Menschen wie Gläser
Leise fiel die Tür in ihr Schloss. Es wird wohl das letzte gewesen sein, was ich von ihr sah, hörte, vernahm.
Ich stand im Flur und war wie vollkommen gelähmt. Ich musste mich ablenken, aber wohin um diese Uhrzeit?! Egal! Hauptsache weg von der Erinnerung. Gerade weil sie so schön war, schmerzte es umso mehr.
Ich nahm den Mantel und wollte gerade zum anderen Jackenhaken greifen um einer bestimmten Person in die Jacke zu helfen, als mir auffiel, dass dort keine Jacke mehr hing. Ich stand völlig neben mir, verfehlte mehrmals die Türklinke.
Als ich dann endlich draußen war und der kalte Nachtwind mir entgegen blies, ging es mir schon besser, jedoch nur körperlich. Ich streifte durch die nächtlchen Straßen, auf der Suche nach Leben, welches mir vielleicht Trost spenden könnte. Katzen streunten.
Dort! Eine Bar! Gegenüber ein totes Geschäft. Bereits von draußen konnte man das wenig lebendige Treiben in der Bar beobachten, die bis auf zwei Gäste und dem Barkeeper menschenleer war. Auf dem Tresen stand noch ein einzelnes benutztes Glas.
Ich trat ein. Die drei Personen starrten mich im Moment des Eintretens kurz an, wandten sich dann jedoch wieder ihren Beschäftigungen zu. Nur der Barkeeper fragte freundlich, was ich trinken wolle, woraufhin ich mir ledeglich ein Glas Wasser bestellte.
Ich beobachtete das Paar mir gegenüber unauffällig. Beide wirkten ausgemerkelt. Der Mann guckte etwas mürrisch, oder abwesend? Ich wußte es nicht genau. Jedenfalls zog er ab und zu an seiner Zigarette - Kühler Rauch. Alles eiskalt.
Ein Schauder lief mir über den Rücken, während ich innerlich brannte. Seine Begleitung, eine rothaarige Dame, saß nur neben ihm und mit irgendeinem Fetzen Papier spielend, in die Ferne starrend.
Ihre Hand schob sich langsam in die Richtung der seinen, hielt aber auf halbem Weg inne und weiter bohrten sich ihre leeren Blicke in die Luft.
Ja, und leer war ich, ausgebrannt eben. Es herrschte vollkommene Stille,bis auf das gedämpfte aneinander Schlagen von Gläsern in Spülwasser. Der Barkeeper spülte. Sonst nichts zu hören, lautes Schweigen.
Schweigen, ja, ich glaube so hatte es bei uns auch begonnen. Ich meine, nicht dass wir nicht auch davor geschwiegen hätten, doch dass Schweigen hatte sich mit der Zeit gewandelt. Das Paar war wahrscheinlich noch in der Anfangsphase- gemeinsames einsames Schweigen. Ich hatte nie wahr haben wollen, dass soetwas sein könnte.
So hatte es angefangen- der Anfang vom Ende.
Nun starrte ich in mein Glas, klare Flüssigkeit, durchsichtig schimmernd-wunderschön!
Selbst ein einfaches Glas Wasser erinnerte mich gerade an sie, jedoch durchsichtig war sie nie gewesen. Doch ich kannte sie längst nicht mehr wirklich, was mir auch schon vor dem heutigen Abend klar gewesen war.
Wieso hatte ich nichts unternommen?
Mich erstaunte die Geduld der Barkeepers. Vielleicht kannte er ja auch das Gefühl dieser Hilflosigkeit, sich selbst, seinen Gedanken hilflos ausgeliefert zu sein.
Meine Nase begann vom zurückhalten der Tränen zu laufen. Ich kramte in meinen Jackentaschen nach einem Taschentuch, fand jedoch keines. Ich blickte auf. Sollte ich die Stille durchbrechen? Ich hätte es damals tun sollen.
Ich fragte,ob jemand eines für mich hätte.
Diese gebrochenen Töne passten nicht zur Stille, vielmehr die feine Stimme der Frau, die meine Frage bejahte und ein weißes Papiertaschentuch aus ihrer Handtasche zog. Sie hielt es mir entgegen als ich aufstand.
Wieder Schweigen. Hätte sich etwas geändert, wenn ich mit ihr geredet hätte? Wahrscheinlich nicht.
Doch jetzt schien auch der Barmann genug des Schweigens gehabt zu haben und fragte ob er nun endlich Feierabend machen dürfe.
Der Mann half seiner Frau in ihre Jacke. Das Taschentuch fiel herunter. Zu spät, alles verloren?
Ja..Ich schritt dem Paar hinterher, wieder hinaus in die Nacht. Der Barmann schloss hinter uns ab. Ich hatte das Gefühl zu schwanken- Müdigkeit?...
Nach kurzem durchstreifen der Nacht stand ich nun vor unserem Haus, im Flur brannte Licht. Sie hätte es längst gelöscht.
Ich suchte meine Schlüssel und fand sie in meinem Gedächtnis auf der Kommode im Flur liegend.
Das Mondlicht flutete den Garten.
So bewusst hatte ich lange nicht mehr gesehen.