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Mo
Sie mochte Mo nicht. Diese dicke, weiße Nachbarskatze, die ständig in ihrem Leben auftauchte.
Wenn sie im Garten die Blumen goss, saß Mo majestätisch auf der Mauer und blickte hochnäsig auf Lena herunter. Wie eine Eule pflegte die Katze nur den Kopf in Lenas Richtung zu drehen, während ihr Körper regungslos sitzen blieb. Unwillkürlich musste Lena an „Der Exorzist“ denken. An die schauerliche Szene, in der ein vom Teufel besessenes Mädchen ihren Schädel in abartigster Weise um die eigene Achse drehte.
Nächtelang wurde sie damals von diesem Filmausschnitt verfolgt, so wie jetzt von Mos Blick.
„Satansbraten“, zischte sie, „scher` dich zur Hölle!“ Ungerührt verharrte die Katze in ihrer Stellung und blinzelte sie träge an.
Lena ertappte sich dabei, vom Fenster ihrer Etagenwohnung aus den Garten nach dem Tier abzusuchen. Erst als sie sicher sein konnte, dass die Katze nicht dort war, ging sie nach unten.
„Alberne, dumme Kuh“, schalt sie sich für ihr lächerliches Verhalten.
Als sie die Kellertür öffnete, die nach draußen führte, sah sie Mo an ihrem gewohnten Platz auf der Mauer. Wo hatte sie sich vorher versteckt? Lena gruselte es und sie verspürte den Impuls, auf dem Absatz kehrt zu machen. Mit Mühe rief sie sich zur Raison.
„Was willst du von mir?“ Sie feixte die Katze böse an. Mos Augen schienen ein gleichermaßen provozierendes wie höhnisches Nichts zu sagen.
„Ich lasse nicht mit mir spielen, merk` dir das!“ Mit Gänsehaut dachte Lena daran, wie oft sie Mo mit einer Maus gesehen hatte. Dass die Natur einem Raubtier einen Jagdinstinkt verleiht, dafür hatte sie Verständnis. Unverständlich blieb ihr, warum eine Rasse, die seit Generationen domestiziert war, noch immer über diesen Instinkt verfügte, zumal Mo von ihrem Frauchen kugelrund gefüttert wurde. Rätselhaft erschien ihr auch, warum eine ausgewachsene Katze mit ihren Opfern spielen musste, dieses Herumtollen mit den toten Leibern, das auf eine so grausame Art arglos wirkte. Weshalb nahm sie ihnen das Leben, um sie dann nicht mal zu fressen? Wenn das Spiel sie zu langweilen begann, wurde der Kadaver auf der Stelle achtlos liegen gelassen. Mo verzog sich danach immer in eine Ecke und leckte ausgiebig ihre Pfoten. „Pontius Pilatus“, dachte Lena und ekelte sich.
Einmal, in der Waschküche, Lena war gerade dabei die Maschine mit Wäsche zu befüllen, sprang Mo hinter den Kellerregalen hervor. Lena erschrak dermaßen, dass sie fast zu heulen angefangen hätte. Mit einer Hand fasste sie an ihr schmerzhaft klopfendes Herz.
„Willst du mich umbringen?“ , jammerte sie und versuchte der Katze einen Tritt zu verpassen. Mo entwischte ihr mit einem beleidigten Miau und huschte eiligst auf leisen Pfoten die Kellertreppe rauf.
„Verpiss` dich bloß, du hinterhältiges Mistvieh.“
Es war Montagmorgen und Lena beeilte sich aus dem Haus zu kommen. Ihr Chef hatte eine frühe Sitzung anberaumt. Sie hetzte nach unten und riss die Haustür auf.
Da stand Mo.
In angriffsbereiter Lauerstellung duckte die Katze sich auf dem Bürgersteig und fixierte etwas auf der anderen Straßenseite, das ihre ungeteilte Aufmerksamkeit besaß. Lena fiel auf, dass die wohlgenährte Gestalt, die ihr sonst so hässlich und grobschlächtig erschien, in dieser Haltung eine geschmeidige, ja fast grazile Schönheit ausstrahlte. Ihre absolute Konzentration bildete mit den angespannten Muskeln ihres Körpers eine faszinierende Einheit, die sekündlich reagieren und zum Ziel ihrer Begierde führen würde.
Plötzlich preschte ein schwarzer Golf durch die Straße. Lena zuckte zusammen. Im Vorbeirasen hörte sie den lauten Beat der Stereoanlage und wie die Insassenen dazu johlten.
Mo machte einen pfeilschnellen Satz nach vorn.
Das jähe Quietschen der Bremsen vereinte sich mit einem lang gezogenen, schmerzerfüllten Maunzen. Ein Kreischen wie von schräg angestrichenen Geigensaiten gelangte in Lenas Ohr, an ihre Nerven, in ihr Gehirn und elektrisierte sie. Die schrillen Töne wechselten umgehend ins dumpfe Gegenteil. Lena hörte den harten Schlag eines warmen Leibes gegen kaltes Metall, dann das hölzerne Knacken brechender Katzenknochen, dann, einer surrealen Logik folgend, Stille.
Der Wagen war zum Stehen gekommen, hinter ihm rollte Mos toter Körper hervor. Sie sah aus wie ein schmuddeliger, zusammengeknüllter Wischmop.
Es dauerte einen Moment, dann stieg der Fahrer, ein junger Mann von vielleicht zweiundzwanzig Jahren, aus. Er sah in Lenas Richtung und rief unbeholfen: „Hab` sie nicht gesehen, keine Chance.“
Der junge Mann schaute auf den zerquetschten Kadaver. Mit der Stiefelspitze schob er Mo in den Rinnstein. Obwohl er die Katze nicht angepackt hatte, rieb er sich die Hände am Hosenboden seiner Jeans ab. Er beeilte sich zurück in sein Auto. Mit dem Starten des Motors, dröhnte sogleich wieder laute Musik aus den Boxen. Wortlos starrte Lena dem davonfahrenden Wagen nach.
Langsam begriff sie, was geschehen war.
„Mo“, würgte sie endlich schmerzlich hervor.
Sie ging auf die andere Straßenseite und beugte sich zu dem grauen Fellhaufen hinunter.
Aus ihrer Tasche zog sie die noch ungelesene Tageszeitung hevor und wickelte Mo behutsam darin ein.
„Das habe ich nicht gewollt“, flüsterte sie verzweifelt.
Lena legte die Zeitung mit der toten Katze in den Garten. Gedrückt schlurfte sie nach oben, für diesen Tag würde sie sich krank melden.