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Museum

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11.03.2008
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Museum

Manches mal spazierte abends eine junge Dame durch die leeren Hallen des naturhistorischen Museums. Dann hörte man den Klang von hohen Absätzen auf Marmorplatten durch die stillen, weiten Räume des Gebäudes erklingen. Und gleichsam wie sie nur sehr gemächlich durch die Flure schlenderte, verhallte auch der ihr vorauseilende Schall nur zögerlich in den Fellen prähistorischer Tierpräparate und an den großen, vor alten Kuppelfenstern lange herab hängenden, dunkelroten Vorhängen.
Sie schenkte weder den ausgestopften Tieren Beachtung, noch der sorgfältig katalogisierten Insektensammlung, weder den unzähligen Gehörnen und Geweihen, noch den geduldigen Steinen, nicht den Rekonstruktionen von grimmig vor sich hin starrenden Säbelzahntigern und nicht den vor ihren Plastikhütten sitzenden Höhlenmenschenfamilien.
Elisabeth war die Nichte des Museumsdirektors. Sie kam oftmals auf Besuch, vor allem natürlich während ihrer Urlaubstage. Sie verbrachte dann ihre Zeit mit ihm, manches Mal aus einem Pflichtgefühl heraus, doch weitaus häufiger weil er über die Jahre sehr wichtig für sie geworden war. Denn dieser schon in die Jahre kommende, etwas sonderliche Mann mit Sakkoanzug und Fliege, war für sie alles, was ihr an Familie blieb. Dasselbe galt für Franz, für den die Zeiten ihres Besuchs immer die schönsten im Jahr waren.
Manchmal, wenn sie durch das leere Museum spazierte, kam es vor dass sie unweigerlich an den Tod denken musste und daran, wie oft sie an den Tod dachte. Dann verhärteten sich ihre Züge, bauten sich schroffe Falten über ihrer Stirn wie aus dem Nichts auf.
Komme nicht los davon. Die Gedanken drehen sich im Kreis. Es ist verrückt. Anders denken können? Ausbrechen aus Kreisen. Schwierig. Fixiert auf den Nullpunkt. Frage mich, warum andere Leute viel weniger davon betroffen sind? Warum sehe nur ich ihn die ganze Zeit? Na gut, Vergangenheit und Trauma. Ja, vielleicht. Das kann es sein. Sicher. Aber ist das nicht normal? Fakt ist doch, dass alles aufs Ende hin gerichtet ist. Es gibt doch sonst nichts. Immer nur Fakten. Fakten. Fuck. Ich muss versuchen, positiver zu denken. Beispiel. Gestern. Was war gestern? Das Mittagessen mit Onkel - Lachen als er sich die Zunge verbrannt hatte - und er... Todessehnsucht? Ist es das? Er wird schon alt. Vergisst viel. Todessehnsucht... also leben, doch das...
Sie ging in den Raum mit den Steinen, selbst einer von ihnen geworden.
Ihre Finger berührten raue, kalte Oberflächen, ertasteten scharfe Kanten und fühlten plötzlich Wärme.
"Musst du mich so erschrecken?"
"Du bist schön heute."
"Ach, lass den Blödsinn."
Er versuchte sie zu küssen. Sie entzog sich ihm windend, fast als wäre er ein Fremder, der versuchen würde, sie anzugreifen.
"Felix, Du solltest nicht hier sein."
"Warum nicht?"
"Ich brauche Zeit für mich."
Sie drehte sich um und ging. Er stand da, ratlos, dann, ohne ihr zu folgen, das Wort erhebend, nachtragend und verdrossen: "Du bist eine seltsame junge Frau... und ich habe keine Ahnung wie ich mit deiner Launenhaftigkeit zurechtkommen soll, das ist einfach nur anstrengend..."
Ihre Augen waren heute starr, dachte er. Kalt. Als wäre sie nicht da. Nicht für mich. Warum geh' ich ihr nicht nach? Fühl mich chancenlos. Ihre Augen. Verdammt, hat ja doch keinen Sinn. Und ich war so gut aufgelegt. Und sie sah so heiß aus als sie so dastand. Ich lass sie einfach. Heute. Vielleicht liegt's am Museum. Der Geruch von Altem. Die dunklen Verschläge aus Holz. Und morgen ist es vielleicht wieder anders. Und heute: Ich und die Nacht da draußen, vielleicht eines trinken gehen, oder zwei. Mal sehen. Enttäuscht machte er kehrt und verließ das Museum.
Elisabeth, erstaunt über sich selbst und ihres bei sich seins beraubt durch den plötzlichen Einbruch in den leeren Raum, schritt stumm in den nächsten Saal.
Sein Küssen. Küsse, warum das alles? Es war fast aufdringlich. Ein kurzes Gefühl von, ja, etwas wie Angst. Vielleicht weil ich ihn nicht lange... bin ich verliebt? Kalt hier. Zungen spielen. Berührungen, jetzt fehlen sie wieder. Seltsam. Sein Körper, seine Hände. Jetzt will ich ihn wieder spüren. Will Sex. Ihn berühren. Kein Begehren bei den Steinen. Aber trotzdem Wärme, lässt man seine Hand nur lange genug auf ihnen ruhen. Vielleicht ist er mir gar nicht so wichtig. Wer ist einem wirklich nahe? Niemand weiß vom anderen irgendetwas. Irgendetwas, was soll das auch sein. Was soll man da noch suchen? Und was Liebe nennen? Nicht-allein-sein. Ein-gutes-Gefühl-haben. In-Illusionen-vereint, oder doch Zauber, Zauber, Romantik, Kerzenlichtdinner. Blödsinn. Ich suche - Licht.
Licht brannte im Büro des Museumsdirektors. Man sah einen hellen Lichtstreifen unter der Tür. Elisabeth öffnete sie langsam, als würde sie nicht schon wissen, wer sich in dem Raum aufhalten würde, als würde sie angespannt jemand anderen erwarten. Meine Schritte. Dieses Gebäude, ein Rätsel. Warmes Licht. Er stand da, erst etwas suchend, dann blickte er fragend Elisabeth an.
"Schön dich zu sehen, Elisabeth. Was machst du denn noch hier?" fragt er, seine Lesebrille zurechtrückend.
"Eigentlich wollte ich ein wenig allein sein, und da ich deinen zweiten Schlüssel habe... was machst du noch hier um diese Zeit?"
"Katalogisierungsarbeiten. Es sind einige Insekten zur Sammlung dazugekommen..."
"Kann das niemand deiner Mitarbeiter machen?"
Er lacht verschmitzt. Lachfaltenmund. Greift sich durch die grauen, spärlichen Haare.
"Ja, nein, das geht nicht. Sogar keinesfalls. Es ist einfach wichtig, dass ich das mache. Georg oder Klaus neigen dazu, die Arbeit nicht gewissenhaft auszuführen..."
"Verstehe" sagte Elisabeth zögerlich. Alter Mann, ein über die Jahre sich antrainierter Tick. Klare Sache. War viel allein. Alles ordnen und an seinen Platz. Namen und Nummern noch mit Tinte auf Karteikärtchen eingetragen. Ganz ohne Computer. Eigentlich ist ja das schon verschroben.
Sie lächelte.
"Das Museum ist alles für dich, nicht?"
"Mein Reich." sagte er mit blitzenden Augen in dieser Mischung aus Stolz, Vergnügen und Ehrfurcht vor seiner eigenen Sache, die nur ältere Menschen auszudrücken fähig sind.
"Onkel, ich mach mich auf... wir sehen uns morgen. Arbeite nicht zu lang. Auch du brauchst Ruhe."
"Ist gut, ist gut. Schön dass du gekommen bist... bis morgen." und mit jedem Wort versank er etwas tiefer zurück in vergangenes Insektensummen, in Nummern die ihm transparente Flügel, chitingepanzerte Geschöpfe und filigrane Fühler bedeuteten. Und mit jeder Sekunde, die verging, bis Elisabeth die Tür hinter sich geschlossen hatte, schien dieser sich immer tiefer über den Schreibtisch bückende Mann, als würde er sich einrollen wirkend, selbst immer mehr zu einem Käfer zu werden.
Wieder klapperten Absätze über die Fließen. Ihre Augen waren nicht mehr an die Dunkelheit gewöhnt. Sie drückte auf den Lichtschalter. Riesige Luster erhellten den Saal. "Reise in die Vergangenheit" stand auf Kinderaugenhöhe auf einem Schild. Faustkeile, Mammutfelle, Feuersteine, Elfenbeinnähzeug, hölzernes Gefäß. Handfeste Gegenstände. Alles handfest. Die Vergangenheit. Handfest. Draußen ist es dunkel. Ich muss Felix finden.

 

Hallo und willkommen hier,

Das Mittagessen mit Onkel - Lachen als er sich die Zunge verbrannt hatte - und er... Todessehnsucht?
Großartiger Satz, schöne Passage.
Davor die Einleitung. Bitte: Weniger Adjektive, weniger Negationen … es klingt nicht.

Sie entzog sich ihm windend
Sie entwand sich ihm.

Durch die Geschichte schimmert ein sehr schöner Humor, finde ich. Auch die Szenengestaltung, mit dem vergeistigen Onkel als abschreckendes Beispiel, gefällt mir.
Was mir nicht gefällt ist der Erzähltext. Jedesmal, wenn keiner denkt oder keiner spricht, ist das so künstlich. Negationen, Partizipien und Adjektive. Die so zu verwenden, dass der Text sich noch gut und natürlich lesen lässt, ist eine Kunst, wenn die ein wenig abgeht, wirkt es künstlich und umständlich. Es liest sich nicht. Es entsteht keine Lesefreude.
Und es fällt in dem Text stark auf, weil die Gedankenpassagen lebendig und frisch wirken. So lebendig und frisch hätte ich mir den ganzen kleinen Text gewünscht, in dem – wenn ich es richtig sehe - eine Frau zwischen Geist und Materie schwankt.

Gruß
Quinn

 

Hey Quinn!
Ganz neu bin ich hier eigentlich gar nicht: Hab nur vor ein paar Jahren alle meine Beiträge gelöscht ;-)

Vielen Dank für deine Kritik und entschuldige die recht späte Antwort!

Und ich muss sagen, du hast vollkommen recht, wenn du sagst, der Erzähltext ist unpassend. Das ist mir schon beim Schreiben der Geschichte aufgefallen. Andererseits wollte ich einige Ideen des Erzähltextes auch nicht fallen lassen, weshalb ich ihn dann nicht mehr verändert habe. Aber es stimmt, er ist eigentlich völlig unpassend für die Geschichte und die Sätze wirken, ganz wie du es kritisierst, tatsächlich allzu künstlich.

Mit deiner Interpretation hast du nicht ganz unrecht. Ich wollte damit aber auch noch ein paar andere Dinge darstellen.

Danke nochmals,
lieben Gruß,
tagträumer.

 

Hi Tagträumer,

deiner Antwort an Quinn entnehme ich, dass du der Tagträumer bist, dessen Weggang ich vor einiger Zeit bedauert habe.
Schön, dass du wieder da bist.
Was deinen Wiedereinstiegstext betrifft, habe ich glaube ich schon Texte von dir gelesen, die mir besser gefallen. Dieser erscheint mir in Sujet und Sprache nicht immer stimmig.
Mir gefällt die Ruhe, das Erzählenswerte im Unspektakulären, das du aufspürst. Die Menschen scheinen alle auf der Suche. Dazu passt das naturhistorische Museum, in dem es letztlich ja auch um die Suche nach Wurzeln und Ursprung geht.
Wie gewohnt ein paar Details:

Manches mal spazierte abends eine junge Dame durch die leeren Hallen des naturhistorischen Museums
Manchmal oder Manches Mal, ich würde aber eher Manchmal schreiben.
Denn dieser schon in die Jahre kommende
Tempus: in die Jahre gekommene
Dasselbe galt für Franz, für den die Zeiten ihres Besuchs immer die schönsten im Jahr waren.
Nomina: die Zeiten ihrer Besuche
Manchmal, wenn sie durch das leere Museum spazierte, kam es vor dass sie unweigerlich an den Tod denken musste
vor, dass
Immer nur Fakten. Fakten. Fuck.
In einem anderen Ambiente einer anderen Geschichte hätte mich dieser Satz wahrscheinlich nicht gestört. Hier passt er für mein Gefühl im Ausdruck des Gedankenes weder in den Raum noch zur Protagonistin, die als "junge Dame" bezeichnet wird.
"Felix, Du solltest nicht hier sein.
Solch nachgeschobenen Informationen finde ich immer problematisch. Bis zu diesem Moment denkt man, Hans, also der Onkel würde sich da an sie ranmachen. Jetzt fragt man sich, wer Felix ist.
vielleicht eines trinken gehen, oder zwei
Na, da benutzt ihr den Genitiv da unten so selten und dann auch noch falsch. ;) Wen oder was will er trinken gehen?
und ihres bei sich seins beraubt
schwer, aber mindestens "Seins" muss groß geschrieben werden, aber du könntest auch durch eine Bindestrichkonstruktion wie "Bei-sich-Seins" die Zusammengehörigkeit deutlich machen. Im Grunde ziehst du ja drei Wörter zu einem Substantiv zusammen.

Liebe Grüße
sim

 

Hi Sim,

Danke, es freut mich dass du dich erinnerst! Und es freut mich, dass du ein weiteres Mal eine ausführliche Kritik für eine meiner Geschichten geschrieben hast! Und wie immer, schätze ich deine Kritik sehr. Dankeschön!
Wie schon in der Antwort auf den ersten Kommentar auf die Geschichte kann ich nur sagen: Ich stimme dir vollkommen zu. Dem Text fehlt es leider etwas an einer einheitlichen Struktur in der Sprache.

Ich danke dir auch für das Aufzeigen der (erschreckend zahlreichen) grammatikalischen Fehler, die sich in die Geschichte eingeschlichen haben: Ich werde sie noch so weit es geht verbessern.

Der Teil mit der nachgeschobenen Information, der dir stilistisch nicht so gefällt, war genau mit der Intention so gestaltet, den Leser auf die von dir erwähnte falsche Fährte zu führen. Natürlich, es stimmt schon, das hat den Erzählfluss auch negativ beeinflusst und dieser Zug war völlig irrelevant für die Geschichte und ihre Aussage, aber mir hat der Gedanke dieser kleinen Irreführung einfach irgendwie Freude bereitet, glaube ich.

Danke für die Kritik und die Mühe!
Und für diesen Genitiv-Fehler werde ich mich jetzt wohl noch ein bisschen schämen,

lg,
tagträumer

 

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