- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 29
Mutierte Riesenmaden aus der Hölle
Also, am Anfang war es ja noch ganz lustig gewesen. Schleichender Realitätsverlust oder so hatte der Doc das genannt. Rosane Elefanten und gelbe Nashörner sind ganz nette Zeitgenossen, wenn man irgendwann tief in der Nacht über einem weißen Blatt Papier sitzt und keine Ahnung hat, ob man es nun mit Worten füllen oder sich lieber einen lustigen Hut daraus basteln soll. Bei Letzterem sieht man wenigstens angemessen aus, wenn man den Verstand verliert.
Richtig hart war es eigentlich erst geworden, als der rosane Elefant eines Tages angefangen hatte, mir mein Gehirn durch das linke Ohr auszusaugen. Es ist ein echt mieser Anblick, wenn das Ding plötzlich pulsierend vor einem auf dem Boden liegt und einfach platzt. Dann wacht man auf, sitzt schweißgebadet in seinem Bett und wird von diesem bekloppten Elefanten auch noch blöde angegrinst. Und schließlich dreht man den Kopf beunruhigt in Richtung Deckenlampe und stellt fest, dass die Apokalypse der Seele längst begonnen hat.
Vielleicht sollte ich am Anfang beginnen...
...
Humor wäre out, hatte der Verleger damals gesagt. Die Leute wollen nicht mehr über Schafe lachen, sie wollen sich vor ihnen fürchten. Sie wollen Geschichten über blutspeiende Monstergnome lesen, die sich gegenseitig die Haut von den Fingern pellen und mit eiternden Pestbeulen nach kleinen Kindern werfen. Oder Zombies, die aus irgendeinem Grund auf der Jagd nach der Milz des örtlichen Totengräbers sind - vermutlich, um sich einen lustigen Hut daraus zu basteln.
Naja, Horror war nun einmal gefragt und so habe ich mich an den Schreibtisch gesetzt, den Bleistift gespitzt und meine Sinne partiell mit Kaffee und einer halben Flasche irgendeines Alkohols betäubt. Mein erster Entwurf - eine vollkommen hirnrissige Geschichte über ein Killerschaf namens Horst - wanderte nach zehn Minuten in den Papierkorb. Der verrückte Pathologe, der sich aus den Knochen seiner Patienten Bücherregale baute, schied ebenso aus wie das Ding mit dem Taubenzüchter, der irgendein altes Kindheitstrauma mit sich herumtrug und darum seiner Frau nachts kleine Feuerquallen in die Nase steckte. Alles viel zu subtil.
Etwa eine Stunde lang beschäftigte ich mich mit einem sehr netten Plot über genmanipulierte Vampire, die mit marsianischen Killerspinnen gemeinsame Sache machten und eine hübsche Kleinstadt in Nordengland terrorisierten. Doch mir wollte einfach keine künstlerisch wertvolle Beschreibung der rituellen Paarungszeremonie zwischen Blutsauger Klaus und Arachna Gitte einfallen, die aber zwingend nötig gewesen wäre, um die ultimative Dämonenrasse zu züchten. Um es kurz zu machen, ich hatte die totale Schreibblockade.
Und dann schlief ich ein. Mein Kopf prallte auf den Tisch, wie ein Radiergummi auf eine schlechte Metapher und die quälenden Gedanken über verpasste Abgabetermine und damit verbundene finanzielle Engpässe übermannten mich. Während ich in meinem Traum dabei war, einem überdimensionalen Geldsack mit einem falschen Fünfzigeuroschein die Kehle aufzuschlitzen, sah ich den rosanen Elefanten zum ersten Mal.
"Wach auf", sagte er mit einem mystischen Unterton in seiner Stimme und trat mir ins Gesicht. Die Tatsache, dass mein Kopf nach dem Aufwachen dröhnte, wie nach dem Genuß von vier Grappa und der Faust einer halbnackten Strandschönheit, der man zuvor wegen der Grappa ins Dekolletee gekotzt hatte, war eigentlich ganz normal - immerhin war ich eben mit dem Kopf auf den Schreibtisch geknallt. Der Blutfleck auf meinem begonnenen Manuskript wurde davon aber nicht mal ansatzweise erklärt, zumal an meinem Kopf nicht der kleinste Kratzer zu finden war.
...
"Mach doch mal was mit Maden. Die Leute finden Maden eklig."
"Ach komm", sagte ich, "Das sind doch nur Insektenbabys."
"Ja, aber die Leute finden das eklig."
"Da müsste die Made schon vier Meter groß sein und Schleim würgen."
"Und was spricht dagegen?"
"Eine vier Meter große Made würde auffallen, wenn sie sich einem unter die Haut frißt."
"Ja, da hast du sicher Recht... Wie wäre es mit einem undefinierbaren schwarzen Etwas, das sich an den hintersten Stützpfeiler deiner Seele hängt und dich langsam von Innen heraus..."
"Manfred?"
"Ja?"
"Halt die Klappe."
Manfred war zwar ein lustiger Kerl, der eigentlich immer den ein oder anderen Tipp für eine lustige Geschichte über Schafe oder vorzeitigen Samenerguss auf Lager hatte, aber Horror war eindeutig nicht sein Ding. Meins auch nicht. Aber im Gegensatz zu Manfred hatte ich einen verdammten Vertrag unterschrieben. Ich verließ die Billardhalle und marschierte durch die Nacht nach Hause. Es war eine dunkle und stürmische Nacht, was mir zumindest eine Idee für den ersten Satz einbrachte.
Kurz überdachte ich eine Geschichte über einen Kettensägenmörder, der sich nachts mit seinem Sohn in den Wald zurückzieht, um ihm dort anhand von Baumstämmen zu erklären, worauf es bei der ganzen Sache ankam. Aber irgendwie war auch das nicht das Wahre. Bäume bluten nun mal nicht und von daher fehlte es dieser Idee schlicht an allem, was eine moderne Horrorgeschichte ausmachte.
Zum Glück hatte ich sie schon wieder vergessen, als ich endlich an meinem Schreibtisch saß und nicht wusste, worüber ich schreiben sollte. Ich hätte es mir sicher nicht verziehen, wenn ich diesem Kettensägenplot auch nur ein paar Minuten gewidmet hätte. Dann doch schon lieber die Sache mit den Feuerquallen in der Nase der Taubenzüchtergattin. Ich hätte auch über den rosanen Elefanten schreiben können, der in diesem Moment vor dem Badezimmerspiegel stand und einen Teller Cornflakes verputzte. Aber dazu hätte ich erst den Bandwurm von meinem Bleistift abwickeln müssen. Der kleine Racker mußte einen unachtsamen Moment genutzt haben. Angewidert warf ich den Stift aus der Hand und bekam gerade noch mit, wie der Elefant aus mit Milch verpappten Cornflakes eine Statue von Marylin Manson bastelte. Dann wachte ich auf. Oder auch nicht.
...
"Sehen Sie ihn denn nicht? Er sitzt auf meiner Schulter."
"Nein, da ist nichts."
"Die andere Schulter."
"Ach da..."
"Sehen Sie ihn?"
"Nein."
"Er frisst gerade einen Käfer."
"Seit wann leistet Ihnen der Elefant denn schon Gesellschaft?"
"Das ist jetzt ein paar Tage her. Damals habe ich schlecht geträumt und als ich wieder wach war, saß er da."
"Auf Ihrer Schulter?"
"Auf einem Stuhl."
"Ich würde sagen, Sie leiden an schleichendem Realitätsverlust. Sie sind nicht in der Lage, die Dinge aus Ihren Träumen von der Realität fernzuhalten."
"Sie meinen Elefanten?"
"Rosane Elefanten."
"Aber er ist da. Und ständig sagt er mir, dass ich aufwachen soll. Schlafe ich denn?"
"Woher soll ich das wissen? Ich mache hier nur meinen Job."
Ärzte sind Idioten. Alle miteinander. Vielleicht sollte es in meiner Geschichte um einen Typen gehen, der seinen Psychiater mit so vielen Fachbüchern von Freud füttert, bis dem der Magen platzt und er von seiner eigenen Magensäure zerfressen wird. Der Elefant schmatzte genüsslich, pulte sich ein Käferbein aus den Zähnen und brüllte mir ins Ohr, ich solle aufwachen. Keine Ahnung, ob ich aufwachte oder nicht, aber das nächste, an was ich mich erinnerte, war der Moment, in dem ich an meinem Schreibtisch saß und meine Idee mit der Magensäure verfeinerte.
"Igitt! Woran ist der denn gestorben?" Inspektor Milton verzog angewidert das Gesicht, als er den Tatort betrat. Die Mutter hatte den Jungen Martin Gruber tot in seiner Küche gefunden und sofort die Polizei gerufen.
"Er ist geplatzt. Sehen Sie, da hinten liegt die Prostata."
"Danke, dass Sie mich darauf hinweisen, Schulze. Glauben Sie, Sie können mir hier einen Kaffee besorgen?"
"Mit Milch und Zucker?"
"Nur Zucker bitte. Von Milch kriege ich Blähungen." Während Schulze sich auf den Weg zur nächsten Cafeteria machte, nutzte Inspektor Milton die Chance, ein paar unverfängliche Worte mit dem Gerichtsmediziner zu wechseln.
"Und? Was sagen Sie?"
"Ich denke", sagte der Arzt, "dass wir es hier mit einem ziemlich ekligen Fall zu tun haben."
"Das sehe ich selbst. Details bitte."
"Nun, wie es aussieht, sind unbefruchtete Eizellen in seinen Körper eingedrungen und haben sich irgendwie mit seinen Spermien... nun... befruchtet. Und das Volumen tausender heranwachsender Föten in seinem Bauch hat dann..."
Ich warf das Manuskript in den Mülleimer.
...
"Hagen, warum glaubst du, dass Kurt und Elke nicht deine richtigen Eltern sind?"
"Naja, zunächst mal bin ich ja älter als die beiden..." Ich hatte keine Zeit für sinnlose Talkshows. Darum schaltete ich den Fernseher aus und widmete mich meinem Schreibtisch, während die gähnende Leere meiner Gedanken sich mit dem vertrauten Gefühl mischte, das man nun mal hat, wenn direkt neben einem ein halbes Pferd einen Asthmaanfall bekommt.
Ich hatte keine Ahnung, wo die andere Hälfte geblieben war, aber als es während seines Hustens nicht nur sein linkes Auge verlor, sondern auch den Rest jeglicher Selbstsicherheit, kam mir ein leichter Verdacht. Das Auge landete übrigens in meiner offenen Schreibtischschublade, wo es sich zwischen Lakritzschnecken und Schokoladenerbsen sicher wohlfühlte.
"Wach auf", sagte mein treuer Elefant und spielte mit dem gelben Nashorn Verstecken.
"Aber ich bin wach!", brüllte ich und ohrfeigte den verrückten Clown, der mir irgendwelches Zeug in den linken Oberarm injizieren wollte. Er sagte irgendwas von na gut, dann eben ohne Betäubung, holte eine rostige Säge aus seinem Anzug und begann, mein rechtes Hosenbein hochzukrempeln. Ich sagte ihm freundlich, dass er das bitte unterlassen soll, aber scheinbar hatte er seine Ohren bei seinem letzten Asthmaanfall verloren. Als die Säge meine Haut berührte, wachte ich auf. Glaube ich.
Ein paar Tage später war dann mein Kühlschrank leer. Bis dahin hatte ich es erfolgreich vermeiden können, aus dem Haus zu gehen. Irgendwie hatte ich es nicht ertragen können, dass die Leute mich immer so blöde angeglotzt haben, nur weil ich der Zombiearmee lautstark den Weg zum Totengräber erklärt habe. Die Brüder sind verdammt schwerhörig, muss man wissen. Kein Wunder, wenn man seinen Kopf unter dem Arm trägt und sich die eigenen Achselhaare um die Ohren schlingen.
Während ich also im Supermarkt stand und den Preis eines kleinen Bechers Schokopudding mit dem eines großen verglich, verwandelte sich der Kopfsalat im Regal gegenüber in echte Köpfe, die Pfirsiche wurden von Riesenwürmern unterwandert und die Milch... naja, ich glaube, sie atmete. Mein rosaroter Freund trompete vergnügt und zischte mir ins Ohr, dass ich nur aufzuwachen bräuchte. Mehr aus Reflex als aus Interesse sagte ich ihm, dass ich wach war - oder es zumindest glaubte - und bezahlte bei dem Werwolf an der Kasse meinen Pudding und die Cornflakes. In den alten hatten sich Kakerlaken eingenistet.
Auf dem Weg nach Hause überlegte ich, wie sich eine Geschichte über einen arbeitslosen Versicherungsvertreter machen würde, der Hunde erschießt und mit ihrem Fell streunende Katzen verkleidet. Aber die Idee war sicher schon mal irgendwann dagewesen und mit einem Plagiat bräuchte ich meinem Verleger gar nicht erst kommen. Zuhause angekommen, verstaute ich die Einkäufe im Schrank und nahm erstmal ein erfrischendes Bad. Naja, irgendwie überraschte es mich nicht wirklich, dass da Blut aus meinem Wasserhahn kam. Der Elefant senkte seinen Rüssel in die Wanne, nahm einen Schluck und spritzte ihn an die Decke.
Habe ich schon erzählt, dass er danach mein Gehirn durch das Ohr ausgesaugt hat? Ja, ich glaube, an der Stelle habe ich angefangen. Also, auf jeden Fall hob das Vieh seinen blutverschmierten Rüssel an mein Ohr und zog an mir, wie ein Hippie an einer Hand voll Unkraut. Komischerweise hatte ich keine Schmerzen oder so, was vielleicht daran lag, dass genau das Ding, welches für das Empfinden von Schmerz normalerweise zuständig war, sich gerade irgendwo zwischen meinem Mittelohr und der Außenwelt befand.
Naja, und dann hat der Elefant den grauen Klumpen auf den Boden gespuckt, wo er dann begleitet von einem lauten Knall explodiert ist. Der Klumpen, nicht der Elefant. Das heißt, vielleicht ist der Elefant auch explodiert - das konnte ich nicht sehen, denn in genau diesem Moment bin ich aufgewacht. Ich lag in meinem Bett, nackt, wie Gott mich einst in einem äußerst schwachen Moment geschaffen hatte.
Neben dem Bett saß der rosane Elefant und grinste mich ziemlich unverschämt an. Ich fühlte nach meinem Kopf und stellte beruhigt fest, dass noch alles da zu sein schien, wo es hingehörte. Dann schaltete ich das Licht an und sah an die Decke, um nachzusehen, warum die Lampe nicht funktionierte.
"Weißt du, wie du am schnellsten feststellen kannst, ob du jetzt wach bist? Wenn du träumst, wird das hier nicht wehtun", sagte mein rosaner Begleiter.
Und noch während ich fasziniert die riesige Spinne an der Zimmerdecke beobachtete, wie sie sich mit ihren messerscharfen Greifwerkzeugen langsam meinem Bauch näherte, wurde mir bewusst, dass die Hölle ein Ort ist, der sich irgendwo zwischen der eigenen Fantasie und einem Elefanten befindet.