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- 24.04.2003
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Mein Freund Florian ist ein Nerd
"Alter, guck mal, ein Atari VCS 2600. Ey geil, und Pac Man!"
Ich sah Florian bereits zum Portemonnaie greifen, als er plötzlich einen skeptischen Blick aufsetzte.
"Kann ich das umtauschen", fragte er den jungen Türken, der damit beschäftigt war, irgendwelches MP3 Gedöns mit seinem Handy zu fabrizieren.
"Was willst du?"
"Umtauschen. Kann ich das umtauschen? Wenn es kaputt ist."
Der Typ legte das Handy beiseite und überlegte kurz.
"Nein Mann!"
"Dann will ich das nicht haben."
Es gibt sicher bessere Ideen auf der Welt, als mit Florian über einen Flohmarkt zu schlendern, aber er hatte gerade nunmal eine beschissene Zeit, und irgendwie wollte ich ihn ja auch aufmuntern.
"Das ist doch eh millionen Jahre alter Schrott", versuchte ich zu beschwichtigen.
"Spinnst du? Das ist ein Atari 2600. Davon habe ich vier Stück zu Hause."
"Und warum willst du dann noch eines?"
Florian schüttelte den Kopf. - "Du hast echt keine Ahnung, Mann. Gehen wir weiter."
Es ist vielleicht hilfreich zu erwähnen, dass Florian ein Jahr zuvor bei den Niagara Fällen gewesen war, und sich über die seiner Meinung nach zu matschigen Texturen auf den Felsen und die unrealistischen Wassereffekte empört hatte.
Weiterhin ist es vielleicht auch hilfreich zu erwähnen, dass er generell einen an der Klatsche hatte, seitdem er als Kind von einem kleinen Meteor am Kopf getroffen worden war. Die Ärzte hätten diesen zwar entfernen können, aber dann wäre aus Florian ein sabberndes Etwas geworden, weshalb seine Eltern der Operation verständlicherweise die Zustimmung verweigert hatten.
Aber das nur nebenbei.
Ich sah ihn auf eine Würstchenbude zuschlendern, auf der Otto's leckere Knackerbeißer stand, wobei irgendwer das n mit einem Zettel überklebt hatte. Daneben das Bild einer lachenden Wurst im Brötchen, von oben bis unten mit Senf eingesaut.
"Ich hab Hunger", merkte Florian eher in Richtung des Verkäufers als zu mir an.
Beim Anblick von Otto erschrak ich zugegebenermaßen ein wenig. Nicht in dem Maße, dass ich zusammengezuckt wäre, aber mir drängte sich unwillkürlich diese Redensart auf, dass Hundebesitzer immer auch so ein bisschen wie ihre Hunde aussehen, und ich fragte mich, ob das auch für Würste galt.
"Was darfs denn sein, Jung?"
Otto lehnte sich auf die Theke, was ein beunruhigendes Knarren mit sich brachte. Für den schrecklichen Bruchteil einer Sekunde konnte ich unter dem Ärmel seines T-Shirts den Achselbereich einsehen.
"Ich nehm eine Krakauer im Brötchen mit ... mhhmm ... Ketchup."
"Hahahaha", machte Otto und warf den Kopf nach hinten.
"Das macht 2,10 Euro", sagte er dann.
Florian trat von einem Bein aufs andere und betrachtete argwöhnisch die Preistafel.
"Die Zehn kann man aber auch als zwei Nullen interpretieren."
Ich hätte ja widersprochen und gesagt, Komm, lass mal gut sein Alter, reg dich nicht wegen zehn Cent auf und so, aber wenn es um Einsen und Nullen ging, war Florian voll in seinem Element.
"Sach ma", begann Otto keuchend. - "Was isn mit dir los?"
Florian griff nach der Preistafel, stellte fest, dass sie zu schwer zum heben war, versuchte dann sie zu drehen, was aber auch nicht so recht gelingen wollte, und bat mich schließlich um Hilfe.
"Da! Sieht aus wie zwei Nullen."
Ottos Augen wurden zu Schlitzen. Mit einer Hand griff er an die Kante der Theke und quetschte sich weiter nach vorne, um mehr Überblick zu gewinnen.
Dann sah er mich an.
"Sag mal, ist mit deinem Freund auch alles in Ordnung?"
Ich wollte gerade antworten, als Florian mit theatralischer Gewaltgeste zur Wurst im Brötchen griff, hineinbiss, sich verschluckte, hustete, und anschließend 2,10 Euro auf den Tresen knallte.
"Gehen wir!"
Zurück blieb ein verwirrter Otto.
"Sag mal, ich hab mir das überlegt. Ich glaub, ich kauf den Atari doch."
"Alter, was war das denn grad für ne Nummer an der Würstchenbude?"
"Zwei Nummern, für mich waren das zwei ..."
"Mensch Florian, du kannst nicht dermaßen abgehen. Ich weiß, du hast ne schwere Zeit und so, aber ..."
"Ey guck mal! Ein ganz alter Game Boy. Noch mit diesem klobigen Design. Wegen so einem hat Tina ... hat Tina ... Schluss gemacht."
Die erste Träne war noch nicht die Wange hinuntergekullert, als es urplötzlich eine gewaltige Explosion gab.
Ich schüttelte die Trümmer ab und strich mir beim Aufstehen das Hemd glatt.
"Schönen guten Tag", sagte der Außerirdische, der just in diesem Moment aus dem UFO trat und sich sein Monokel aufsetzte. Traurig besah er sich den angerichteten Klumpatsch.
Ein Mann, dem es das Bein weggerissen hatte, schrie um Hilfe.
"Gar nicht mal so eine gute Landung", meinte der Außerirdische und nickte dem Mann entschuldigend zu. - "Ich bin länger nicht geflogen, Sie verstehen? Tut mir Leid, die Sache mit Ihrem Bein."
Ich stand da und konnte es nicht fassen.
Der Außerirdische zog sich einen Zylinder an und betrachtete das Ziffernblatt seiner Taschenuhr.
"Was, schon so spät", murmelte er. - "Ich muss mich beeilen."
Wortlos trat er zu dem noch am Boden liegenden Florian, der panisch sein halb gegessenes Wurstbrötchen umklammerte, und zerquetschte ihm den Kopf. Das Brötchen fiel gleich neben den auf die Erde geschleuderten Game Boy.
"Na, wo isser denn", sagte der Außerirdische und kramte im Gehirn meines Freundes herum, bis er einen kleinen Stein in seinen Tentakeln hielt.
"Aha, gefunden", schmunzelte er. - "Meine Ex Frau, Sie verstehen? Hat ihn vor Jahren einfach aus dem Fenster geworfen. Hab sie dafür gebraten."
Ich nickte einfach und stammelte: "Dachte, das war ein Meteor."
Der Außerirdische lachte. - "Meteor!?! Nein, das ist mein Penis."
"Aha", machte ich. Er hingegen winkte ab.
"Können Sie ja nicht wissen, und außerdem ... wie unhöflich, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Kragsgeks, aber ich muss auch gleich wieder weiter ... Termine, Sie verstehen? Wie wird das auf diesem Planeten denn gehandhabt? Verletzte verletzt sein lassen, oder soll ich alle töten?"
Wieder nickte ich, was im Nachhinein betrachtet nicht die klügste Entscheidung meines Lebens gewesen ist.
Kragsgeks zog einen Apparat aus seinem Jackett, der eine Mischung aus Kettensäge und Schießbolzen darstellte.
"Dann wollen wir mal", lachte er in meine Richtung. - "Wer verletzt ist, bitte melden!"
Augenblicklich gesellte sich zu den Schreien ein sich ununterbrochen wiederholendes Geräusch, das an zerbrechende Äste erinnerte. Dazu ein allumfassendes Gurgeln, begleitet von nassem Klatschen.
Irgendwo weiter hinten konnte ich Otto sehen. Seinen Stand hatte es richtiggehend zerfetzt, und als Kragsgeks Otto erreichte, hielt er kurz inne.
"Hm, sind Sie verletzt? Ich kann das ehrlich gesagt nicht so richtig ausmachen. Sie sehen komisch aus."
Dann zuckte Kragsgeks mit den Schulterpanzern. - "Ach, egal. Wenn ich schon dabei bin ..."
***
Heute habe ich mir ein Würstchen in der Stadt gekauft. Jedesmal fällt mir dann diese Geschichte ein, und ich denke an Otto, wie er geplatzt ist, als sei sein Inneres tatsächlich von einem menschlichen Darm umhüllt.
"Nein", hatte er noch gesagt.
Genützt hat es nichts.
Mit einem "Tschüss" war Kragsgeks damals verschwunden. Vor meinen Füßen der Würstchen Otto.