Nacht über Čachtice
Nacht über Čachtice
Allmählich schleppte sich der Sonnenuntergang über die nebelverkrusteten Berge und zog sein rotes Gewand hinter sich her. Stille kehrte ein. Báthory ging zum Fenster und sah hinaus. Im Burghof stand Kata neben dem Holzwagen. Sie hievte die ausgepumpten Leichen mühevoll auf das knarrende Holz. Als sie die Gräfin sah, winkte sie. Báthory lächelte und winkte zurück. Johannes kam über den Hof gelaufen, um ihr zu helfen. Sie unterhielten sich kurz, Kata lachte hysterisch und dann machten sie sich gemeinsam an die Arbeit. Der Wagen füllte sich. Die Pferde wieherten, Johannes beruhigte sie. Báthory wandte sich ab, trat vor den Spiegel und machte sich für die Nacht zurecht.
Die Burg Čachtice thronte wie ein riesiger Felsvorsprung in der Dunkelheit über den Tälern. Ihre Steinmauern schienen zu ächzen, wenn der Wind übers Land streifte. Die Turmspitze versank in der Schwärze der hereinbrechenden Nacht. Báthory genoss die Stille in den Räumen. Außer ihr und ihren Dienern befand sich keiner mehr in den Mauern. Nur Georg. Das Feuer im Steinkamin loderte. Sie genoss das Geräusch, wenn Funken aufstoben, das Knistern des Holzes, die Farben des Feuers. All das zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. Jetzt konzentrierte sie sich ganz auf die Nacht und das, was sie mit sich brachte. Ihre Wangen röteten sich leicht.
Johannes betrat den Saal. Er nickte ihr zu. Sie nickte zurück. Dann schloss er die großen knarrenden Türen hinter sich. Das Geräusch verhallte nur schleppend, langsam, durchschnitt für kurze Zeit das Schweigen in den Räumen.
Báthory trat zum Fenster, wartete, bis die Zeit reif war. Dann ging sie in den Slowakensaal.
Johannes hatte bereits auf sie gewartet. Er wirkte müde, grüßte sie. Báthory sah sich um. Die junge Slowakin, ein Bauernmädchen, stand in dem engen Holzkäfig, genau so, wie Báthory es verlassen hatte. Das nackte Mädchen war in einem Dämmerzustand, bemerkte die Schritte nicht, die auf sie zu kamen. Im Slowakensaal hallten Geräusche nicht von den Wänden, sie schrieen; ihre Schreie flüsterten über das Talmeer, über dem Čachtice thronte. Es gab keine Wärme. Die Kälte des Raumes ernährte sich vom Zittern der jungen Frauen, die er beherbergte. Die Gräfin wies Johannes an, den Käfig zu öffnen. Das Mädchen fiel ihm in die Arme. Für einen Moment konnte man nur seinen schnellen Atem hören. Dann fing es an zu wimmern. Báthory zögerte einen Moment. Sie sog das Geräusch des Jammerns regelrecht auf, ehe sie der Slowakin über die Haare strich. Sie hatte dickes, welliges Haar, das seinen Glanz trotz allem nicht verloren hatte. Die Gräfin fragte das Mädchen nach seinem Namen. Helene. Helene sah zu ihr auf. Sie war zu schwach, um Panik zu haben. Zu schwach um zu schreien. Ihr Gesicht hatte nichts Verletzliches, Hoffnungsvolles mehr. Es war ausdruckslos und matt. Aber in ihren Augen fand Báthory das Leben, das ihr Körper nicht mehr ausstrahlen konnte; hier badeten ihre Pupillen in Panik. Auf ihrer Schulter klebten blutverkrustete Bisswunden. Die Gräfin wies Johannes an, sie auf den ovalen Tisch inmitten des Slowakensaals zu legen. Helene wehrte sich nicht.
Georg, der Mann der Gräfin, hatte sie in seine Foltermethoden eingeweiht. Das war kurz vor seinem Tod gewesen. Die Foltermethoden hatte er in den Feldzügen gegen die Türken erlernt und bei den türkischen Gefangenen angewendet. Um sich nicht schmutzig zu machen, trug er immer schwarze Handschuhe, die Handschuhe seines verstorbenen Vaters. Die Kunst bestand darin, auf die Augen der Opfer zu achten, sich sachte, langsam vorzutasten, nichts zu überstürzen.
Báthory holte das Nadelkissen mit den goldenen Nadeln heraus, die sie und Georg zu ihrer Hochzeit von Mathias II. geschenkt bekommen hatten. Sie küsste die Nadelspitze. Helene lag noch immer auf dem Tisch und rührte sich nicht. Sie war zu geschwächt, um zu schreien, als Báthory ihre Finger nahm und eine Nadel unter ihre Nagelhaut grub. Sachte, langsam, nichts überstürzen. Das Mädchen wimmerte. Warmes Blut rann aus der Wunde über Báthorys Hände auf den Tisch. Die Gräfin war sich sicher, dass dieses Blut Georg locken würde. Sie schloss kurz die Augen, dann griff sie zur nächsten Nadel.
Das Geräusch von Georgs Schritten prallte gegen die kalten Schlosswände, erfüllten ganz Čachtice. Báthory beugte sich lächelnd über das Mädchen und küsste es auf die Stirn. Es war für sie Zeit, den Slowakensaal zu verlassen, sich in ihre Gemächer zurückzuziehen und ein Bad zu nehmen. Es war Zeit für Georg. Seine Hände schabten gegen die Steinwände. Sein schleppender schwerer Gang wurde immer lauter. Ihr war, als könne sie ein leises Flüstern hören. Báthory warf einen letzten Blick auf das Slowakenmädchen; es zitterte, die Blutlache tropfte vom Tisch und breitete sich auf den Steinfließen aus. Dann beeilte sie sich, den Saal zu verlassen.
Kata war gerade dabei, die Eimer in den Baderaum zu bringen. Sie stöhnte leise, als sie das Bad einließ. Dorkó, die Kammerzofe, half der Gräfin beim Entkleiden. Jetzt konnte Báthory die Schreie hören: Sie hallten durch das ganze Schloss, hallten über die Berge und vergruben sich in der Tiefe der Nacht.
Georg war 1604 in einer Schlacht von vielen gefallen. Man hatte ihn Schwarzen Ritter genannt. Man hatte ihn gefürchtet, es waren sogar Gerüchte im Umlauf gewesen, dass man ihn nicht töten könne, dass er ein Herz aus Stahl habe. All das erzählte er Báthory in seinen Briefen und ihr war es immer, als spüre sie regelrecht seinen Stolz zwischen den Zeilen. Hatte er keine Tinte, schrieb er mit dem Blut der Türken. Es sei gutes Blut, zähes Blut, auf sonderbare Art und Weise auch reines Blut, das süßlich-herb schmeckte. Báthory saugte den zarten Duft der Briefe in sich auf. Das legale Morden machte Spaß, befriedigte ihn. Er schilderte ihr, wie er danach zufrieden die schwarzen Handschuhe von seinen Fingern streifte.
Nachdem die Nachricht über seinen Tod Čachtice erreicht hatte, bereitete sie alles für seine Rückkehr vor. Sie wusste, dass er jetzt zu schwach sein würde, sich selbst zu ernähren. Sie wusste, dass sie ihm helfen konnte.
Die Wanne war voll. Kata war auf dem Weg in ihre Gemächer. Báthory tauchte den Finger in das Badeblut. Die Schreie überschlugen sich, übertönten die Sauggeräusche Georgs, gingen in ein Schluchzen über und hörten irgendwann auf. Der Hall seiner Schritte presste sich durch die Steinwände und legte sich sanft über die unbewohnte Tallandschaft.
Báthory saß am Schreibtisch ihres Schlafgemachs. Sie trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Der Morgen dämmerte, der Nebel hatte sich über die weit entfernten Berge gelegt. Sie sah zum Fenster hinaus. Es war ihr, als flüsterten die Morgentautropfen leise im Wind. Gedankenverloren streifte sie die schwarzen Handschuhe von ihren Händen. Im Fensterglas blitzten Zähne.