- Beitritt
- 03.07.2004
- Beiträge
- 1.635
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Mein 22. Geburtstag
Aus meinen Tagebuchnotizen:
Gestern habe ich meinen 22. Geburtstag gefeiert. Das Übliche. Nach Arbeitsschluss bin ich mit einigen Kollegen einen saufen gegangen. Nach Currywurst und Bieren wandte sich der Appetit meiner Arbeitsfreunde dem Rotlichtmilieu zu, aber ich bin nach Hause gegangen. Ich habe keine Erfahrung mit dieser Seite des menschlichen Lebens, ich bin tatsächlich immer noch Jungmann. Selbst table-dancing, das doch nachts sogar im Fernsehen läuft, törnt mich nicht an. Wieso, weiß ich auch nicht. Ich bin eigentlich nicht besonders schüchtern, meine ich, aber irgendwie beachten mich die Mädchen überhaupt nicht.
Ich bin ein Einzelkind, aber die Familien in unserer Nachbarschaft hatten durchweg mehrere Kinder und eigenartigerweise fast nur Mädchen. Jungs in meinem Alter lernte ich erst in der Schule kennen. Da war ich schon so in die Mädchenspiele meiner Nachbarinnen eingebunden, dass ich Räuber und Gendarm nur laut, anstrengend und schmutzig fand. Im Sommer planschten alle Kinder nackt in einem alten Waschzuber bei Meiers zusammen mit deren vier Töchtern. Eine von ihnen, Mariele war auch das älteste Mädchen in der Siedlung und die erste, die sich aus den gemeinsamen Spielen zurückzog. Und als ich in die siebte Klasse versetzt wurde, schien ich plötzlich zwischen zwei Fronten zu stehen. Ich konnte mit den Witzen und Flüstereien der anderen Jungs über Mädchen-Entdeckungen nicht viel anfangen. Schließlich kannte ich Mädchen. Küssen fand ich auch nicht gerade spannend und wie Schlüpfer aussahen, konnte ich jeden Freitag an den Wäscheleinen der Nachbarschaft ausgiebig studieren.
Ich wurde älter und langsam doch neugierig. In Büchern, die ich las, wurde von gemeinsamen Erlebnissen der Heldenpärchen berichtet, die ich auch gerne einmal ausprobiert hätte. Aber mit wem? Auch die Mädchen in der Firma beachten mich irgendwie überhaupt nicht. Ich schaue mir seit einiger Zeit die Werbung im Fernsehen genau an und probiere manches aus, was dort angepriesen wird. Leider rauche ich nicht und von Sekt bekomme ich Schluckauf. Auch alle diese Deos, Wässerchen und was weiß ich noch, die dem Mann in der Werbung angepriesen werden, haben mir bisher nicht geholfen.
Deswegen war ich erst einmal misstrauisch, als mein Wohnungsnachbar Peter mich vorhin ansprach: "Klaus, ich habe was ganz Tolles für Dich. Du wirst der Schwarm aller Mädchen sein."
"Ach komm, Peter. Ich weiß, Du arbeitest bei einem großen Kosmetikkonzern, aber eure Deos wirken nur in der Werbung wirklich umwerfend."
"Kein Deo, ganz was Neues. Das ist noch streng geheim, aber wir wollen einige Feldtests durchführen und suchen dafür junge Männer, die bisher bei der Jagd erfolglos waren."
"Also das Wort Jagd gefällt mir gar nicht. Ich bin doch kein Steinzeitprolo oder Playboy."
"Ach komm, ich mein das nicht so. Das wird bestimmt eine tolle Erfahrung für Dich mit unserer neuen Rezeptur."
"Was ist denn das Neue daran. Habt ihr die Duftstoffe anders zusammen gemischt oder habt ihr irgendwo in China die neueste Liebespflanze entdeckt? Oder vielleicht einen alten Hexenalmanach entziffert?" Ich wurde ein wenig ironisch, denn im Grunde stieß mich diese Geschichte immer mehr ab.
"Nein, keineswegs. Wir sind streng nach den neuesten biologischen Erkenntnissen gegangen und haben verschiedene Pheromone so aufbereitet, dass sie mit dem körpereigenen Geruch einen unwiderstehlichen Duft bilden."
"Und dann werde ich von 50 oder mehr Frauen allen Alters erdrückt, die unbedingt an mich heran wollen. Nein, vielen Dank, das ist mir zu blöd." Mit diesen Worten wollte ich mich verabschieden, aber Peter hielt mich am Arm fest.
"Klaus warte, die Wirkung ist viel komplexer. Ich kann Dir das nicht in allen Einzelheiten erklären, aber der Duft wirkt wirklich nur auf Frauen, die zu Dir passen. Nur Menschen, die genau diesen Duft suchen, werden davon angezogen, die anderen bemerken ihn gar nicht. Und nach statistischen Erhebungen kann man davon ausgehen, dass wirklich nur wenige Menschen jeweils zueinander passen. Du weißt doch: Auf jeden Topf gehört ein Deckel oder so."
Bisher hatte ich ja nicht einmal ein Abenteuer erlebt. Und dann gleich die richtige Frau für ein ganzes Lebens finden? Alle diese Irrungen und Wirrungen, die ich aus meiner Lektüre kannte, umgehen? Das klang interessant und ich willigte ein.
Diese Tagebucheintragungen sind jetzt zwei Jahre alt. Das Experiment war ein voller Erfolg und ich lebe seitdem in einer glücklichen Zweierbeziehung. Wir beide sind froh, dass ich den Versuch durchgeführt habe. Denn der Konzern hat seine Forschung eingestellt und leugnet sogar, je auf diesem Gebiet tätig gewesen zu sein. Die Sache war ihnen wohl juristisch und moralisch zu riskant.
Aber ich habe mich selbst entdeckt und Jürgen gefunden und wie gesagt - wir sind glücklich miteinander.