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Meine letzte Mark
Die Geschichte meiner letzten Mark ist die Geschichte meines ersten eigenen Zimmers. Als ich die Mark hergegeben hatte, hatte ich nichts mehr, auch keine Fahrkarte zurück nach Borgeln, das nie jemand kennt, das zwischen Soest und Hamm liegt, es ist ein Ortsteil von Welver.
Ich war am Morgen mit dem ersten Zug von Soest aufgebrochen, ich hatte die Nacht bei Freunden verbracht, nach Hause wollte ich nicht mehr, nicht mehr zur Schule, wollte ganz weit weg. Ich wollte nach Heidelberg, dort zu einem Künstler, der einmal eine Ausstellung in Borgeln gemacht hatte, Holzbildhauerei. Damals war ich völlig begeistert von Holzbildhauerei. Ich hatte nach dem Lösen der Fahrkarte noch zweiundsechzig Mark vierzig in der Tasche. Außer meinem eigenen Geld hatte ich noch hundert Mark gehabt, die ich meinem Vater gestohlen hatte. Ich fühlte mich frei und wußte, daß ich nicht mehr zurückzukehren brauchte. Es kam mir nicht in den Sinn, daß es schwierig werden könnte, in einer Stadt wie Heidelberg ein Zimmer zu finden.
Als der Zug in Heidelberg ankam, war es mittag, und ich hatte Hunger. Ich ging durch die Bahnhofshalle, sah mich nach Backwaren um und fragte mich zum ersten Mal seit meiner Abfahrt, wie ich denn ein Zimmer finden wollte. Ich dachte eine Weile nach, schließlich kaufte ich im Bahnhof eine Regionalzeitung und eine Flasche Cola und aß eine Bockwurst mit Senf. Glücklicherweise war Mittwoch und ich fand eine ganze Menge Anzeigen. Ich blätterte in der Zeitung herum, bekam weiche Knie, als ich die Preise las und fragte mich, was die Kürzel WM, NK und NR in den Annoncen bedeuten mochten. Dann kaufte ich noch eine Schachtel Zigaretten und wählte an einem Münzsprecher die erste Nummer. Bei meinem vierten Anruf nahm endlich jemand ab. Der Vermieter, den ich nur mit Mühe verstand, hatte aber keine Zeit vor neunzehn Uhr. Ich willigte ein, merkte mir die Straße in einem Stadtteil namens Pfaffengrund und träumte bereits von einem großen, hellen Zimmer mit Parkettboden. Nach diesem Erfolg wollte ich in die Stadt. Vor dem Bahnhofsgebäude bat mich ein Penner um Almosen. Seine Haut war fettig, seine Haare unfrisiert, mich ekelte und ich gab ihm ein paar Groschen, um ihn wieder loszuwerden. Daraufhin bedankte er sich überschwenglich, was mir noch unangenehmer war als sein Betteln. Ich roch seinen Säuferatem und ließ ihn stehen. Nur mit Mühe gelang es mir, dabei nicht zu rennen.
Ich löste eine Fahrkarte für die Straßenbahn, betrachtete beim Warten den Glas-Stahl-Bau der Heidelberger Druckmaschinen, vor dem ein überdimensionales, albernes, stählernes Pferd aufgestellt war. Der Bau kam mir zu klein vor. Er wirkte lächerlich und war nicht zu übersehen. Als die Bahn kam, stieg ich ein, ich war nervös, schaute bei jeder Haltestelle aus dem Fenster, kam endlich am Bismarckplatz an. Von dort ging ich durch die Hauptstraße, wollte zum Schloß, von dem ich schon Bilder gesehen hatte. In meiner Hosentasche waren noch knapp vierzig Mark. Da ich nicht wußte, wo der Stadtteil Pfaffengrund lag, kaufte ich einen Stadtplan, mit dem ich später zu meinem Zimmer finden wollte. Nach diesem Kauf ging ich weiter, ich kam zum Kornmarkt, sah das Schloß und wollte hinauf. Es bestand kein Zweifel, daß ich in ein paar Tagen einen Job haben würde, also machte ich mir keine Gedanken um Geld, bezahlte für eine Fahrt mit der Bergbahn, fuhr nach oben und stieg beim Schloß aus. Um das Geld tat es mir nicht leid, zu Fuß wäre mir zu anstrengend gewesen.
Das Schloß war langweilig. Mir gefielen nur die ahnungsvollen Überreste des riesigen, zerstörten Turms. Ich fühlte mich einsam, gerne hätte ich mich mit jemandem unterhalten. Aus irgendeinem Grund mußte ich an meine Mutter denken, die mir nie geholfen, mich immer nur herumkommandiert hatte, dachte, daß ich sie nicht mehr sehen wollte und daran, daß ich mich schämen würde, wenn ich noch einmal zurückkommen müßte. Ich starrte auf die Altstadt hinab, hoffte, daß mein Vater den Diebstahl nicht bemerken würde, fragte mich, wieso eigentlich, er würde mich ja sowieso nie finden. Dann mußte ich lange nichts mehr denken, und das war schön.
Irgendwann fragte ich mich, was ich tun würde, wenn mir das Zimmer nicht gefallen sollte. Dann würde ich es trotzdem nehmen, immerhin wäre ich dann hier, alles Weitere würde sich finden. Diese Entscheidung beruhigte mich. Aber was, fragte ich mich, wenn der Vermieter mich nicht wollte? Ich hatte die Zeitung bereits weggeworfen, ich brauchte unbedingt noch mehr Angebote, ich ärgerte mich über mich selbst. Ärgerte mich über meine Voreiligkeit, meine Naivität, also kaufte ich noch einmal die gleiche Zeitung. Ich mußte wieder zum Kornmarkt, zum Glück waren mir die Telefonzellen dort unten aufgefallen, ich wählte alle möglichen Nummern, sprach Unzusammenhängendes auf die Anrufbeantworter von Wohngemeinschaften, es war drei Uhr nachmittags. Zweimal gingen mir die Groschen aus, zweimal mußte ich Geld wechseln. Die Verkäuferin in einem Tabakwarenladen an der Heiliggeistkirche war so unfreundlich, daß ich mich nicht getraute, gar nichts zu kaufen. Also erstand ich noch eine Schachtel Zigaretten, ungefähr fünfundzwanzig Mark waren noch übrig geblieben. Es gelang mir schließlich, für fünf Uhr einen Termin in Handschuhsheim zu vereinbaren, eine Wohngemeinschaft, die Vormieterin war bereits ausgezogen. Ich sah auf den Stadtplan, Handschuhsheim kam mir weit entfernt vor, doch beschloß ich, zu Fuß zu gehen, um Geld zu sparen. Es war noch eine Stunde Zeit, und ich hoffte, daß das reichen würde.
Ich ging über die Alte Brücke, am Neckar entlang, durch Neuenheim nach Handschuhsheim, die Adresse war Biethsstraße. Als ich vor dem Haus stand, war ich verschwitzt, ich hatte noch eine Viertelstunde Zeit. Kurz fragte ich mich, ob ich warten sollte, dann klingelte ich, die Tür wurde mir geöffnet und ich ging die Treppe ganz nach oben.
Oben in der Tür lehnte eine Studentin, sie stellte sich mir als Julia vor, wollte wissen, was ich studieren wolle, ich wußte wenig zu sagen und nachdem ich das Zimmer gesehen hatte, bot sie mir einen Kaffee an. Wir saßen in ihrer kleinen Küche, in der es nach Äpfeln und Fett und Angebranntem roch, ich redete fast nichts, traute mich schier nicht sie anzusehen, sie war unglaublich schön, vielleicht drei Jahre älter als ich, und als ich ging sagte sie, sie werde es sich überlegen, sie würde mich anrufen, ich erwiderte, das ginge nicht, sie fragte nicht nach, riet mir nur, ich solle mich dann eben nächste Woche noch einmal melden, ich nickte nur und ging wie benommen die Treppen wieder hinunter.
Als ich das Haus verlassen hatte, war ich begeistert und traurig und verliebt, und ich wußte, daß ich sie nicht wiedersehen würde. Ich hätte ihr alles erzählen können, doch ich hätte sie viel lieber beeindruckt, es war zwanzig Minuten nach fünf, ich wußte nicht, wohin.
Die Zeitung hatte ich dieses Mal behalten, ich begann, eine Telefonzelle zu suchen, wollte noch einige Versuche unternehmen. An einer Tankstelle fragte ich nach einem Apparat, der Tankwart konnte mir nicht weiterhelfen, ich versuchte es in einer Bäckerei und einem Supermarkt, am Ende gar in einer Videothek. Als ich endlich fündig wurde, war es bereits kurz vor sechs Uhr. Gleich bei meinem ersten Anruf nahm jemand ab, eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung wollte einen Termin für Samstag mit mir ausmachen, ich mußte ablehnen, fragte noch zweimal, ob es denn nicht heute noch möglich sei, irgendwann ging mir das Geld aus. Ich hatte keine Groschen mehr. Der Tag war schön, und ich hatte keine Lust mehr zu telefonieren.
Weshalb ich mir trotz aller Bedenken so sicher war, das Zimmer im Pfaffengrund zu bekommen, weiß ich nicht. Vielleicht, weil die Sonne schien, vielleicht, weil ich glaubte, daß die Waage zwischen Erfolgen und Mißerfolgen sich am Ende immer ausgleichen würde. Mir blieb noch Zeit, doch wollte ich nicht zu spät kommen. Ich entschied mich, bis zum Bismarckplatz zu Fuß zu gehen, um den Tag noch ein bißchen genießen zu können. Auf der Heuss-Brücke blieb ich kurz stehen, blickte auf das Schloß, auf die Alte Brücke weiter neckaraufwärts und konnte mir plötzlich gar nicht mehr vorstellen, hier zu leben. Das Ganze wirkte falsch, ein wenig entrückt und alt, auf eine merkwürdige Art auch billig und gemein.
Am Bismarckplatz angekommen studierte ich eine Weile unauffällig die Fahrpläne; ich schämte mich dafür, mich so gar nicht auszukennen. Ich wollte unbedingt dazugehören, wie einer wirken, der hier lebte, schließlich drehte sich mir alles und ich bat eine alte Frau um Auskunft. Vielleicht hatte ich sie gewählt, weil ich mir sicher war, daß sie mir nichts tun würde. Ich verstand nur wenig von dem, was sie sagte. Ich verstand nur "Zwei" und "Straßenbahn". Aber das reichte auch. Ich ging zur Haltestelle der bezeichneten Linie und vergewisserte mich: Sie fuhr alle zehn Minuten, brauchte höchstens zwanzig bis zu meinem Ziel. Auf der anderen Straßenseite entdeckte ich einen Chinesen und beschloß, noch etwas zu essen, bevor ich mich auf den Weg machen würde.
Ich bestellte ein Gericht mit Putenfleisch, es schmeckte nach Rind, es war mir egal. Mein Magen war leer, es war ziemlich salzig, es tat mir gut. Als ich meinen Teller wegbrachte, fühlte ich mich ein wenig überfüllt, aber auch ein wenig zufrieden. Ich steckte mir im Hinausgehen eine Zigarette an, inhalierte tief, löste eine Fahrkarte, hatte noch knapp zehn Mark, und als meine Straßenbahn hielt, beschloß ich, noch die zehn Minuten auf die nächste zu warten. Diesen Entschluß bereute ich bald. Ich begann mich zu langweilen, befürchtete, ich könnte zu spät kommen. Auf dem Bismarckplatz gab es einen Kiosk, dort kaufte ich eine Musikzeitschrift, las die Überschriften der Artikel, betrachtete die Fotos von Musikern, die ich nicht kannte. Die nächste Zwei hielt, ich stieg ein, fand einen Platz und fuhr bis zur Haltestelle Stotz, ich erinnerte mich beim Lesen der Stationen auf der elektronischen Anzeige, daß das eines der Wörter gewesen war, das ich im Gespräch mit meinem Vermieter nicht verstanden hatte.
Nach dem Aussteigen warf ich einen Blick auf meinen Stadtplan, die Straße, die ich entlanggehen mußte, hieß Kranichweg, weit hinten verlief die Parallelstraße "Im Kolbengarten". Dort war das Zimmer, dort wartete mein Vermieter auf mich. Ich hatte noch zwanzig Minuten Zeit, meine Beine taten mir langsam weh vom vielen Gehen. Ich betrachtete die Häuser, blickte in die Querstraßen, es war wie ein Friedhof hier: es gab nur rechte Winkel, niedrige, schmucklose Bauten, deren Dächer kaum über die Grundfläche hinausreichten; es war niemand auf den Straßen, keine Fußgänger, keine Kinder, nicht einmal Fahrradfahrer. Ab und zu ein Auto, dann gar nichts, nur der ferne Lärm der Autobahn. Hier, dachte ich, ist alles tot.
Schließlich kam fand ich die Straße. Dort war alles noch schlimmer, die Häuser sahen alle gleich aus. Alle hatten sie vier Stockwerke, und ich war sicher, daß man die Gespräche aller Nachbarn durch die Wände hören würde. Ich hatte mit meinem Vermieter vereinbart, daß ich vor dem Haus warten würde, also hockte ich mich auf die Straße, rauchte Zigaretten, las in der langweiligen Zeitschrift und blickte bei jedem Auto auf, das sich näherte. Ich war pünktlich gewesen, nach einer Viertelstunde war er noch immer nicht da. Auch nach einer halben Stunde noch nicht. Ich fühlte, wie eine Verzweiflung aufstieg, die ich nicht mehr würde kontrollieren können, dachte darüber nach, was ich jetzt noch tun könnte. Endlich mußte ich einsehen, daß es keinen Sinn haben würde, noch länger zu warten. Ich hatte noch vier Mark und vierzig Pfennige in der Tasche. Langsam wurde es dunkel. Da mir nichts Besseres einfiel, ging ich die Viertelstunde zurück zur Straßenbahnhaltestelle, setzte mich in das Wartehäuschen und fühlte mich endgültig und vollkommen elend.
Ich dachte darüber nach, im Freien zu schlafen, morgen den Künstler zu suchen, dann erinnerte ich mich an meine Begegnung am Bahnhof. Ich mochte keine Ahnung haben, wohin ich sollte, doch ich wußte genau, wohin ich nicht wollte. Mir wurde klar, daß ich jetzt nur noch zurück konnte. Ich war den Tränen nahe: zurück, zurück. Ich sprach es langsam vor mich hin, zurück. Es half alles nichts. Also zum Bahnhof, drei Mark vierzig für eine Fahrkarte, ich stieg in die nächste Straßenbahn ein, an der Haltestelle Czerny-Brücke wieder aus, von wo aus man den Hauptbahnhof sehen konnte, ging den Rest der Strecke zu Fuß.
Von Freunden wußte ich, daß man nachts am besten schwarzfahren konnte, also ließ ich mir zwei Verbindungen geben, die erste schon viertel nach neun, die zweite kurz vor halb drei. Bei der ersten hätte ich nachts knapp sechs Stunden in Kassel warten müssen, ich entschied mich also für die andere, Heidelberg war mir lieber, ich brauchte noch Zeit, meine Niederlage zu begreifen.
Die Mark, die ich noch hatte, reichte für keine Wurst mehr, reichte auch nicht mehr für eine Dose Cola, schon gar nicht für eine Flasche Bier. Man konnte mit ihr keine Zeitung mehr kaufen, auch keine Zeitschrift mehr. Sie war unnütz und peinigend, blanker Hohn, Sinnbild meines Scheiterns. Ich ging in der Bahnhofshalle umher, verbrachte lange Zeit vor den Schaufenstern der Buchhandlung. Dann besah ich mir ohne jedes Interesse die Auslage des Tabakgeschäftes, es gab Pfeifen und Zigarren und jede Menge Feuerzeuge, ich rauchte, setzte mich, stand auf, irgendwann war mir alles zu öde.
Ich verließ den Bahnhof, ging einfach in irgendeine Richtung. Zuerst steuerte ich auf das stählerne Pferd zu, das ich noch immer, auch aus der Nähe, albern fand. Es war inzwischen dunkel geworden, die Glas-Stahl-Konstruktion dahinter hatte einen blau erleuchteten Rand oben bekommen, sie sah kalt und groß aus, und plötzlich faszinierend und perfekt. Ich ging weiter, kam irgendwann wieder zum Bismarckplatz. Es verwunderte mich; diese Stadt war nicht wirklich groß, und langsam, bemerkte ich verwundert, begann sie mir zu gefallen. Ich hatte den Bismarckplatz wiedergefunden, vielleicht konnte ich sagen, daß ich sie schon ein wenig kannte? Ich ging umher, folgte den Straßen, überquerte den Neckar, beobachtete die Leute, die in Cafés saßen, lauschte Gesprächen, die an Haltestellen geführt wurden, sah viele Gesichter, die Zeit floß unendlich langsam. Es war, als hätte ich mich in dieser Stadt aufgelöst, als wäre ich ein Teil von ihr.
Irgendwann dachte ich nichts mehr, sah auch nichts mehr, ahnte nur noch Schatten, alles wurde flüchtig, es kam mir wie Unfug vor und zu wissen, daß ich wieder weggehen mußte, tat mir weh.
Ich sah nur noch selten auf die Uhr, es war noch lange hin, mit der Zeit nahm ich fast nichts mehr bewußt wahr. So auch nicht, als irgendwann ein Fahrrad einige Meter vor mir hielt, kaum sah ich die Gestalt, die abgestiegen war und sich an einem Zigarettenautomaten zu schaffen machte. In eine dicke Jacke gehüllt, kramte sie in einer Geldbörse, ich hörte Münzen klimpern, es fiel mir schwer, die Informationen in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Dann verstand ich, und mir fiel die Mark in meiner Hosentasche ein. Ich zog sie heraus, legte sie, fast ohne hinzusehen, auf den Automaten, wollte weiter, hörte das "Danke" schon fast nicht mehr, auch kaum noch das Einwerfen der Münzen und die Ausgabe der Schachtel. Schon war ich wieder in Trance, versunken in meinen sinnlosen Gang durch eine Stadt, die ich nicht kannte, und die in mir doch ein merkwürdiges Gefühl von Vertrautheit weckte. Dann war das Fahrrad plötzlich neben mir, die Fahrerin sagte, sie kenne mich, ich sei doch der von heute nachmittag, der sich das Zimmer angesehen habe, ich erwachte. Ich blickte auf, es war Julia, ich erkannte die Videothek und den Supermarkt, wo ich nach einer Telefonzelle gefragt hatte, ich war in Handschuhsheim.
Sie sah mich an, ich blickte zu Boden. Ihre Frage, was ich hier jetzt noch tue, um diese Uhrzeit, nicht vorwurfsvoll, nicht besorgt, mein Schulterzucken, ihr darauffolgendes, eindringliches, langgezogenes, tiefes "Na?". Ich versuchte irgendetwas zu erzählen, sie fragte nach, ich konnte ihren Fragen nicht entkommen, schließlich wußte sie alles. Und dann geschah etwas Wunderbares: sie lächelte und bot mir an, einige Tage in dem leeren Zimmer zu bleiben, bis ich etwas Besseres gefunden hätte. Ich sah sie an, wußte nichts zu sagen, sie zog mich mit sich.
Es war mein erstes eigenes Zimmer. Obwohl ich nur wenige Tage blieb, bald hatte ich einen Job als Kellner, ein bezahlbares Zimmer in Rohrbach, habe ich mich vermutlich niemals irgendwo wieder so zu Hause gefühlt wie dort. In dieser kurzen Zeit war dieses Zimmer alles für mich, vielleicht, weil es das erste war, vielleicht, weil ich dahin zurückkehren durfte, vielleicht, weil es eine Tür hatte, die ich hinter mir schließen konnte.
Julia wollte kein Geld von mir, ich durfte mit ihr frühstücken, sie gab mir einige Tips, wo ich Arbeit finden konnte, erklärte mir die Kürzel in den Annoncen, und als ich auszog wünschte sie mir viel Glück.
Den Künstler habe ich eines Tages wiedergetroffen, wenn auch nicht in Heidelberg, er hatte es vorgezogen, seinen Wohnsitz nach Straßburg zu verlegen. Als ich ihn traf, wußte ich gar nicht mehr, was mich damals so sehr an ihm oder seiner Arbeit begeistert hatte. Und doch war ich mir sicher, daß es die beste Entscheidung meines Lebens gewesen ist, ihn suchen zu gehen, hatte diese Suche doch zu meinem ersten eigenen Zimmer geführt.
Mein erstes eigenes Zimmer hat mich nur diese eine letzte Mark gekostet.