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Monster
Obwohl die einsame Glühbirne an der Decke für reichlich Licht sorgte, hielt die Frau in ihrer Hand eine eingeschaltete Taschenlampe.
Sie lenkte ihren Strahl auf die schwarzen Stellen im Schlafzimmer, welche unter der wild herum liegenden Kleidung und den umgeworfenen Möbel entstanden waren.
Die Fenster und die Zimmertür waren fest verschlossen und die Ritze, durch die das Licht von außen eindringen konnte, mit Stofffetzen zu gemacht worden.
Die Tapeten hingen in Fetzen von der Wand ab, an einigen Stellen im Putz konnte man Löcher entdecken.
Das Laminat fehlte gänzlich, sowie die Fußbodenleisten – alles zusammen lag zerbrochen verstreut im Zimmer.
Die Frau kauerte in einer Zimmerecke auf dem kalten Estrich. Bewaffnet mit einem Hammer, der angriffsbereit zur Decke zeigte, beleuchtete sie mit der Taschenlampe den Heizkörper, und besonders den Raum, der zwischen ihm und der Wand existierte.
Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie zitterte und schwitzte.
Da bewegt sich was!
Sie sprang auf die Füße, lief zu dem Heizkörper und prügelte mit dem Hammer mehrmals gegen ihn ein. Es entstand ein unmöglicher Lärm, der ihr anscheinend nichts ausmachte.
„Komm raus! Komm raus!“, sagte sie.
Danach lief sie in eine andere Ecke und hockte sich dort nieder. Sie beobachtete, ohne zu blinzeln, den verbeulten Heizkörper.
Nichts geschah!
Stille.
Ein kleines Stück löste sich vom Heizkörper und landete klirrend auf dem kahlen Fußboden. Die Frau sprintete auf ihn los und schlug mit dem Hammer drauf.
„Hab dich! Hab dich!“, wiederholte sie.
Ein kratzendes Geräusch erklang hinter ihr. Ohne sich umzudrehen, sprang die Frau nach vorne. Wirbelte herum und…
Nichts!
Sie rannte zur Mitte des Zimmers und stoppte abrupt. Schaute sich mit einem irren Blick um.
Den Hammer in die Höhe gereckt, atmete sie schwer.
„Wo bist du! Wo bist du!“, brabbelte sie vor sich hin.
Plötzlich spürte sie eine Bewegung im Estrich unter ihrem Fuß.
Die Frau schrie auf, landete auf ihrem Hintern und schlug mit dem Hammer und der Taschenlampe blind um sich.
Der Hammer glitt aus ihrer Hand und traf sie gegen das Schienbein. Der Schmerz trieb ihr die Luft aus den Lungen.
Gegen den Schmerz ankämpfend, - es durfte nicht wissen, dass sie Schmerzen hatte oder Angst verspürte -, kroch sie langsam von dem Hammer weg.
Ihr Rücken traf auf eine Wand und sie verharrte dort, den Hammer nicht aus den Augen lassend.
Sie hat sich weh getan, sich selber Schmerzen zugefügt. Oder war das nicht sie?
Es hat sich im Hammer versteckt!
Kann das sein?
Und die Taschenlampe?
Sie war immer noch in ihrer Hand und leuchtete genauso gut wie vorher.
Dann nur der Hammer!
Oder… träumte sie?
Der Schmerz im Bein war aber echt, er trieb ihr Tränen in die Augen.
Konzentriere dich, vergiss das Bein. Du musst es erwischen, sonst wirst du dein ganzes Leben weglaufen müssen.
Das Werkzeug bewegte sich nicht.
Es lag einfach nur da und sah ungefährlich aus.
Ein dumpfer Schlag gegen die Tür trieb ihr alle Gedanken aus dem Kopf. Ihr Blick löste sich von dem Hammer und sprang auf die Zimmertür über.
Noch ein Schlag.
Die Frau zuckte am ganzen Körper, wie vor einer elektrischen Ladung.
„Du kannst nicht rein, unmöglich!“, flüsterte sie.
Und wieder dieses Kratzen, als ob ein Tier die Tür mit seinen Krallen bearbeiten würde.
Sie spürte die Kratzwunden fast auf ihrer Haut, die bis zu den Knochen reichten.
Das Geräusch war nicht nur an der Tür zu hören, es wanderte nach unten und oben, nach links und rechts, bis es ganz nah bei ihr war - in der Wand.
Über ihrem Kopf.
Dort verstummte es.
Sie schaute hoch und sah, wie sich der Putz an einer Stelle aufschwoll wie ein Luftballon.
Ungläubig schaute sie zu.
Die blasenförmige Erhebung in der Wand bekam Risse und eine schwarze Flüssigkeit quoll langsam durch, wie eine Paste aus einer Tube gedrückt wird.
Glitzernd und glitschig im Aussehen, kroch das Ding in einem Schneckentempo die Wand herunter.
Die Frau brachte ihren Körper auf alle Viere und begab sich so zum Hammer.
Ihr Bein tat sehr weh, doch ihr war das egal.
Es erwischt mich! Es erwischt mich!
Verfluchtes Bein!
Der Hammer war immer noch ihr Freund. Das erkannte sie, als er sich ohne Gegenwehr in ihre Hand legte.
Sie lächelte glücklich. Drehte sich rasch um, zum Schlagen bereit.
Doch das Ding war weg.
„Wo bist du?“, schrie sie fast hysterisch, beruhigte sich jedoch bald – sie musste bei Verstand bleiben und ihre Kräfte schonen, sonst wird sie verlieren.
Sie näherte sich vorsichtig der Wand, aber es war dort keine Spur von der schwarzen Flüssigkeit zu sehen, und auch kein Riss und kein geplatzter Luftballon im Putz.
Die Frau schaute in alle Richtungen. Leuchtete mit der Taschenlampe unter die herum liegenden Sachen und… der Kleiderschrank.
Das Bein schonend, bewegte sie sich wachsam auf das liegende Möbelstück.
Der Kleiderschrank lag auf seinen drei Türen, die mittlere Tür hatte einen Spiegel, der zerbrochen war. Die Splitter schauten unter dem Kleiderschrank hervor. Ein bleiches Gesicht spiegelte sich in den rasierscharfen Stücken wieder.
Die Frau inspizierte den Schrank zunächst von außen und setzte sich dann auf ihn drauf. Die Hand mit dem Hammer schnellte nach oben und landete auf der dünnen Schrankrückwand; aus dem entstandenen Loch brutal rausgerissen und noch ein Schlag. Und noch einmal!
Sie ließ das Werkzeug auf den Schrank wieder und wieder nieder sausen. Ein Lächeln blitzte manchmal auf ihren Lippen auf.
Ich weiß, du bist hier! Ich weiß es!
Der Hammer blieb plötzlich im Rand des Lochs stecken. Panisch rüttelte sie an ihm. Die Lücke, die inzwischen die Größe einer reifen Wassermelone erreicht hatte, stand vor ihrem Gesicht. Sie hörte auf damit zu versuchen den Hammer aus seinem Griff zu lösen. Stattdessen starrte sie wie gebannt in das eingerissene Loch.
Es drehte sich alles vor ihren Augen. Das schwarze Loch übte auf sie eine vorher unbekannte Faszination aus, und erzeugte stumme grässliche Bilder von Tod und Qual vor ihrem inneren Auge - geplatzte Köpfe, aus denen die graue Hirnmasse wie Brei floss; abgetrennte Gliedmaßen, an denen sich die fetten schwarzen Maden sattfrassen; Blut durchtränkte Welt, übersät mit fremdartigen Monstrositäten, die sich durch diese wühlten...
Ich will es nicht sehen!
Aufhören!
Zu den Bildern in ihrem Gehirn, die immer lebendiger wurden, fügte sich der Schrei einer Frau hinzu. Ein blutiges augenloses Gesicht tauchte für einen Sekundenbruchteil auf, es reichte ihr aber aus, um sich selbst erkennen zu können.
Tränen tropften aus ihren Augen, vermischten sich mit dem Schweiß, und landeten in der Dunkelheit der Kluft, in der unerwartet etwas kurz aufblitzte, wie ein Streichholz, das sofort wieder ausging.
Der Hammer löste sich von seiner Falle, so plötzlich und so leicht, als wäre er nicht stecken geblieben.
Die Frau kam sofort vom Schrank runter und entfernte sich von ihm.
Nicht wissend, wie sie sich verhalten sollte, saß sie einfach nur da und starrte vor sich hin.
Die Tränen glitzerten auf ihren Wangen – Zeugnisse ihrer Furcht vor dem, was sie womöglich in der immer näher rückenden Zukunft erwartete.
Es verging eine Weile, bis sie sich beruhigen konnte. Mehrere Gedanken durchstreiften währenddessen ihren Kopf.
Sie schaute den Kleiderschrank an und sagte: „Ich muss das beenden!“
Sie setzte sich wieder auf den Schrank und schaute in das Loch hinein. Das merkwürdige Licht leuchtete wieder kurz auf und ging aus.
„Ich hab dich!“, flüsterte sie.
Ihre Stimme zitterte.
Sie machte ihre Augen zu und steckte die Hand mit dem Hammer in das Loch rein. Gleichzeitig erzitterte die Zimmertür von heftigen Schlägen.
Ihre Augenlider schnellten nach oben, der Kopf drehte sich von selbst Richtung Tür. Die Finger lockerten ihren Griff und der Hammer versank in der Dunkelheit des Schrankinneren.
Weitere Schläge gegen die Tür.
Sie kam vom Kleiderschrank runter, die Tür im Blick behaltend.
Noch ein Schlag.
Das Knirschen des Holzes.
„Es kommt!“ Sie blickte sich verzweifelt um. Und schon wieder tauchte der Kleiderschrank in ihrem Blickfeld auf.
Auf einmal verstand sie: Es war kein Versteck des Monsters, sondern ein Versteck für sie; und das Leuchten im Inneren zeigte ihr den richtigen Weg.
Ihr Körper passte genau in das Loch rein. Das Bein machte ihr Schwierigkeiten, doch sie schaffte es. Sie holte den Hammer unter ihrem Fuß hervor und hielt ihn fest in der Hand. Die Taschenlampe musste ausgeschaltet werden.
Die Zimmertür ging mit einem Knall auf, schlug hart gegen die Wand und machte so den Weg frei.
Es kommt durch die Tür!
Ihre Gedanken überschlugen sich und ihre Muskeln spannten sich bis zum Schmerz. Krampfhaft umklammerten ihre Finger den Griff des Hammers.
Das Loch befand sich über ihr. Sie stierte in die beleuchtete Decke, bereit zuzuschlagen, wenn sie verdeckt würde und hielt den Atem an.
Langsam mit schleifenden Schritten umrundete der unsichtbare Eindringling das Zimmer. Seine Atmung verpestete die Zimmerluft. Sie spürte es ganz genau.
Ein Kratzen gegen die Rückwand des Schrankes. Pfeifendes Geräusch.
Sie schluckte schwer, ließ sich aber nicht aus ihrem Versteck locken.
„Wo ist sie?“ Eine männliche Stimme erklang direkt über dem Loch im Schrank.
Jetzt!
Sie kam aus ihrem Versteck nur mühsam raus, kratzte sich die Schultern an den spitzen Rändern des Lochs auf, und machte die Taschenlampe an. Das Licht blendete die bösartige Kreatur, die es noch schaffte ein aufgeregtes Grunzen von sich zu geben, bevor sie den ersten Schlag vollführte.
Beim zweiten Schlag fiel das Ding auf den Boden.
Sie stieg aus dem Kleiderschrank, ihr verletztes Bein knackste und sie landete auf dem Körper des Monsters.
Vor Schreck und Ekel wäre sie fast in Ohnmacht gefallen, reflexartig schlug sie noch einmal mit dem Hammer zu.
Schnelle Schritte hinter ihr vernahm sie erst später. Jemand entfernte sich vom Zimmer.
Sie drehte sich um. In der offen stehenden Tür war keiner.
„Ist dein Helfer abgehauen?“ Sie spuckte in die fiese Fratze.
Doch etwas stimmte nicht.
Etwas war nicht so, wie sonst. Es fehlte was!
Was war das bloß?
„Sie hat ihn erschlagen! Einfach so!“
Sie vernahm Stimmen.
„Einfach so! Er hat ihr nichts getan!“
Diese Stimme kam ihr bekannt vor.
„Sie ist verrückt… Total verrückt geworden!“
Die Frau stand von der Leiche auf, die eigentlich nicht so abstoßend wirkte, wie sie immer gedacht hatte. Sie wollte sogar so weit gehen und es menschlich zu nennen.
Sie hörte Schritte von mehreren Menschen. Drehte sich um und sah, wie zwei Uniformierte und ein Zivilist die Wohnung betraten.
Den kleinen, dicken Mann erkannte sie sofort – es war ihr Vermieter.
Er blieb zurück.
Die anderen zwei in blauer Uniform zückten ihre Pistolen und richteten diese auf sie.
„Polizei! Lassen Sie den Hammer los!“
Sie blinzelte.
Etwas machte Klick in ihrem Kopf.
Polizei?
Und was macht ihr Vermieter hier?
Ist die Welt doch noch in Ordnung?
Was ist hier los?
Sie schüttelte durcheinander ihren Kopf.
„Sie ist gefährlich!“, murmelte der Vermieter. „Schauen sie doch, was sie mit ihrem eigenen Bruder gemacht hat!“
Was quasselt er da?
Sie musterte die Leiche vor ihren Füßen und erkannte in dem Ding ihren Bruder. Seine linke Gesichtshälfte war brutal in den Schädel eingedrückt.
Blut bildete eine dunkelrote Pfütze um seinen Kopf.
Was ist hier los?
„Lassen Sie den Hammer los!“, donnerte über ihr eine Stimme.
Was ist passiert?
"Durchgeknallt!", sprach der dicke Vermieter mit einer sich entfernenden Stimme.
„Ich zähle bis drei! Eins…“
Ihr Schädel brummte, wie von zwei Flaschen Wein.
„Zwei…“
Sie sah die zwei Polizeibeamten an, die sie mit ihren Dienstwaffen bedrohten.
„Drei…“
Kratzen!
Überall!
Der Putz an den Wänden und der Zimmerdecke bekam Risse; unter dem Estrich nahm sie Bewegungen an mehreren Stellen wahr; der Heizkörper veränderte seine Form, dehnte und verbog sich; aus dem Loch im Kleiderschrank zeigte sich eine blubbernde lavaähnliche Masse, die rasch an Umfang gewann.
Nein! Nein!
Ich hab es erledigt!
Es ist tot, verdammt!
Ihre Unterlippe zitterte. Ein Schauder überkam sie und ließ sie nicht mehr los.
Sie sah die Uniformierten an und musste fast kotzen.
Etwas Schwarzes und Schleimiges kam aus den Augen, dem Mund, der Nase und den Ohren der Polizisten. Die Haut auf ihren Gesichtern platzte auf und ließ noch mehr von dem stinkenden Zeug frei, das sie schon einmal aus der Wand kommen sah.
Aber es passierte alles sehr viel schneller, als beim ersten Mal.
Die Haut entblößte die menschlichen Körper in Fetzten und zeigte die Wirklichkeit. Es gab kein rotes Blut, keine weiße Knochen und keine Gedärme, nur dieses schwarzen Gestank verbreitender Zeug.
Hinter ihnen stand der Vermieter, der sich langsam mit einem diabolischem Grinsen und einem Leuchten in den Augen in ein gelleeartiges Ding verwandelte. Rauchschwaden entstiegen seinem Körper und verfärbten die Decke.
Die Haut kam zusammen mit seiner Kleidung vom Körper runter und legte sich vor seine Füße.
Dort, wo eigentlich der Kopf sein musste, öffnete sich bei allen dreien ein Loch und sie hörte wieder dieses Kratzen.
Aus dem Loch fuhr ein Fühler raus, der dem einer Schnecke ähnelte.
Die Frau sah ihren Bruder an.
Er war es nicht mehr.
Es war überhaupt kein lebendes Wesen, sondern etwas Formloses, Undefinierbares. Und es stank.
Tränen zeigten sich in ihren Augen, als sie mit dem Hammer ausholte und kreischend auf die Kreaturen in der Tür los hechtete.
Die Polizisten schossen…