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Mein Auftritt

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16.07.2009
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Mein Auftritt

„Können wir los?“
„Mit den Klamotten?“
„Wieso nicht?“
„Das sieht komisch aus.“
Einfach nicht dagegen argumentieren. Mittlerweile habe ich gelernt. Sie würde sowieso nichts verstehen.
Ich gehe ihr wieder einmal aus dem Weg, um dieser Spannung zu entkommen, die sie nicht einmal spürt. Ich fühle ihre Ungewissheit, als ich ihr den Rücken zudrehe und damit die Spannung wieder entlade. Für sie ist es unnachvollziehbar wie „ein so hübsches Mädchen“ so „heruntergekommen“ an die Öffentlichkeit treten kann. Mich macht es aggressiv, wenn sie so etwas sagt.
Die Blicke, die mir im Supermarkt eine viertel Stunde später zugeworfen werden, machen mich stolz.
Diese Blicke, die dasselbe sagen wie meine Mutter vorhin.
Diese Plastikköpfe, in denen der monoton surrende Computer durch meinen Anblick gnadenlos abstürzt.
Diese Gruppe aufgetakelter Mädchen meines Alters, die gerade dabei waren, sich mit Hilfe einer Beauty-Zeitung über die neuesten Frisurentrends zu informieren und mich jetzt aus ihren geschminkten Augen mustern wie eine verschreckte Herde Gazellen nach einem Raubtierangriff.
Diese Omas und Opas, die im Winter billige, aus den riesigen spanischen Gewächshäuseranlagen - angelegt auf frisch gerodetem Waldboden - importierte Erdbeeren kaufen und genau in diesem Moment stolz auf ihre Enkel sind, weil sie nicht so aussehen wie ich.
Am liebsten würde ich ihnen eine Standpauke darüber halten, wie in Spanien Gemüse angebaut wird.
Und darüber, was mein Erscheinungsbild darstellen soll.
Doch ich habe gelernt, dass sie nichts verstehen. Dass sie nur darauf achten, wie heruntergekommen ein schönes Mädchen doch aussehen kann.
Deshalb gehe ich ihnen aus dem Weg.
Jedesmal im Supermarkt wünsche ich mir, dass sich etwas ändert. Dass mich jemand anspricht und mich für meinen Kleidungsstil lobt. Oder mich nach meinem Musikgeschmack fragt. Oder nach meinen Gedanken über die moderne Konsumgesellschaft und dem Denken der Menschen.
Bis jetzt hat sich leider noch nichts geändert.
Meine Mutter hält einen konstanten Abstand von mir.
Sie versteht mich einfach nicht. Niemand versteht mich.
Sie schämt sich. Für mich.
Meine eigene Mutter schämt sich für mich.
Weil ihre Tochter als einzige aus der Reihe tanzt.
Weil Hartz 4 gerade mal für die billigsten Produkte reicht.
Weil das verrostete, nicht reparierte Auto draußen auf dem Parkplatz steht.
Weil die Überdosis Tabletten das letzte Mal nicht ausgereicht hat und ihre Tochter noch rechtzeitig den Notarzt rufen konnte.
Weil sowieso alles scheiße ist…
Weil einfach alles daneben geht.
Weil ihre Tochter mit diesen Punkerklamotten so asozial aussieht, dass man an ihr sofort den Stand der zugehörigen Mutter in der Gesellschaft ablesen kann.
Sie wird hektisch, will weg, macht Krach, als sie mit dem Einkaufswagen an ein Regal stößt.
Ich drehe mich zu ihr, zerstöre den Abstand zwischen uns, den sie gerade geschaffen hatte.
Ich helfe ihr, irgendwelche Dinge aufzuheben, die heruntergefallen sind.
Alle schauen zu uns.
Sie schämt sich so sehr.
Es tut mir leid.
Es tut mir leid, dass du so leben musst, Mutter.

 

Hi,

sehr gefühlvoll! Du baust wie ich sehe ein paar Spiegelungen ein.
Das kritische Verhältnis von Mutter und Kind stellst du gut dar. ( Mütter schämen sich immer für irgend etwas. Sollten sie dem nicht bedingungslos gegenüberstehen? ) Und du hast es definitiv geschafft nicht ins Klischeeartige abzudriften. Die Opferrolle, die sie einnimmt, ist mir sympathisch, du hast sie gut und Szene gesetzt und schließlich finde ich hast du gut die Tatsache in Szene gesetzt, dass der Mensch hinter seiner Fassade im Grunde auch ein menschliches Wesen hat - dennoch von der Umwelt nach seinem äußeren Erscheinungsbild interpretiert wird. Wenn ich unrasiert zur Uni gehe, guckt man mich anders an, als wenn ich rasiert bin :>

Beste Grüsse
Arkadius


Diesen Satz finde ich besonders stark:

Diese Gruppe aufgetakelter Mädchen meines Alters, die gerade dabei waren, sich mit Hilfe einer Beauty-Zeitung über die neuesten Frisurentrends zu informieren und mich jetzt aus ihren geschminkten Augen mustern wie eine verschreckte Herde Gazellen nach einem Raubtierangriff.

 

Hallo care!

Hat mir gefallen. An ein paar Stellen kann man was streichen, ich habs dir unten mal rausgeschrieben. Mir gefällt die Stimmung in dem Text. Das ist so modern, bei den Teens, dass man immer nur gesehen werden mag, aber niemals sieht. Denkt, dass man "alleine" damit ist, dass man nur selbst so einen Stil hat, dass überhaupt "niemand" einen versteht ... und so.

Ja, aber auch das Alter geht vorbei, und wenn sie es überleben, die Teens, ihre Tabletten, die Drogen, die Szene, dann wird vielleicht noch mal etwas aus ihnen. :)

Mittlerweile habe ich gelerntDoppelpunkt Sie würde sowieso nichts verstehen.

Fände ich da schön.

Ich gehe ihr wieder einmal aus dem Weg

Streichen.

die Spannung wieder entlade.

Streichen.

Für sie ist es unnachvollziehbar wie

Das ist zu sperrig.

"Sie versteht nicht ..."

Die Blicke, die mir im Supermarkt eine viertel Stunde später zugeworfen werden, machen mich stolz.

Streichen.
Diese Gruppe aufgetakelter Mädchen meines Alters

"in meinem Alter"

Und darüber, was mein Erscheinungsbild darstellen soll.

Ja - was eigentlich?

schönes Mädchen doch aussehen kann

Streichen.
konstanten Abstand zu mir

alles Scheiße ist

Abstand zwischen uns, den sie gerade geschaffen hatte.

Streichen.

Ich helfe ihr, irgendwelche Dinge aufzuheben

Streichen.

Alle schauen her.

Schöne Grüße,

yours

 

danke für kritik & lob! *-*

ich hätte wirklich nicht gedacht, dass die geschichte überhaupt jemandem gefällt...ich habe vorher noch nie etwas derartiges geschrieben. das war sozusagen meine premiere :shy:

 

Hallo!

Auch ich muss sagen, ich mag diese Kg!
Du hast das richtige Maß an Kritik und Provokation der Prota getroffen, um nicht zu übertrieben und klischeehaft zu wirken, du vermeidest den didaktischen Zeigefinger, fragst nach der Sehnsucht und den Wünschen eines jungen Menschen, der sich distanzieren will und doch Nähe sucht.

Jedesmal im Supermarkt wünsche ich mir, dass sich etwas ändert. Dass mich jemand anspricht und mich für meinen Kleidungsstil lobt. Oder mich nach meinem Musikgeschmack fragt.

Eine junge Frau, die dabei ist sich zu finden, sich und ihren Platz in der welt.
Gern gelesen!

 

Hallo Care,

ein gutes Erstlingswerk, dass ich mir gerne durchgelesen habe. Ich allen Änderungsvorschlägen muss ich yours truly zustimmen. Deine Geschichte ist kurz und knapp erzählt und spiegelt das Leben wider. Trotzdem habe ich noch einen weiteren Kritikpunkt hinzu zu fügen:

1. Ich gehe ihr wieder einmal aus dem Weg, um dieser Spannung zu entkommen, die sie nicht einmal spürt.

Du befindest dich in dem Körper des Mädchens. Wäre es da nicht sinnvoller, dass du schreibst: die sie nicht einmal zu spüren scheint.
Weil es doch eine Gestik der Mutter ist, an der sie das glaubt zu sehen.

Ansonsten gerne gelesen und mach weiter so.

Gruß
Kyrios

 

Hallo Kyrios!

Weil es doch eine Gestik der Mutter ist, an der sie das glaubt zu sehen.

Ich hab das eher so gelesen, dass sie ihrer Mutter das mal ganz einfach unterstellt. Das klingt nach Vorwurf, nicht nach Wahrnehmung.

"Ich schenke dir Blumen, über die du dich nicht mal freust!"

So, irgendwie.

yours

 

Hallo Care!

Glückwunsch zu deinem guten Einstieg hier.
Dein Text ist einerseits schonungslos, andererseits im Ton sachlich, also nicht polemisch.

Mein Lieblingssatz:

Diese Plastikköpfe, in denen der monoton surrende Computer durch meinen Anblick gnadenlos abstürzt.
der Vergleich mit Computer ist sehr treffend, weil die Dinger nicht selber denken, sondern programmiert sind.
+++
Am liebsten würde ich ihnen eine Standpauke darüber halten, wie in Spanien Gemüse angebaut wird.
Und darüber, was mein Erscheinungsbild darstellen soll.
Ich find schade dass deine Hauptfigur es nicht tut. Aber das würde dann wohl zu einer anderen Geschichte führen.
+++
Meine eigene Mutter schämt sich für mich.
Das wird sich nie ändern. Da muss jede Generation durch. Obwohl, ich hatte damals Glück, als ich mir meine blonde Mähne wachsen ließ. Meiner Mutter gefiel es, weil sie eh lieber ein Mädchen gehabt hätte, als einen zweiten Sohn. :D
+++
Doch ich habe gelernt, dass sie nichts verstehen.
Auch wieder schade, aber realitätsnah. Statt zu lernen, wie man fester Auftritt, schweigt sie lieber und muckelt.

Liebe Grüße und ein gewaltfreies Wochenende,

Asterix

 

Hallo care,

mir gefiel deine Geschichte auch. Es geht ja eher um das Selbstwertgefühl als um den Auftritt, selbst, wenn man da mit Outfit schon einiges ändern kann.
Deine Erzählerin hat sozusagen "Klassenbewusstsein", so wie Arbeiter irgendwann anfinden, sich ihres Standes nicht mehr zu schämen, sondern selbstbewusster registrierten, dass die Maschinen still stehen, wenn sie es wollen. Allerdings hat sie es noch nicht in dem Maße, dass sie ohne Anerkennung ihres Bewusstseins auskommen würde.
Dagegen steht die Mutter, die gern dazu gehören würde. Beide sind in ihrer Haltung einsam.
Ein paar Details kann ich dir leider nicht ersparen:

Einfach nicht dagegen argumentieren. Mittlerweile habe ich gelernt. Sie würde sowieso nichts verstehen.
Das ist eine merkwürdige Mischung aus Umgangston und korrekter Ausdrucksweise. Wenn es ein Gedanke ist, würde ich eher in der Sprache deiner Figur bleiben und "Einfach nicht gegenan argumentieren" schreiben.
Für sie ist es unnachvollziehbar wie „ein so hübsches Mädchen“ so „heruntergekommen“ an die Öffentlichkeit treten kann.
"nicht nachvollziehbar".
Diese Gruppe aufgetakelter Mädchen meines Alters, die gerade dabei waren, sich mit Hilfe einer Beauty-Zeitung über die neuesten Frisurentrends zu informieren und mich jetzt aus ihren geschminkten Augen mustern wie eine verschreckte Herde Gazellen nach einem Raubtierangriff.
Bezug: Im ersten Teil kann der Bezug noch sowohl auf Gruppe als auch auf Mädchen liegen, es sind also Singular und Plural für das Verb möglich, im zweiten Teil aber ist mir unklar, ob du wirklich die Protagonistin mit einer verschreckten Herde Gazellen vergleichen willst, wie du es tust, oder eben doch die aufgetakelten Mädchen.
Diese Omas und Opas, die im Winter billige, aus den riesigen spanischen Gewächshäuseranlagen - angelegt auf frisch gerodetem Waldboden - importierte Erdbeeren kaufen
Und durch diese Grammatik steige ich irgendwie gar nicht durch, vor allem "aus" irritiert mich.
Sie schämt sich. Für mich.
Meine eigene Mutter schämt sich für mich.
Weil ihre Tochter als einzige aus der Reihe tanzt.
Weil Hartz 4 gerade mal für die billigsten Produkte reicht.
Weil das verrostete, nicht reparierte Auto draußen auf dem Parkplatz steht.
Weil die Überdosis Tabletten das letzte Mal nicht ausgereicht hat und ihre Tochter noch rechtzeitig den Notarzt rufen konnte.
Weil sowieso alles scheiße ist…
Weil einfach alles daneben geht.
Weil ihre Tochter mit diesen Punkerklamotten so asozial aussieht, dass man an ihr sofort den Stand der zugehörigen Mutter in der Gesellschaft ablesen kann.
so gelungen wie ich die Passage einerseits finde, da deutlich wird, es geht hier um das Selbstwertgefühl der Mutter, so sehr muss ich ihn andererseits kritisieren, weil der Bezug "Sie schämt sich für mich" in der anschließenden Begründungsaufzählung nicht immer haltbar ist.
Bei Hartz 4 zum Beispiel kann sie sich nur für die Tochter schämen, wenn diese davon leben muss, sie selbst aber nicht. Dem Kontext entnehme ich aber, die Mutter schämt sich, weil sie selbst ALGII empfängt. Ähnlich ist es mit dem Auto und der Überdosis Tabletten.

Lieben Gruß
sim

 

hi sim ^^
erst einmal danke für die kritik.

Bezug: Im ersten Teil kann der Bezug noch sowohl auf Gruppe als auch auf Mädchen liegen, es sind also Singular und Plural für das Verb möglich, im zweiten Teil aber ist mir unklar, ob du wirklich die Protagonistin mit einer verschreckten Herde Gazellen vergleichen willst, wie du es tust, oder eben doch die aufgetakelten Mädchen.

ich meine damit, dass diese gruppe mädchen wie eine verschreckte herde aussieht. ich wüsste nicht, wie ich es sonst ausdrücken soll

Und durch diese Grammatik steige ich irgendwie gar nicht durch, vor allem "aus" irritiert mich.

das ist der satz, an dem ich die längste zeit verbracht habe. mir gefällt er ebenfalls nicht wirklich...
ich nehme ihn einfach mal auseinander:
Diese Omas und Opas kaufen im Winter billige Erdbeeren und sind beim Anblick der Hauptperson stolz auf ihre Enkel. (weil sie nicht so aussehen, sondern ganz normal sind)
Die Erdbeeren sind aus Spanien importiert. (daher auch dieses "aus")
Und als Ergänzung des genausen Herkunftsortes der Erdbeeren: statt "aus Spanien importiert" "aus spanischen Gewächshäusern importiert" .
Die Gewächshäuser sind auf Flächen angelegt, auf denen vorher Wald wuchs. Der Wald wurde also gerodet, sodass die Gewächshäuser jetzt auf frisch gerodetem Waldboden stehen.

ich habe in diesem satz mehrere gedanken miteinander verbunden, meiner meinung nach zu viele, sodass eben solche unklarheiten entstehen. ich habe leider auch hier keine ahnung, wie ich das umändern sollte.

so gelungen wie ich die Passage einerseits finde, da deutlich wird, es geht hier um das Selbstwertgefühl der Mutter, so sehr muss ich ihn andererseits kritisieren, weil der Bezug "Sie schämt sich für mich" in der anschließenden Begründungsaufzählung nicht immer haltbar ist.
Bei Hartz 4 zum Beispiel kann sie sich nur für die Tochter schämen, wenn diese davon leben muss, sie selbst aber nicht. Dem Kontext entnehme ich aber, die Mutter schämt sich, weil sie selbst ALGII empfängt. Ähnlich ist es mit dem Auto und der Überdosis Tabletten.
das habe ich mir hinterher auch gedacht. ich wollte alles aufzählen, wofür sich die mutter in diesem moment schämt und dass all diese dinge plötzlich in ihren kopf schießen, als sie einmal beginnt, unsicher zu werden (weil ihr ihre tochter peinlioch ist). sozusagen entsteht eine kettenreaktion von gedanken an dinge, die der mutter das leben schwer machen.

 

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