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Meine Begegnung mit Osama bin Laden
Wo ist Osama bin Laden? Die ganze Welt stellte nach dem 11. September 2001 diese Frage, doch der Gesuchte bleibt verschwunden. Nur manchmal taucht ein Videoband auf, in dem er (dicklippig, langbärtig, mit Turban und sanfter Stimme) die Rückbesinnung auf den wahren Islam und die Ausrottung des Weißen Mannes propagiert...
Es geschah vor etwa einem Monat, dass eine Äußerung meines Freundes Bernhard mich auf eine heiße Spur brachte; nur hielt ich es zu diesem Zeitpunkt noch für unmöglich, dass der Führer von Al Qaida seine Zelte praktisch um die Ecke aufschlagen könnte. Warum sollte ein Verwandter des saudischen Königshauses, der über beträchtliche finanzielle Mittel verfügt, und als gefährlichster Mann der Welt gilt, sich ausgerechnet in Innsbruck niederlassen? Andererseits: Was spricht dagegen?
Wir saßen also bei einem gepflegten Bier in der Altstadt, als mein Freund und ehemaliger Mitbewohner wieder einmal auf seine WG-Erfahrungen zu sprechen kam. Sonst muss ich bei dieser Gelegenheit immer herzlich lachen, nur dieses Mal blieb mir das Lachen im Halse stecken, und ich starrte ihn mit offenem Mund an, als ich ihn sagen hörte: „Ich hatte fünfunddreißig Interessenten für das große Zimmer, aber ich glaube, mit dem Osama habe ich mich für den Richtigen entschieden.“
Ich fragte, wer denn dieser Osama sei, und was er von ihm wisse. Nichts genaueres, sagte er, aber der Mann hatte ohne mit der Wimper zu zucken die Kaution bezahlt, und sich mit dem Putzplan und den Regeln für die Mülltrennung einverstanden erklärt.
„So einer kann kein schlechter Mensch sein,“ sagte Bernhard, und nahm noch einen Schluck Bier. Nur in seiner äußeren Erscheinung und in seinem Umgang sei der Mann etwas eigen, „aber seine kleinen Eigenheiten hat ja jeder.“
Die Sache ließ mir keine Ruhe! Sie nagte eine schlaflose Nacht lang an mir, und schon am nächsten Morgen griff ich zum Telefonhörer und wählte Bernhards Nummer. Die Person am anderen Ende der Leitung hatte ich schon gehört, freilich nicht am Telefon...
„Kann ich mit dem Bernhard sprechen?“ Die hohe Stimme murmelte Unverständliches. Dann erklärte sie: „This is Osama speaking.“
Ich bat also auf Englisch, mir doch bitte den Bernhard ans Telefon zu holen. Ich hörte, wie schlurfende Schritte sich entfernten, und nach einer Weile sagte eine vertraute Stimme: „Ja?“ – „Fritz hier. Kann ich auf einen Kaffee zu euch hinüber kommen?“
„Sicher. Was ist denn los? Du klingst so komisch...“
Eine Viertelstunde später klingelte ich an der vertrauten Wohnungstür. Sie öffnete sich, und vor mir stand, unverkennbar, Osama bin Laden mit einem Brotmesser in der rechten Hand. Offenbar war er eben im Begriff gewesen, sich ein Butterbrot zu streichen. Ich wusste im ersten Moment nicht, was ich sagen sollte, denn meine Erziehung hat mich nicht auf den gesellschaftlichen Verkehr mit Massenmördern vorbereitet. Ich warf ihm einen verstohlenen Blick zu, nur um ganz sicher zu sein. In meinem Gehirn arbeitete es: Dünne, orientalische Erscheinung + langer Bart + Turban + langes weißes Nachthemd + einnehmendes Lächeln = Osama bin Laden. Die Gleichung stimmte!
Wenig später saßen wir schon um Wohnzimmertisch und schlürften starken Kaffee. Außer Bernhard und mir waren auch zwei schwerbewaffnete Leibwächter, Osama bin Laden selbst und einige Weiber und Kinder anwesend. Ich verhielt mich in dieser Gesellschaft etwas zaghaft und verstört. Bernhard versuchte, die Situation aufzulockern, indem er sagte: „Der Fritz kennt sich gut mit Raumfahrt aus, und er hat Geschichte studiert. Stimmt doch, oder?“ Ich nickte benommen.
Wie sich herausstellte, interessierte sich Osama mehr für Flugzeuge, aber auf diese Weise fanden wir doch einige Anknüpfungspunkte für eine nette Unterhaltung.
Eine Stunde später stand ich endlich wieder draußen auf der Straße. Ich fragte mich, wie es das geben konnte, dass mein Freund auf engstem Raum mit Terroristen zusammenlebte, und nicht den geringsten Verdacht schöpfte. Seine zehn Jahre WG-Erfahrung waren offensichtlich nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Er hatte vermutlich schon schlimmere Mitbewohner erlebt. Außerdem muss man zu seiner Ehrenrettung sagen, dass er sich nicht sonderlich für Politik interessiert.
Ich aber überlegte in großer Unruhe, was in so einer Lage zu tun war. Einerseits kannte ich den Aufenthaltsort eines Mannes, der für den Tod Tausender Menschen verantwortlich war. Wenn ich mithalf, ihn zu stellen, brachte das sicher eine riesige Belohnung ein. Andererseits wollte ich die Privatsphäre meines Freundes nicht verletzen.
Eine Woche später rief er mich an, und fragte, ob ich dem Osama meine Videokamera leihen könne. Nur widerstrebend stimmte ich zu, denn ich hatte meine Zweifel, dass ein Mensch, der im Stande ist, das World Trade Center in Schutt und Asche zu legen, pfleglich mit meinem Eigentum umgehen würde, aber ich wollte auch nicht, dass mein Verhalten meinen Freund Verdacht schöpfen ließ und ihn auf diese Weise in Schwierigkeiten brachte.
Am Ende siegte der gute Staatsbürger in mir: Ich verständigte die Polizei, wo man mir anfangs nicht glaubte. An einem Freitagmorgen kam es dann aber doch noch soweit, dass fünfzig Beamte der Spezialeinheit COBRA die Wohnung stürmten. Ich war mitgekommen, um zuzusehen. So etwas erlebt man nicht alle Tage. Auch ein Dutzend Journalisten war anwesend, um den großen Augenblick exklusiv festzuhalten.
Sie traten die Tür ein und schossen Tränengas durch die Fenster. Sie schlugen alle Möbel kurz und klein. Sie machten einen Heidenlärm. Nach zwei Minuten war alles vorbei. Zum Vorschein brachten sie nur Bernhard selbst, der leicht zu überwältigen war, zumal unter dem Einfluss von Tränengas und Pfefferspray. Von Osama bin Laden aber fehlte jede Spur.
Es stellte sich heraus, dass er den Putzplan nicht einhielt, worauf mein Freund, der in diesen Dingen keinen Spaß versteht, ihn aus der Wohnung warf.
Die ganze Geschichte würde sich im nachhinein gut für launige Gespräche bei einem gepflegten Bier eignen, doch seit er weiß, dass ich ihn angezeigt habe, redet mein Freund Bernhard kein Wort mehr mit mir.