor.
Das Freizeichen erklang. Tuut tuut und während ich darauf wartete, dass sich jemand am anderen Ende der Leitung meldete, schweiften meine Gedanken ab.
Ich studierte nun schon seit vier Semestern Arabisch und Französisch. Meine Familie und mein Freund hatten mich für verrückt erklärt. „Du willst Arabisch studieren, Jenny?! Du bist wahnsinnig!“ Und Marc, mein Freund prophezeite düster: „Du wirst scheitern.“
Die Hunde bellen, doch die Karawane zieht weiter, sagt ein arabisches Sprichwort und so war ich meinen eigenen Weg gegangen, ohne auf die Unkenrufe zu achten. Seit dem ich das erste Mal in Marokko gewesen war, liebte ich dieses Land und diese Liebe hatte mich dazu bewogen, eifrig eine solch schwere Sprache zu lernen.
„Prüfungsamt. Guten Morgen, mein Name ist Müller. Was kann ich für Sie tun?“, meldete sich die freundliche Dame. Mit einem Schlag war ich wieder in der Wirklichkeit.
„Ähm…guten Morgen. Mein Name ist Schwarz, Jenny Schwarz. Meine Prüfnummer ist die 133. Ich wollte einmal fragen, ob die Ergebnisse der Vorprüfung schon da sind“, antwortete ich und mein Mund war staubtrocken.
Die nette Frau Müller bat mich um einen kleinen Augenblick Geduld und ließ mich in einem Wechselbad der Gefühle zurück.
Hatte ich bestanden oder war ich durchgefallen? Wenn ich durchgefallen war, hätten meine Kritiker alle Recht bekommen, hatte ich aber bestanden, dann wäre der Weg frei, ein Jahr in Marrakesch zu studieren. Mein Traum seit dem ersten Semester und mein gut gehütetes Geheimnis. Nicht einmal Sunny, meine beste Freundin seit Kindertagen, wusste davon.
„Sind Sie noch da?“, meldete sich Frau Müller. Ihre Stimme klang so lieb und weich, dass ich für einen kurzen Augenblick dachte: „Ich könnte es sogar ertragen, wenn sie mir eine Niederlage mitteilen würde.“
„Sie haben bestanden. Arabisch- Deutsch Übersetzung 2,0. Deutsch-Arabisch 1,7 und Französisch-Deutsch 2,3. Mündlich 1,0. Herzlichen Glückwunsch.“
„Danke. Vielen Dank“, rief ich überglücklich in den Hörer. Frau Müller lachte, dann verabschiedeten wir uns und ich legte auf.
Geschafft! Juchhu, juchhe juchei, ich habe es geschafft. Ich hüpfte durch das ganze Haus und freute mich. Mein Herz schlug zwar immer noch Purzelbäume, diesmal aber vor Freude und Glück. Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude heißt es und ich freute mich wie ein Schneekönig auf mein Jahr in Marrakesch. Land Gottes, diese Stadt trug ihren Namen zu Recht. Jetzt würde ich ein ganzes Jahr dort verbringen. Ein Jahr! Das waren zwölf Monate, zweiundfünfzig Wochen, dreihundertfünfundsechzig Tage und ganz viele Stunden und Minuten und unendliche Sekunden.
Mein Vater polterte die Treppe hinunter, da er wieder Nachtschicht hatte, hatte er an diesem Morgen entsprechend länger geschlafen.
„Was ist denn los?“, fragte er noch ein wenig schlaftrunken.
Stürmisch fiel ich ihm um den Hals und im Überschwang meiner guten Laune erzählte ich ihm mit der Sensibilität eines Trampeltieres von meinen Plänen. Papa war schlagartig wach.
„Hast du dir das auch gut überlegt?“, fragte er und ein wenig Besorgnis schwang in seiner Stimme mit. Ich wusste, wie ich ihn am schnellsten beruhigen konnte. Mit einer Tasse frisch aufgebrühten Kaffee und Rühreiern mit kross gebratenem Speck. Wir frühstückten ausgiebig und ich erläuterte ihm meine Pläne ausführlich. Papas Skepsis schwand mit jedem Satz.
„Du brauchst dir wirklich keine Sorgen machen“, sagte ich. „Unterkunft, Studienplatz wird alles von der Uni organisiert. Ich brauchte nur die Papiere ausfüllen und meine Zwischenprüfung bestehen, sonst nehmen die einen da nicht.“
„Und was ist mit deiner Prüfung“, unterbrach Papa ungeduldig meinen Redefluss.
Ich schlug mir an die Stirn. Au Backe, im Eifer des Gefechts hatte ich die ganz vergessen. Ich lächelte strahlend. „Alles bestanden. Mit Noten, da geht dir das Herz auf.“
Papa freute sich mit mir. „Ich bin sehr stolz auf dich.“

Am Abend feierten wir meine bestandenen Prüfungen im Garten, mit leckeren Grillwürstchen, Papas köstlichen Nudelsalat und einer Flasche Sekt. Ich trug ein T-Shirt auf dem „Vordiplom 2003“ stand, und war so ausgelassen, dass ich gar nicht bemerkte, dass mein Freund still und mürrisch in einer Ecke saß.
Mein älterer Bruder wickelte sich ein Handtuch um den Kopf und kniete albern vor mir nieder.
„Steh schon auf“, rief ich lachend, „sonst glauben die Leute noch, du wärst ein Kamel.“
Alle, außer Marc, lachten mit.
„Die Karawane zieht weiter, der Sultan hat Durst…“, stimmten Sunny, die mit von der Partie war, und ich ein Lied von den Höhnern an. Wir kicherten nur noch und kugelten angeheitert auf dem Boden herum, wo uns mein Neufundländer abschleckte.
„Ihh, lass das“, schimpfte ich. „Schenkst du mir nach, Schatz?“ Treuherzig hielt ich meinem Freund das langstielige Sektglas hin. Er war mit einem Satz auf den Beinen. Eine steile Falte – Vorbote für einen seiner kindischen Trotzanfälle- stand ihm auf der Stirn. „Ich gehe jetzt nach Hause, damit ihr’s wisst“, schmollte er.
Alle im Garten sahen ihn an. Er stieß meinen schnuffelnden Hund rüde zur Seite und stapfte durch das Gartentor. Ich merkte, dass Papa nur mit Mühe einen Wutanfall unterdrückte. „Was sollte denn das?“, fragte er zähneknirschend.
Der ungewohnte Alkohol verfehlte seine Wirkung nicht, ich war recht angeschickert und so zuckte ich nur mit den Schultern. „Der kriegt sich schon wieder ein. Gib mir lieber noch ein Schlückchen.“
Marc kriegte sich überhaupt nicht wieder ein und wir stritten uns heftig während den letzten Wochen bis zu meiner Abreise. Er war dagegen, dass ich ein Jahr lang im Ausland verbringen wollte und unterstellte mir sogar, ich wollte ihn betrügen. Völlig absurd, aber mit Geduld und guten Worten hatte ich bei ihm noch nie etwas erreicht und so trennte ich mich schließlich von ihm. Das vertrug sein Ego nicht. „Werde doch glücklich, mit deinen Kameltreibern!“, warf er mir böse an den Kopf. Er berührte mich nicht und insgeheim musste ich mir selbst eingestehen, dass wir nie so richtig zueinander gepasst hatten. Also machte ich es wie die Araber, ließ diesen Hund bellen und sah nach vorne. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf Marokko. Dank der vielen Dinge, die ich noch zu organisieren hatte, verging die Zeit wie im Flug. In der Nacht vor meiner Abreise konnte ich vor Aufregung nicht schlafen und rannte schon in der Frühe durchs ganze Haus. In wenigen Stunden würde ich in meinem Marokko sein. Nur Sonne, Sand, Datteln und rassige Pferde. Das Paradies, für einen passionierten Reiter, wie mich.

Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Kaum zu glauben, dass es schon auf Winter zuging. Ich war jetzt schon einige Monate in Marrakesch, bewohnte eine schnuckelige kleine Studentenbude, hatte netten Anschluss gefunden und genoss mein Leben in vollen Zügen. Meine neuen Freundinnen hatten sich zum Abendessen angekündigt und ich besorgte noch einige Sachen vom Basar. Die Händler dort kannten mich schon und grüßten immer freundlich. Oft luden sie mich auf eine Tasse Minztee ein und ganz zufälligerweise saßen dann auch ihre unverheirateten Söhne dabei. Solche Zufälle aber auch! Ich verhielt mich immer freundlich und höflich, aber auch sehr zurückhaltend. Meine Erinnerung an die letzte Beziehung war einfach noch zu frisch, auch wenn die meisten der jungen Männer sehr sympathisch waren. Schnuppernd hob ich die Nase, die sich noch immer nicht so sehr an die Düfte nach Zimt und Kardamom und andere exotischen Düften gewöhnt hatte, als dass sie mich nicht zum träumen gebracht hätten.
„Jenny!“, es war der alte Youssuf, der meinen Namen rief. Ich drehte mich um und wäre beinahe mit einem jungen Mann zusammen gestoßen. Er war etwas größer als ich und schlank. Da er die traditionelle Kleidung trug und sein Gesicht mit einem Tuch verdeckt hatte, konnte ich nur seine Augen sehen. Pechschwarze Augen. In ihnen glitzerte es übermütig und ich sah einen Hunger nach dem Leben darin, wie noch nie zuvor bei einem Menschen. Jetzt bildeten sich kleine Fältchen um seine Augenwinkel. Er schien zu lächeln.
„Salam alleikum“, grüßte er freundlich. Friede sei mit dir.
„E alleikum salam“, antwortete ich. Und mit dir.
„Jenny“, rief Youssuf, nun eine Spur ungeduldiger. Ich schenkte dem unbekannten jungen Mann ein Lächeln und beeilte mich, zu Youssuf zu kommen. Der Mann verkaufte die besten Feigen auf dem ganzen Basar, außerdem war er sehr gastfreundlich. Eine Tasse Tee bedeutete, man trank eine ganze Kanne und wurde nebenbei noch mit selbstgebackenen Leckereien seiner liebenswerten Frau gemästet. Die beiden waren so etwas, wie Ersatzeltern für mich geworden. Ich fragte mich, welchen Neffen – er hatte keine Söhne – mir diesmal vorgestellt werden sollte. Diesmal waren es keine Neffen, sondern er lud mich auf die Hochzeit seiner Tochter Leila ein. Ich mochte sie sehr gerne und freute mich, dass sie endlich ihren Hassan heiraten durfte. Mit Freuden sagte ich zu und überlegte, was ich anziehen wollte.
„Ich werde dir ein Kleid nähen, Liebes“, sagte ihre Mutter.
„Aber du hast doch schon so viel mit den Vorbereitungen für die Hochzeit zu tun“, wandte ich zaghaft ein.
„Dafür reicht meine Zeit noch. Jenny. Du wirst wunderschön aussehen“, erwiderte sie. Ich fügte mich, denn wenn „Mama“, wie ich sie nennen musste, etwas wollte, setzte sie das auch durch.
Ich bekam ein wunderschönes rotes Kleid mit filigraner Perlenstickerei, das mir gut zu meinen langen dunklen Haaren stand.

Einen Monat später heirateten Leila und Hassan. Die Liebe strahlte den beiden aus den Augen, dass man davon hätte blind werden können. Ein kleiner Stich der Einsamkeit traf mich mitten ins Herz, ich dachte immer noch an den jungen Mann vom Markt, obwohl das Hirngespinste waren. Ich umarmte eine glückliche Leila, als Hassan auf uns zukam. Ein junger Mann im Schlepptau. Obwohl er heute Abend einen Anzug trug, erkannte ich ihn sofort wieder. Der Unbekannte vom Basar! Die Erkenntnis ließ mir die Knie weich werden und mir stockte der Atem. Hassan küsste mich auf beide Wangen. „Jenny, darf ich dir meinen Cousin Ben vorstellen?“ – „Ben das ist Jenny. Sie kommt aus Deutschland.“
Mein Mund war so staubtrocken, dass ich kaum ein Wort herausbekam.
„Ich glaube, wir haben uns schon einmal gesehen“, sagte Ben und sah mir dabei tief in die Augen. In meinem Bauch schien etwas zu explodieren und tausende Schmetterlinge flatterten umher.
Nachdem das Eis gebrochen war, unterhielten wir uns über Gott und die Welt. Ich erfuhr, dass er Maschinenbau studierte und zwei Jahre älter war als ich.
Es war schon fast Morgen, als Ben mich – ganz Kavalier – nach Hause brachte.
„Sehe ich dich wieder?“, fragte er leise. Ich nickte begeistert. Ja. Ja, ich wollte ihn auch wieder sehen. Er lächelte und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht.“ – „Gute Nacht“, antwortete ich glücklich und sah ihm nach, bis er in der Dunkelheit verschwand. Ich ging in mein Wohnung und hätte am liebsten vor Freude laut geschrieen, aber mit Rücksicht auf meine armen Nachbarn, jubelte ich nur ganz leise und auch nur innerlich. Ein Blick auf mein Handy brachte mich in die harte Realität zurück. „Verdammt“, fluchte ich dann doch laut. „Er hat meine Telefonnummer ja gar nicht.“ Und er hatte auch gar nicht danach gefragt, aber immerhin, wusste er ja, wo ich wohnte, also doch noch ein Hoffnungsschimmer.

Am nächsten Tag, nachdem ich lange geschlafen hatte, versuchte ich mich mit aller Gewalt auf meine Bücher zu konzentrieren. Erfolglos. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab und erfreuten sich in schöneren Dimensionen, statt sich mit handfester, aber auch staubtrockener Politik zu beschäftigen.
Ring, Ring. Meine Klingel hatte wirklich einen grässlichen Ton. Ich pfefferte meine Bücher in die Ecke und ging nachsehen, wer denn da mein Streben nach Wissen störte. Die Überraschung war nicht schlecht. Ben! Übermütig grinsend stand er vor mir.
„Du hast doch gesagt, dass du gerne reitest“, sagte er und lächelte verschmitzt.
„Ähm…ja“, antwortete ich und hatte absolut keine Ahnung, worauf er hinaus wollte.
„Dann komm einfach mal mit“, forderte er mich auf.
Schnell zog ich mir etwas anderes an und folgte ihm. Vor der Haustür schlug ich die Hände über dem Kopf zusammen. Da standen tatsächlich zwei Berberhengste, ärgerten sich auf eine brüderliche Weise gegenseitig um dann wieder auf den Trensen in ihren Mäulern zu kauen.
Ich lachte laut auf. „Du bist verrückt.“
Ben lachte ebenfalls. Was ist denn nun? Willst du reiten oder nicht? Schnell trat ich auf den jungen, gedrungenen Hengst mit dem rostroten Fell zu und legte ihm die Hand auf den Widerrist. „Den möchte aber ich reiten“, forderte ich. Ben schwang sich gerade auf den Rücken des etwas größeren Rappen. „Natürlich, oder glaubst du, ich gebe meinen Sheitan her. Samum ist das richtige Pferd für dich.“
Oh, wie recht er hatte. Samum, der Glutwind, machte seinem Namen alle Ehre. Seite an Seite galoppierten wir in die Wüste. Ich beugte mich weit vor, die dichte, rote Mähne des Fuchses flog mir ins Gesicht.
Die langsam untergehende Sonne tauchte die Wüste in ein warmes rotes Licht.

An einem alten ausgetrockneten Brunnen hielten wir an. Ich linste hinein, da war kein Wasser mehr drin. „Die Sonne dörrt alles aus“, erklärte Ben. Ich drehte mich zu ihm um und lehnte mich gegen den Rand des Brunnens, obwohl mir mein armer Po wehtat. In Jeans durch die Wüste reiten war dann doch nicht so bequem. Ben hingegen trug wiederum die traditionellen Kleider. Sein Gesicht hatte er wieder mit diesem dummen Tuch bedeckt. Er trat einen Schritt auf mich zu. Jetzt stand er ganz nah bei mir und sah mir tief in die Augen, dann hob er die Hand und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dieses Tuch störte mich einfach und ich zog es weg. Sein schön geschwungener Mund war einfach viel zu schade, um verdeckt zu werden. Ben neigte den Kopf zu mir und dann ruhten seine Lippen auf meinen. Ich musste mich an seinen Schultern festhalten, um nicht rücklings in den tiefen Brunnen zu stürzen. Wir küssten uns voll zärtlicher Leidenschaft. Ben legte seine Arme um mich und hielt mich ganz fest. Ich fühlte mich geborgen und sicher bei ihm. Ein Gefühl, das ich bei Marc nie gehabt hatte.
„Ich liebe dich“, flüsterte ich ihm ins Ohr, als wir uns endlich voneinander lösen konnten. Ben drückte mich noch fester an sich.
„Seitdem ich dich gesehen habe, kann ich nicht mehr klar denken“, gestand er mir.
Auch ich hatte meinen Verstand komplett ausgeschaltet und nur mein Herz sprach noch. Ich stürzte mich in das Abenteuer Liebe mit Ben. Eine herrlich verrückte Zeit, von der ich aber auch wusste, dass sie begrenzt war, doch diesen Aspekt verdrängte ich, so gut ich konnte und lebte nur in der Gegenwart. Gestern und Morgen zählten nicht mehr, nur das Heute.
Die Welt hörte trotzdem nicht auf sich zu drehen und der Tag meiner Abreise kam unaufhörlich näher. Ben sah mich manchmal mit einem seltsam nachdenklichen Blick an, den ich wohl zu deuten gewusst hätte, wäre ich ein wenig sensibler gewesen.
Eine Woche vorher ritten wir wieder zusammen in die Wüste, genauer an den Brunnen, an dem wir uns unsere Liebe gestanden hatten. Mir war, als wäre es erst gestern gewesen. Ben war ungewöhnlich still, so kannte ich ihn gar nicht. Wir stiegen von den Pferden ab und in „alter Gewohnheit“ setzte ich mich auf den Brunnenrand. Eine Spannung, die man förmlich mit den Händen greifen konnte, lag in der Luft.
„Ich muss mit dir reden, Jenny.“ Mein Liebster war sehr ernst, als er das sagte. Jetzt wusste, ich das etwas anders war und wappnete mich für das Schlimmste.
Ben atmete tief ein. „Wir kennen uns jetzt ein gutes halbes Jahr und ich liebe dich, Jenny.
Ich lächelte, ein wenig erleichtert. „Und ich liebe dich:“
In seinen Augen blitzte es kurz glücklich auf. „Du bist die Frau meines Lebens.“
„Ben!“, rief ich ungeduldig, denn die Beherrschtheit der Araber hatte noch nicht auf mich abgefärbt. „Auf was willst du hinaus?“
Seine Antwort haute mich fast aus den Socken.
„Bleib bei mir. Werde meine Frau und ich werde dich so glücklich machen, wie du es verdienst.“
Ich sprang auf die Füße. Tausende Gedanken wirbelten mir durch den Kopf, wie im Schleudergang der Waschmaschine. Verwirrende Gedanken.
„Heirate Ben! Du liebst ihn. Bleib bei ihm“, hämmerte es in dem Teil meines Gehirns, der für die Gefühle zuständig war.
„Du gibst deine Freiheit auf. Dein Leben, wen du dich an ihn bindest“, widersprach mein herzloser Verstand. Die fiese Stimme in meinem Kopf wurde immer lauter. Ich hasste sie, weil sie mir wehtat.
„Ben“, antwortete ich, und hoffte, dass ich gefasst klang. „Das ist unmöglich, ich muss mein Studium zu Ende bringen.“
„Eine blödere Ausrede ist dir wohl nicht eingefallen“, wisperte mein Gefühl.
„Du machst das genau richtig, Jennylein. Dein Papi würde ausflippen“, grölte mein Verstand gehässig.
Ben schüttelte fassungslos, über das, was er da gerade gehört hatte, den Kopf. In seinen dunklen Augen lag ein tiefer Schmerz. Dieses lebenslustige Funkeln, das ich so liebte, war gänzlich verschwunden. So wie wenn man eine Lampe ausschaltet. Aus. Vorbei.
„Du kannst dein Studium doch hier beenden. Deine Noten sind gut, sehr gut sogar und ich würde dir nie Steine in den Weg legen“, widersprach er und seine Stimme klang heiser, so als habe er einen Kloß im Hals. Etwas, das der unsensible Trampel ihm gegenüber natürlich nicht bemerkte.
„Kannst du mit den alten Traditionen leben, die ein Teil von ihm sind? Kannst du das?“, meldete sich mein Verstand wieder zu Wort. Mein Herz weinte nur noch Stürzbäche, mit denen man locker hätte die Sahara überschwemmen können.
Gegen den Widerstreit in meinem Inneren schüttelte ich aufs heftigste den Kopf. Ben verstand das natürlich falsch und schaute mich unendlich traurig an. Tapfer versicherte er mir: „Ich werde dich nie wieder bedrängen, aber eines solltest du wissen: Ich liebe dich und werde dich immer lieben.“
Schweigend nahm ich sein Geständnis zur Kenntnis und schweigend ritten wir wieder zurück.
Wir trennten uns im Guten, aber ich fühlte mich so mies, dass ich Ben nicht dabei ansehen konnte.
Ich sah ihn bis zu meiner Abreise nicht mehr. Hoffte ich etwa, er würde sich zum Clown machen, nachdem ich ihn so sehr verletzt hatte? Er war stolz, so gut kannte ich ihn dann doch schon.
„Es ist besser so. Er wird ein Mädchen finden, das seiner wert ist“, meldete sich mein Verstand schadenfroh zu Wort.
Ein Mädchen, das seiner wert war. Nicht so eine wie ich, die ihn grausam im Stich gelassen hatte. Immer wieder kratzte ich an dieser Wunde, die ich mir selbst geschlagen hatte und bestrafte mich selbst durch den Schmerz.
Meinen Koffer und all die anderen Sachen packte ich eher lustlos zusammen. Zu Hause würde alles verknittert sein. Mein Bruder hatte angerufen, dass er mich am Flughafen in Frankfurt abholen würde und dass er sich sehr freute. Ich zuckte nur mit den Schultern und war froh, dass er diese Geste nicht sehen konnte.

Mein Flug wurde aufgerufen und ich wurde wie die anderen Passagiere auf Waffen durchsucht. Gerade als ich durch die Glastür gehen wollte, rief jemand hinter mir meinen Namen, weich und fordernd zugleich, so rief nur einer über mich. Ben! Ich drehte mich um. Er stand so verlassen und einsam da, dass es mir tief ins Herz schnitt.
Der Beamte drängte: „Gehen Sie weiter!“ Ein letzter Blick zurück auf Ben und ich ging fort. Erst im Flugzeug gestattete ich mir leise zu weinen.

Mein Bruder begrüßte mich stürmisch am Meetingpoint und merkte in seiner Freude gar nicht, dass ich eher zurückhaltend reagierte.
„Und jetzt, Schwesterherz? Ich habe auf dem Weg hierher ein arabisches Restaurant entdeckt. Sollen wir dahin essen gehen? Du hast ja jetzt schon Übung. Ich lade dich auch ein.“
Ich brachte ein schiefes Lächeln zustande. „Wenn du mich schon einlädst, dann will ich auch wählen dürfen. Nach einem Jahr der Abstinenz ist mir Italiener lieber.“

Die folgenden Tage waren die schrecklichsten, die ich je erlebt hatte. Mit Gewalt versuchte ich Ben zu vergessen. Je mehr ich aber mich dazu zwingen wollte, desto stärker wurden die Erinnerungen. Die gelben Weizenfelder glichen dem honiggelben Sand der Sahara und das kohlschwarze Pferd einer Bekannten sah aus wie Sheitan.
Manchmal glaubte ich, in einem anderen jungen Mann Ben zu sehen und wurde immer wieder bitter enttäuscht. Was glaubte ich denn, dass er heimlich nach Saarbrücken gezogen war?
Ich zog mich immer mehr zurück und ging viel allein mit meinem Hund spazieren, nur er wusste, wie es wirklich in mir aussah. Selbst Sunny war mir in dieser Zeit keine Hilfe.
An einem ganz schlimmen Tag, an dem ich kaum die Anwesenheit anderer Menschen aushielt („Liebeskummer lohnt sich nicht, Jenny“ hatte meine liebe Oma gesagt), ging ich lange mit dem Hund spazieren. Als ich zurückkam, blinkte mein Handy. „Sieben Anrufe in Abwesenheit“, stand auf dem Display. Da hatte aber jemand Sehnsucht nach mir. Ich hörte die Mailbox ab und mir gefror das Blut in den Adern. Hassan hatte mich mehrfach verzweifelt versucht zu erreichen. Ben hatte einen Reitunfall gehabt und lag schwer verletzt im Krankenhaus. Schleunigst packte ich einige Sachen zusammen und rief meinen Bruder an, der mich noch in derselben Stunde zum Flughafen nach Frankfurt fuhr. Das Glück war auf meiner Seite und ich bekam den letzten Flug nach Marrakesch.
Spät in der Nacht traf ich ein und versprach dem Taxifahrer ein fürstliches Trinkgeld, wenn er mich ganz schnell ins nächste Krankenhaus brachte. Der gute Mann trat aufs Gaspedal und ich gab ihm mehr, als eigentlich abgemacht war. Leila und Hassan die ich noch in Deutschland angerufen hatte, warteten an der Tür im Foyer des Krankenhauses auf mich. Leila hatte geweint und bei Hassan fehlte auch nicht viel dazu. Ben war nicht nur sein Cousin, sondern auch sein bester Freund, fast schon sein Bruder. Ich war mir sicher, die beiden wussten, was zwischen Ben und mir vorgefallen war, doch machten sie mir keine Vorwürfe. Wir hasteten zur Intensivstation, wo Ben lag und ich musste von Hassan erfahren, dass man das Pferd hatte töten müssen. Ich war erschüttert, wusste ich doch, wie sehr Ben an dem Tier gehangen hatte.
Ich durfte zu ihm und sein Anblick war einfach schrecklich. Überall rauschten Apparate, Infusionen und Transfusionen flossen in seine Venen und das ganz kleine Bisschen zwischen all den Folterinstrumenten, die ihn am Leben hielten, war Ben.
Verzweifelt ließ ich mich an seinem Bett nieder und nahm seine linke Hand, die fast wie ein Fremdkörper auf dem Bett lag, in meine. Tapfer kämpfte ich gegen die Tränen an. Leila und Hassan warteten draußen auf den Holzbänken und mich zermarterten Schuldgefühle. Wäre ich doch nur meinem Herzen gefolgt, dann wäre das alles nicht passiert. Ben war sehr schwer verletzt, vielleicht starb er in dieser Nacht, während ich an seinem Bett saß und seine Hand, die sich ganz kalt anfühlte, hielt. Die Apparate summten mit einem schrecklichen Geräusch um mich herum und ich betete. Ja, wirklich. Ich betete um eine zweite Chance. Eine zweite Chance, für ein Leben an Bens Seite. Diesmal, so leistete ich einen heiligen Schwur, würde ich ihn nicht noch einmal im Stich lassen. Meine zweite Chance wurde mir gewährt. Es war noch früh, noch bevor der Muezzin von seinem Minarett die Gläubigen zum Gebet rief. Ich war, den rechten Arm über Ben gelegt, den Kopf neben ihm auf dem Bett, eingeschlafen. Er strich mir zärtlich über den Kopf und sofort wurde ich wach.
„Mein Engel“, flüsterte Ben und lächelte matt, zu mehr war er noch zu schwach.
Tränen des Glücks liefen mir übers Gesicht. Jetzt würde alles gut werden. Von draußen rief der Muezzin und es klang wie Musik in meinen Ohren.
Ben erholte sich den Umständen entsprechend sehr schnell wieder. Meine Familie war zunächst nicht sonderlich begeistert von unseren Heiratsabsichten, freute sich aber dann doch mit uns, nachdem sie Bens Charme erlegen war.

In Kürze feiern wir unseren ersten Hochzeitstag und ich habe eine ganz besonderes Geschenk für ihn: Ich erwarte unser erstes Kind.

 
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Hallo Madison,

zuerst: Herzlich Willkommen auf Kurzgeschichten.de!

Leider hat mir deine Geschichte nicht gefallen, an den meisten Stellen wirkt sie oberflächlich auf mich, was wohl vor allem durch deine Protagonistin bedingt ist. Das fällt schon im ersten Absatz auf, als sie gar nicht auf die Idee kommt ihr Freund könnte traurig sein, weil sie für ein Jahr das Land verlassen möchte. (Übrigens ist mir nicht ganz klar, was der Freund in der Geschichte zu suchen hat. Meiner Meinung nach spielt er keine besondere Rolle, außer dass er verlassen wird und sowieso nicht zu dem Mädel gepasst hat.)
Die Liebesgeschichte mit Ben war ja soweit ganz nett (Ist Ben eine Abkürzung? Soweit ich weiß, ist es kein arabischer Name?). Allerdings erwarte ich mir von einer Geschichte mit dem Titel "Marrakesch" etwas mehr. Zum Beispiel einiges über die Probleme, die sich aus der Beziehung ergeben. Sicherlich fällt Jenny manches schwer, schließlich kommt ihr Freund aus einer völlig anderen Kultur. Außerdem glaube ich, dass auch Ben manchmal Schwierigkeiten haben wird. Es wird außerdem Probleme von außen geben. Sicherlich gibt es Leute, die eine solche Verbindung nicht gerne sehen. Das wäre wesentlich Interessanter gewesen, als die ständige Erwähnung seiner tollen Augen und die Leidenschaft. Zumal für mich nicht wirklich klar wird, was Jenny an dem Kerl so toll findet. Mehr als Äußerlichkeiten und dass er lebenslustig ist, erfährt man ja kaum von ihm.
Der Unfall am Ende... na ja. Das ist sicherlich Geschmackssache, allerdings hab ich das inzwischen schon so oft gehört, dass es seinen Reiz verloren hat. Immerhin, wenigstens das Ende war positiv.

LG
Bella

 

na ja...
Wenns nicht in Nordafrika waer, wuerde es sich wie ein Manuskript fuer eine Serie der Schwarzwaldklinik lesen.

 

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