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Meine tote Freundin Katrin
Letzten Freitag haben Katrin und ich uns von einem Komiker berieseln lassen. Er hat über seine Freundin gesprochen und deren Eigenarten. Wie gerne sie Handtaschen hätte, hat er erzählt, und dass sie nur mit einer Freundin zusammen aufs Klo ginge, nie alleine. Ich konnte nicht darüber lachen. Katrin auch nicht. Seit ihr der Unterkiefer vor einer Woche abgefallen ist, lacht sie so gut wie gar nicht mehr. Ich habe versucht, ihn wieder anzunähen, aber für saubere Stiche ist ihre Haut zu rissig.
Katrin ist nicht wie die Freundin von Mario Barth. Katrin ist einzigartig. Sie macht sich nichts aus Handtaschen, braucht niemals zu lange im Bad und macht auch beim Fernsehen keine Zicken. Sogar den Mittwoch hat sie aufgegeben, Grey’s Anatomy interessiert sie nicht mehr.
Sie gibt kein Geld für Schuhe aus und auch keins für Magazine. Sie blockiert das Auto nicht, wünscht sich keinen exotischen Vogel, telefoniert höchst selten mit Freundinnen und auch nicht mit ihrer Mutter.
Einmal hat sie einen Einbrecher abgeschreckt, so vermute ich. Denn als ich morgens aufstand, fand ich einen Sack vor unserem Bett, in dem der DVD-Player und einige Wertsachen lagen. Katrin erzählte ich nichts davon, sie muss nicht übermütig werden.
Ich belohnte sie dennoch. Früher ist sie immer gerne in den Park gegangen, um die Tauben zu füttern. Seit ihr der linke Fuß mitsamt Knöchel abgebrochen ist, geht das natürlich nicht mehr.
Also schob ich sie in den Park, bis zu ihrer Lieblingsbank, legte ihr ein paar Brotkrumen in die Hand, fasste ihr an den Ellenbogen und ließ sie werfen. Leider flog die Hand in hohem Bogen mit; die Tauben flatterten auseinander, als sie aufschlug. Ich klopfte Katrin auf den verbliebenen Oberschenkel – mit dem anderen ist vor zwei Wochen ein Hund entkommen -, stand auf, ging zu Katrins Hand und löste den Verlobungsring vom Finger. Er ging ganz leicht ab
Katrin hat so gut wie keine Ausgaben. Als sie erst kurz tot war und zu riechen begann, gab sie Unsummen für Parfüm aus. Das Duftwasser von Elizabeth Arden, das ihr früher so gut gefiel, wurde schnell zu teuer. Ich stieg auf ein No-Name-Produkt in der Fünfliter-Flasche um, doch auch das war zu schwach. Meine Augen tränten. Ich legte ihr einen WC-Stein in die Bauchhöhle und befestigte Duftbäumchen in ihren Ohrlöchern. Sie roch noch immer. Endlich erkannte ich, worin mein Denkfehler lag; und besorgte eine Geruchs neutralisierende Paste, die ich mir nun dreimal täglich auf die Oberlippe reibe. Der Verlust meines Geruchssinns ist ein geringer Preis für unsere Harmonie. Wir streiten niemals, es läuft besser als je zuvor. Wir wünschen uns sogar ein Kind. Jeden Sonntag schaue ich den Wochenboten nach Sterbeanzeigen durch. Einen Spaten habe ich auch schon gekauft. Katrin hat gelächelt. Damals hatte sie ihren Unterkiefer noch.
Von Walter ist gar keine Rede mehr, sie will nicht einmal sein Grab besuchen. Dabei liegt er malerisch in unserem Vorgarten. Treue ist Katrin mittlerweile so wichtig wie mir, im Sommer wollen wir den Bund fürs Leben schließen. Den Passus „Bis dass der Tod euch scheide“ werden wir auslassen.