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Meine Reise mit dem Zwerg
Eines morgens, als ich aufwachte, da stand ein Zwerg neben meinem Bett. Er nahm mich bei der Hand und sagte: „Komm ich zeige dir die Welt.“
Erst zögerte ich, ich hatte ja noch nie einen echten Zwerg gesehen, geschweige denn für möglich gehalten, dass überhaupt Vertreter dieser Gattung auf Erden wandelten, doch sein Lächeln war so sanft und voller Anmut, dass ich beschloss, seiner Aufforderung nachzukommen.
Als ich mein Frühstück zu mir genommen – der Zwerg lehnte es übrigens strikt ab diese erste Mahlzeit des Tages mit mir zu teilen-, mich angekleidet und wir das Haus verlassen hatten stellte sich der Zwerg mir vor: „Ich bin Grim Bart,“ dröhnte er mit einer Stimme, die klang wie ein startender Lastwagen „und jetzt folge mir.“
Er nahm mich bei der Hand und marschierte los. Während wir so dahinschlenderten warf ich einen Blick auf die Gestalt und musste zugeben, dass der kleine Kerl mir recht putzig daherkam.
Sein Rauschebart musste einst von prächtiger roter Farbe gewesen sein, doch mittlerweile war er verblasst und von grauen Strähnen durchzogen.
Über dem Dicken Bauch des Zwerges spannte ein ledernes Wams, das seine beste Zeit schon hinter sich hatte und nur noch speckig glänzte.
Unter dieser Lederweste trug Grim Bart ein grün-gelb gestreiftes Seidenhemd, das augenscheinlich neu war. Bei jedem Schritt der Kreatur wippte ihr dicker Bauch und mit ihm der Hemdkragen sowie der Bart. Der einzige Knopf seines Wams' allerdings, der schien des Wippens bald überdrüssig. Bei jedem Schritt stöhnte er und drohte jeden Moment abzuspringen. Die Hose des Zwerges ordnete ich für mich derweil eher in die Kategorie lustig ein. Ein orangenes Ungetüm, das ihm mehrere Nummern zu groß war und einen solch schlechten Schnitt besaß, dass ich mich fragte ob es je ein Lebewesen geben würde, dem diese Hose stand. An den Füßen trug Herr Bart altertümliche Schnallenschuhe aus feinstem Ziegenleder auf seinem Kopf steckte, frisch gewaschen und gesteift, eine knallgelbe Mütze, eine ebensolche wie sie Zwerge nunmal zu tragen pflegen, nur eben gelb.
Grim Barts tiefes Grollen, riss mich aus den Gedanken zu meiner höchst wissenschaftlich durchgeführten Studie seiner Garderobe: „Komm mit hier rüber und schau.“
Er zog mich in ein nahes Gebüsch. Von dort hatten wir, als wir ein paar Zweige aus unserem Sichtfeld geschoben hatten, einen recht guten Einblick auf eine große durch eine Ampelanlage geregelte Straßenkreuzung.
Hunderte Wagen hatten sich hier versammelt, hupten und drängelten, als sie hastig versuchten über die Kreuzung zu kommen.
Grim Bart streckte seine Hand aus und deutete auf zwei Fahrzeuge, die direkt vor der Haltelinie eines roten Signals standen.
Zuerst ein etwas heruntergekommenes Auto, dahinter ein dunkles schweres Luxusgefährt. Plötzlich sprang die Ampel vor diesen beiden Wagen auf grün doch nichts bewegte sich. Dann endlich, ja ich würde fast sagen es währte eine kleine Ewigkeit, begann der kleine Wagen zu zucken, nur um kurz darauf wieder stehen zu bleiben.
Fragend blickte ich zu Grim Bart, doch er deutete mir mit dem kurzen aber bestimmten Nicken seines massigen Hauptes, die Szenerie weiter zu beobachten. Mittlerweile leuchtete das Signal wieder rot und die Tür der schweren Wagens flog auf.
Ein Mann stürmte daraus hervor, brüllend wie ein Berserker.
Er machte ein paar Schritte um seinen Wagen herum und holte aus dem Kofferraum einen Stock. Damit ging er zum Wagen vor ihm und zeigte auf den Fahrer.
Doch halt, das war kein Stock, das war ein... ich schrie, wie ich noch nie im Leben geschrien hatte doch der Mann schien mich nicht wahrzunehmen.
Der vermeintliche Stock stieß eine beträchtliche Ladung Feuer und einen ohrenbetäubenden Knall aus. Als sich die Rauchschwaden verzogen hatten, sah ich, dass der einst weiße Wagen vollkommen rot ausgefüllt war.
„Wir müssen helfen Grim Bart, komm schon beweg dich“ ich wollte aufspringen, doch der Zwerg hielt mich mit eisernem Griff fest, so dass ich mich keinen Deut mehr rühren konnte.
Selbst einem Bären wäre es wohl unmöglich gewesen diesem Griff zu entrinnen.
Also sah ich wieder hinab. Der Mann aus dem dicken Wagen hatte sich mittlerweile seine Flinte – denn genau das war es gewesen, was ich irrtümlich für einen Stock gehalten hatte: eine Flinte - jetzt ans Kinn gedrückt, er wollte sich richten.
Doch sein Arm war zu kurz, oder das Gewehr zu lange, je nachdem aus welcher Perspektive man das nun betrachten mochte. Somit war der Mann nicht in der Lage den Abzug des Gewehres zu erreichen. Nachdem sich der Mann einige Minuten vergeblich abgemüht hatte, seine Erlösung im Freitod zu finden, kam ihm die rettende Idee.
Erst zog er einen Schuh aus dann den Strumpf und riss den Abzug der Flinte auf einem Bein stehend mit seinem linken großen Zeh durch.
Nach dem zweiten ohrenbetäubenden Knall dieses Tages stand der Mann noch einige Zeit ohne Kopf neben seinem Wagen, machte noch ein zwei Schritte in unsere Richtung, bis er dann zusammenbrach um die ewige Ruhe anzutreten.
„Wir müssen weiter, es gibt noch mehr zu sehen“ ohne jeglichen Protest zuzulassen zog Grim mich mit sich.
Wir schlichen Hand in Hand durch die Straßen einer dunklen, vom Verfall zerfressen Stadt.
Hier ein trübes Fenster, dort eine in Fetzen hängende Gardine, da ein paar Kinder, die sich Gegenseitig die Nasen blutig schlugen und auch noch Spaß daran hatten.
Grim zog mich in eine dunkle Gasse, so dunkel, wie ich im Leben noch keine gesehen hatte. Überall stank es hier nach billigstem Parfüm und Desinfektionsmittel. Vor den Türen aus teils morschem, teils faulendem Holz, standen Frauen im besten Alter, leicht bekleidet und von Schwindsucht gebeutelt.
Eine dieser Damen lächelte mir zu. Mit erschrecken musste ich feststellen, dass sich hinter ihren aufgesprungenen Lippen nur noch ein Zahn befand der von Karies befallen war. Wie ein verrottender Baumstumpf stand er da, einsam und alleine faulte er vor sich hin, während er einen Gestank verströmte, der mich an verdorbenen Kohl erinnerte.
Der Zwerg führte mich weiter an ein Fenster deutete mit der Hand darauf und sagte wieder nur: „Schau!“ Ich sah dort in dem Raum einen Mann und eine ebensolche Frau, wie ich sie zuvor auf der Straße hatte beobachten können.
Sie schienen zunächst etwas zu verhandeln, dann gab der Mann der Dame ein Bündel Geldscheine in die Hand. Beide fingen an sich zu entkleiden. Die Frau legte sich aufs Bett, der Mann fiel mit animalischer Wucht über sie her.
Seine Lustschreie ließen die alten fast blinden Scheiben erzittern.
Die Frau indessen wandte voll zurückhaltendem Ekel das Gesicht ab, während eine dicke Träne langsam und einsam über ihre Wange kullerte, um schließlich in der von Wanzen besiedelten Matratze zu versinken.
Als sich die erste Woge der Begierde des Mannes gelegt hatte, stand er auf, machte ein paar Dehnübungen – es waren ebensolche, die bereits ein jeder in der Schule, im Fach der Leibesübungen, vollführt hatte. Schließlich deutete er der Frau sie solle sich umdrehen.
Als diese sich weigerte entbrannte ein heftiges Wortgefecht mit Beschimpfungen wie ich sie nicht im Stande bin wiederzugeben.
Der Mann, angefüllt mit sprühender Aggression und brennendem Verlangen, verlor schließlich die Kontrolle über sein Handeln. Er schlug zu.
Der Mann traf die Frau mit der Faust Mitten ins Gesicht, bis nach draußen konnte man das trockene Knacken vernehmen, mit dem das Nasenbein der Dame in tausend Stücke zersprang.
Sich die Hände vor's Gesicht reißend taumelte sie zurück, verlor schließlich die Besinnung, kippte um und knallte mit dem Hinterkopf auf den Bettpfosten.
Der bohrte sich gnadenlos durch ihren Schädel hindurch um fürchterlich schmatzend, wieder aus dem Mund der Dame auszutreten. Fleischfetzen, Knochensplitter und grauweiße Gehirnmasse klebten an der rauen Holzoberfläche. Halb entsetzt, halb zufrieden drehte sich der Mann um, griff seine Hose und begann sich wieder anzukleiden. Plötzlich hielt er inne und drehte sich um. Sein Blick fiel auf die Frau, die gepfählt an ihrem eigenen Bette hing. Ein diabolische Zucken durchlief seine Glieder, und er nahm sich wofür er bezahlt zu haben glaubte.
Der Anblick hatte sich in meine Netzhäute eingebrannt, immer und immer wieder sah ich die schreckliche Szene vor Augen.
Erst als Grim Bart mir einen deftigen Stoß in Rippen verpasste, merkte ich, dass wir die dunkle Gasse schon längstens verlassen hatten, und uns in einem recht feinen Häuschen befanden.
Direkt vor uns deckte gerade eine Dame, welche ihre besten Jahre schon längstens Hinter sich gelassen hatte einen kleinen Tisch.
Sie war dabei unbekleidet und schleppte Unmengen an Leckereien an, sodass das Tischchen unter dem enormen Gewicht bereits stöhnte und ächzte.
Dabei sang sie immerzu: „Ich bin eine Dame und ich schlemme gerne. Ich bin eine Dame und ich schlemme gerne.“ Was sie dann veranstaltete hatte mit Schlemmen rein gar nichts mehr zu tun.
Schmatzend, rülpsend und ja, zu meinem Entsetzen auch schrecklich furzend, saß sie zu Tisch.
Beinahe lüstern hieb sie hier ihre Zähne in ein belegtes Brot, frivol soff sie da einen riesigen Schluck - der selbst einen Trinker vor Neid hätte erblassen lassen - aus dem Weinglas und lechzend vor Gier schlang sie dort den Sahnenachtisch in sich hinein.
Als sie in ein Stück überreifen Käse biss, troff der gelbliche Schleim, vermengt mit dem Speichel der Dame, hinab und rann über ihre hängenden Brüste.
Als sie den kompletten Tisch geleert, ja selbst Folien, Schüsseln und Teller ausgeleckt hatte, stand sie auf, reckte und streckte sich.
Unter ihren Armen kamen dabei graue Achselhaare zum Vorschein, die vom Schweiß verklebt waren.
Dann versuchte sie elegant vom Tisch wegzutänzeln, aber bei ihrer Körperfülle sah es aus, als würde der Leibhaftige selbst versuchen eine Ballerina zu karikieren.
Als sie an ihrem Kleiderschrank angelangt war, zwängte sich die Dame in eine viel zu enge Abendgarderobe, sodass an allen Ecken, an denen der Stoff nicht so viel Spannkraft besaß eine ungeheuerliche Menge wabbeligen Fettes an Tageslicht quoll.
Ein klingeln an der Tür kündete Besuch an, die Dame schwebte in ihrer Haltung - als abstrakte Perversion eines grazilen Wesens - zum Eingang und öffnete.
Davor stand der Mann aus der dunklen Gasse und grinste. „Hallo Schatz,“ sagte er. „Hallo Schatz,“ sagte die Dame. Dann küsste der Mann sie auf den Mund, der noch immer mit Käseresten verschmiert war.
„Lass uns gehen, ich glaube das war genug für heute,“ sprach Grim zu mir und wir traten den Rückweg an.
Mittlerweile war es Abend geworden, ich hatte mich schon wieder umgezogen und stand im Nachtgewand vor meinem Bett.
„Grim,“ sprach ich den Zwerg an, „was sollte das alles, warum hast du mir all das gezeigt?“
„Ich weiß es nicht“, sprach da der Zwerg, „ich weiß es nicht.“ Dann verschwand er einfach als wäre er nie da gewesen.