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Mein Sohn

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27.08.2001
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Mein Sohn

Mein Sohn

Da steht er heute vor mir. Mein Sohn. Groß ist er; stellt etwas dar. Sein Gesicht ist kantig und strahlt eine Entschlossenheit aus. Sein Blick ist gerade, man bemerkt seinen Willen, es ist, als würden seine Augen wie Leuchtfinger in die Umgebung hineintasten. Wer ihn sieht, verliert sich in diesen Augen und man meint in sein Inneres schauen zu können. Ich glaube, das ist auch so, denn er ist ein offener Mensch, hat nichts zu verbergen. Vielleicht ist er ein wenig zu ernsthaft für sein Alter.

Und ich, seine Mutter, stehe vor ihm und bin stolz. Ich habe ihm mitgegeben was ich konnte. Mein Gott, wieviel Energie steckt in ihm drinnen. Meine Energie, die ich ihm gerne und mit aller Liebe gab. Fast automatisch wurde Sie immer wieder aufs neue freigesetzt. Freigesetzt für ihn, der mein Leben ist, mein Allerwichtigstes, mein Grund weiterzuleben und weiterzumachen. Er, der meinem kleinen Leben höheren Sinn und Erfüllung gab. Mein Sohn.
Er hat mein Leben erhöht. Durch ihn durfte ich die einzig große grenzenlose Liebe erfahren.
Ich gab mein Bestes all die Jahre. Ich kann das einfach so sagen, denn es ist wahr. Ich habe versucht einen offenen, aufrechten, sensiblen Menschen zu erziehen; seine guten Anlagen zu fördern und das Ergebnis steht vor mir.

Wir waren in Krabbelgruppen, Sportvereinen, haben Malwettbewerbe gemacht. An Wochenenden sind wir in den Tierpark oder einfach in den Wald oder an den Fluß. Fort vom Rollendenken. Ich wollte von klein auf, das er einen Bezug zur Natur, zu den Lebewesen entwickeln kann, sich im Umfeld zu anderen Menschen wahrnimmt und lernt deren Reaktionen zu verstehen. Ich habe seine kreativen Fähigkeiten gefördert. Wir bastelten an Wochenenden, malten und arbeiteten mit Stoff. Und bei Gott, er hat genug, ja fast im Übermaß, gute Anlagen. Mein Verdienst ist, sie ans Tageslicht gebracht zu haben, so wie ein Schatztaucher wertvolle Gegenstände an die Oberfläche holt. Es war nicht leicht für mich, hatte ich doch jahrelang das Gefühl, auch den Vater ersetzen zu müssen.

Ich gab ihm die Brust – ich sehe heute noch, wie er daran liegt und sich sättigt. Meine Tage waren voller Sorge, daß ihm etwas zustoßen könnte und ich versuchte alles von ihm fernzuhalten. Die ersten Schritte draußen im Garten und die Perfektion seiner Schritte als er den 100 m Lauf im Leichtathletikturnier gewann. Sein Heranwachsen und die erste Freundin.

Das wir beide das all die Jahre geschafft haben und das Ergebnis vor mir steht, macht mich unglaublich stolz und erfüllt mein Herz mit berstendem Glück.

Aber er steht vor mir in seiner grünen Uniform mit der deutschen Flagge drauf und sagt mir, er müsse gehen. Er meint damit, nicht nur fort aus dieser Wohnung, sondern nach Mazedonien.

Als er das eben sagte, ahnte ich unser Schicksal. Es war ein kurzes Erspüren zukünftiger Ereignisse und ich wußte in diesem Augenblick, daß er sterben wird.
Das jeder Einwand gegen sein Gehen fortgewischt würde. Und ich wußte, das es mein Kelch ist, mit der Verschwendung meiner Liebe gestraft zu werden, in dem winzigen Augenblick, wo ein Heckenschütze die Patrone in das Herz meines Sohnes jagt.

Die Tür fällt ins Schloß; er ist fort. Ich knie auf dem Boden und starre auf das Muster des Teppichs. Warum geschieht mir das?
Ich habe ihm nie etwas von Vaterlandsliebe oder Wehrhaftigkeit, von Soldatentum, Ehre und Waffenstolz gesagt. So viel Energie, die bald nutzlos gewesen sein wird. Es bricht mein Herz. So wie Millionen Müttern vorher und nachher. Immer wieder und wir werden nicht schlauer.

 

Tag!

Klar, kennen wir das. Aber es gefällt mir trotzdem. Ein aktuelles Thema. Und als Vater kann ich mir das gut vorstellen. Auch der Schreibstil passt zu dem Thema, finde ich.

Heiko

 

Gefällt mir. Die bedingungslose Liebe und schließlich die verzweifelte Hilflosigkeit der Mutter sind deutlich spürbar, Du schreibst ohne übertriebene Sentimentalität, aber dennoch so, daß man mit der Mutter empfindet.
Als "schön" kann man eigentlich nur positive Texte bezeichnen, trotzdem kommt mir dieses Wort in den Kopf. Traurig-schön, vielleicht.
Gruß,

chaosqueen <IMG SRC="smilies/king.gif" border="0">

 

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