Marys Geburtstag
Er nahm den Filzhut ab, hängte ihn ordentlich an den Kleiderständer und wiederholte dies auch mit seinem Mantel. Dann schloss er die Haustür und schob den Riegel vor.
Im Wohnzimmer und in der Küche ließ er sorgfältig die Rollos herunter. Unnötigerweise zog er an den Fenstern auch die Jalousien zu. Unruhig ging er anschließend durch das ganze Haus, versuchte, die Augen überall zu haben. Als er alle Zimmer zweimal untersucht hatte ohne auf einen Menschen zu stoßen, seufzte er und schob seine dicke Brille den Nasenrücken hinauf.
Die Kinder in der Straße hielten ihn für verrückt, machten immer einen Bogen um sein Haus. Einige Erwachsene schienen die Meinung der Gören zu teilen. Aber nein, er war nicht verrückt, zumindest flüsterte er sich das immer wieder zu, wenn er Angst bekam. Sie lachten ihn manchmal aus in der Firma, aber denen würde das Lachen schon noch vergehen, ja, in der Tat. Der Mann fuhr sich durch die verschwitzten Haare, wobei er sich den Scheitel zerstörte.
Zuerst begab er sich in sein Arbeitszimmer und nahm sich ein kleines Foto in einem verzierten Rahmen von einem Beistelltischchen, dann schlenderte er mit abwesenden Blick in die Küche, auf den Kühlschrank zu. Eine Sekunde blickte er (etwas verrückt) lächelnd auf den sauber abgerissenen Notizzettel, der mit einem Magneten an der Kühlschranktür befestigt war:
Er legte eine Schallplatte von Frank Sinatra in den Plattenspieler und ging zur Couch.
Die Schuhe hatte er ausgezogen und ordentlich nebeneinander auf den Boden gestellt, damit die Couchlehne nicht schmutzig wurde, dann die Füße hochgelegt und in beide Gläser Champagner eingegossen. Oh, die Gören, er würde sie loswerden, seinen ewig nörgelnden Chef auch, und, was das beste war...
Er blickte auf seine Frau auf dem Foto.
Mary lächelte Frank an. Sie hatte eine gepunktete Schleife in ihren langen, hellbraunen Haaren, ebenso hellbraun wie ihre strahlenden Augen. Sie saßen beim Picknick im East Park und unterhielten sich über das schöne Wetter. Frank hatte ihr aber verschwiegen, dass das schöne Wetter nur ein glücklicher Zufall war. Er hätte sie in ein feines Restaurant eingeladen, wenn es geregnet hätte. Seine Ohren hörten überhaupt nichts davon, was sie so redete, er sagte oft nur: „Ja, finde ich auch!“ Er arbeitete zielstrebig auf den passenden Moment zu, wenn diese Frau doch nur eine Sekunde ihren wunderschönen Mund halten könnte.
Nimm all deinen Mut zusammen! Komm schon, so schwer kann das doch nicht sein!, dachte er ständig.
„Mary... wir... ich... wollte dich fragen ob... Mary Kerne, willst du meine Frau werden?“, nuschelte er dann.
„Entschuldige, Frank, wie bitte? Ich habe dich nicht verstanden.“
„Willst du mich heiraten?“, schrie er fast.
Sie schwieg einen Moment und Frank wurde bleich. Er hatte sich zum Trottel gemacht, wie schon so oft in seinem Leben.
„Natürlich will ich!“, flüsterte sie dann freundlich.
Frank bekam wieder Farbe. Tausende Gefühle verspürte er in diesem Moment, aber vor allem war er froh, nicht wieder „Der Frankie-Depp“ zu sein, der er immer in der Schule gewesen war, wenn er sich meldete, aber eine falsche Antwort sagte. Oh, er war sich sicher, irgendwann würde er es diesen Arschlöchern heimzahlen, ja, irgendwann, dann wäre er einmal der Held. Nur Mary lachte ihn nie aus.
An diesem Tag begann seine „Verrücktheit“. Aber sie wurde im kommenden Jahr noch stärker.
Ein Jahr danach hatte Frank Mary ausgeführt. Sie war schwanger, im achten Monat, und weil es bald soweit sein würde, lud er sie in die Oper ein. Vielleicht lag das Ereignis nach dem Opernbesuch an ihren teuren Ohrringen. Jedenfalls wurde sie von Minderjährigen überfallen, ausgeraubt und getötet, wenn auch unabsichtlich getötet. Und er hatte ihr nicht helfen können. Sie waren in der Überzahl gewesen und hatten ihm einen heftigen Schlag auf den Kopf gegeben. Er war ohnmächtig geworden. Diese Schreie. Die Schreie seiner geliebten Mary setzten sich in seinem Unterbewusstsein fest wie eine Zecke. Er hatte einige Feinde mehr auf seiner Liste. Er würde sich rächen. An allen würde er sich irgendwann rächen. An den Gören in der Schule, den Gören, die sie überfallen hatten, die seine Frau und sein ungeborenes Kind auf dem Gewissen hatten... er würde sie töten.
Zorn lag in seinem Blick, als er auf seine tote Frau blickte, die ihn glücklich anlächelte. Diese Frau war weg. Für immer. Aber sie wäre stolz gewesen, wenn sie gesehen hätte, was er mühsam gebaut hatte, dessen war er sich sicher. Die Bombe, die in seinem Keller lag. Ein Knopfdruck... und alles wäre vorbei. Bei dem Gedanken fing er verrückt an zu lachen, wobei ihm aber Tränen die Wangen hinunterliefen, die er für seine Frau vergoss. Heute wäre ihr Geburtstag gewesen. Die Bombe hatte er schon vor drei Monaten fertig gebaut, aber er wollte bis zu ihrem Geburtstag warten.
Genug Sprengstoff für einen Umkreis von sieben Kilometern. Der Rest würde radioaktiv verseucht werden.
Er hatte sich vergewissert, dass alle Feinde in dem Umkreis lebten. Er wollte nur kein Risiko eingehen, sie könnten möglicherweise schwerverletzt überleben. Die Mörder seiner Frau saßen immer noch im Gefängnis, das im Umkreis lag, und Frank war froh, dass sie die Tat als Minderjährige begangen hatten, sonst wären sie wohl schon tot. Einer seiner alten Schulfeinde war weggezogen, aber er las die Zeitung von dessen neuen Ort, studierte dort die Todesanzeigen. Bisher lebte dieses Schwein noch. Er hatte ihm einen Brief geschrieben, unter falschem Namen, über ein Klassentreffen. Er war eingetroffen und hatte im Palace Hotel eingecheckt.
Es lag etwa fünf Kilometer von seinem Haus entfernt. Perfekt. Frank lachte noch lauter. Nicht mehr lange. Dann bin ich bei dir, Mary. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.
Er schüttete versehentlich etwas Champagner auf das Sofa und sein Lachen verstummte, als er den dunklen Fleck auf dem weißen Stoff sah, der in die Fasern eindrang.
Man hätte meinen können, wie egal ihm das hätte sein müssen, bei dem, was er vorhatte. Aber nein. Nicht der verrückte Frank. Nicht er.
Frank eilte in die Küche und holte einen Lappen. Er eilte zurück und wischte fest über den Fleck, aber das Wasser machte alles nur noch schlimmer. Frank blickte starr und zornig auf den dunklen Fleck.
Dann schrie er wie am Spieß und dachte immer wieder: „Verzeih mir, Mary, bitte, verzeih mir!“
Verdammt. Das hätte nicht passieren dürfen. Es hätte doch alles perfekt laufen sollen an ihrem Geburtstag. Wütend schnaufte er aus. Das würde schon trocknen. Jetzt erst einmal...
Er rannte die Treppe hoch und kam mit einem Päckchen wieder in sein Wohnzimmer.
„Es ist ein Geschenk für dich!“, sagte er mit erwartender Stimme zu dem Foto, das auf dem Glastisch stand.
„Freust du dich?“, fragte er und schob sich die Brille hoch, „Es war nicht billig, das kann ich dir sagen.“
Stille.
„Ich packe es für dich aus, Mary!“
Frank löste die Schleife und faltete sorgfältig das Geschenkpapier auseinander.
„Kein Riss, bloß keinen Riss in das Papier!“, flüsterte er sich zu, bis er es auseinandergefaltet hatte. Eine schöne Glasflasche kam zum Vorschein.
„Es ist ein Parfüm!“, rief er, „Magst du es? Es riecht sehr gut!“
Stille.
„Gib mir bitte ein Zeichen, damit ich weiß, was du davon hältst!“
Unsicher blickte Frank sich in dem Raum um.
„Mary?“
Frank setzte sich auf einen Stuhl und weinte. Warum antwortete sie nicht? Es war der verschüttete Champagner. Ja, das musste es sein. Sie hatte ihren noch nicht einmal angerührt.
Was war er nur für ein Trottel? Legt einfach die Füße hoch, an ihrem Geburtstag! Freute sich über seinen genialen Plan und vergaß ihren Geburtstag!
Er hatte nie ihren Geburtstag gefeiert, seit sie tot war. Vielleicht feierte er nur wegen seiner späten Rache. Aber die Hoffnung in ihm war geplatzt wie ein Luftballon.
Frank Sinatras Stimme sang immer noch aus dem Plattenspieler in der Ecke. Sie würde jetzt im Himmel sitzen und der echte Frank Sinatra brachte ihr ein Ständchen. Dann wurde gefeiert mit Elvis, wenn er denn tot war. Sie sollte hier unten sitzen, bei ihrem Frank. Wütend sprang er auf und stapfte zum Plattenspieler. Die letzten Worte, die man noch hören konnte, waren: „Strangers in the night...“, dann nahm er die Schallplatte und brach sie mittig auseinander.
„Mary, warum tust du mir das an?“, rief er mit der zerbrochenen Scheibe in den Händen, weinend, wütend.
Dann klingelte es an der Tür.
Hastig löschte Frank das Licht und stand regungslos in seinem Wohnzimmer.
Er geht schon wieder weg, Frank, keine Sorge!
Noch mal klingelte es und Frank zuckte zusammen. Wer war das?
Nicht aufmachen, Frank!
Und wenn es Mary war?
Frank blickte in den Flur und schätzte ab, ob er den Kleiderständer als Waffe benutzen konnte. Langsam ging er zur Haustür und öffnete sie einen Schlitz weit.
Er zuckte innerlich zusammen, als er den Mann sah, der draußen stand. Ungläubig blickte er auf die Dienstmarke des dicken Polizisten mit dem großen Schnurrbart.
„Ja, wie komme ich zu der Ehre ihres Besuchs, Officer?“
„Mr. Coughey, könnte ich einen Blick in ihr Haus werfen? Es dauert nicht lange.“ Eine tiefe Stimme.
Frank schluckte, schob sich die Brille hoch und spürte die langsam aufkommende Gänsehaut auf seinen Armen.
„Wieso... ich... habe doch... nichts gemacht!“
Der Polizist schien zu überlegen. „Reine Routine.“, sagte er dann.
Er lügt Frank, er weiß von der Bombe in deinem Keller. Jetzt will er dich festnehmen wegen Terror oder so was. Ja, alle haben es auf dich abgesehen! Lass ihn bloß nicht rein! BRING DEN BULLEN UM!
„Es tut mir Leid, Officer, aber es ist gerade sehr schlecht. Könnten Sie freundlicherweise morgen noch mal wiederkommen... bitte?“, nuschelte Frank mit unsicherer, verängstigter Stimme.
Es wird kein „morgen“ mehr geben!
„Nun die Sache hier hat leider äußerste Dringlichkeit.“, flüsterte der Besucher mit seiner tiefen Stimme.
Ja, er weiß es, Frankie, jetzt schließ einfach die Tür und dann lass die Bombe hochgehen!
„Worum geht es?“
Der Polizist schwieg.
Er denkt sich eine Lüge aus!
„Ich muss begutachten, ob ihr Haus einbruchsicher ist. Wie gesagt, Routine. Kann ich jetzt bitte in ihr Haus?“
Er sagte dies besonders langsam. Der Polizist hielt Frank auch für verrückt.
„Na gut... aber machen Sie schnell, ja!“
Frank, was tust du da überhaupt? BRING DEN BULLEN UM!
Der Cop trat ein und sah sich um.
Lass dir nichts anmerken! Schau nicht auf die Kellertür!
Frank starrte aber wie gebannt auf die Kellertür. Altes Holz mit einem Schloss, das kein Einbrecher geknackt hätte. Er hatte kein Risiko eingehen wollen.
Der Polizist folgte Franks starrem Blick auf die Kellertür.
„Was ist hinter der Tür?“, fragte er gespielt beiläufig.
„N... N... N... Nichts!“, brachte Frank angestrengt hervor und versuchte zu lächeln. „Nur ein Abstellraum...“
„Wozu das Schloss?“
Franks ganze Planung begann zu wackeln wie ein riesiges Kartenhaus. Unruhig blickte er auf den Revolver im Halfter des Polizisten.
„Na gut... es sind Wertgegenstände dahinter... aber erzählen Sie das niemandem, bitte!“
Ein gezielter Schlag ins Genick und der fällt in Ohnmacht! Dann kannst du zünden!
„Dürfte ich sie einmal sehen, bitte?“
Oh nein!
„Ich denke, dass es nicht wichtig ist für die Einbruchsicherheit meines Hauses, oder?“
Der Polizist warf einen strengen Blick auf die Tür zum Keller.
„Nein, nicht wirklich, aber ich würde ihre Wertgegenstände doch gerne einmal sehen, Mr. Coughey.“
Frank trat von einem Fuß auf den anderen, die Hände hinter dem Rücken.
„Gut, ich hole nur schnell den Schlüssel...“
Und Frank sprang die Treppe hinauf.
Eine Waffe...
Frank rannte in sein Schlafzimmer und zog eine Schachtel unter dem Bett hervor. Darin befand sich sein Gewehr. Er könnte den Mann von oben herab erschießen. Ja, das war eine gute Idee. Die Kugeln bewahrte er in dem kleinen Nachttisch auf. Er lud sein Gewehr durch.
„Ich bin gleich bei ihnen, Officer!“, rief er laut.
Frank atmete tief durch. Er musste ihn umbringen. Es war die einzige Möglichkeit. Er hörte das Knirschen von Holz, auf dem ein schwerer Druck lastet. Der dicke Polizist war auf dem Treppenabsatz.
„Mr. Coughey?“
Frank stockte der Atem.
„Bitte, bleiben sie unten! Ich habe es nicht gern, wenn jemand die Verstecke meiner Schlüssel erfährt.“ Er lachte gekünstelt.
Das Holz entspannte sich wieder.
Frank stand auf und ging durch die Tür. Der erste Stock war eine Art Balkon, auf dem man in den Flur hinabspähen konnte.
Hier oben war die beste Position, um diesen bewaffneten Fettsack zu durchlöchern. Frank blickte hinab auf den nächtlichen Besucher. Die Waffe hielt er hinter dem Rücken versteckt.
Er merkte, wie er zitterte. Was, wenn er ihn verfehlte? Der Mann würde seine Dienstwaffe ziehen und seinerseits schießen. Der Kerl saß da unten und sah sich das Schloss an.
„Das sieht ziemlich sicher aus!“, rief er zu Frank hoch. Er hatte noch gar nicht bemerkt, wie er dort oben auf ihn hinabstarrte. Hätte er hochgeschaut, hätte er den düsteren, aber auch etwas verunsicherten Blick bemerkt, der auf Franks Gesicht haftete.
Frank hob langsam das Gewehr.
Schieß!
Frank zielte und schoss.
Den dumpfen Ton konnte man bis auf die stille Straße hören. Frank schoss noch einige Male, aber der Mann war schon beim ersten Schuss gestorben.
Die vielen Polizisten sprangen erschrocken auf, als sie den Knall hörten. Zehn Polizeiautos standen einige Häuser weiter und die Männer beobachteten das Haus, in das ihr Kollege als erster von ihnen gegangen war. An allen Seiten des Hauses waren in schwarz gekleidete Spezialeinheiten positioniert, die bald stürmen wollten. Jetzt warteten sie, ob ihr Kollege aus dem Haus käme, ob er die Schüsse vielleicht abgegeben haben könnte. Aber niemand verließ das Haus, nachdem der letzte Schuss aufgepeitscht war.
Monce war erst vor einigen Minuten hinzugekommen und ließ sich von seinem Vorgesetzen erklären, um was es ging.
Connor, der Vorgesetzte, blickte auf sein Klemmbrett und las Monce vor.
„Frank William Coughey, 32, wahrscheinlich geisteskrank... geisteskrank, aber clever, Monce... Kommt aus New York, sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt. Seine Mutter starb, als er sieben Jahre alt war, Vater Säufer, in der Schule gehänselt, alles, was einen verrückt machen könnte. Vor sieben Jahren heiratete er Mary Kerne, sie wurde aber ein Jahr später getötet, mit ihrem ungeborenen Kind. Allerlei Gründe, warum man um den Verstand kommen kann, nicht wahr? Vor zwei Jahren fing er bei „Lobster´s“ an, Sie wissen schon, dieser Meeresfrüchtefirma. Viel ist nicht bekannt... Es ist als wäre sein Leben... Rauch.“
Connor blickte auf.
„Und weshalb sind wir hier?“, fragte Monce.
„Vor einigen Monaten wurde Plutonium aus dem Atomkraftwerk von Chesterville entwendet. Erinnern Sie sich?“
„Ja, es kam in den Nachrichten.“
„Nun, die Geigerzähler schlagen bei dem Haus aus, wenn auch nur schwach. Er muss das Plutonium sicher verwahrt haben. Jedenfalls haben wir Grund zur Annahme, er will sich eine Atombombe bauen. Oder er hat das schon getan.“
„Wann sind wir ihm auf die Fährte gekommen?“
„Vor einer Woche. Wir haben Experten hinzugezogen, aber die nähere Umgebung noch nicht evakuiert. Das Plutonium könnte theoretisch auch dort versteckt sein, aber vor seinem Haus schlagen die Apparate am stärksten aus.“
„Okay.“
„Jimmy ist vorgegangen und untersucht sein Haus von innen. Leute vom Sondereinsatzkommando umzingeln es.“
Der erste Schuss fiel.
Die vielen Polizisten sprangen erschrocken auf, als sie den Knall hörten.
Frank blickte von oben auf seine Tat.
Mary, das wollte ich nicht. Wirklich nicht!
Der dicke Körper lag schlaff in einer Ecke neben der Kellertür, einige Einschusslöcher im Kopf. Blut floss langsam an der Wand hinunter. Klumpige Stückchen, Teile des Gehirns, lagen in der Blutlache auf dem Boden.
Frank seufzte. Das wäre geschafft. Jetzt musste er sprengen.
Er drehte sich um und lief zurück in sein Schlafzimmer. Dort knöpfte er den Kissenbezug auf, nahm das Kopfkissen heraus und riss die Fäden auseinander, die den Riss zusammenhielten, den er in die Seide geschnitten hatte. Er tastete in den Federn nach dem Schlüssel, fand ihn und zog ihn heraus.
Schnell lief er in das Badezimmer im ersten Stock, fasste hinter die Handtücher auf dem Regal und nahm einen zweiten Schlüssel an sich. Dann rannte er die Treppe hinunter und schob den ersten Schlüssel in das Schloss der Kellertür.
Ein lautes Geräusch ließ ihn zusammenzucken; jemand kam durch die Hintertür ins Haus.
Frank, mach schon, SCHNELLER!
Mit schwitzigen Händen versuchte er den Schlüssel zu drehen. Er rutschte ihm durch die feuchten Finger.
Komm schon!
Noch ein Versuch. Der Schlüssel bewegte sich nicht. Schritte. Im Haus.
Beim dritten Versuch drehte sich der Schlüssel endlich im Schloss. Frank öffnete hastig die Tür, zog den Schlüssel aus dem Schloss und schlüpfte durch die Tür.
Männer in schwarz kamen von der Küche in den Flur und eröffneten mit schweren Maschinenpistolen das Feuer.
Frank schloss gerade noch rechtzeitig die Tür und schob von innen drei Riegel vor.
Er atmete erleichtert auf. Bis die Männer diese Tür offen hatten, hatte er schon längst gezündet.
Schnell sprang er die Treppe hinunter und hörte von oben nur noch ein in ein Funkgerät gesprochenes „Jimmy ist tot, Connor!“ oder so etwas. Unten an der Treppe war noch eine Tür mit einem ebenso schwer zu knackenden Schloss wie oben. Oben wurde gegen die Tür getreten und auf sie geschossen.
Das untere Schloss öffnete er dieses mal beim ersten Versuch, weil seine Hände weniger schwitzig waren.
Er knipste das Licht an. Der Keller war porentief rein, mit weiß glänzenden Fliesen und der Atombombe in der Mitte. Das Gerät sah etwa wie ein kleines U-Boot aus.
Frank spürte eine Wärme und einen Schmerz in den Eingeweiden, wegen dem winzigen bisschen Strahlung, das durch die vielen Schutzvorrichtungen dringen konnte.
Er schob von innen die Riegel vor und lachte dann laut. Er hatte es geschafft. Niemand würde ihn mehr aufhalten. Niemand.
Er blickte auf den Zünder. Er sah aus wie ein Joystick: Wellen für die vier Finger zum festen Griff und oben ein roter Knopf für den Daumen.
Er nahm ihn.
„Mary! Mary! Ich komme zu dir!“, rief er.
Es krachte laut. Die Männer hatten die obere Tür zerbrochen und kamen nun auf die untere zu.
„Ihr werdet mich nicht aufhalten!“, schrie er.
„Mr. Coughey!“, hörte er eine Stimme durch die Tür schreien, „Mr. Coughey! Bitte nicht! Zünden Sie nicht!“
Es gab keine Geräusche, dass sie die Tür aufbrechen wollten. Sie wollten reden. Er wollte sterben.
„Es tut mir Leid, Sir! Sie haben sicher Frau und Kinder. Aber ich muss es für mich tun!“
Stille.
„Ich... Ich sprenge jetzt!“
Frank blickte auf den roten Knopf, über dem sein Daumen schwebte.
„Frank!“
„Es tut mir Leid!“
Frank drückte auf den Knopf.
Nichts geschah.
Er starrte mit offenem Mund auf die Bombe. Abermals drückte er den Knopf. Keine Wirkung.
Plötzlich schlug ihm der Duft von Parfüm entgegen. Das Parfüm, das er Mary gekauft hatte.
„M... Mary?“
Nichts.
Er schob die Brille hoch und rieb sich die Augen. In der Schwärze seiner geschlossenen Augen sah er grün einen Satz schimmern, als hätte er vorhin in eine Lampe gestarrt. „Ich liebe dich!“ Frank begann zu weinen.
Er hatte sich selbst gestellt. Er kam nicht ins Gefängnis, denn er war „geistig verwirrt“.
War er das? Vielleicht. War Mary tot? Vielleicht. Aber er glaubte es nicht. Nein. Sie lebte. Davon war er überzeugt.
Mary, ich liebe dich auch!