Was ist neu

Nächster Halt Ceuta

Mitglied
Beitritt
17.03.2006
Beiträge
7
Zuletzt bearbeitet:

Nächster Halt Ceuta

Mit halbem Interesse liest er die Schlagzeile in der Tageszeitung, die er abonniert hat: ‚Wieder Flüchtlingsstrom aus Marokko nach Spanien’.
Weitaus mehr Interesse weckt in ihm hingegen das Essen, das ihm gerade von seinem Lieblingskellner in seinem Lieblingsrestaurant serviert wird.
„Einmal die 17: Bratkartoffeln mit Speck.“
„Ach ja, die gute Pasta kann ich mir halt nicht mehr leisten, Antonio.“ Antonio, der ihm in all den Jahren ein wenig ans Herz gewachsen ist, wirft ihm ein nett gemeintes Lächeln zu, als er kopfschüttelnd hinzufügt: „Schlecht geht es uns, schlecht geht es dem Land.“
„Wem sagst du das?“, ruft ihm Antonio, auf halbem Weg in die Küche, zu.
Er ging jede Mittagspause in dieses Restaurant und ein wenig verärgert ist er schon, dass Antonio seine neue Uhr offensichtlich übersehen hat. Keine einzige Bemerkung, obwohl die Ärmel seines Hemdes sogar hochgekrempelt waren. Es war zwar nicht die teure Uhr, die er im Geschäft stundenland bewundert hat, welche sich allerdings letzendlich als zu teuer entpuppte. Aber ein paar seiner Kollegen konnte er mit dieser trotzdem beeindrucken.
Im Büro gibt es zur Zeit viel zu tun. Umso mehr ärgert er sich über das Projekt, das ihm sein Chef aufgedrückt hat. ‚Projekt zur Unterstützung von Schulen in Entwicklungländern’, liest er auf der Arbeitsmappe, während er sich langsam die Bratkartoffeln in den Mund schiebt. Nach kurzem Durchblättern der Projektmappe schlägt er diese wieder zu und schaut aus dem Fenster.
Da erblickt er diesen kleinen, schwarzen Jungen. Am Fenster stehend starrt er auf seine neue Uhr.
Er isst weiter. Doch immer wieder schaut er zu dem Jungen hinüber, der wie festgefroren immer an dieselbe Stelle starrt.

Eine Erinnerung:
Er saß in einem Restaurant an der Südküste Andalusiens. Sommer, Sonne, Sonnenschein. Das Essen war köstlich, die Sicht fantastisch; man konnte sogar fast über das gesamte Mittelmeer hinüberschauen.
Auch damals stand ein kleiner, pechschwarzer Junge vor dem Restaurant und starrte auf seine Uhr. Jenes unbehagliche Gefühl, das er jedesmal empfand, wenn sein Chef ihm bei seiner Arbeit über die Schulter schaute, überkam ihn, als der Junge einfach nicht wegschauen wollte. Auf sein Essen konnte er sich schon längst nichtmehr konzentrieren, stattdessen musste er immer wieder zu dem Jungen hinüberschielen.
Als er das Restaurant verließ, saß der Junge neben dem Eingang. Er schaute dem Jungen direkt ins Gesicht. Doch sein Blick wurde nicht erwidert. Und dann ging alles ganz schnell.
Auf einmal spürte er ein warmes, drückendes Gefühl in seiner linken Brust, und wie von einer magischen Hand geleitet, nahm er seine Uhr ab, lief geradewegs auf den Jungen zu. (Irgendetwas in seinem Inneren sagte ihm, es ginge ihm besser, sobald er dem Jungen die Uhr gegeben hätte.)
Als er den Jungen erreichte, kniete er sich zu ihm hinunter, um mit ihm auf gleicher Höhe zu sein. Und ohne auch nur ein Wort auszusprechen, drückte er dem Jungen die Uhr in die Hand.
Der Junge starrte auf die Uhr. Er beobachtete gebannt, wie der Zeiger von Sekunde zu Sekunde weitersprang. Zehn Sekunden vergingen. Es herrschte ein unheimliches Schweigen zwischen den beiden. Zwanzig. Noch immer hatte keiner der beiden ein Wort ausgesprochen; der Junge starrte auf die Uhr und er auf den Jungen. Dreißig Sekunden.
Es sollte der Junge sein, der das Schweigen brach. Er kann sich nicht erinnern, was ihn mehr überraschte; der seltsame Akzent des Jungen, den er nicht einzuordnen vermochte, (zumal er selber nicht besonders gut Spanisch sprach) oder die Frage an sich, die er stellte:
„Was ist das?“, fragt er.
„Das ist eine Uhr, Junge. Du kannst die Zeit an ihr ablesen.“, erwiderte er.
Das Gesicht, das der Junge dann verzog, sollte ihm genau in Erinnerung bleiben. Er schaute etwa so, wie sein Sohn, wenn dieser gerade seine viel zu schweren Mathe-Aufgaben versuchte zu lösen.
„Was ist Zeit?“, hakte der Junge weiter nach. Diese Frage überraschte ihn noch mehr, als die erste.
„Zeit braucht jeder Mensch, die meisten haben zu wenig davon.“ Besonders glücklich wurde er mit diese Erklärung nie.
„Also kann man Zeit essen?“, fragte der Junge letzendlich. Und er war so verwirrt, dass er einfach wegging.

Als er das Restaurant verlässt, sitzt der Junge neben dem Eingang. Als er ihn anschaut, wird sein Blick nicht erwidert. Wieder dieses drückende Gefühl. Er geht langsam auf den Jungen zu. Und dann geht alles ganz schnell. Auf halber Strecke kommt auf einmal eine schwarze Frau und hebt den Jungen in einen Kinderwagen.
Sie fährt davon.
Das Gefühl verschwindet von ganz alleine.

Er wird nachdenklich. Und als er erneut auf den Zeitungsartikel schaut, wird ihm auf einmal klar, dass es damals nicht die Uhr war, auf die der Junge gestarrt hat.

 

Robin schrieb unter seine Geschichte:

Anmerkung: Dies ist die komplett neu geschriebene Version von meiner Kurzgeschichte "Nächster Halt Ceuta". Geblieben sind nur der Handlungsstrang, die Idee und einige Textstellen. Nachdem nach meinem ersten Versuch die Idee an sich positiv angekommen ist, der Stil allerdings stark kritisiert wurde, habe ich mich entschlossen es noch einmal zu versuchen und die Kurzgeschichte neu zu schreiben.
Ich bitte euch aber die Kurzgeschichte wie jede andere zu kritisieren.

Liebe Grüße, Robin

Derartige Anmerkungen bitte als Extra-Beitrag posten.

 

Hallo Robin,
habe deine Geschichte noch einmal gelesen, die Zeitsprünge sind jetzt deutlicher geworden, auch hat die Handlung mehr leben bekommen.

Die Idee finde ich natürlich weiterhin sehr gut, vielleicht noch eine kleine Anmerkung zum Schluss: Ich würde die Pointe noch einmal bekräftigen durch einen letzten kurzen Satz, wie z.B.: "Dass er stattdessen einfach Hunger hat."

Ansonsten sind klare Fortschritte erkennbar, weiter so!

Liebe Grüße,
Sebastian

 

Hi Sebastian Krebs,

Vielen Dank fürs erneute Lesen. Freut mich, dass dir die Geschichte jetzt besser gefällt.
Was du jetzt genau mit dem letzten Satz meinst versteh ich nicht "z.B.: "Dass er stattdessen einfach Hunger hat."" ergibt für mich irgendwie keinen Sinn.

Würde mich freuen wenn noch ein paar mehr Leute schreiben, was sie von der Geschichte halten.

Liebe Grüße,
Robin

 

"Und als er erneut auf den Zeitungsartikel schaut, wird ihm auf einmal klar, dass es damals nicht die Uhr war, auf die der Junge gestarrt hat."

Dass du nochmal explizit erklärst, wo der Junge tatsächlich drauf gestarrt hat.

 

Hi Sebastian,

ich denke, dass jeder verstehen sollte, worauf der Junge geschaut hat. Dadurch, dass ich es nicht hinschreibe regt es außerdem glaube ich mehr zum Nachdenken an.

Liebe Grüße,
Robin

 

Hallo Robin,

Von der Idee gefällt mir die Geschichte gut, in der Ausführung ist es natürlich schade, dass beide Zeiten so fast identisch sind.
Es ist schon stimmig, dass man immer an das zuerst denkt, was einen selbst am meisten beschäftigt. In Zeitnot ist es also plausibel, dass der Prot denkt, der Junge schaut auf die Uhr. Hunger leidet er ja nicht. Wie sollte er es da von dem Jungen annehmen?
Ich finde den Prot unklar gezeichnet, nicht nur, weil er keinen Namen hat, sondern auch, weil er mir zum Beispiel als Junggeselle erschien, irgendwann aber schon im Damals ein Sohn, der schon Mathe hat, erwähnt wird. Das hat mich etwas rausgebracht.
Details:

Mit halbem Interesse liest er die Schlagzeile in der Tageszeitung, die er abonniert hat:
mir scheint es nicht wichtig, dass er sie aboniert hat, zumal sein Desinteresse für die Schlagzeilen die Frage stellt, warum hat er die Zeitung dann abonniert. Wichtiger scheint mir aber vor allen, dass die Zeitungen in solchen Restaurants normalerweise ausliegen.
das ihm gerade von seinem Lieblingskellner in seinem Lieblingsrestaurant serviert wird
der Lieblingskellner lässt in mir die Frage aufsteigen, warum es wohl der Lieblingskellner ist. KOmmt der Prot nur deshalb in dieses Lokal, weil er vielleicht in antonio verknallt ist? oder ist Antonio besonders höflich? Und welche Rolle spielt das für deine Geschichte?
Es war zwar nicht die teure Uhr, die er im Geschäft stundenland bewundert hat, welche sich allerdings letzendlich als zu teuer entpuppte.
ist sonst doppelt
Eine Erinnerung:
eine etwas lieblose Einleitung. Vorschlag: Streiche das ganz, es sollte auch so klar werden, dass es eine Erinnerung ist.

Lieben Gruß, sim

 

Hi Sim,

danke fürs Lesen.
Dass es sich bei diesem Kellner um seinen Lieblingskellner handelt, soll eigentlich nur rechtfertigen, dass er seine Uhr nicht sieht. Musste das irgendwie einbauen und so fand ich das ganz passend, da ich ihn eh in seinem Stammrestaurant sitzen lassen will, damit er sich darüber beschweren kann, dass er früher immer besser gegessen hat. Kann sein, dass ich da ein wenig zu sehr drauf eingegangen bin.
Bei der Sache mit dem Sohn hast du Recht. Ist wirklich ein wenig unpassend. Werd den dann durch einen Arbeitskollegen ersetzen, der Kreuzworträtsel löst oder so.
Vielen Dank auch für die Hinweise. Ich werde mir die Geschichte nochmal vorknöpfen.

Liebe Grüße,
Robin

 

Hallo Robin,

dein Prot. wirkt am Anfang auf mich sehr oberflächlich z. B., weil es ihm so wichtig ist, dass Antonio seine Uhr bewundert oder weil er sich über das neue Projekt aufregt.
Umso erstaunter war ich, dass er dem fremden Jungen tatsächlich seine Uhr schenkt. Das hat meiner Meinung nach, nicht zu dem Charakter gepasst, den du im ersten Abschnitt aufbaust.
Gewundert hat mich auf, dass er den Ausspruch (der letzte Satz des kursiven Teils) nicht gleich richtig deuten konnte. Ich meine, das ist doch eigentlich klar! Und dass ihm das erst viel später einfällt, lässt ihn nicht sonderlich intelligent wirken.

Mir persönlich hätte die Geschichte besser gefallen, wenn du sie nur auf diese Erinnerung beschränkt hättest, die allerdings etwas ausgebaut. Ich finde die Szene im Restaurant eigentlich nicht besonders wichtig.

Störend im kursiven Teil ist mir aufgefallen, dass du sehr, sehr oft das Wort "Junge" verwendest. Ich bin mir sicher, dass du dafür das eine oder andere Synonym finden kannst.

LG
Bella

 

Hallo Robin,

so, wie du den Mann beschreibst, kommt für mich seine Einsicht überraschend, aber es kann schon sein, dass er durch die Erinnerung so sehr sensibilisiert wird, wie beschrieben. Die Anmerkung
„Besonders glücklich wurde er mit diese Erklärung nie“

scheint mir zu stark, die Beeinträchtigung seines Glücksgefühls auf Dauer ist recht unwahrscheinlich (dieser Erklärung).

Die Wiederholung Lieblingskellner, Lieblingsrestaurant lies mich erst vermuten, hier geht es um gewollte (persiflierende) Überzeichnung, das wird aber im sonstigen text nicht weitergeführt.


„Sie fährt davon.“

- Klingt so, als säße sie im Kinderwagen.

Jedenfalls eine gute Thematik, viele gesellschaftlichen Übel gründen schließlich auf alltäglicher Oberflächlichkeit.


L G,

tschüß … Woltochinon

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom