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Meine Welt
Der besagte Morgen war wieder einmal ein solcher, an dem ich mit Carl sprach. Seine Stimme klang wie immer komisch. Wie von weit her, aber doch ganz nah... Vielleicht so, als wäre sie nur in meinem Kopf.
Wir redeten schon eine ganze Weile so über dies und das. Auf einmal aber sagte ich etwas, womit ich selber nicht gerechnet hatte.
"Ich liebe dich, Carl.", meinte ich nämlich. Es klang sehr ernst.
"Was? Du liebst mich? Mich?", fragte Carl daraufhin.
"Naja... Schon. Auf gewisse Weise.", meinte ich. Damals war es schwer für mich zu sagen, ob ich verrückt war. Manchmal war ich mir sicher, klar bin ich das. Auch an diesem Tag überlegte ich ernsthaft, ob ich mit jemandem darüber sprechen sollte. Halluzinationen und so. Aber die einzige Diagnose wäre wohl zu viele Videospiele gewesen. Also ließ ich es.
"Ah... Ehrlich? Das ist klasse!", freute sich Carl.
"Na und? Das bringt doch auch nichts.", sagte ich.
"Wieso? Was ist falsch?" Kapiert er das nicht, fragte ich mich damals. Ich weiß es noch ganz genau.
"Na hör mal! Wie sollen wir denn bitte zusammen kommen, hm? Du dort, ich hier... Das geht nicht!", erklärte ich sanft.
"Warum nicht?" Er war so kindlich manchmal.
"Wir könnten uns nie küssen... Oder auch nur berühren!"
"Dann komm doch einfach her!", forderte Carl dann eindringlich.
"Zu dir? Wie denn?"
"Naja, du kommst einfach her!", sagte Carl locker.
"Wie?", fragte ich wieder.
"Du wirst das rausfinden. Denk nach!", antwortete er nur. Als wäre es egal.
"Das geht doch sowieso nicht!", meinte ich.
"Und dann triff deine Entscheidung." Er tat, als hätte er mich nicht gehört. Toll, typisch Mann. Aber vielleicht hatte er Recht, entschied ich damals. Und begann zu überlegen. Konnte das denn wirklich funktionieren? Ich, ein Mensch aus Fleisch und Blut, in einer Welt wie der Carls? Niemals... Oder?
Es hat lange gedauert, bis ich herausfand, wie man es macht. Aber es ging wirklich. Jetzt gab es für mich nur noch eine Frage, die sich stellte: Will ich das denn auch?
Wochenlang machte ich mir Gedanken. Alles andere war mir egal. Aber wie würde es mir dort ergehen? Bei Carl. Ich könnte sofort tot sein, erschossen wie viele andere auch. Und wie sollte ich dort arbeiten? Musste man dort arbeiten? All diese Fragen konnte mir niemand beantworten - fast niemand. Carl hätte gekonnt. Aber er tat es nicht. Er sagte nur immer, ich solle selber überlegen und einen Weg für mich finden.
Schließlich beschloss ich, es zu versuchen. Was hatte ich denn zu verlieren? Mein Leben hier? Nein, das hatte ich längst verloren.
Es stellte sich als leichter heraus als ich dachte. Alles lief glatt und ich war sogar willkommen in meiner neuen, etwas kleineren Welt. Ich nahm natürlich keine Sachen mit. Wie sollte das aussehen, wenn auf einmal eine Fremde mit vollkommen unbekannten Klamotten auftaucht? Schließlich spielt diese Welt nicht in der Gegenwart. Natürlich ging ich nicht nackt, aber in gebrauchten Sachen, die mir authentisch vorkamen. Und natürlich ohne Gepäck und Geld.
Nur einen einzigen Gegenstand musste ich mitnehmen, sonst hätte ich mich, Carl und seine ganze Welt in große Gefahr gebracht: die Memory Card.
Tja, und jetzt bin ich hier, bei Carl. In unserem eigenen Spiel, in dem uns niemand spielt, sondern wir ganz wir selbst sein können.