Was ist neu

Michelle

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06.10.2010
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Michelle

"Das ist alles, was du über sie weisst?", bohrte Alex, ein ziemlich neuer Schüler, nach. Martin antwortete mit einem simplen "Ja", und verschwand wieder, so schnell wie er gekommen war.

Michelle - das ungewöhnlichste Mädchen an der Schule. Sie kommt immer kurz bevor es läutet, höchstens einige Sekunden früher. In der Mittagspause sieht man sie kaum, und wenn doch, ist sie sowieso wieder am Lesen. Meistens ihre komischen Manga - Bücher, total kindisch!

"Rrrring", läutet es. Michelle stürzt noch kurz rein, dabei fallen aber ihre Bücher runter. Sie hebt die schnell auf, und setzt sich. Sie sitzt alleine am Tisch, niemand hat richtig Zugang zu ihr. "Habt ihr alle Kapitel 5 gelesen?", hört man Frau Hoffmann. Natürlich antwortet niemand, warum auch. Wer macht schon die Hausaufgaben, für die man nichts aufschreiben muss. Man fragt einfach schnell den Streber, was denn in Kapitel 5 passiert ist. Selbst der ist übrigens populärer als Michelle - wenigstens teilt er seine Hausaufgaben immer.

Endlich die Mittagspause, die braucht man einfach nach einer Stunde bei Frau Hoffmann.

"Michelle wusste, wie üblich, jedes einzelne Detail des Kapitels", "Wie kann man denn so gerne lesen? Ich verstehe es nicht.."

Natürlich weiss man, dass sie es hört. Schliesslich läuft sie meistens genau dann vorbei - ob man das mit Absicht macht? Gelästert wird jedenfalls immer, von daher kann das wohl keiner richtig beantworten.

Michelle liest gerade ihren neu erworbenen Manga, es ist der 10. Band. Der ist besonders spannend. Sie hat meistens eine Reihenfolge, die sie einhält. Zuerst sieht sie sich das Bildchen an, und versucht, anhand des vorher gelesenen zu analysieren, was jetzt passiert. Erst dann liest sie den nächsten Satz. So verbessert sie ihre Fähigkeit, Dinge aufgrund der Mimik nachvollziehen zu können. Die meisten denken, dass bringt nichts, es wäre unnütz. Doch Michelle ist stolz auf sich, ihr selbstgeschriebener Manga profitiert übrigens auch davon.

Diesen Band kann sie heute nicht fertig lesen, denn es klingelt. Sie rennt förmlich ins Schulzimmer, setzt sich, und ist ruhig. Sie redet nicht. Wozu auch, sie hält ihre Klassenkameraden für intolerant und idiotisch - zu Recht, wohlgemerkt. Pubertät und so, redet sie sich ein. Die Gesellschaft, die Jugend von heute, die Erwachsenen von morgen - so dumm KÖNNEN die nicht sein! ..oder?

Michelle ist sich, wie so oft, sehr unsicher. Sie ist glücklich, und hat solide Noten. Klar hätte sie gerne eine Freundin, oder auch zwei. Aber so ist das heute nunmal. Passt man sich an, ist man für die anderen ein Idiot. Passen sich alle an, sind alle Idioten. Passt sich einer nicht an, ist er der Idiot. Alles und jeder ist doch ein Idiot. Selbst du, auch ich.

Michelle hat oft solche Gedanken. Zu oft. An Suizid denkt sie regelmässig. Ich bin mit meinem Leben zufrieden, redet sie sich täglich ein. Ich habe es mir ausgesucht. Lieber bin ich der einsame Idiot, als der pubertäre
Nichtskönner.

Michelle - du bist nicht allein.

 
Zuletzt bearbeitet:

Moikka Lawliet,

und herzlich willkommen hier im Forum! :)

Eine kleine, nicht uninteressante Szene schilderst Du hier - könnte mir vorstellen, dass diese Geschichte in Jugend noch besser funktioniert. Wie stehst Du zu einer Verschiebung? Sag mir doch hier im thread oder per PN Bescheid. Vielen Dank.

Fuer mich als Leserin funktioniert gen Ende die Ansprache der Erzählerin an die Protagonistin (und dann auch an das 'Publikum') nicht gut - da ist plötzlich ein Bruch, und eine Wertung, die man besser dem Leser ueberlässt, nämlich genau als Konsequenz des vorher Erzählten.

Suizidwunsch/-gedanken ist eines der am häufigsten gewählten Einstiegsthemen bei jungen Schreibenden, von daher hast Du es Dir nicht leicht gemacht - sicher betrifft dieses Thema viele (mehr alte Menschen als man meinen könnte, allerdings), aber da wuenscht man sich, das dann mal ganz besonders aufbereitet zu sehen. Sonst langweilt man sich gemeinerweise schrecklich - das Wissen um solche Gedanken alleine reicht nicht aus, um einen zu packen, das weiss man ja auch so.
Mich zum Beispiel hat das nicht weiter mitgerissen, weil es im Berichtstil angehängt wurde, wie ein ach, das wollte ich aber auch noch erwähnen. Schöner wäre gewesen, diese Information ebenso wie das immer Fastzuspätkommen und das Lesen in einer Szene aufzulösen.

Mich hätte es aber vielmehr interessiert, wie sich ihre Mangaleserei, ihr "Strebertum" ihre Einsamkeit noch auswirken, im Alltag (nicht in vorgegebenen Meinungen des Erzählers, nicht in einer schrecklich dramatischen Szene). Fuer mich hätte es nur noch einen kleinen, ueberraschenden, oder sogar etwas skurrilen Moment gebraucht, um elegant abzuschliessen. Diese "grossen Themen" wecken nämlich nicht automatisch auch grosse Gefuehle. Sondern das, was man nachvollziehen kann, ein neuer Blick auf etwas - lebendig präsentiert.

Wäre schön, wenn Du hier am Ende frickeln wuerdest - oder diesen Teil ersatzlos streichen (weil Du hier ohnehin aus der Erzählstimme fällst):

Alles und jeder ist doch ein Idiot. Selbst du, auch ich.

Michelle hat oft solche Gedanken. Zu oft. An Suizid denkt sie regelmässig. Ich bin mit meinem Leben zufrieden, redet sie sich täglich ein. Ich habe es mir ausgesucht. Lieber bin ich der einsame Idiot, als der pubertäre
Nichtskönner.

Michelle - du bist nicht allein.


Der letzte Satz rutscht dann auch noch völlig in den Kitsch ab, fast wie ein christliches Pamphlet, und das beisst sich mit der alltäglichen Sprache am Anfang.

Sonnige Gruesse,
Katla

 

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