Nach dem Regen
Der Regen tut so weh, als er auf meine müde Stirn tropft. Meine Haare sind schon ganz nass, und ich kann spüren, wie diese Kälte langsam meinen Rücken hoch kriecht, meine Nackenhaare stellen sich auf und ein Schauer durchfährt mich. Ich zittere am ganzen Leib.
Die Straße ist leer, keine einzige Seele scheint sich hierher verirrt zu haben. Manchmal fährt ein einsames Auto an mir vorbei, und spritzt mich noch mehr mit Dreck und Schlamm voll, aber es ist mir egal. Ich fühle nichts, und mein Kopf ist nun ganz leer. In meinem Bauch ist ein Sturm, der meine Eingeweide verdreht, so sehr dass mir schlecht wird, ich kämpfe damit mich zu erbrechen, und das alles nur wegen ihm. Seit 2 Stunden nun gehe ich durch dieses Unwetter, aber ich habe kein Ziel, keine Richtung, nichts wohin ich mich wenden könnte. Der Himmel über mir ist so grau wie der Schmerz in mir, und selbst meine Tränen scheinen Pech zu sein. Sie verbrennen meine Wangen, diese kahlen Felder auf denen einst Rosen blühten. Aber nun ist alles grau, grau, grau. Die Sonne versteckt sich, als ob sie wüsste, dass es nur lächerlich wäre wenn sie jetzt scheinen würde.
Der kleine Umschlag in meiner Hand löst sich langsam auf.
Die Tinte verläuft, und das bringt mich noch mehr zum Weinen, ich möchte ihn schützen und verhindern, dass er zerstört wird. Er war doch für ihn gedacht...
Ich renne immer weiter, weiter voran, schaue nicht links und nicht rechts. Eine Frau geht an mir vorbei, mit einem Regenschirm, sie sieht mich seltsam von der Seite an, das kann ich genau registrieren...aber ich reagiere nicht auf sie. Mein Kopf dreht sich, aber alle meine Gedanken kehren immer zum selben Ausgangspunkt zurück. Zu dir.
Ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht, zwei Stunden laufe ich nun schon durch den Regen, unglaublich. Seit zwei Stunden lebe ich nun mit einem zersplitterten Herz, und es tut immer mehr weh, alles, mein ganzer Körper ist ein einziger Schmerz, den ich hier im Regen abtöten will. Kein Gefühl mehr, nur noch Treiben und hoffen das alles aufhört.
Dabei hätte doch alles so gut laufen können....nur scheinbar gehöre ich einfach nicht zu den Leuten, bei denen „es“, was auch immer das sein soll, gut läuft. Ich kämpfe und strauchle, und am Ende falle ich immer wieder hin und bleibe irgendwo liegen, keiner da der mich hochzieht, mir hilft weiterzumachen, keiner da, niemals, für den es überhaupt wert wäre.
Warum konnte er nicht dieser jemand sein ? Oh, ich war so verdammt naiv, zu glauben, hoffen, alles würde gut werden und wir beide unseren Weg zueinander finden. Ich bin ihm nachgelaufen , er hat mir Hoffnung gemacht, immer wieder, mit kleinen Andeutungen, Spielchen, die ich so satt bin. So leicht konnte ich mich in ihn verlieben, direkt von Anfang an verfiel seiner charismatischen Art. Wahrscheinlich war ihm das auch von vorne rein klar, wer weiß. Aber warum konnte er mich dann nicht einfach loslassen, wenn er doch wusste, dass er mich niemals lieben könnte ? Alles was ich wollte war Klarheit, denn so kann niemand leben. Immer in der Hoffnung, es könnte etwas werden, das all dies nur der Anfang von etwas viel größerem, wunderschönem war. Ich war in absolutem Ausnahmezustand, seit Wochen, kaum Schlaf, noch weniger zu essen, und in Gedanken immer nur bei ihm. Selbst wenn ich denn mal das Glück hatte, einzuschlafen, dauert es nicht lange, und schon begann wieder meine Reise zu ihm. Also schrieb ich diesen Brief, denn ich würde es ihm wohl niemals sagen können, was ich fühle, vielleicht weil ich zu feige bin, oder einfach nur weil mir wohl nie die richtigen Worte einfallen würden.
Mein Geständnis wurde wunderschön, davon bin ich überzeugt. Keine kitschigen Liebesschwüre , keine Loblieder, nur wundervolle, ehrliche und einfache Worte, die mein Herz meiner Hand diktierte.
Er wird sich wohl niemals vorstellen können, wie viel Mut es mir abverlangte zu ihm zu gehen mit diesem Stück Papier in der Hand.
Ich wollte es ihm persönlich geben, so was schickt man einfach nicht mit der Post.
In meiner Fantasie wäre er gerührt gewesen und hätte vielleicht sogar ein wenig geweint, und er hätte sich so sehr gefreut, dass ich ihm zuvorgekommen war- schließlich hätte er mir schon längst seine Gefühle gestehen wollen, es sich aber einfach nie getraut. Schöne Gedankenwelt.
Aber es kam so verdammt anders.
Schon als die Tür aufging, war es alles andere als Begeisterung, was mir da entgegenschlug.
Was ich denn hier wolle ?
Ich gab ihm zitternd den Brief und stammelte ein paar zusammenhanglose Worte, dass er das doch bitte lesen wolle...es wäre mir sehr wichtig...
„ Oh Lena, das ist doch jetzt nicht dein Ernst, das ist doch jetzt wohl kein Liebesbrief! Hallo, wie alt sind wir denn ? Fünf ? Mensch, Mädel, du bist 21 !“
Was soll man darauf antworten ? Ach nee, alles nur Spaß, kleiner Scherz am Rande ??
Doch es kam noch viel schlimmer, und ich hätte weglaufen können, wären meine Beine nicht wie gelähmt gewesen. Er riss grob den Umschlag auseinander und begann laut vorzulesen.
„...du bist das Beste was mir je passiert ist...ach nee, echt Lena ? Hast du ein armes Leben !
Du hast nie gewusst, was ich für dich empfinde, und ich wusste nie, wie ich es dir sagen sollte...das ist jetzt nicht dein Ernst, oder ? Du hast dir doch nicht wirklich Hoffnung gemacht ? Hey, hab ich dir nicht gesagt, dass ich vorerst mal keine Beziehung mehr haben will ? Bist du irgendwie taub oder so ?“
Jedes einzelne seiner Worte brannte sich tief in mir ein, wie tausend Eisen auf meiner Seele, und ich dachte, dass diese Wunden wohl nie mehr heilen werden. Wie fühlt es sich an, von dem Menschen , den man am meisten liebt, für den man alles tun würde, so behandelt zu werden ?
Woher kam plötzlich diese kalte, böse Seite an ihm ? Wie hatte er es geschafft sie in dem ganzen Jahr, dass wir uns nun schon kennen, und das ausgereicht hat um mich hoffnungslos in ihn zu verlieben, zu verstecken ?
„ Ne, sorry Lena, aber das ist jetzt echt voll daneben, auf so was fahr ich nun echt nicht ab. Komm, nimm den Brief und geh besser, sonst geht hier alles kaputt. Wenn du willst können wir machen als ob nichts war und das lächerliche Ding da vergessen.“
Ich riss ihm den Brief aus der Hand und drehte mich ohne ein Wort um. Er sollte meine Tränen nicht sehen und nicht erkennen wie sehr er mich verletzte.
Immer wieder, immer wieder dasselbe, ich bin das alles so leid, warum muss ich immer verlieren ? Gibt es denn keine normalen Männer mehr, die nicht nur darauf scharf sind Menschen wie mich auszunutzen und dann fallen zu lassen, wenn es zu ernst wird ?
Kann es nicht einmal anders sein, nur ein einziges Mal ? Ich gebe mich auf für sie, würde alles für sie tun, gebe ihnen soviel Liebe wie ich geben kann, bis ich leer bin, aber es ist niemals, niemals genug.
Vielleicht muss man egoistisch sein in dieser kalten Welt, um zu überleben.
Ich laufe jetzt richtig, und dabei beginnt etwas, dass sich seltsam anfühlt, aber irgendwie unheimlich gut. Ich fühle Kraft. Ich laufe schneller, es ist mir egal, wie die Leute mich anstarren, egal, dass ich durch und durch nass bin und wahrscheinlich die nächsten Tage mit Fieber im Bett liegen werde. Nun endlich fühle ich meinen Körper wieder. Jede einzelne Faser nehme ich war, und jeder einzelne Tropfen auf meiner Haut fühlt sich an wie ein Gewitter, das mich durchzuckt und wachrüttelt. Mein Kopf ist ganz frei, ich kann wieder atmen. Alles fällt ab, auch die Gedanken an ihn verblassen. Da bin nur noch ich, ich allein im Regen, ganz in mir selbst, und ich bin glücklich. Ich bereue es nicht mehr, den Brief geschrieben zu haben, denn jetzt erst kann ich frei sein. Die Lüge in der ich lebte, weil ich mir was vorgemacht hatte über Monate, hört endlich auf, ich habe Klarheit, werde ihn loslassen und wieder zu mir selbst zurückkommen. Keine Gedanken mehr an ihn, keine schlaflosen Nächste, in denen ich Angst hatte er könnte eine andere kennen lernen, die ihn mir weg nimmt, keine verschwendeten Samstagabende mehr, in denen ich alleine zu hause saß und darauf wartete, er würde anrufen., was er niemals tat.
Nur um diese ganze Zeit, in denen ich nur für ihn lebte, tut es mir so leid, um die ganzen Tage die so sinnlos waren ohne ihn und die Abende an denen ich nur weinen konnte, weil ich ihn so sehr vermisste.
Aber damit ist nun Schluss. Ich komme langsam zum Stehen, denn mein Atem geht mir aus.
Ich werfe einen letzten Blick auf den Brief, zerreiße ihn dann in tausend Stücke und werfe ihn in den nächsten Papierkorb. Wie ein kleines Wunder hört es auf zu regnen, ich kann einen kleinen warmen Sonnenstrahl auf meiner Haut spüren, und ich lächle, endlich wieder.
Es sind diese ganzen kleinen Dinge, für die man eigentlich lebt, und ich bin so froh, dass ich das nun erkennen kann. Ab jetzt werde ich in der Realität leben, jeden Tag genießen und keine Träne mehr verschwenden für irgendeinen Idiot, der es überhaupt nicht wert ist und gar nicht versteht was Gefühle sind. Und zur Feier meines neuen Lebensgefühls werde ich nun erst mal in den Pub gegenüber gehen, und mir selbst einen extra großen Tequila Sunrise ausgeben- trotz des Depri-Wetters oder gerade deswegen.