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Mein Freund Leo

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15.08.2003
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Mein Freund Leo

Mein Freund Leo

Mein Freund Leo wohnt bei uns auf dem Dachboden, weil Herr Krause ausgezogen ist und Leo sonst nirgendwo wohnen konnte. Meine Mama und seine waren mal beste Freundinnen, aber seine ist tot. Und sein Papa weg. Aber Leo hat gelacht und gesagt, er hat ja eine Familie. Uns. Mein Freund Leo sagt, es kann gar keine bessere geben auf der Welt. Deshalb kommt Leo ganz oft zu uns runter, er kocht, hilft mir beim Zimmer aufräumen und wartet mit mir auf Mama.

Mein Freund Leo hat tolle Augen. Wenn es Wolken hat, sind sie grau. Wenn die Sonne reinscheint, sind sie blau, und dann leuchten sie auch. Leo sagt immer, alle Augen können das, aber ich kenn sonst keine.

Mein Freund Leo steht gerne früh auf, wenn ich lieber noch schlafe. Er sagt, es gibt nichts Schöneres als die Sonne, wenn sie die Berge wachkitzelt. Und dazu gibt es ein Gratiskonzert, das sind dann nämlich die Vögel, die sich freuen. Mein Freund Leo sagt immer, dass die Vögel so singen, wie er fühlt. Und dass immer Vögel singen, wenn Menschen sich freuen. Aber vielleicht singen sie ja auch nur für Leo.

Mein Freund Leo ist manchmal böse krank. Dann hustet er so laut, dass alle erschrecken und ihm helfen wollen. So wie wenn er ein Bonbon verschluckt hat. Aber Leo sagt, das ist eine Krankheit. Die hatte er schon immer, sagt er, und lacht. Dann muss er wieder husten, weil er keine Luft kriegt. Weil er ja auch versuchen muss, das Bonbon raus zu kriegen. Mein Freund Leo sagt immer, da ist kein Bonbon, aber wenn man eins verschluckt, hustet man so.

Mein Freund Leo ist viel älter als ich. Zwei Hände voll. Aber Leo sagt, dass man gar nicht alt sein muss. Und dass man nicht mal dran denken soll, älter zu werden. Sonst vergisst man, dass man jetzt lebt. Und dann hat man auch immer Angst und wird nie glücklich. Also spielt er ganz oft mit mir, Karten und Domino, weil uns das jetzt glücklich macht und nicht irgendwann mal.

Mein Freund Leo mag keine Fernseher. Er sagt, dass Fernseher nur ablenken von wichtigen Dingen. Und dass man vergisst, wer man selber ist. Mein Freund Leo hat mir immer gesagt, dass ich das nie tun soll. Weil sonst die Sonne nicht aufgeht und dann alle sowieso gleich einpacken könnten. Warum, wollte er nicht sagen, aber den Fernseher mach ich trotzdem an, wenn Leo nicht da ist.

Manchmal ist mein Freund Leo auch traurig. Einmal hab ich ihn weinen sehen. Ich hab mich vor ihm versteckt, hinter dem Vorhang. Ich wollt ihn nur erschrecken, aber dann bin ich still stehen geblieben, weil Leo so geweint hat. Ich hätt ihn trösten sollen, aber ich war selber ganz erschrocken. Leo ist immer fröhlich, weinen soll er nicht. Nie.

Mein Freund Leo darf nicht mehr in die Schule zurück. Er sagt, er hustet zu laut und lenkt alle ab. Dass er sie stört und dass er lieber zu Hause ist, wo er keinen ärgern kann. Manchmal kommen seine Freunde aus der Schule zu Besuch auf den Dachboden. Ich gehe aber nie mit. Leo sagt dann immer, dass er mich lieber ganz allein zu Besuch hat. Einmal hat ein Mädchen geweint, als sie gegangen ist. Leo hat mir gesagt, das war, weil er so gehustet hat, und das hat das Mädchen traurig gemacht.

Mein Freund Leo hat gesagt, dass ich nicht böse sein soll, wenn er weg muss. Ich hab dann zu ihm gesagt, dass ich nicht will, dass er woanders hin geht. Und dass er bei uns bleiben soll. Leo hat gelächelt, aber nur ganz leicht, und ich fand, dass es traurig aussah. Dann hat er wieder gehustet, immer mehr, und mir gesagt, dass er irgendwie für immer hier bleibt. Weil wir seine Familie sind, und er uns nie verlassen will.

Mein Freund Leo musste die eine Nacht ganz schlimm husten. Ärger als sonst, und er kam runter und war schon ganz lila. Mama ist aufgestanden und wollte mit ihm wegfahren. Leo hat mich umarmt und dabei weiter gehustet und gekeucht. Sein Gesicht war ganz nass. Meins auch. Ich hab ihm auf den Rücken gehauen, um vielleicht das Bonbon rauszukriegen. Er wollte lächeln, aber er hatte nicht genug Luft. Trotzdem haben seine Augen gelächelt; obwohl es doch dunkel war und keine Sonne.

Ich schaue jetzt viel öfter Fernsehen, weil die Vögel so still sind.

 
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Hallo Anea!

Ganz herzlich willkommen auf kg.de! :)

Deine Geschichte ist Dir, finde ich, sehr gelungen. Nicht nur, daß sie sich flüssig liest, ist auch der Inhalt sehr bewegend. Sehr gut ist Dir auch die kindliche Sprache gelungen. Die immer gleich beginnenden Absätze unterstreichen sowohl diesen Stil als auch den Schlußsatz gekonnt.

Die Geschichte hat mich insgesamt sehr berührt, alles, was mir nicht ganz klar ist, ist die Stelle mit dem Dachboden - rauchen die da oben und ist er deshalb krank?
Aber schön finde ich, daß er dem Kind noch so viel Positives mitgegeben hat, vom Jetzt-Leben usw., auch die Art, mit dem Tod umzugehen. - Damit hat er ihr in meinen Augen etwas sehr Wertvolles geschenkt. :)
Besonders gut hat mir auch das mit dem Fernseher gefallen, daß man dann vergißt, wer man selber ist...

Liebe Grüße,
Susi

PS.: Warum steht die Geschichte eigentlich in "Experimente"? Ich nehme an, Du hast Dich in der Rubrik geirrt? Empfehlen würd ich Dir "Alltag". Wenn Du auf "Beitrag einem Moderator melden" klickst, kannst Du diesen bitten, den Beitrag dorthin zu verschieben, wo Du ihn haben möchtest. :)

 

Hallo Susi,

erstmal vielen Dank für das Lob und deine schnelle Antwort!

Meiner Meinung nach war die Rubrik richtig, weil der Text für mich ein eindeutiges Experiment war. Ich hatte nämlich versucht, eine Geschichte nicht nur aus der Sicht, sondern auch aus der Sprache eines Kindes zu schreiben, ohne Rücksicht auf Wortwiederholungen, Formulierungen, Satzbau etc. Deshalb habe ich ihn hier gepostet.

Zu deiner Frage: Leo hat Mukoviszidose, eine genetisch bedingte Erbkrankheit (deswegen hatte er die schon immer). Bei Mukoviszidose wird übermäßig viel Schleim in den Lungen produziert, der abgehustet werden muss, aber irgendwann ersticken die meisten Patienten. Wirklich hilfreiche Medikamente gibt es bisher meines Wissens noch nicht.

Die Szene auf dem Dachboden ist deshalb wesentlich unkomplizierter - seine Freunde besuchen ihn (und da möchte er gern seine Privatsphäre, Kinder können manchmal ja auch stören). Dann beginnt er, wie er später erzählt, zu husten, so dass seine Freunde an seinen bevorstehenden Tod erinnert werde, oder er ihnen erst dort wirklich klar wird (bleibt der Fantasie des Lesers überlassen).

Grüße,

Anea

 

Meiner Meinung nach war die Rubrik richtig, weil der Text für mich ein eindeutiges Experiment war. Ich hatte nämlich versucht, eine Geschichte nicht nur aus der Sicht, sondern auch aus der Sprache eines Kindes zu schreiben, ohne Rücksicht auf Wortwiederholungen, Formulierungen, Satzbau etc. Deshalb habe ich ihn hier gepostet.

Das ist ein Stilmittel, das auch in anderen Stories angewendet wird, wenn die Gedanken eines kleinen Kindes beschrieben werden. Aber eben nicht die ganze Story lang. Werde das wohl gerade noch so gelten lassen. Aber die Entscheidung ist schwer.

 

Meinetwegen kannst du ihn ruhig verschieben, Alltag wäre sicherlich auch passend - das ist mir erstmal egal... Ich bestehe wirklich nicht drauf, dass er hier bleibt. Ihr kennt euch da sicher besser aus :)

 

Liebe Anea!

Das mit dem Dachboden würd ich an Deiner Stelle versuchen, etwas deutlicher zu machen. Sie wirkt nämlich sonst vielleicht wirklich zu mißverständlich (jedenfalls auf mich tut sie das), und das wäre ja nicht im Sinne der Geschichte, hm? ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Verschoben von "Experimente" nach "Alltag".

 

Hallo nochmal,

Da hast du wohl recht, ich werde die Stelle wohl demnächst kürzen, so dass keine Missverständnisse mehr entstehen können. Denn es ist wirklich nicht wichtig für die Geschichte, welche Vermutungen das Kind hegt.

Grüße, Anea

 

Hallo Anea,
deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Der einfache, kindliche Stil zieht sich konsequent durch die gesamte Geschichte. Wenn ich daran denke, wie meine Kinder manche Sachen erzählen, dann kann ich nur sagen, du hast das sehr gut aus der kindlichen Sicht geschildert, z.B. solche Formulierungen wie: Mein Freund Leo ist viel älter als ich. Zwei Hände voll.
Schön, was das Kind alles durch seine Freundschaft mit Leo gewinnt. Ich hatte allerdings, als ich die Szene auf dem Heuboden las, auch etwas anderes im Sinn. Der Satz:"Ich glaube, dass sie da was Schlimmes machen" führt einen etwas in die Irre.
Ansonsten wie gesagt schöner Text, der einen auch etwas traurig stimmt.
Von der Krankheit hatte ich bisher noch nichts gehört.

LG
Blanca

 

Hi!

Ich bin nicht so erfahren im Geschichten schreiben.. wie sie sein sollen, was falsch ist und was nicht.

Aber deine Geschichte fand ich einfach bewegend!
Toll geschrieben und das Thema auch gut durchdacht!
Vorallem den letzten Satz finde ich genial..
sehr schön und sehr traurig, aber gefällt mir echt wahnsinnig gut!

Vorallem die Sichtweise des Kindes hast du gut hinbekommen.. gehört schon was dazu!

lg
shake

 

Hallo Anea!

ASuch mir hat Diene Geschichte gut gefallen. Ich denke, gerade durch die kindliche Sichtweise wird der Text von Absatz zu Absatz besser, die Naivität und Direktheit fand ich sehr gut beschrieben, im Laufe der Geschichte hat mich der Text immer mehr bewegt, auch wenn schon recht früh klar wird, dass es auf Leos Tod hinuasläuft. Ich fand die Szene mit der Schneue für mcih recht eindeutig, auch wenn der schon angespochene Satz etwas irreführend ist. Villeicht solltest Du hier die Formulierung wirklich noch ändern. (Du kannst hier direkt editieren)

schöne Grüße
Anne

 

So, ich hab die Stelle geändert – hoffe, dass es jetzt deutlicher wird. Ich will ja schließlich keinen in die Irre führen. :)

@Blanca: Danke für das Lob! Die kindliche Sprache war wirklich nicht allzu leicht, ich musste zuerst einige Gespräche mit Kindern führen, um da einigermaßen reinzufinden. Und die Krankheit ist zwar nicht allzu verbreitet, für eine Erbkrankheit aber dennoch sehr häufig vorkommend.

@Shake: Schön, dass dir die Geschichte gefallen hat!

@Maus: Fand ich toll, dass jemandem die Stelle auf Anhieb klar war – habe sie jetzt aber trotzdem geändert, weil die Einwände natürlich berechtigt waren. Habe mich jedenfalls wirklich über die positiven Rückmeldungen gefreut.

Grüße, Anea

 

Hallo Anea, diese Geschichte ist "gerade noch gelungen"
Aber nur in meinen Augen.

Sie ist sehr traurig und bewegt...du entlockst Emotionen beim Leser. Gut.

Allerdings bewegst du dich auf einem schmalen Grad zwischen "Kindgerecht" und "Unbeholfen"

Es wirkt in der Tat wie von einer "Fünfjährigen "geschrieben, und das ist in der Tat schon ein wenig zuviel des Guten.

"Mein Freund Leo", am Anfang des Satzes fängt irgendwie an ein wenig zu nerven.

Wie gesagt: Fast nicht mehr die Kurve gekriegt.

Liebe grüsse Stefan

 

Hallo Stefan,

finde ich gut, dass du das ansprichst, denn deine Kritikpunkte sind mir selbst auch schon während dem Schreiben aufgefallen. Ich habe nur keine Ahnung, wie ich es ändern sollte - aber da es sich mMn im Rahmen des Erträglichen befindet, werde ich wohl nicht mehr groß am Stil dieser Geschichte arbeiten.

lg Anea

 

Anea, es befindet sich natürlich mehr als,"im Rahmen des Erträglichen". Es ist gut. Also "fast gut". Überleg mal wie man das ändern kann. Das macht den Reiz am Schreiben aus. Guck es dir ab. Es geht mit "Trick und Stil"

Liebe grüsse stefan

 

Hallo Anea,

Mist, jetzt kann ich gar nichts Neues mehr anbringen, weil schon alles gesagt wurde... ;) Daher nur soviel: Dein Text hat mir sehr, sehr gut gefallen! Du sagst nicht alles, sodaß man ins Grübel kommt (ich habe mich gefragt, was Leo eigentlich für eine Krankheit hat und konnte mir nur denken, daß er wohl dran sterben wird). Auch die Erzählweise aus der Sicht eines kleinen Kindes hat mir sehr gefallen. Ich kann Dir nur zu dieser wirklich gelungenen Story gratulieren! :)

Grüßle,
stephy

 

@stephy, schön, dass dir meine Geschichte gefallen hat - auch wenn ich mir wohl noch Gedanken zum Stil machen werde. Vielleicht werde ich die Anfänge der Absätze etwas umschreiben - wenn mir eine Inspritation kommt.

lg Anea

 

@Stefan - hast du vielleicht eine Idee, wie man die Anfänge der Absätze umschreiben könnte, ohne Stilbruch zu begehen? Ich bin grad sehr ratlos.

 

Hi anea,

bin durch zufall auf deine geschichte gestoßen. sie gefällt mir sehr. die kritikpunkte von archetyp kann ich nicht gelten lassen. gerade die wiederholung an den absatzanfängen gefallen mir. der schluss ist sehr stark, der letzte satz richtig poetisch.
respekt, eine wirklich tolle geschichte, die ich mir übrigens auch gut in der rubrik kinder vorstellen könnte, da du ein schwieriges und trauriges thema sehr kindgerecht und sensibel – aber dennoch nie kindisch – verarbeitest.
auch sprachlich ist die geschichte gut.
liebe grüße sebastian

 

Hallo Sebastian,

vielen Dank für das Lob.

Den Gedanken an die Rubrik Kinder hatte ich auch schon, habe ihn aber dann wieder verworfen. Um ehrlich zu sein weiss ich einfach nicht, ob er "kindgerecht" ist, oder ob die Kleinen eher damit überfordert sind, Leos Tod aus den Zeilen zu lesen und damit umzugehen. Kenne mich da nicht so aus :confused:

lg

Anea

 

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