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Nachmittags
Es ist ein sonniger Spätsommernachmittag. Vernichtung durchschneidet mit einem leisen Wusch die Luft. Unaufhaltsam zieht sie ihre Bahn, den Tod als Anhalter mit dabei. Am Ende ihrer Reise wird er sie verlassen und sich der Opfer annehmen.
»Gibt es hier denn gar keine Nahrung mehr? Jeden Tag suchen, suchen, suchen. Aber finden tun wir kaum noch was.«
»Und morgens ist es immer so kalt in letzter Zeit. Ich komme gar nicht richtig in die Gänge. Früher ...«
»Ach, hör doch auf mit deinem früher. Du sprichst über nichts anderes. Früher war alles besser, früher war es wärmer, früher gab es Nahrung im Überfluss, blabla. Ich kann es nicht mehr hören. Du warst doch gar nicht dabei. Dein Früher, dass haben unsere Großväter erlebt.«
»Nun sei doch nicht so aggressiv. Du bist in letzter Zeit immer so gereizt. Fehlt dir was?«
»Ich bin nicht aggressiv. Mir geht nur diese ständige Nahrungssuche auf die Nerven. Jeden Tag und jeden Tag durch die Gegend streifen und Nahrung für den Stamm suchen.«
»Aber das ist unsere Aufgabe. Wir sind Nahrungssucher.«
»Ist schon gut. Entschuldige bitte. Mir geht es im Moment nicht so. Ich werde wohl langsam alt. Und der ständige Hunger macht sich auch bemerkbar.«
»Ist schon okay. Mir geht es genauso. Sag mal, ist dir auch aufgefallen, dass in den letzten Tagen einige Trupps nicht mehr zurück gekommen sind?«
»Alle sprechen davon. Es wird gemunkelt, dass die Jungs sich abgesetzt haben. Die Oberste Führung spricht allerdings von einem unbekannten Feind, der die Trupps aufspürt und auslöscht. Die üblichen Parolen halt. Es sollen Aufklärungsmissionen unterwegs sein, um den Feind zu identifizieren.«
»Feind! Das fehlt auch noch. Ein neuer Krieg. Als wenn der letzte nicht schrecklich genug gewesen wäre. Wir können froh sein, dass unser Stamm überlebt hat. Bis in unsere Kinderhorte sind sie vorgedrungen.«
»Hör bloß auf. Was ich von den Soldaten gehört habe, hat mir gereicht. Sag mal, riechst du das auch?«
»Ich rieche nichts.«
»Doch. Ganz deutlich. Das riecht nach ... Nahrung. Komm schnell.«
»Warte auf mich. Hau nicht so schnell ab, ich komme ja gar nicht hinterher.«
»Da vorne. Riechst du das nicht?«
„Du hast Recht! Das riecht ... gut. Sehr gut.«
»Schau mal hier. Nahrung in Hülle und Fülle. Endlich.«
»Warte mal. Wir müssen dem Stamm sofort Meldung machen. Mit so viel Nahrung überstehen wir ein paar Tage.«
»Erst essen wir uns mal satt. Und dann melden wir es.«
»Das geht nicht! Wir müssen sofort Meldung machen. Sonst ist es dunkel, bevor alle hier sind.«
»Erst wir. Ich habe lange genug gehungert, verdammt.«
»Dann lass uns eben erst essen. Aber dann melden wir es sofort.«
»Oh, das schmeckt.«
»He, spürst du das auch?«
Weißgelbe Vernichtung durchsiebt die Luft. Ihr biegsamer Plastikkörper stemmt sich dem Widerstand der warmen Sommerluft entgegen. Unbarmherzig erreicht sie ihr Ziel.
Mit einem leisen Klatschen erwischt sie die beiden Wespen auf dem Pflaumenkuchen.