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Mutter, Tochter, Kind

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01.05.2008
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Mutter, Tochter, Kind

Sarah lag in der Badewanne und grübelte über ihre Hausarbeit zum Thema Traumsymbole im Werk Kafkas nach, als die Großmutter ohne anzuklopfen ins Bad kam. Es schwamm nicht viel Schaum auf dem Badewasser in der Wanne.
„Dass ihr jungen Leute euch überall rasieren müsst! Früher hatten wir noch so was wie Schambehaarung.“
„Oma, bitte! Ich liege in der Wanne!“
„Du musst dich gar nicht genieren. Ich hab dich nackt gesehen, ich habe deine Mutter nackt gesehen, ich habe deine Tante nackt gesehen; ich hab sie alle nackt gesehen! Du hast nichts, was die anderen nicht auch hätten. Denkst wohl, du bist was Besonderes. Flausen, hat dir deine Mutter in den Kopf gesetzt. Die dachte auch immer, sie ist was Besseres. Und wohin hat es sie gebracht? Ins Grab, vor ihrer Zeit.“
Danach:
„Wenn du fertig bis mit baden, lass das Wasser in der Wanne, dann kann ich noch rein, so kann man Wasser sparen. Hier lernst du noch was!“
Sie griff sich ans Herz, atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Dann begann sie, sich auszuziehen. Sie schälte sich aus dem geblümten Kittel und legte ihn auf die Waschmaschine, die im kleinen Bad in einer Ecke stand, am Kopfende der Badewanne. Sarah drehte das Gesicht zur Wand. Sie dachte an ihre Mutter und vermisste sie sehr. Neben ihrem Ohr raschelte es. Die Großmutter hatte sich bis auf die fleischfarbene Unterwäsche ausgezogen und stand nun im Mieder und Unterhose vor dem Spiegel und begutachtete ihre Bartstoppeln über der Oberlippe.
„Na ja, niemand ist perfekt“, murmelte die alte Frau. „Beeil dich mit Baden, sonst wird das Wasser kalt.“
Kriegsgeneration, dachte Sarah. Immer am Sparen. Es war an der Zeit, dass die Großmutter in der Gegenwart ankam. Im Krieg hatte sie Steine geschleppt, aber Sarah hatte kein Mitleid. Vielleicht war das falsch, sie schämte sich dafür. Schließlich war der Großvater früh gestorben und die Großmutter hatte sich mit zwei Kindern allein durchschlagen müssen. Hatte hart gearbeitet und keiner hat’s ihr gedankt. Diese Geschichten hatte sich Sarah tausendmal anhören müssen, sie konnte sie nicht mehr hören. Dennoch: Es war die Mutter von Sarahs Mama und hatte etwas Respekt verdient, dachte Sarah schuldbewusst. Es war schwer, jemanden zu respektieren, der einen hasste.
Sie hörte die Großmutter sch oft sagen, „das Leben deiner Mutter hast du auch versaut, die uneheliches Balg! Solche Chancen hat sie gehabt, aber dann hatte sie dich an der Backe!“
Kein überschwänglicher Liebesbeweis. Aber Sarah konnte es nicht ändern, konnte nicht ändern, dass sie am Leben und ihre Mutter tot war, obwohl sie es sich manchmal umgekehrt wünschte.

Sarah hatte Heimweh. Aber es gab keinen Rückweg. Sie stieg fröstelnd aus der Wanne und musste sich um ihre halbnackte Großmutter herumquetschen, um an ihr Handtuch zu kommen. Es war nicht wirklich ihr Handtuch; es gehörte der alten Frau. Sarah hatte nichts von ihrer Mutter behalten dürfen, sie hatte wegen Überschuldung das Erbe nicht annehmen können. So hatte sie nur ein paar alte Fotos und den Ring, den ihre Mutter am Finger trug, als sie starb. Diesen Ring steckte auf dem Mittelfinger von Sarahs rechter Hand; sie nahm ihn nie ab.
Sie dachte häufig an all die Gegenstände, die Teil ihrer Kindheit gewesen und die nun unwiederbringlich verloren waren. Es hatte ein angeschlagenes Weinglas mit eingravierten Weinreben als Verzierung gegeben, das die Mutter gern benutzt hatte oder den kleinen Löffel, mit dem Sarah selbständig essen gelernt hatte. Es hatte Bücher gegeben und Schmuck und ein altes Glashuhn mit Deckel, in dem die Mutter Gummibänder für die Küche aufbewahrte und Schallplatten und Teekannen und ein Modell eines niederländischen Plattbodenschiffs, wie sie in Holland die Kanäle rauf und runter fahren und mit dem Sarah heimlich gespielt hatte.
Alles weg. Verkauft oder weggeschmissen von den neuen Besitzern.
Sarah drehte den Ring an ihrem Finger. All diese Dinge transportierten Erinnerungen, dachte sie trotzig. Eine Erinnerung wurde umso handfester, wenn man das Taschentuch mit dem Parfum und dem Geruch der Mutter daran an die Nase hielt und die Augen zumachte und sich vorstellte, die Mutter sei gar nicht tot, nein, sie sei sogar höchst lebendig und käme jeden Augenblick um die Ecke, um einen zum Essen zu rufen. Es war alles so präsent; Sarah wusste noch genau, wie ihre Mutter roch, wie sich die Haut ihrer Wange anfühlte, wenn man mit dem Handrücken darüber streichelte, wie die Augen der Mutter glänzten, wenn sie ihre kleine Katze auf dem Schoß hatte und sie kraulte. Das konnte nicht einfach weg sein, nein, das ging nicht; aber wo war es? Waren Gedanken Materie? Wo?
Es war nicht schön, an Krebs zu sterben. Die Mutter hatte Tumore auch in den Knochen und wurde von Tag zu Tag kleiner, bis sie, kurz vor ihrem Tod, kaum mehr vorhanden war, ihre Handgelenke dünn wie die eines Kindes und die Augen so tief in ihren Höhlen, dass man Angst hatte, sie würden ganz in den Kopf zurückgleiten. Ob Schauspiel oder nicht, es lag immer ein Lächeln auf ihren Lippen. Einmal hatte sie zu Sarah gesagt, dass der Großvater die Mutter schon oft besucht hatte und nun auf sie wartete, um sie abzuholen, und die Mutter strahlte dabei, sie freute sich auf den Tod, nur das Sterben, darauf hätte sie gern verzichten können, und Sarah verstand sie.
Und dann war sie gestorben, allein, im Krankenhaus, angeschlossen an Maschinen, Sarah war nicht bei ihr gewesen.
Die Beerdigung war eine Seebestattung, an der nur Sarah und ihre Tante teilnahmen. Die Großmutter kam nicht, weil sie Angst hatte, seekrank zu werden. Die Tante war eine dicke, freundliche Frau, die sehr aufrecht ging und den mitgebrachten Blumenstrauß eng an die Brust drückte, sie wollte keinem etwas Böses und sie weinte so viel, dass sie Sarah in ihrer Andacht störte; sie konnte nicht friedlich Abschied nehmen. Als die Urne im Meer versenkt wurde, heulte die Tante noch lauter, und Sarah ging entnervt vom Deck ins Innere des Schiffes, ohne ihre Blumen ins Wasser zu werfen.
Nach der Bestattung gingen Sarah und die Tante in ein Café und aßen ein Stück Kuchen, das hieß, die Tante schaufelte zwei Sahnestücke in sich hinein und Sarah schob ihre Torte mit der Gabel auf dem Teller von links nach rechts. Sie sprachen nicht viel. Nur eins sagte die Tante zu Sarah: „Pass auf dich auf, wenn du bei deiner Großmutter wohnst, sie kann einen zum Wahnsinn treiben. Deine Mutter ist sogar mit einem Messer auf sie losgegangen. Aber das ist lange her.“
Dann kam Sarah heim, in ihr neues Zuhause. Die Großmutter begrüßte sie mit den Worten:
„Kein Wunder, dass deine Mutter eine Seebestattung wollte, sie wusste, dass ich seekrank werden würde und nicht mitkommen könnte. Sie wollte mich immer ausschließen aus ihrem Leben.“
Sarah wollte nach dem Messer fragen und ließ es doch. Sie ging auf die Toilette und weinte still und leise eine Stunde vor sich hin.

Sarah trocknete sich ab. Im Bad führte die Großmutter Selbstgespräche. Sie murmelte etwas und schimpfte mit sich. Sarah hörte sie nicht singen. Überhaupt war es die meiste Zeit still, totenstill in der Wohnung. Keine Musik. Kein Lachen. Zu den Mahlzeiten nur das Geräusch vom Kauen der beiden Frauen beim Frühstück, Mittagessen, Abendbrot. Kauen, Schlucken, schweres Atmen. Dann und wann das Kratzen eines Messers auf dem Teller. Kurze, gegrunzte Worte.
Abends gab es Brot. Schwarzbrot dünn mit Margarine bestrichen, darauf Wurst, Tomaten oder Apfelscheiben. Granny Smith, die sauren grünen Äpfel, kaufte die Großmutter pfundweise. Sarah mochte keine Äpfel, schon gar keine sauren. Sie aß sie trotzdem, weil sie es nicht anders gelernt hatte.
Sie mochte das Geräusch vom Kauen in dieser seelenleeren Wohnung nicht, es machte sie krank, am liebsten hätte sie sich bei jeder Mahlzeit Stöpsel in die Ohren gesteckt, aber das traute sie sich nicht. Sie hätte auch am liebsten auf dem Sofa geschlafen, aber das sollte geschont werden, nicht durch exzessives Liegen und unverschämtes Hin- und Herwälzen geschädigt werden.
Also musste sie mit im Bett schlafen, wo das Schnarchen der alten Frau sie verrückt machte. Es war ein riesiges altes Bett mit üppig geschnitztem Holzrahmen und durchgelegener Federkernmatratze – ein Märchenbett, dachte Sarah. Ein Bett, in dem Dornröschen darauf wartete, vom Prinzen wach geküsst zu werden. Oder doch ein Bauernbett, in dem Bauer und Bäuerin eng aneinandergeschmiegt schliefen und auch miteinander schliefen, indem der Bauer von hinten, in Löffelchenstellung mit der Bäuerin kopulierte, weil das wärmte und es noch keine Zeit zum Aufstehen war?
Sarah wünschte sich, allein zu sein – allein zu baden, allein zu schlafen, allein zu essen ... sich auszustrecken im Bett und nicht mit den Händen an den Leib der alten Frau zu stoßen, die immer nach
ungewaschenen Haaren roch … der Geruch sprang sie an wie ein Tier, wie ein Parasit, der ihre Haut berührte und sich sofort auf ihrem Körper ausbreitete; sie würde den Geruch nie wieder loswerden …

Sarah hörte, wie ihre Großmutter noch Wasser in die Wanne laufen ließ, als es an der Wohnungstür Sturm klingelte. Sarah öffnete die Tür, vor der ein Feuerwehrmann stand, mit Pressluftflasche auf dem Rücken und einer Axt in der Hand.
„Ziehen Sie sich an, wir müssen vorsichtshalber das Haus evakuieren, es gibt einen Schwelbrand im Keller. Sind Sie allein in der Wohnung?“
Sarah zögerte. Dies war die Chance, auf die Sarah aber nicht gewartete hatte; sie war einfach da, plötzlich. Sarahs Unterbewusstsein erteilte ihrer Zunge den Befehl, zu sagen „ja.“
Und sie zog sich schnell ihre Jeans, ein T-Shirt und ein paar Turnschuhe an, steckte ihr Portemonnaie ein und schloss die Tür von außen zweimal ab.
Das Treppenhaus war voll Rauch und Menschen, die sich durch diesen Rauch kämpften. Nachbarn, die nach unten drängten. Sarah bekam Kopfschmerzen, der Qualm biss ihr in die Augen und füllte ihre Lunge, sie musste husten. Sie hustete und atmete und musste umso mehr husten. Ganz schön viel Rauch für einen kleinen Schwelbrand, dachte Sarah. Die Treppen schienen unendlich viele Stufen zu haben, sie stolperte über ihre eigenen Füße. Bald sah sie nur noch den Hinterkopf der Frau vor ihr; wer das war, wusste sie nicht und es interessierte sie auch nicht. Sie fragte sich, was ihre Großmutter jetzt wohl machte. Ob sie immer noch in der Wanne saß? In der Wohnung selbst hatte es ja nicht nach Rauch gerochen, bis vorhin zumindest nicht, vielleicht würde sie gar nichts mitbekommen. Und wenn das Haus abbrannte? Sarah konnte sich immer noch damit herausreden, dass sie unter Schock gestanden hatte; zum einen wegen des Feuers und zum anderen wegen des erst kürzlich eingetretenen Todes ihrer Mutter. Käme sie damit durch? Aber das Haus würde nicht abbrennen, glaubte Sarah. Unkraut vergeht nicht und Menschen wie die Großmutter erst recht nicht, die haben immer das Glück auf ihrer Seite.
Endlich an der frischen Luft. Sarah atmete tief durch und pumpte ihre Bronchien voll Sauerstoff, das tat gut. Immer noch kamen ihr Feuerwehrleute entgegen, die Äxte und Wasserschläuche schleppten. Sarah sah sich um. Der Mann am Feuerwehrauto schien der Einsatzleiter zu sein. Er gestikulierte wild mit den Armen und schickte seine Männer hierhin und dorthin. Sie ging zu ihm und fragte ihn bei einer Gelegenheit, in der er gerade nicht irgendjemandem etwas zuschrie, ängstlich:
„Das Haus wird doch nicht abbrennen, oder?“
„Keine Sorge, junge Frau, wir haben alles im Griff, es ist kein großer Brand.“
Sarah war erleichtert.
Sie stellte sich zu den anderen Hausbewohnern, die neugierig-entsetzt dem Treiben zusahen und hofften, ihr Hab und Gut käme unbeschadet davon.
Eine Frau weinte um ihre Katzen, die sie hatte oben lassen müssen. Ein anderer Nachbar machte sich Sorgen um seine Briefmarkensammlung. Sarah machte sich Sorgen um niemanden.
Plötzlich sah Sarah ihre Großmutter. Sie stand im weißen Nachthemd auf dem Balkon, wedelte mit den Armen und sah aus wie ein Gespenst. Mit ihrer heiseren Stimme schrie sie nach Hilfe. Dann entdeckte die Feuerwehr die Frau in Weiß.
„Da ist noch jemand! Ich dachte, das Haus sei leer!“ , rief einer der Männer.
Sarahs Gesicht brannte. Sie wusste nicht, was sie gehofft hatte. Die Rettungskräfte legten sich ins Zeug. Mit der ausfahrbaren Leiter schwenkten sie zu Balkon und Großmutter, bald war die alte Frau in Sicherheit auf der Leiter und ganz schnell dann unten. Etwas wackelig stieg sie aus dem Rettungskorb und wurde von Sanitätern mit Wärmedecken in Empfang genommen. Sie stützten die alte Frau, aber die stolperte auf nackten Füßen zu Sarah und gab ihr eine knallende Ohrfeige.
„Du hast wohl gehofft, ich verrecke!“, kreischte sie. „Das haben schon ganz andere versucht, einschließlich deiner Mutter, aber ich lebe, ich überlebe euch alle, da kannst du Gift drauf nehmen!“
Für einen Moment war es still; man sah nur die blaue Signallampe des Feuerwehrwagens stoisch ihr Licht an die Wände der umstehenden Häuser werfen, das Licht drehte und drehte sich und ließ sich nicht beirren. Alle starrten sie an, Sarah und ihre Großmutter, und merkten, dass hier etwas vor sich ging, ein Kampf, der schon längst hätte ausgetragen werden sollen, ein Kampf gegen gemeinsam genutztes Badewasser und saure Äpfel, ein Kampf um das Andenken der eigenen Mutter, die aus dem Bauch dieser Frau gekommen war, die Sarah so sehr hasste.
Dann sackte die Großmutter plötzlich zusammen. Die Notärzte kamen herbei geeilt und hievten sie auf einer Trage in den Krankenwagen. Es stand wohl schlecht um die Großmutter, denn Sarah hörte den Arzt herumschreien und die Sanitäter fluchen. Es klang nach Wiederbelebungsversuchen. Dann Stille aus dem Notarztwagen. Sarah ging hinüber, konnte aber nur noch beobachten, wie der Arzt das Laken der Toten übers Gesicht zog. Hatte Sarah das gewollt? Sie überlegte kurz und kam zu dem Schluss, dass, ja, dass sie es so gewollt hatte. Jetzt hatte sie ihre Ruhe und konnte allein baden, allein schlafen und allein essen. Das war viel wert.

Auf der Beerdigung war Sarah mit ihrer Tante wieder allein. Diesmal konnte man nicht seekrank werden und es kam trotzdem keiner. Nicht mal die Nachbarin von gegenüber, die der Großmutter noch Geld schuldete. Die Tante weinte wieder vor sich hin und diesmal warf Sarah ihre Blumen ins Grab. Der Pastor sagte den Psalm 23, und als Sarah hörte „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“, musste sie an ihre Mutter denken. Bei der Seebestattung hatte es kein Gebet gegeben. Dann ist dieses Gebet für die Mutter, dachte Sarah.
„Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zu frischem Wasser. Er erquicket meine Seele.“ Und Sarah stellte sich vor, wie ein weißes Einhorn auf einer Wiese stand und leise sagte, es geht mir gut, ich warte auf dich.
Nach der Beisetzung gingen Sarah und die Tante in dasselbe Café und Sarah aß mit Appetit ein großes Stück Buttercremetorte, ohne auf ihre Figur zu achten. Die Tante tat es ihr nach. Dann machten sie sich auf den Heimweg zur Wohnung der Tante und Sarah freute sich darauf, ihre neuen Koffer auszupacken. Diesmal hatte sie ein eigenes Bett.

 

So, jetzt habe ich die Geschichte nochmal komplett überarbeitet, für alle, die es interessiert. Viel Spaß beim Lesen!

Lg,
catlucy

 

Hallo catlucy,

Ich habe diese Geschichte heute das erste Mal gelesen. Die Geschichte löst in mir Unbehagen aus. Mein Unbehagen bezieht sich darauf, dass diese Geschichte erschreckend alltäglich ist. Mutter, Tochter, Kind beschreibt sehr gut, welche fatalen Folgen Grenzüberschreitungen innerhalb einer Familie haben können.
Genausogut könntest du eine Geschichte schreiben, über eine Oma, die darüber hinwegsieht, dass ihre Tochter bis auf eines, ihre Babys tötet. All dies ist schrecklich, schwer für Außenstehende nachvollziehbar und für Betroffene unsägliches Leid.
Ich habe aber trotzdem meine Zweifel, dass die Geschichte sich tatsächlich noch so abspielen könnte. Unsere Gesellschaft ist doch schon sensibler geworden. Da ich Mutter bin, weiß ich, dass in der Schule psychologische Betreuer angesprochen werden können. Ich weiß, dass Kinder, die derart traumatisiert sind, verhaltensauffällig sind und diese meist auch beobachtet und nachgefragt werden.

Ich kenne eine Frau, die als Kind von der Oma, wie ein Hund an die Leine gebunden wurde, weil ihre Mutter sie dort "geparkt" hatte, um arbeiten zu können. Das ist aber 40 Jahre her. ;)
Ich wünsche mir, dass solche Ereignisse immer seltener werden. Als Gutmensch ;) will ich einfach glauben, dass die krebskranke Mutter über das Sorgerecht verfügt hat, eben weil sie ihre Mutter kannte. Als Gutmensch will ich einfach glauben, dass die Rachegelüste der Enkelin nur Hilflosigkeit und Ohnmacht sind, nie in die Tat umgesetzt werden, als Gutmensch will ich einfach nur glauben, dass die Oma ihr Enkelkind nicht immer büßen lässt, für etwas, das ihr vielleicht angetan wurde, als Gutmensch, der sich vor den menschlichen Abgründen schaudernd zurückzieht, sehe ich einfach in diesem Grauen deiner Geschichte, auch einen Apell, ein Aufrütteln, die Aufforderung hinzuschauen.
Sie mag nicht perfekt sein, deine Geschichte, aber sie hat ein immerwährendes Tabu angerührt. Manchmal muss man drüber schreiben, damit sowas immer weniger passiert.

LG
GD

 

Achtung: der folgende Kommentar enthalt explicite Darstellungen der vorgehenden Geschichte sowie grundlegende Gedanken zu der Intention der Autorin


„Du hast wohl gehofft, ich verrecke!“, kreischte die Oma. „Das haben schon ganz andere versucht, einschließlich deiner Mutter, aber ich lebe, ich überlebe euch alle, da kannst du Gift drauf nehmen!“

Hallo catlucy,

grundsätzlich gefällt mir Deine Geschichte, wenn sie auch hätte etwas gestraffter erzählt werden können, zumindest für meinen Geschmack. Deine Protagonisten kommt dadurch etwas flach daher, da sich Ihre Gefühle auf eingentlich nur 2 reduzieren lassen: Wut und Trauer. Die übrigen Gefühle kommen IMHO ein bisschen zu kurz. versteh mich nicht falsch, im Kontext der Geschichte ist das schon okay, aber wenn schon Länge, dann hätte ich mir eine ausführlichere Beschreibung der Innenwelt von Lucy gewünscht, die die Komplexität der, sicherlich gerade bein einem solch jungen Menschen mit solch einem tragischen Schicksal reichlich vorhandenen, Gefühle hervorhebt.
Das "hexische" der Großmutter ist notwendig, damit Sarahs Motivation, die Großmutter verbrennen zu lassen (upps, da ging der Kalauer mit mir durch, hexisch und verbrennen lassen :) ), glaubhaft wird.
Verwirrt hat mich der Teil:

Und wohin hat es sie gebracht? Ins Grab, vor ihrer Zeit.“

Die Mutter hatte doch Krebs. Wenn die Großmutter glaubte, ihre Tochter sei durch ihren Lebenswandel dem Krebs anheim gefallen, okay. Aber dann wäre eine Beschreibung des Warum, also warum die GM das glaubte, hier von Nöten.

Wie oben schon geschrieben, die Geschichte als solches spricht mich an. Liegt vielleicht mit daran, dass ich selber einen etwas morbiden Hang zu haben scheine, was meine Geschichten angeht ;).

Lieben Gruß
Dave

P.S.: der Kommentar von Goldene Dame ist goldrichtig (Mist, schon wieder ein Kalauer). Ernsthaft, homo hominis lupo gilt heute genauso wie in früheren Zeiten, heut vielleicht sogar mehr als früher, da Familie anscheinend nicht en vogue ist (Scheidungsrate, etc.). Darum kann ich mich der Hoffnung der Dame nur anschließen, dass solche Schicksale ebenfalls längst nicht mehr en vogue sind.

 

Hallo Dave,

mit allem, was Du sagst, hast Du Recht. Leider ist dies eine meiner schwächeren Geschichten. Ich habe lange und lange daran herumgefeilt, habe aber die Charaktere nicht dreidimensional modellieren können, ich weiß auch nicht, warum. All der Ärger, den die Geschichte gemacht hat, und all das um eine schwache Story. Naja. Lieben Dank trotzdem für Deinen Kommentar.

Lg,
catlucy

 

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