Mondlicht
Endlich durchdrang sanftes Mondlicht den Schleier aus dichten Wolken. Obwohl es eigentlich überflüssig war, weil grelle Neonreklamen die Nacht erhellte, beruhigte es die Gestalt, die einsam im Schatten eines alten Gebäudes stand, ungemein.
Es war das einzig Natürliche in diesem Stadtviertel, das hauptsächlich aus kaputten Gebäuden, verrosteten Autos und zerbrochenen Bierflaschen bestand.
Vereinzelt hörte man kläffende Hunde oder schrille Autoalarmanlagen, aber sonst rührte sich nichts auf den mit Müll übersäten Straßen.
So wie bei den meisten Menschen das Läuten des Weckers den Arbeitstag beginnt, war hier das Erlöschen des Lichts das Startsignal für eine arbeitsreiche Nacht. Nach Mitternacht, wenn sich die Straßenlaternen abschalteten, kamen alle Dealer, Zuhälter und was sonst noch so in dieser Gegend beheimatet war, aus ihren Verstecken gekrochen. Für die meisten dieser Leute war gesehen werden gleichbedeutend mit Gefängnis, und somit war die Dunkelheit ein willkommener Schutz. Bei Morgengrauen verschwanden sie genauso schnell, wie sie gekommen waren, und ließen die Reste ihrer Arbeit einfach liegen. ,,Reste’’ bedeutet meistens Heroinspritzen, Bierflaschen oder ab und zu auch Leichen. Meisten Junkies, die beabsichtigt oder nicht, eine Überdosis genommen hatten, aber manchmal waren auch Mordopfer darunter.
Der Mann, immer noch immer von den Schatten des alten Metzgergebäudes verhüllt, blickte erwartungsvoll auf seine teure Armbanduhr. Es war fünf vor zwölf.
Seine Nasenflügel bebten leicht, als er den Geruch von altem, vergossenem Blut wahrnahm.
Seine Zunge fuhr unbewusst zu seinen übergroßen Eckzähnen, und sein Durst steigerte sich noch mehr. Die Gasse neben einem Schlachthof war vielleicht nicht der beste Platz für einen hungrigen Vampir um geduldig zu warten.
Er zwang sich tief durchzuatmen und zog sich weiter in das Gewirr der Gassen zurück.
Als er vom Gehsteig auf die Straße trat, fiel der grelle Schein einer Neonreklame für Bier auf ihn und man kann zum ersten Mal kurz seine Gestalt erblicken bevor er wieder in die Dunkelheit eintauchte. Er war ziemlich groß, athletische Statur, sein Gesicht konnte man nicht erkennen weil es tief im Schatten seiner Kapuze lag, er trug einen Nike Jogginganzug und dazupassende Laufschuhe, alles in allem sah er aus wie ein Typ der gerade seine tägliche Abendrunde drehte.
Schließlich fand er den idealen Ort, von wo er die Hauptstraße gut im Blick hatte. Ungeduldig blickte er wieder auf die Uhr. Zwei Minuten noch bis Mitternacht.
Plötzlich hörte er Schritte hinter sich und er zog sich schnell in eine enge, dunkle Seitenstraße zurück.
Eine Frau tippelte auf hochhackigen Schuhen an ihm vorbei. Sie trug einen teuren Mantel, eine noch teurere Prada Handtasche und stritt sich lautstark mit jemandem am Telefon.
,, Nein, ich komme nicht auf diese beschissene Party zurück, und ja, es ist mir egal was deine Freunde von mir denken!’’, schrie sie lautstark in das Handy.
Der Vampir schüttelte nur seinen Kopf und verdrehte die Augen. Um kurz vor Mitternacht durch dieses Viertel zu gehen war an sich schon eine blöde Idee, aber so ausstaffiert wie sie war, grenzte es schon an ein Wunder, dass sie noch überfallen worden war.
Von ihm hatte sie nichts zu befürchten, sie passte eindeutig nicht ins Beuteschema. Er nahm sich nur arme Menschen, die niemanden fehlen würden und um deren Tode sich die Polizei nicht übermäßig kümmern würde.
Aber er war eindeutig ihr geringstes Problem, hier in dieser Gegend gab es grausamere Bestien als jemals sein konnte.
Vergewaltiger und Mörder waren hier beheimatet, und er selbst hatte schon die eine oder andere Meinungsverschiedenheit mit ihnen gehabt. Sie wollten sein Leben, er ihr Blut.
Solche Stadtteile zogen ihn magnetisch an, obwohl ihn immer wieder schmerzliche Erinnerungen aus der Vergangenheit bestürmten. In dieser Hinsicht war er wohl masochistisch veranlagt.
Es schneite leicht. Er und seine Freundin hielten sich an den Händen und lachten während sie durch ein Gewirr aus Gassen nach Hause eilten. Immer wieder roch sie an der weißen Rose die er ihr geschenkt hatte. Ihr Lächeln war bezaubernd und ihre blauen Augen strahlten mit dem Mond um die Wette.
Dieser Augenblick der puren Glückseeligkeit hatte sich in sein Gehirn gebrannt, und erinnerte ihn jeden Tag daran, was er verloren hatte.
Dann passierte es. Ein grobschlächtiger Mann versperrte ihnen den Weg. Alarmiert wollten sie sich umdrehen und flüchten, doch auch hinter ihnen war der Weg von seinem Komplizen versperrt.
,, Hübsche Frau haben sie, ich glaube, ich borg sie mir mal aus.’’, ertönte es hinter ihm gefolgt von hämischen Lachen.
Mit dem Mut der Verzweiflung warf er sich gegen den Mann vor ihm, doch dieser schlug ihm ins Gesicht, zog ein Messer und rammte es ihm in den Bauch. Blutspritzer malten ein makaberes Kunstwerk in den Schnee, während er benommen zusammenbrach.
Wie durch einen dichten Schleier hörte er die Schreie seiner Freundin, konnte aber nichts tun, um ihr zu helfen.
Minutenlang hörte er noch ihre Schreie, bis sie dann abrupt endeten. Tränen traten ihm aus den Augen und gefroren auf seinen Wangen, zu einer anderen Regung war er nicht mehr fähig.
Schmerz durchflutete seinen Körper, und sein Verstand begann ins Dunkel abzugleiten.
Da drang eine sanfte Stimme an sein Ohr: ,, Und da heißt es immer wir sind die Monster. Du willst sicher Rache für den grausamen Tod deiner Freundin und ich kann sie dir geben.
Natürlich hat die Sache einen Haken aber das besprechen wir ein Andermal.’’
Das letzte an das er sich erinnern konnte war das Gefühl der Schwerelosigkeit und ein Brennen an der linken Halsseite. Als er erwachte ……………
Ein spitzer Schrei riss ihn zurück in die Wirklichkeit. Unschlüssig was er tun sollte, blieb er vorerst im Schutz der Schatten.
Die Frau von vorhin rannte aus einer kleinen Seitenstraße, stolperte und fiel der Länge nach auf das harte Kopfsteinpflaster. Sie stieß einen überraschten Schmerzensschrei aus und hielt sich wimmernd den Knöchel.
In einigen Metern Entfernung folgte ihr ein lüstern grinsender Mann in ziemlich zerlumpten Kleidern.
,,Ja Babe, ich mag es wenn du dich wehrst, und wie es scheint, hast du echt Feuer im Blut.’’, sagte er und sein Lächeln wurde noch eine Spur breiter.
Erst jetzt, als sie wimmernd am Boden lag, konnte der Vampir sie im Mondlicht genau sehen.
Sie Trug ein kurzes Cocktailkleid, den Mantel musste sie wohl bei ihrer Flucht verloren haben, hatte eine schlanke Figur, langes blondes Haar und wahrscheinlich auch ein ziemlich schönes Gesicht, wobei man da mutmaßen musste, weil es im Augenblick vor Angst ganz verzerrt war.
,, Bitte… t-tun sie mir nichts…’’, stotterte sie und versucht, vor ihm weg zu kriechen.
,, Aber, aber Kleines, ich würde dir nichts tun, doch mein kleiner Freund hier ist schon ziemlich ungeduldig.’’, sagte er spöttisch und zeigte auf den Reißverschluss seiner Hose.
,, Ich glaube, ich lass ihn mal raus zum Spielen, er war schon viel zu lange da drinnen.’’, fuhr er lachend fort.
Nun wurde es dem Vampir zuviel. Mit einem von Wut verzerrtem Gesicht schlich er aus der Gasse und näherte sich dem Vergewaltiger von hinten. Dieser ging langsam zu der am Boden liegenden Frau und merkte noch nichts von der drohenden Gefahr.
,, Wie heißt du Schätzchen? Mich kannst du Tom nennen.’’
,, W-was?’’
,, Ich hab dich nach deinem Namen gefragt!’’
,, Ich verstehe nicht..’’
,, Na, dann muss ich halt nachhelfen!’’ schrie er und trat der Frau gegen den verletzten Knöchel.
Nachdem sie vor Schmerz laut aufgeschrieen hatte, sagte sie ihm seinen Namen.
,, Na Lisa, war doch gar nicht so schwer.’’
Er wollte gerade fortfahren, als er die schreckgeweiteten Augen der Frau bemerkte. Ihr Blick galt nicht ihm, sondern etwas hinter seinem Rücken.
In einer fließenden Bewegung drehte er sich um, zog ein Messer und wollte es seinem Gegner in den Bauch rammen, doch dieser konnte es auf die Seite abwehren.
Nach einem kurzen Handgemenge trennten sich die beiden wieder und blickten sich hasserfüllt an.
In gebückter Angriffshaltung verharrte Tom und zeichnete mit der Messerspitze eine acht in die Luft.
,, Und du machst jetzt einen auf Held oder was?’’ fragte er höhnisch.
,, Nein, ich will nur spielen.’’, äffte der Angreifer ihn nach, machte einen schnellen Ausfallschritt und schlug Tom in sein Gesicht. All das geschah im Bruchteil einer Sekunde und gab dem Vergewaltiger keine Chance sich zu wehren.
Man hörte es leise knacken und Blut spritzte aus seiner Nase. Er taumelte zurück, stolperte über die Frau, die sich gerade aufrichten wollte, und beide knallten auf das Kopfsteinpflaster. Das Messer flog klirrend quer über die Straße und verschwand irgendwo in der Dunkelheit.
Lisa schrie auf und blieb bewusstlos am Boden liegen, während Tom sich fluchend aufrichtete.
Der Angreifer setzte nach und verpasste ihm nach einen Schlag ins Gesicht, diesmal flogen zwei Vorderzähne im hohen Bogen davon.
Ächzend landete Tom auf seinem Rücken und ein Schwall Blut kam über seine Lippen.
Benommen sah er wie der Typ langsam näher kam, einen Schritt von ihm entfernt stehen blieb und sich nieder hockte.
,, Du kannst mich Lucio nennen, und weil du ja anscheinend auf Spiele stehst tu ich dir den gefallen und spiel ein bisschen mit dir, Tom. Doch Vorsicht, du spielst um dein Leben.
Ich gebe dir 15 Sekunden Vorsprung, ‚’’, sagte der Vampir mit einem bösartigen Lächeln, ,, und genau wie du, mag ich es, wenn sich meine Opfer wehren, das bringt das Blut so richtig in Wallung.’’
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stand er auf und blickte demonstrativ auf seine Uhr.
Fluchend richtete Tom sich auf und taumelte in eine kaum erhellte Seitengasse.
Lucio brauchte nicht nachzusehen ob die Frau noch lebte, er konnte ihre Herzschläge deutlich hören und roch die paar Tropfen Blut, die an ihrer Stirn klebten.
Sein Durst wurde zu einem unbändigem Verlagen, und laut rief er in das Gewirr der Gassen:,, Eins, zwei, drei, vier, FÜNFZEHN!’’
Die Welt war nicht gerecht, warum sollte er es sein??
Gemächlich ging er in Richtung der Gasse in welche der Vergewaltiger verschwunden war.
Prüfend sog er die Luft durch seine Nase ein, wie ein Spürhund, und folgte der Spur des Blutes.
Kaum eine Minute später stand er am Eingang einer Gasse, in welcher sich Tom versteckte.
Lucio roch das Blut und den Angstschweiß seines Kontrahenten, hörte dessen Herz wie von sinnen gegen den Brustkorb hämmern, vernahm die schweren Atemzüge und konnte so die Mülltonne ausmachen, hinter der er sich versteckte.
,, Tom, gibst du schon auf? Du enttäuschst mich.’’, rief er höhnisch und näherte sich der Tonne. Ein paar Schritte davon entfernt blieb er stehen.
Mit einem irren Schrei auf den Lippen stürzte Tom hervor und warf ein anderes Messer auf den Vampir. Es drehte sich ein paar Mal in der Luft und blieb dann in Lucios Brust stecken.
Lächelnd zog dieser es heraus und nur ein paar Tropfen Blut flossen aus der Wunde.
,, W-was zur Hölle?!’’, sagte Tom starr vor Schreck.
,, Tja, es gibt wohl noch größere Monster als dich in dieser Gegend. Wundert dich das?
,, Was willst du verdammt noch mal’’
,, Kannst du dir das nicht denken? Dein Blut natürlich.’’
Das Letzte was man von Tom hörte, war ein qualvoller Schrei der jedoch nach ein paar Sekunden abrupt endete.
Lucio beugte sich über die am Boden liegende Frau und rüttelte sie sanft an der Schulter.
Benommen schlug sie die Augen auf, sah ihren Retter überrascht an und schlug ihm ohne Vorwarnung ins Gesicht.
Derart überrumpelt fiel auf sein Gesäß und sah sie ungläubig an.
Panisch kramte sie kurz in ihrer Handtasche umher, bis sie schließlich fand, wonach sie suchte.
Mit zitternden Händen hielt sie einen Pfefferspray hoch.
,, Warten sie, ich habe sie gerade gere…’’, fing er an, doch sie ließ ihn nicht ausreden, sondern setzte den Spray ein.
Stöhnend vor Schmerz rollte er sich auf den Rücken und versuchte sich die ätzende Substanz aus den Augen zu reiben, was aber alles nur verschlimmerte.
Verschwommen sahen seine geröteten Augen nur noch ihre barfüßigen Beine in der nächsten Gasse verschwinden.
,, Ahh…. Verdammtes Weibsbild.’’, rief er aufgebracht in den dunklen Nachthimmel und rappelte sich auf. Schön langsam klärte sich sein Sichtfeld wieder und beschämt wischte er sich die Tränen von der Wange.
,,Andere Zeiten, andere Sitten.’’, dachte er halb wütend, halb belustigt, ehe er in den dunklen Schatten der Nacht verschwand.