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Moderne Kunst
Die Vernissage war ein Riesenerfolg. Die Malerin Lucille, die mit bürgerlichem Namen Lene Weiser hieß und alles andere als südländischer Abstammung war, ließ sich von ihren geladenen Gästen wie auch von den Tintenklecksern der örtlichen Käseblättchen gebührend feiern. Bei Schnittchen, die sie Canapés nannte, und Champagner, der in Strömen floss, zwitscherte sie sich mit eingebildet französischem Akzent plätschernd über alle Gespräche hinweg.
Kunze beobachtete sie. Er stand neben einem ihrer Bilder, die dicht gedrängt unter dem Halogenlicht besonders gut zur Geltung kamen, und suchte in der Menge nach dem flatternden Schmetterling, in den sich seine beste Freundin Lene verwandelt hatte, seit ihre Bilder en vogue waren. Wallende, quietschbunte Gewänder, der Schopf auf einer Seite lang und auf der anderen kurz, mit protzendem Schmuck behängt und dazu ein Gehabe wie eine nach Frankreich exilierte italienische Operndiva.
Aber immerhin vermarktete sie sich noch selbst.
Dabei konnte er nicht einmal die Hälfte von dem entdecken, was die Kritiker in den Farbklecksen auf der weißen Leinwand fanden. Er wusste nur, dass sie im Gegensatz zu anderen Kunstwerken nicht nur das Auge sondern auch die Nase herausforderten.
„Zukunftsweisend“ und „Neo-dadaistisch“ waren neben „unglaublich menschlich“ nur zwei der vielen Lobesworte, die Lucille in den letzten Monaten bekommen hatte. Sie hatte Kunze darüber fast vergessen, diesen grauen 08/15-Beamten, der ihrer künstlerischen Seele so überhaupt nicht Rechnung zu tragen vermochte. Immer im dunklen Anzug, mit Hornbrille und Mütze angetan, stets auf Pünktlichkeit und Genauigkeit bedacht hatte er nur noch die Aufgabe, sie mit diesen besonderen Pigmenten zu versorgen, die ihr den Erfolg auch weiterhin sichern würden.
Weiß Gott woher er diese wundervollen Dinge bekam, bei seinen ständigen Besuchen in diversen Kinderheimen, Hospizen und Krankenhäusern konnte ihm doch eigentlich keine Zeit bleiben. Und stets waren die Pigmente bereits in den von ihr so geliebten, sehr unterschiedlichen Dicken angemischt …
Kunze grinste, als er die Hinterlassenschaften des kleinen Mädchens in die Tüte kratzte. Das Braun war hübsch, nicht zu dunkel und nicht zu gräulich, Lucille würde es lieben. Er packte es sorgsam neben die Packungen mit dem grünlichen und dem gelben Inhalt aus dem Hospiz.
Und vielleicht sollte er ja auch noch beim Krankenhaus vorbei fahren. Warum nicht mal wieder in der Abteilung für Schönheitschirurgie anfragen, da kam für gewöhnlich eine Menge des hellen Hauttons zusammen, mit dem Lucille manchen ihrer Kleckse so etwas wie ein Gesicht verlieh. Geradezu perfekt.
Aber am Meisten liebte sie immer noch das leicht klumpende Purpurrot.