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Mittagsschlaf gefällig?
Sehnsüchtig fällt mein Blick auf die Couch, während ich mich tapfer an der Wohnzimmertür vorbei schleppe. Ich zwinge meinen kranken Körper zwölf Stufen hinauf und absolviere im Kinderzimmer einen Slalomlauf um Murmeln, Lego und Bilderbücher, bis ich mich endlich auf das Bett meines Jüngsten fallen lassen kann. Mein Kopfweh ist durch die Anstrengung stärker geworden und ich kneife die Augen zusammen, um mich auf die Beschriftungen der Kassetten vor mir zu konzentrieren. Wie immer nach dem Mittagessen, ist mein Sohn quicklebendig und hopst auf dem Bett herum, was das Lesen nicht gerade erleichtert.
Seine Lieblingskassette haben wir schon im ganzen Haus gesucht, doch nun habe ich endlich eine würdige Alternative gefunden.
„Schau hier, das ist die Geschichte mit dem roten Geschenk!“
Ich ziehe das Ding aus dem Haufen heraus und halte es meinem Sohn mit übertriebenem Strahlen hin. Leider bin ich nicht überzeugend genug, denn sein Mund verzieht sich unwillig.
„Nein, ich will die vom Batino“, erklärt er mir zum dreiundfünfzigsten Mal, und lässt sich hin fallen. Wenigstens wackelt nun das Bett nicht mehr so fest, und ich kann meine Suche fortsetzen.
Nachdem ich ihm drei Kassetten zur Auswahl hingelegt und mich mühsam erhoben habe, um der Diskussion ein Ende zu machen, entdecke ich sie. Die Lieblingskassette! Trotz meines Kopfwehs und den Gliederschmerzen bücke ich mich hinunter, um sie vom Boden aufzuheben. Als ich wieder gerade stehe meine ich, mein Blutdruck sei auf dem Boden geblieben. Mit zitternden Händen, aber voller Stolz, überreiche ich dem Dreijährigen seine Lieblingskassette.
Auch diesmal verziehen sich seine Mundwinkel unzufrieden nach unten. Nun möchte er doch eine der drei zur Auswahl gestellten Kassetten anhören.
Sei es wie es will, ich überlasse ihn seinem Schicksal und verschwinde aus dem Zimmer. Der Gedanke an die Couch gibt mir Kraft, die Treppe hinunter zu schlurfen. Auf halber Strecke werde ich von einem wütenden Schrei gestoppt. Ich blicke zurück. Die Kinderzimmertür öffnet sich, und mein Sohn schleppt seinen Kassettenrecorder neben sich her, ohne Rücksicht auf Türrahmen und Wände.
„Es geht nicht! Die Kassette geht nicht!“ ereifert er sich und versucht mit der ganzen Kraft seines Körpers, das Ding zu schließen.
Ich schleppe mich also die paar Stufen wieder nach oben, aber nur so viele, wie unbedingt nötig um den Recorder zu erreichen. Nicht leicht, die verkorkste Kassette aus dem Gerät zu klauben, denn mein Jüngster hat ganz schön Kraft. Doch irgendwann schaffe ich es, und erkläre ihm geduldig, dass es nicht an der Kassette liegt, sondern an ihm, weil er sie falsch herum in das Gerät gesteckt hat.
Erleichtert gehen wir beide unserer Wege. Söhnchen etwas lauter und schneller als ich.
Unten angekommen mache ich mir einen Tee, `viel trinken` hat der Arzt gesagt, und freue mich auf meinen Mittagsschlaf. Ich habe große Hoffnung, dass er eine ganze Stunde dauern wird, denn gestern habe ich mir so lange Ruhe erarbeitet, indem ich mich auf den Dachboden geschleppt habe, um für meinen Knirps eine Schachtel Bauklötze zu holen. Zwar ist mir beim Abstieg kurz schwarz vor Augen geworden, und ich habe Panik bekommen, dass ich die Treppe hinunter stürzen könnte, mir sind sogar Tränen in die Augen geschossen, aber dafür habe ich von meinem Sohn viel Mitleid, und eine lange Mittagspause bekommen.
Ein Rumpeln reißt mich aus meinen Gedanken. Merkwürdige Geräusche dringen von oben an mein Ohr, wobei mich nicht die Lautstärke irritiert, sondern woher sie kommen. Das klingt nicht nach Kinderzimmer, er muss auf der Treppe sein, die in den Dachboden führt. An und für sich wäre das kein Problem, doch in unserem alten, verwinkelten Bauernhaus gibt es auf dem Dachboden Stellen an denen es acht Meter in die Tiefe geht. In Gedanken sehe ich meinen Kleinen schon hinunter fallen! Deshalb eile ich, so schnell mich meine kranken Beine tragen können, zu der Treppe und rufe nach ihm.
„Ich komme“, ruft mein Sohn beruhigend herunter, „hab nur schnell die Kasse geholt.“ Es scheint selbstverständlich zu sein, dass ein gerade erst drei Jahre alter Junge alleine auf den Dachboden steigt, um sich eine Spielzeugkasse zu holen.
Nun kann ich mich nicht mehr beruhigt auf meine Couch legen, denn die Angst, dass Söhnchen dort oben noch weitere tolle Spielsachen entdeckt hat, die er sich holen möchte, hat mich eiskalt gepackt. Deshalb knie ich vor ihn hin und appelliere an sein Gewissen:
Er muss in seinem Zimmer bleiben und schön spielen. Falls er noch ein einziges Mal sein Zimmer verlässt, werde ich ihn in den Schlafsack stecken, die Läden runter lassen und er muss schlafen. Ohne jeden Kompromiss. Mein Zeigefinger ist erhoben, der Blick streng und die Augen meines Sprösslings schauen mich ganz brav an. Das sind gute Voraussetzungen für meinen Mittagsschlaf.
Endlich lege ich mich auf die Couch, schließe meine Augen und merke, wie sich mein geplagter Körper entspannt. Warm zugedeckt fühle ich mich langsam wohler und falle in einen tiefen Schlaf.
Lang ist er allerdings nicht, denn keine halbe Stunde später schrecke ich auf, als im Zimmer über mir ein gewaltigen Schlag ertönt. Irgend etwas großes, hartes muss wohl gegen die Heizung gedonnert sein. Nach diesem aprupten Erwachen schlägt mein Herz so schnell, dass ich es aufgebe ein zweites Mal ein zu schlafen. Im Moment brauche ich zehn Minuten, um ohne Schwindelanfälle von der liegenden, in die stehende Position zu kommen. Deshalb entscheide ich mich in der Waagrechten zu bleiben und nach meinem Sohn zu rufen. Beim klang meiner lauten Stimme meldet sich das Kopfweh zurück.
„Darf ich kommen?“, antwortet es dumpf von oben.
„Ja!“, ein weiterer Stich durchzuckt mein Gehirn.
Ich höre, wie der Kleine die Treppe hinunter steigt und den Gang entlang tapst. Vorsichtig geht die Wohnzimmertür auf. Zwei große braune Augen strahlen mich an, auf dem Mund ein breites Lächeln. `Weshalb ist er so glücklich?`Ich bin verwirrt. Langsam und würdevoll, als liefe im Hintergrund der Hochzeitsmarsch, kommt mein Sohn auf mich zu. Mein Blick gleitet an ihm hinunter und ich muss blinzeln, denn ich traue meinen Augen nicht. Er ist nackt, splitter pudel nackt!
Völlig entkleidet, mit wippendem Gang, schreitet er auf mich zu. Mit einem Ruck sitze ich auf und halte ihn an den eiskalten Händen. „Schnell hinauf und anziehn!“
Das Nackedei hüpft vor mir die Treppe hoch. Oben angekommen, suche ich seine Kleider zusammen während ich erkläre, dass es viel zu kalt ist, so herum zu laufen. Draußen liegt noch Schnee, und so wird man krank.
Ich habe nun alle Kleider erspäht und mache mich auf, Söhnchen anzuziehen.
„Indianer sind angezogen“, stellt er plötzlich fest.
„Ja, warum? Was hast du denn gespielt?“
„Nackter Indianer“
Ich verkneife mir ein Lachen und ziehe ihm den Pullover über den Kopf.
Ganz stolz verkündet er nun:
„Und Pipi hab ich auch ganz allein gemacht. Ohne Windel!“
„Toll!“, lobe ich ihn, doch im selben Moment schwant mir Fürchterliches, denn sein Blick schweift nach hinten, ins Zimmer zu der Schachtel mit Bauklötzen.
„Dort hinten hinein!“, ergänzt er, die braunen Augen schauen mich begeistert an.
Ja, nun sehe ich den durchweichten Karton. Diesmal verkneife ich mir ein Schimpfen, denn ich möchte Söhnchen keinesfalls entmutigen, wenn er selbst merkt, wann es Zeit ist auszutreten.
Während ich ihm die letzte Socke anziehe, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor:
“Aber da geht man doch auf's Klo, oder auf das Schildkröten-Töpfchen.“
„Nein, ich muss doch im Zimmer bleiben!“ belehrt mich mein Sohn.
Nun klingt doch noch ein schallendes Lachen aus meiner Kehle. Eines weiß ich mit Sicherheit: Morgen werde ich „nackter Indianer“ sein Schildkröten-Töpfchen ins Zimmer stellen!