Mein Hamster der immer ein Hund sein wollte
Mein Hamster der immer ein Hund sein wollte
Ich bekam Chipsy mit sechs Jahren. Es war an Weihnachten. Als ich das Geschenk aufmachte und mir Chipsy entgegen blickte, wusste ich sofort, dass zwischen uns eine unzertrennliche Freundschaft entstehen würde. Und das passierte auch. Wir wurden die besten Freunde, die es je zwischen einem Jungen und einem Hamster gegeben hatte. Ich schaute ihm zu wie er ass, ich schaute wie er im Laufrad spielte, ich schaute ihm zu wie er seine Hamsterbäckchen mit Körner füllte. Wir unternahmen auch sehr viele Sachen mit einander. Wir spielten Schach, lasen zusammen Bücher, forderten uns gegenseitig zu brutalen Pingpong-Turnieren heraus, spielten berühmte Schlachten aus dem zweiten Weltkrieg nach (die Schlacht bei Ohama-Beach gefiel uns am meisten) und wir diskutierten zusammen über den Sinn des Lebens. In dieser Zeit der Freude und des Spasses dachten wir es würde immer so bleiben. Aber keine Freundschaft hält ewig. Keine. Was das eigentlich hiess wurde auch uns bekannt. Wir spielten monatelang zusammen. Lachten und scherzten. Später wurde es zu einem Kichern und abundzu einen Witz. Es fing dass wir immer weniger zusammen lassen. Dann machte es Chipsy keinen Spass mehr im Rad herum zu tollen. Die Pingpong-Turniere wurden ungefähr so spannend wie das Arcadespiel Pong. In den Krieginszenierungen schoss Chipsy immer mit weniger Leidenschaft die Gegner nieder. Ich war in diesen Zeiten sehr verwirrt. Was ist mit unser Freundschaft geschehen? Bin ich zu alt für einen Hamster? Hatten wir uns in zu verschiedene Richtungen entwickelt? An dem Tag an dem wir beim Frühstück uns nicht angeschaut haben, beim Schach uns ständig Blicke zu warfen, die sagten dass man unbedingt gewinnen wollte und an dem Tag wir kein einziges Mal zusammen gelacht hatten, nahm ich mir vor mit Chipsy zu reden. Ich ging zu seinem kleinen Käfig aus Plastik und klopfte gegen die Scheibe. Von ihnen hörte man ein lautes, genervtes Stöhnen. Ich wollte eigentlich weg gehen. Ich hörte wie Chipsy sich darüber aufregte und nun mich wirklich nicht sehen wollte. Doch heute musste ich wirklich mal mit ihm reden. Ich musste das Problem zwischen uns regeln. Nach einigen Sekunden warten, öffnete sich die Türe des Plastikkäfigs. Chipsy kam heraus und schaute mich mit einem schiefen Blick an.
„Was willst du hier?“, fragte Chipsy mich.
„Ich will das zwischen uns regeln.“.
„Was regeln?“, Chipsy setzte eine künstliche Verdutztheit auf.
„Du weißt was!“, antwortete ich ihm, „ Du hast es selber bemerkt wie zwischen uns alles verändert wurde.“.
„Ja das habe ich bemerkt. Aber so ist das Leben halt. Nichts ist ewig“.
„Nein! Unsere Freundschaft kann nicht plötzlich zu Bruch gehen! Es muss etwas anderes sein.“
Plötzlich wurde Chipsy ernst :„Es tut mir leid. Ich wollte dir es eigentlich schon früher sagen....“,.
„Was!“, ich schrie nun schon fast. Es lag wohl an der Spannung die zwischen uns was.
„Ich will nicht weiter ein Hamster sein. Ich will ein Hund sein!“.
„Ein Hund? Wieso willst du ein Hund sein?“.
„Das Hamsterleben ist langweilig. Als Hund kann ich tun was ich schon immer wollte!“
„Und was wäre das?“
„Stöckchen fangen! Bitte versuch nicht mich zu überreden. Ich habe mich bereits entschieden. Am 15. Oktober werde ich in die Staaten fliegen. Dort werde ich den wohl berühmtesten Arzt der sich plastische Hamsteroperationen vornimmt, aufsuchen. Er wird mich dann zu einem Hund machen und damit den Traum erfüllen den ich schon als Kind habe“.
Für mich war die Diskussion noch lange nicht zu Ende. Doch Chipsy tratt zurück sein Käfig und schloss die Türe. Meine Bemühungen weiter mit ihm zu reden scheiterten und er drohte mir die Polizei zu rufen, falls ich weiterhin an seiner Käfigtüre klopfen sollte. Ich ging zurück in mein Zimmer und schaute die alten Fotos von Chipsy an. Es waren alles tolle Erinnerungen. Die Fotos zeigten uns beim Spielen, am Strand, in Staatsgefängnis, in „ wer wird Millionär“ und noch viele weitere tolle Momente des glücklichen Lebens welches wir geführt hatten. Mir war klar, dass dieses Leben nun vorbei war. In einem Anfall von Sabbern und „Ich will dieses Leben zurück“ Schreien, kamen mir die Tränen.
Die nächsten 2 Wochen redete ich nicht mehr mit Chipsy. Später sollte ich wissen, dass das ein Fehler war und ich seine letzten 2 Wochen lieber mit ihm hätte verbringen sollen. Doch bis zum 15 Oktober geschah das nicht.
Er an dem besagten Tag schaffte ich es über meinen Stolz und meine Verbitterung hinweg zu treten und redete mit ihm.
„Wir werden dich bald zum Flughafen fahren. Bist du deiner Tat sicher?“
„Ja... Ich habe in den letzten 2 Wochen noch mal genau darüber nach gedacht und wurde mir sicher, dass es nötig ist. In meinem tiefen Innern bellt es. Und das muss ich nach draußen bringen.“
Chipsy lief davon und packte seine Koffer. Ich war wütend über ihn. Warum tat er mir das an.
Meine Wut verflog auch nicht als wir beim Flughafen ankamen. Es war ein typisches Abschieds-Wetter. Dunkle Wolken verliehen dem Himmel einen traurigen Ausdruck. Es regnete Tropfen die Faustgroß waren und es windete so fest dass sich Chipsy festhalten musste. Und in der Mitte dieses Sturms stand das Flugzeug, welches mir Chipsy für immer entreißen würde. Mir wurde klar, dass der Abschied nun gekommen war. Um diesen noch dramatischer zu machen, holte ich meinen CD-Player hervor und ließ den Titelsong von Casablanca laufen.
„Nun... Es tut mir leid, dass es soweit gekommen ist“, sagte Chipsy zu mir.
„Es ist schon recht, dass du das tust was du begehrst. Und auch zwischen unserem Streit will ich , dass du weißt das ich dich immer noch liebe!“.
„Igitt! Tut mir leid ich stehe nicht auf Männer!“
„Du Idiot! Ich meine nicht so wie man seine Freundin oder so liebt! Ich meine so wie man sein Haustier liebt.“
Doch Chipsy war so angewidert von mir, dass er mir gar nicht mehr zuhörte und ins Flugzeug stieg. Er schaute noch ein letztes Mal durch das kleine runde Fenster. In seinem Augen konnte ich kleine Tränen erkennen. Und als das Lied vom CD-Player fertig war, stieß das Flugzeug in die Luft und stahl mir meinen Hamster.
2 Tage später hörte ich im Fernsehen von einem Flugzeugabsturz. Mein Äußeres sagte mir, Chipsy sei nichts passiert und es wäre ein anderes Flugzeug gewesen. Doch tief in meinem Herzen hatte ich Angst. Auch als ich später hörte es sei ein Flugzeug welches von Zürich nach Amerika flog, tat ich so als ob es Chipsy gut ginge. Dann erzählte mir jemand beim Absturz seien 9 Menschen und ein Hamster umgekommen. Mein Herz verwandelte sich dabei in ein schwarzes Loch aus Trauer. Doch ich redete mir ständig ein Chipsy würde noch leben. Auch als ich einen Brief bekam in dem ein Stück Hamsterfell und ein Zettel war auf dem stand, dass sei das größte Stück was man von ihm fand, redete ich mir schon fast hysterisch ein er würde noch leben. So schaute ich jeden Tag aus dem Fenster in der Hoffnung einen fröhlichen Hund auf der Strasse laufen zu sehen.
Auch 30 Jahre später saß ich noch immer vor dem Fenster und schaute auf die Strasse.
Und als dann die Männer in den weißen Kitteln kamen um mich in eine Zwangsjacke zu stecken, schaute ich noch aus dem Fenster.