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Morgen geht die Sonne wieder auf

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02.05.2003
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Morgen geht die Sonne wieder auf

Sie standen am Fenster und blickten hinunter auf die große Menge. So viele Menschen auf einem Haufen hatten sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Es erschien ihnen fast unglaublich, dass sich so viele Menschen hier versammelt hatten, nur um sie zu sehen.
Es war ein schöner Tag heute. Die Sonne hatte den ganzen Tag über schon geschienen und die Vögel sangen fröhlich in den Bäumen. Ein leichter Wind blies durch die grünen Wipfel und machte die heißen Temperaturen erträglich.
Alles war perfekt an diesem Tag im Juli.
An diesem Tag.
An diesem Tag standen sie am Fenster und es erschien ihnen seltsam, dass sie seit Stunden hier stehen mussten und sich nicht vom Fleck rühren durften. Ob es etwas mit der Menge dort unten zu tun hatte? Vielleicht wollten die Menschen, dass sie am Fenster standen.
Vielleicht waren ihre Eltern in der Menge und blickten nun ganz stolz zu ihnen hinauf. Vielleicht war alles nur ein Traum, der bald enden würde.
„Nein“, sagte einer, ein etwas älterer. „Kein Traum, so sind Träume nicht.“
Ein kleines Mädchen nickte, aber man sah ihr an, dass sie nicht ganz sicher war, ob der Ältere Recht hatte.
Einer hatte ein Schild in der Hand, da stand etwas drauf. Aber das konnten sie nicht lesen, sie konnten ja nicht lesen, deswegen verstanden sie nicht, was auf dem Schild stand.
Aber das war nicht schlimm, sie standen ja einfach nur da vor dem Fenster und sahen hinaus auf die langsam sinkende Abendsonne, die die Häuser und Straßen der Stadt in ein warmes Dunkelrot tauchte.
„Ich mag Sonnenuntergänge“, sagte das kleine Mädchen und schniefte dabei. Sie hatte schon oft mit ihrer Oma im Garten gesessen und abends der Sonne zugesehen, wie sie sich langsam dem Horizont zuneigte. Ihre Oma hatte ihr dann immer in die Augen geblickt und gesagt: „Reni, mein kleiner Sonnenschein, morgen geht die Sonne wieder auf, ist das nicht wunderbar?“
Sie hatte nie ganz verstanden, was ihre Oma damit gemeint hatte, aber die Art wie sie es sagte hatte sie immer beruhigt. Deswegen liebte sie Sonnenuntergänge und sie liebte auch diesen hier.
Aber irgendwie war diesmal alles anders.
Die Sonne war anders.
Ganz anders.
Das kleine Mädchen schniefte noch einmal und ließ ein paar Tränen in den Mundwinkel kullern.
„Heul nicht“, kam es von ganz links, von dem großen Jungen. „Das bringt dir gar nichts, dann bringen sie dich gleich als erste um.“
Der etwas kleinere Junge neben ihm fing nun auch an zu weinen und zog die Nase hoch.
Der Ältere schüttelte den Kopf.
„Babies.“

Die Sonne schien ununterbrochen. Sie warf ihre heiße Glut von sich. Kümmerte sich nicht um das, was sie tat, sondern tat es einfach.
War das nicht seltsam? War es nicht sonderbar, dass die Sonne ganz einfach so schien, so als sei es nie anders gewesen und sich nicht im Geringsten darum scherte, ob es einen Sinn hatte, dass sie schien.
Rotflammend stand sie tief an diesem Julihimmel und verbrannte den entsetzten Passanten die Gesichter. Unbarmherzig brannte sie herab, machte den Tag heiß und schien sich heute besonders viel Zeit mit dem Untergehen lassen zu wollen.
Sie war grausam, furchtbar kaltherzig und ohne jede Regung für die Kinder am Fenster.

Einer winkte hinunter.
Ganz kurz nur, aber er winkte. Es war nicht kurz genug gewesen. Einer von den Männern hatte es gesehen und kam mit wütenden Schritten auf sie zu.
Mit starkem Griff packte er den Jungen am Kragen.
„Wenn du das nochmal tust, dann blase ich dir das Licht aus, verstanden?“
Der Junge brach in Tränen aus und nickte mit dem Kopf. Mit zufriedenem Grunzen stieß der Mann ihn von sich und ging zurück zu den anderen Männern.
Einer von ihnen hing schon die ganze Zeit am Telefon. Er schien sich sehr über irgendetwas aufzuregen, denn er lief die ganze Zeit wie ein Tiger im Raum herum und rief laut in das Telefon hinein.
Immer wieder drangen Wortfetzen zu ihnen am Fenster durch, aber sie konnten nicht verstehen, was der Mann mit der lauten Stimme sagte.
Es war ihnen auch egal. Sie standen ja schließlich am Fenster und blickten hinaus auf den Sonnenuntergang, der eigentlich noch gar keiner war, aber doch irgendwie so aussah. Rotgelb, fast lila.
Sie standen da und hatten Angst.

Unten stand ein anderer Mann am Telefon und war ähnlich erregt, wie der Mann oben. Er sprach wild gestikulierend in sein Telefon und schien die ganzen anderen, grün gekleideten Männer und Frauen um ihn herum gar nicht zu bemerken.
Der Mann hatte Sorgenfalten auf seinem Gesicht. Sie waren tief, die Falten. So tief, dass sie sein gesamtes Gesicht aussehen ließen wie eine Kraterlandschaft. Er machte sich Sorgen.
Um sie.
Um die Kinder.

Die Beine wurden schwer, wie sie so dort standen und nach unten blickten. Einer wollte einen Stuhl zum Hinsetzen, aber die Männer lachten nur.
Kein Stuhl, kein Hinsetzen. Sie mussten stehen und nach unten sehen. Nach unten, wo die vielen Menschen waren, wo wahrscheinlich auch ihre Eltern auf sie warteten, wo alles wieder in Ordnung sein würde.
Oder war denn etwas nicht in Ordnung? Warum standen sie hier, an diesem Fenster, so wie die Affen und sahen hinaus auf die Sonne, die nun schon fast untergegangen war?
Unten tat sich etwas. Sie sahen es, aber sie verstanden es nicht. Ein paar von den Männern da unten rannten plötzlich zum Eingang des Gebäudes und verschwanden darin. Sie beugten sich vor, schielten nach unten, um irgendetwas zu erkennen, aber die Männer waren weg. Einfach weg.

Plötzlich tat es einen Schlag und es wurde ohrenbetäubend laut im Raum. Die Männer schrieen und liefen wild durcheinander.
Maschinengewehre wurden laut und alles versank im Chaos.
Sie rührten sich nicht, bewegten sich keinen Millimeter, standen da, wie angewachsen und blickten hinaus.
Unten sahen alle mit besorgten Augen nach oben, keiner schien zu verstehen, was sich abspielte.
Aber das war ihnen egal. Sie warteten und hofften nur darauf, dass der Lärm und das Geschrei endlich aufhören würden und sie dann nach unten zu ihren Eltern gehen könnten.
Einer fing an zu weinen.
Alle weinten.
Der Große kniff angsterfüllt die Augen zusammen. Er wagte es nicht, sich umzudrehen. Er wollte es nicht sehen, er wollte nichts davon wissen.
Er wollte heim.

Plötzlich war es still. Sehr still. Zu still für sie.
Das kleine Mädchen zitterte und drehte sich langsam um. Alles im Raum war zerstört. Überall lagen Trümmerteile von zerschossenen Möbelstücken herum, auf denen hier und da Männer lagen.
Männer, die über und über mit Blut beschmiert waren und sich nicht bewegten.
Der aufgewirbelte Staub hüllte alles in ein mehliges Weißgelb und bewirkte, dass sie den Mann mit der lauten Stimme erst sah, als er schon fast bei ihr war.
Er hatte Blut an den Händen und im Gesicht und kam wutentbrannt auf sie zu.
Er packte den großen Jungen am Haar und zerrte ihn ganz dicht an die Fensterscheibe. Der Junge heulte auf und winselte wie ein kleiner Hund.
Unten sah das Mädchen die Menschen die Augen aufreißen und sie wusste, dass etwas nicht in Ordnung war.
Der Mann presste den Jungen an die Scheibe und zog eine Pistole aus seinem Halfter.
„Seht ihr das?“, schrie er wie besessen. „Seht ihr jetzt, was ihr angerichtet habt? Dachtet, ihr könntet mich verarschen, ihr Flachwichser!“
Er schnaubte laut aus und sah den Jungen an. „Da hast du es. Niemand kann euch jetzt noch helfen.“
Er drückte die Pistole an den Kopf des Jungen.
„Wer nicht hören will, muss fühlen.“
Der Junge fiel wie ein nasser Sack zu Boden als die Kugel seinen Kopf durchschlug und blieb dort liegen, so als wolle er sich schlafen legen.
Das kleine Mädchen beobachtete, wie sich die Menge unten bewegte, sie wollten in das Gebäude, wollten helfen, doch die grünen Männer ließen sie nicht.
Der Mann mit der lauten Stimme ging zum nächsten in der Reihe.
Ein kleinerer Junge, der schon die ganze Zeit weinte und sich in die Hosen gemacht hatte. Er war so klein, dass der Mann ihn am Kragen hochheben konnte.
Die Pistole ging zum Kopf.
Ein kurzer Knall.
Alles vorbei.
Als nächstes kam das Mädchen neben dem kleinen Mädchen dran.

Sie blickte hinaus. Draußen schien alles in Ordnung zu sein, wenn man die vielen Menschen dort unten nicht beachtete. Der Abend kroch hervor, die Vögel flogen zu ihren Nestern, die Straßenlaternen gingen langsam an und die Sonne verschwand hinter dem Horizont.
Hinter dem Horizont, dachte das Mädchen. Hinter dem Horizont musste es schön sein, wenn die Sonne dort war.
Aber was war denn dort, hinter dem Horizont? Sah es dort genau so aus, wie hier? Gab es dort auch Häuser und Menschen und einen Himmel und Kinder und so viel Lärm?
Gab es dort auch Männer? Männer, die Kinder töteten und böse waren? Gab es die dort auch?
Sie würde ihre Oma fragen. Eines Tages würde sie sie fragen und ganz bestimmt eine Antwort bekommen. Ihre Oma hatte immer eine Antwort, ihre Oma wusste viel.
Ihr Blick fiel wieder auf den Horizont. Die Sonne war weg. Sie hatte sich hinter dem Horizont versteckt und sandte nur noch die letzten verzweifelten Strahlen dahinter hervor. Die Sonne ging. Die Sonne, die vorher noch so herrlich hell und heiß geschienen hatte, war nun einfach so weg. Keiner fragte wieso, keinen interessierte es, was sie tat.
Die Menschen sahen lieber hier hinauf, als zu der alten Sonne, die ja sowieso jeder kannte.
Das Mädchen hätte ihnen am liebsten zu geschrien, sie sollten hinsehen. Sie sollte sehen, was die Sonne tat.
Aber sie taten es nicht.
Nur sie, das kleine Mädchen, sie sah zur Sonne, die nicht mehr da war und hatte keine Angst.
Sie weinte nicht. Nicht mehr.
Der Mann hob sie hoch.
Sie spürte den kalten Lauf an ihrer Schläfe und schloss die Augen.
Morgen geht die Sonne wieder auf.
Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln.
Sie freute sich schon darauf.

 

Ich hatte Probleme mir die Geschichte bildlich vor zu stellen, grade der erste Teil war schwer umzusetzen und teilweise etwas gezogen. Aber mir gefällt wie gegen Mitte der Geschichte plötzlich die Handlung schwung kriegt auch wenn es etwas offen bleibt was dort genau passiert.
Im ganzen gefällt mir die Art und Weise wie die Ruhe in der Geschichte auf die Gewalt trifft, der Konrast harmoniert sehr gut und gibt den ganzen das gewisse etwas, doch bin ich mir nicht sicher ob ich verstanden habe was du versucht zu verstehen zu geben, falls du das überhaupt versuchst.

 

Hallo Ben,

ich weiß nicht, ob du die "Sternkinder" von Clara Asher-Pinkhoff kennst, jedenfalls in der gewählten Perspektive und der Beschreibung erinnerte mich deine Geschichte daran, auch wenn das qualitativ etwas vermessen ist. ;)
Für mein Gefühl könntest du die Geschichte noch deutlich straffen, auch wenn ich ehrlich gesagt nicht genau wüsste wo.
Es geht wohl um das Szenario einer Schulbesetzung druch Terroristen, ein oft gewähltes Actionszenario, das eher durch die Perspektive besticht. Den gesellschaftlichen Bezug kann ich nicht so ganz entdecken. Hätten die Menschen da draußen eine Chance gehabt?
Mit gutem Willem könnte man sagen, Terroristen gehen unabhängig ihrer Ziele über (Kinder)Leichen, das erscheint mir aber zu banal. Das hättest du mit einer Einlassung darauf, worum es geht, zupitzen können, etwa, wenn das Ziel, für das hier getötet wird, ein humanes gewesen wäre.

die die Häuser und Straßen der Stadt in ein warmes dunkelrot tauchte.
Dunkelrot
Sie hatte schon oft mit ihrer Oma im Garten gesessen und abends der Sonne zugesehen, wie sie sich langsam dem Horizont zuneigt
Im Tempus bleiben, deshalb "neigte"
ob es einen Sinn machte
*grummel* *Zwiebelfischüberreich*
machte den Tag heiß und schien sich an diesem Tag besonders

Lieben Gruß, sim

 

Hi Leute
vielen Dank für die Kritik erstmal.
@Chabo:Es kann sein, dass ich bei dieser Geschichte etwas zu sehr in anderen Sphären schwebe und deswegen das Plastische, das Reale, was das Ganze dann auch vorstellbar macht, zurücksteht. Ob das gut ist, kann ich selbst nicht sagen.
Vermitteln wollte ich schon etwas, ich meine sonst könnten wir ja alles einpacken, wenn wir Geschichten einfach nur so zum Spaß schreiben würden oder? ;)
Ich weiß, dass es etwas kompliziert ist, die "Message" rauszufinden, aber sie ist auf jeden Fall da. Versprochen! :)

@Sim: Jetzt dachte ich schon, ich hätte es geschafft einmal keine Fehler zu machen und dann kommst du wieder an und versaust einem alles... :cool:
Nein, im Ernst, werd es gleich verbessern.
Zum Inhalt. Also die Sternkinder sagt mir irgendwas, aber gelesen hab ich es denke ich noch nicht, jegliche Ähnlichkeit mit dieser Geschichte ist also zufällig.
Ich weiß auch ganz ehrlich nicht so recht, wie man die Geschichte noch groß straffen könnte. Höchstens vielleicht, wenn man zwischendrin noch mehr auf die Gefühle der einzelnen Kinder eingeht, oder die ganze Situation drumherum noch genauer beschreibt. Die Frage ist dann nur, ob die Geschichte dann noch die gleiche ist und ob das nicht langweilt. Werd mir da aber nochmal Gedanken machen.

Gut, der gesellschaftliche Bezug...also ich denke, es hat allein schon deswegen einen gesellschaftlichen Bezug, weil es Teil unserer Gesellschaft ist und weil es eben auch in unserer Gesellschaft passiert. Ich denke sogar, dass es solche Geiselnahmen nicht geben würde, wenn die Gesellschaft nicht so wäre, wie sie ist. Am Ende läuft es mal wieder darauf hinaus, dass ich mir einfach nicht sicher war, wo es am besten reinpasst und Gesellschaft lag am nähesten. :D

Mit gutem Willem könnte man sagen, Terroristen gehen unabhängig ihrer Ziele über (Kinder)Leichen

Nein, das ist definitiv nicht die ganze Message der Geschichte, denn das wäre auch - wie du selbst sagst- viel zu banal, dazu bräuchte es keine Kurzgeschichte, das weiß so auch jeder.
Es kann sein, dass ich mich mit dieser Geschichte etwas weit aus dem Fenster gelehnt habe. Wie schon gesagt soll das Ganze eigentlich kein Abbild der Realität sein, sondern vielleicht vielmehr wie eine Art Traum wirken. Das Mädchen kann sich ja eigentlich auch nur dadurch "helfen", dass sie eben träumt und sich sozusagen wegdenkt.
Aber gut, ich werd mal abwarten, was sonst noch so an Kommentaren kommt.

Vielen Dank euch aber nochmal
Liebe Grüße
b

 

Hallo Ben!

Also, ich fand die Geschichte durchaus gut geschrieben und mitreißend, aber ich habe erwartet, daß du zumindest am Ende erklärst, worum es geht. Worum geht es? Wir haben da Kinder, die wegen irgendwas angeklagt werden, draußen den wütenden Mob, der schließlich reinstürmt und die Kinder ermordet. Die Situation könnte ich mir durchaus vorstellen, wenn es sich nicht um Kinder handeln würde.
Daß du es im Nachhinein als eine Art Traum darstellst, hilft mir bei der Interpretation auch nicht.
Also: Was wolltest du damit sagen und warum schreibst du es nicht mit in den Text?

Grüße
Chris

 

Hi Chris, das habe ich anders verstanden. Die Kinder werden drinnen festgehalten. Der wütende Mob draußen steht hilflos da und kann sie nicht retten. Der Mann am Fenster erschießt die Kinder immer wenn ein Ultimatum an da draußen abgelaufen ist als öffentliche Hinrichtung.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Ben, hallo Sim!

Was mich auf den Gedanken mit dem wütenden, hereinstürmenden Mob brachte, ist folgendes:
'Unten tat sich etwas. Sie sahen es, aber sie verstanden es nicht. Ein paar von den Männern da unten rannten plötzlich zum Eingang des Gebäudes und verschwanden darin. Sie beugten sich vor, schielten nach unten, um irgendetwas zu erkennen, aber die Männer waren weg. Einfach weg.' - Hier sehe ich die Leute reinstürmen. Als nächstes gibt es Kampf und Chaos, dann: 'Seht ihr jetzt, was ihr angerichtet habt?' Mob erschießt Kinder. Alle unmittelbar nacheinander, wobei ich nichts von einem Ultimatum erkennen kann.
Ähnlichkeiten mit Beslan könnte man natürlich auch sehen. Vielleicht habe ich zuviel überlesen? Vielleicht sollte man den Inhalt auch nur etwas klarer machen, für Leute wie mich.

Grüße
Chris

 

Hallo Ben!

Mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen, auch, wenn ich noch nicht so ganz hinter Deine Aussage komme. Zumindest hat sie mich geraume Zeit beschäftigt und Fragen aufgeworfen.
Sie hat mich auch an die Ereignisse in Beslan erinnert, die allerdings nicht im Juli waren, wodurch ich vermute, daß Du keinen direkten Bezug dazu herstellen wolltest.

Ich glaube, es geht Dir um das Hoffen, nein: den Glauben daran, daß alles wieder ganz von selbst gut wird. So, wie die Oma die kleine Reni immer damit beruhigt hat, daß morgen wieder die Sonne aufgeht. Die Sonne geht ja auch tatsächlich jeden Tag wieder auf, egal, was am Vortag irgendwo geschehen ist. Die vielen Menschen vor dem Gebäude hoffen auch, daß alles von selbst wieder gut wird – sie sehen zu, halten an ihrem Glauben fest und verlassen sich auf Polizei und/oder Militär…

Hinter dem Horizont, dachte das Mädchen. Hinter dem Horizont musste es schön sein, wenn die Sonne dort war.
Aber was war denn dort, hinter dem Horizont? Sah es dort genau so aus, wie hier? Gab es dort auch Häuser und Menschen und einen Himmel und Kinder und so viel Lärm.
Gab es dort auch Männer? Männer, die Kinder töteten und böse waren? Gab es die dort auch?
Hinter dem Horizont, da, wo die Kinder nicht hinsehen, sitzen Menschen vor ihren Fernsehgeräten und sehen, zwar entsetzt, aber hilflos zu, was mit ihnen geschieht; das sind wir. Und am nächsten Tag geht für uns die Sonne auf wie immer…
Aber mit den letzten drei Fragen könntest Du auch noch etwas anderes ansprechen wollen, wobei ich mir da nicht so sicher bin, ob Du das wirklich wolltest: Daß es auch hier Kinder gibt, die gequält, manchmal getötet werden, und auch hier sich alle darauf verlassen, daß die Behörden schon alles richtig machen werden.

Irgendwie geht es jedenfalls um dieses tatenlose Zusehen, und natürlich auch darum, wie es auf die Kinder wirkt: Sie haben ja erst den Eindruck, als sei alles in Ordnung, die Leute wollten sie sehen. – Das könnte man auch so sehen, daß die Terroristen solche Aktionen machen, weil die Menschen hinter den Fernsehgeräten sowas sehen wollen, bzw. uns weniger tragische Aktionen nicht mehr berühren (was ist schon eine simple Flugzeugentführung, wie sie früher üblich waren, wo am Ende doch fast alle wieder aus dem Flugzeug ausgestiegen sind…). Heute braucht es mehr Action oder Tragik, um uns überhaupt zu erreichen.

Aber so richtig greifbar wird mir die Aussage nicht. – Was könnten die Menschen denn tun? Oder wolltest Du nur zeigen, daß wir so schnell vergessen, daß das Leid vom Vortag mit dem neuen Sonnenaufgang wie weggewischt ist?

Ein paar Kleinigkeiten noch:

»dass sie nicht ganz sicher war, ob der Ältere recht hatte«
Recht

»und sich nicht im Geringsten darum scherte, ob es einen Sinn machte, dass sie schien.«
– »ob es Sinn hatte« oder »ob es sinnvoll war«

»Der große kniff angsterfüllt die Augen zusammen.«
Große

»Männer, die rote Flecken auf sich drauf hatten und sich nicht bewegten.«
– das scheint mir etwas zu übertrieben kindlich: Kinder können Blut schon erkennen und würden wohl nicht von »roten Flecken« reden.

»Gab es dort auch Häuser und Menschen und einen Himmel und Kinder und so viel Lärm.«
– Fragezeichen


Liebe Grüße,
Susi :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi ihr
also auch an euch alle noch einmal dankeschön für die Kritik.

ich habe erwartet, daß du zumindest am Ende erklärst, worum es geht. Worum geht es? Wir haben da Kinder, die wegen irgendwas angeklagt werden, draußen den wütenden Mob, der schließlich reinstürmt und die Kinder ermordet. Die Situation könnte ich mir durchaus vorstellen, wenn es sich nicht um Kinder handeln würde.

das habe ich anders verstanden. Die Kinder werden drinnen festgehalten. Der wütende Mob draußen steht hilflos da und kann sie nicht retten. Der Mann am Fenster erschießt die Kinder immer wenn ein Ultimatum an da draußen abgelaufen ist als öffentliche Hinrichtung.

Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken könne sim, dankeschön ;) . Ich denke, Chris, du hast da einiges etwas falsch verstanden, was mir als Autor allerdings zu denken geben sollte. Es ist also in der Tat so, wie sim schon erklärt hat. Die Kinder sind Geiseln und werden als Strafe dafür, dass irgendwelche Ultimati nicht eingehalten werden, hingerichtet.

Was wolltest du damit sagen und warum schreibst du es nicht mit in den Text?

Frag das mal Hemmingway oder Borchert... :cool:
Im Ernst, ich denke, wenn ich meine gesamte Botschaft idiotensicher erklären würde, dann würde keiner mehr meine Geschichte lesen wollen, weil es dann langweilig wäre.

Hier sehe ich die Leute reinstürmen

Ja sicherlich, irgendwelche Leute stürmen hinein, aber welche Leute das sind...
Ich muss allerdings ganz ehrlich gestehen, dass ich hier wahrscheinlich doch zu wenig Information gebe und der Leser wohl doch zu verwirrt ist. Werde das überdenken. Gemeint sind aber auf jeden Fall die "grünen Männer", also die Polizei. Aber wie gesagt, das kommt wohl vielleicht doch nicht so recht rüber.

Ähnlichkeiten mit Beslan könnte man natürlich auch sehen

Bitte nicht. Es passiert mir hin und wieder, dass ich mich von aktuellen Ereignissen inspirieren lasse, aber die Geschichte ist davon total losgelöst.
Vor allem geht es mir auch gar nicht darum, irgendeine Wertung abzugeben, aber dazu komme ich gleich noch. Die Parallelen zu Beslan sind also rein zufällig und auch nicht gewollt.

Mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen, auch, wenn ich noch nicht so ganz hinter Deine Aussage komme. Zumindest hat sie mich geraume Zeit beschäftigt und Fragen aufgeworfen.

Dankeschön. Das ist eigentlich schon alles, was ich erreichen will. Wenn Leute darüber nachgrübeln, was ich mir in meinem manchmal etwas verwirrten Geist ausdenke, dann ist das für mich schon ein Kompliment.

Ich glaube, es geht Dir um das Hoffen, nein: den Glauben daran, daß alles wieder ganz von selbst gut wird

Sehr richtig! Das ist im Prinzip das Einzige, worum es in der Geschichte geht. All das Ganze drum herum, die Geiselnahme, der Mob unten, die Sonne als Symbol, all das ist im Prinzip nur Mittel zum Zweck. Es ging mir- wie schon einmal erwähnt- nicht darum, die Realität möglichst echt darzustellen und es ging mir auch nicht darum, auf irgendjemanden mit dem Finger zu zeigen, sondern einfach zu erzählen. Ich denke, es steht Schriftstellern nicht zu, Wertungen vorzunehmen.

Aber so richtig greifbar wird mir die Aussage nicht. – Was könnten die Menschen denn tun? Oder wolltest Du nur zeigen, daß wir so schnell vergessen, daß das Leid vom Vortag mit dem neuen Sonnenaufgang wie weggewischt ist?

Ich glaube nicht, dass sie irgendetwas tun könnten. Aber darum geht es eben, wie gesagt, auch nicht. Ob ich überhaupt etwas "zeigen" wollte sei auch dahingestellt.
Der Sonnenaufgang als Symbol des Vergessens gefällt mir ziemlich gut und könnte sicherlich auch so in die Geschichte interpretiert werden.
Am Ende denke ich aber, dass jeder selber mit sich vereinbaren muss, was er nun in dieser Geschichte sieht.
Es wäre ja auch langweilig, wenn ich meine Gedanken jetzt in allen Details ausbreiten würde, oder? ;)
Die Fehler werde ich gleich korrigieren.

Also jedenfalls nochmal vielen Dank fürs Lesen und kommentieren, freu mich jedes Mal, wenn ich eine Kritik bekomme.

Liebe Grüße
b

 

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