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Mein Leben - Dein Leben
„ Guten Tag Mr. Anderson. Ich heiße Uche Okumagba und komme aus Nigeria. Haben Sie vielleicht etwas Zeit für mich?“
„Guten Tag. Kenne ich Sie?“
„In gewisser Weise schon, aber das würde ich ihnen gerne in Ruhe erklären.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich würde mich gerne mit ihnen in ein Cafe setzen und mit ihnen in Ruhe reden wollen.“
„Ich bin mir nicht sicher. Ich habe gerade Feierabend und bin auf dem Weg nach Hause.“
„Ich weiß. Ihre Frau und die drei Kinder erwarten Sie bereits.“
„Woher wissen Sie das?“
„Das würde ich ihnen gerne erklären.“
„Sie machen es aber spannend!“
„Mr. Anderson, ich komme aus einem kleinen Dorf im Südosten Nigerias und bereise die Welt seit 14 Jahren.“
„Das ist eine immens lange Zeit. Wieso tun Sie das?“
„Ich war auf der Suche nach ihnen!“
„Sie sind 14 Jahre durch die Welt gereist um mich zu finden? Was verschafft mir die Ehre?“
„Dazu komme ich gleich. Zunächst möchte ich mit Ihnen einige Daten besprechen um sicher zu gehen. Sie brauchen sie nur zu bestätigen oder dementieren.
Am 16.12.1981 empfanden Sie große Freude und unendlichen Stolz. Sind Sie damals das erste Mal Vater geworden?“
„Ja. Verdammt, woher wissen Sie das?“
„Sind Sie am 21.03.1984 das zweite Mal Vater geworden? Dieselben Empfindungen und Gefühle hatten Sie auch an jenem Tag.“
„Sie werden mir langsam unheimlich. Sind Sie ein afrikanischer Voodoo Zauberei oder so ein Scheiß?
Ich bin nicht an derartigen Zaubereien interessiert. Woher haben Sie diese Informationen?“
„Ich werde versuchen Ihnen eine Erklärung zu liefern.“
„Ich bitte Sie darum!“
„Wie ich bereits erwähnte, stamme ich aus einem Dorf in Nigeria. Die Gegend ist von einem kleinen Völkchen bewohnt, dem ich angehöre.
Seit vielen Jahrhunderten glaubt mein Volk an die Existenz der menschlichen Seele, die zur selben Zeit in zwei verschiedenen Körpern lebt.“
„Was soll das bedeuten?“
„Jede einzelne Seele bewohnt zwei menschliche Körper zur selben Zeit. Empfindungen und Gefühle treten bei diesen Menschen stets im selben Moment auf.
Schmerzen, Trauer, Freude, Glück, Verzweiflung, Wut und so weiter.“
„Das ist doch Blödsinn. Wer denkt sich so eine Scheiße aus?“
„Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Unser Glauben ist aus einer Überlieferung entstanden. Demnach wurden in unserem Dorf vor einigen Jahrhunderten zwei Jungs am selben Tag und zur selben Zeit geboren. Sie waren nicht verwandt und die Familien der Kinder kannten sich nicht. Als das eine Kind schwer krank wurde, war es das andere ebenfalls. Beide wurden zur selben Zeit wieder gesund. Die Gemeinsamkeiten häuften sich und die Dorfbewohner verfolgten das Leben der beiden Kinder. Brach sich das eine Kind beim spielen den Arm, so widerfuhr es dem anderen ebenfalls. Nur auf andere Art und Weise. Eines Nachts hörten die Bewohner Kinder schreien. Sie liefen zu den jeweiligen Hütten und es waren die beiden Jungs. Dem einen verstarb die Mutter, dem anderen die ältere Schwester. Der Tot der Personen geschah zwar zu verschiedenen Zeiten, doch es bemerkt und getrauert haben beide im exakt demselben Moment. Es gab viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Jungs. Es verfolgte sie bis in den Tod. Mit 16 Jahren verstarben beide. Einer wurde von einem Dorfbewohner ermordet, der andere wurde von einem Tier zerfleischt.“
„Das ist eine sehr interessante Geschichte. Was hat das alles mit mir zu tun?“
„Sie und ich tragen dieselbe Seele. Das klingt vielleicht an den Haaren herbei gezogen. Ich kann es Ihnen beweisen Mr. Anderson.“
„Ich denke, Sie gehen jetzt zu weit. Ich muss mir das nicht anhören. Ich weiß nicht woher Sie ihre Informationen haben, aber mir reicht es…...“
„Was geschah mit ihrem dritten Kind?“
„Sie verdammter Hurensohn, was bilden Sie sich ein…..“
„Ihre Freude wurde von Trauer und Schmerz übertroffen und Sie haben sehr gelitten. Mr. Anderson,
etwas schreckliches ist geschehen. Ich habe doch recht, oder?
„Woher wissen Sie das alles?“
„Ich habe dasselbe durchgemacht. Meine Kinder wurden an den selben Tagen wie Ihre geboren, ich heiratete am 04.06.1980. Ich bin am 19.09.52 geboren. Exakt am selben Tag wie Sie."
"Das kann doch nicht sein!"
„Mit 14 Jahren bin ich von einem Baum gefallen und habe mir das rechte Bein gebrochen. Der Schmerz war unendlich groß. Was ist mit Ihnen?“
„Ein Sportunfall.“
„Mein drittes Kind kam behindert auf die Welt. Es kann nicht laufen. Ich war traurig, trotz der Freude über die Geburt.“
„Meine Elize ist taub und blind auf die Welt gekommen.“
„Weinen Sie deswegen so oft!“
„Fast jede Nacht. Ich lese ihr Gute Nacht Geschichten vor, obwohl sie nichts davon hört. Ich bilde mir ein, dass sie es tut.“
„Auch ich weine fast jede Nacht um meinen kleinen Sohn Samuel. Er wird nie laufen lernen, niemals mit seinem Vater spielen können. Mr. Anderson, dies ist auch ein Grund für ihre schlaflosen Nächte.“
"Ja.Ich frage mich, ob meine Elize träumt wenn sie schläft. Es bedrückt mich zu wissen, dass sie ausschließlich von Stille und Dunkelheit umgeben ist. Kann Sie überhaupt träumen? Diese Frage stelle ich mir jede Nacht, wenn ich sie zu Bett bringe.“
„Ich kann Sie verstehen Mr. Anderson. Wir haben einiges durchmachen müssen in unserem Leben.“
„Wie ist das möglich? Wir leben in zwei verschiedenen Kulturen. Sie sind schwarz, ich nicht. Wie haben Sie mich gefunden?“
„Mr. Anderson, die Seele des Menschen lebt nicht nach Kultur und Hautfarbe. Sie ist dort verankert, wo keine materiellen und Äußerlichkeiten auf sie einwirken können. Sie lebt in den Menschen, nicht in deren Umgebung. Zu der zweiten Frage:
Es war nicht einfach Sie zu finden. Ich habe mein ganzes Leben, meine Heimat, meine Familie aufgegeben um Sie zu finden. Viele Jahre verbrachte ich in Afrika und wurde dort nicht fündig. Ich beschloss irgendwann nach Amerika zu kommen. Ich benutzte das Internet und die Medien um voran zu kommen. Ich sah Sie irgendwann in einer Quiz-Show, in der Sie Kandidat waren. Sie sind relativ früh aus diesem Spiel geflogen, ich konnte jedoch in der Zeit in der Sie zu sehen und zu hören waren, viele Gemeinsamkeiten erkennen und fühlte mit Ihnen. So bin ich irgendwann auf Sie gestoßen.“
„Das Quiz. War ein totaler Reinfall.“
„Das können Sie laut sagen.“
„Nun, wie geht es weiter?“
„Ich habe Sie gefunden und habe den Beweis. Bevor ich diese eine letzte Sache kläre, möchte ich Ihnen für das Gespräch danken.“
„Es war mir ein Vergnügen. Sie haben mich wirklich überzeugen können. Was meinen Sie mit einer letzten Sache?“
„Mr. Anderson, es gibt noch einen Grund für ihre schlaflosen Nächte. Es ist nicht nur ihre Tochter.“
„Was meinen Sie?“
„Ich meine das Geheimnis das uns beide seit 18 Jahren begleitet. Ich rede von der Qual, die sie leiden lässt. Ihnen fällt das atmen schwer, sie zittern und haben Albträume. Sie scheinen innerlich zu explodieren und es fällt ihnen schwer damit umzugehen. Sie können es nicht verdrängen und es verfolgt Sie und bringt sie an den Rand des Wahnsinns. Wut, Zorn und Hass haben sich in Ihnen zu einer Einheit verbunden und sind durch ihre Hände ausgebrochen. Vor 18 Jahren, am 08.September. Was haben Sie getan, Mr. Anderson?“
„Wovon reden Sie?“
„Ich sag´ Ihnen was ich getan habe. Das müsste Ihnen weiterhelfen. Ich habe an diesem Tag einen Jungen aus der Nachbarschaft entführt und ermordet. Ich habe mich an seinem Vater gerächt. Er hatte meine Tochter vergewaltigt. Ich wollte ihn mit diesem Schmerz leben lassen. Nun Mr. Anderson, was haben Sie getan?“
„Ich….ich habe meinen Schwager ermordet. Er schlug meine Schwester als sie im 8. Monat schwanger war.“
„Mr. Anderson, ich habe Sie gesucht um mit Ihnen über dieses Thema zu sprechen. Ich hatte das Verlangen es Ihnen zu sagen. Ich konnte mit dieser Tatsache kein unbeschwertes Leben führen und bin der Verzweiflung nahe gewesen. Ich bin glücklich, Sie gefunden zu haben. Ich denke, Sie wissen worauf ich hinaus will und mit was für einem Gedanken ich spiele. Ihnen geht es nicht anders als mir. Ist dies der Fall?"
„Ja.“
„Ich werde gleich morgen in meine Heimat zurückkehren und meine Familie in den Arm nehmen.
Ich werde einige Tage mit meinen Kindern verbringen und mir in sieben Tagen das Leben nehmen.
Ich bedanke mich für das Gespräch.“
Mr. Anderson saß noch einige Zeit auf seinem Stuhl und blickte dem großen schwarzen Mann in dem grünen Gewand hinterher. Er war verunsichert und fragte sich, was dies für ihn bedeute. Er kannte die Antwort bereits. Er war dem schwarzen Mann dankbar und dennoch wünschte er sich, ihn nie getroffen zu haben. Er dachte an seine Kinder, vor allem an Elize. Wer würde ihr die Gute Nacht Geschichten vorlesen? Er verwarf den Gedanken und sagte:“ Sie kann ja eh nicht hören!“