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Nacht der Träume
Nacht der Träume
In Diskotheken ist es schwer, noch aufzufallen. Natürlich ziehen sich die Frauen besonders sexy an und die Männer versuchen, ihr bestes Outfit aus dem Schrank zu holen. Doch meistens ist es so, dass man zwar an schönen, sexy und aufregenden Menschen vorbei geht, sie jedoch nur für diesen kurzen Augenblick existieren und danach wieder verschwinden, oder, bei besonders erotischen Menschen, man sich noch in der Nacht, wenn man mit sich selbst beschäftigt ist, an sie erinnert, aber spätestens nach zwei, drei Tagen sind auch diese Menschen, von denen man noch nicht einmal den Namen kennt, aus den Gedanken verschwunden.
Diese Erfahrung hatte auch er immer wieder gemacht, er lernte immer mehr Diskos kennen, lernte auch Frauen aus den Diskos kennen und wurde auch mit manchen Frauen intim, was ihm jedoch nicht weiter half, er wollte einfach wieder dieses Gefühl verspüren, das von so vielen Literaten verewigt wurde, er wollte dieses Gefühl, das so viele Menschen als Liebe bezeichnen, wieder verspüren, doch genau dafür ist eine Disko kein Ort, das wusste er, Liebe lernt man nicht zwischen zwei Liedern kennen, an der Theke, mit einem Bier in der Hand, nein, Liebe ist in dieser Hinsicht wie eine gemeine Krankheit, die sich anschleicht und wenn man es am wenigsten erwartet, über einen herfällt.
Die meisten Frauen haben keine Ausstrahlung, dachte er, als er auf der Empore stand und seinen Blick über die tanzende Menge streifen ließ. Er schaute sich die meisten Frauen genau an. Es gab da die Einen, die er immer wieder gerne als Flittchen darstellte, Frauen, die morgens um Uhre aufstanden, sich duschten, gründlich rasierten, eincremten, sich danach wieder für ein paar Minuten schlafen legten, pünktlich um vier wieder aufstanden, mit einer wilden Kleiderschrank-Was-Soll-Ich-Anziehen-Phobie zwei Stunden versuchten, ein passendes Outfit zu finden, sich noch mal zwei, drei Stunden schminkten, um dann wie eine Edelnutte auszusehen und in die Disko einzufallen, den Hüftschwung von Shakira nachzuahmen und schließlich von einem Großteil der männlichen Besucher als billige Schlampen abgestempelt zu werden. Das andere Extrem waren die Frauen, die so aussahen, als kämen sie frisch von der Arbeit und hätten gerade noch die Zeit gehabt, sich in etwas zu zwängen, was nicht nach Arbeit aussah, um dann etwas zu tanzen. Sie versuchten auch erst gar nicht, sich an einen Mann ranzumachen, entweder, weil sie schlau genug waren, um zu wissen, dass sie keine Chancen hatten, oder, weil sie sich nicht als sexuelles Lustobjekt sehen wollten. Es gab aber noch eine andere Art von Frauen, eine Art die zwischen den beiden Extremen lag und genau diese Art gefiel ihm am besten. Natürlich hatten sowohl die Flittchen als auch die Verklemmten ihr Vorteile. Mit den Flittchen konnte man eine schnelle Nummer schieben, man konnte sie, denn genau das wollten sie ja auch, mit nach Hause nehmen, Spaß haben und dann nie wieder sehen. Mit den Verklemmten war das anders. Sie konnte man nicht mit nach Hause nehmen, das wollte man eigentlich auch gar nicht, aber man konnte sich mit ihnen unterhalten, was jedoch nach dem dritten Bier, wenn man erkannte, dass man eigentlich nur eine schnelle Nummer suchte, schwer fiel, (weil) man nun bemerkt hatte, dass die ganzen Flittchen schon von anderen Männern umschwärmt wurden.
Die dritte Art von Frauen waren diese, die Ausstrahlung hatten, sie sahen nicht so aus, als ob sie Stunden vor dem Spiegel gestanden hätten und trotzdem ging von diesen Menschen eine Magie aus, die man nicht beschreiben konnte, und genau so eine Frau suchte er schon seit Jahren.
Sein Blick blieb plötzlich an einer Frau haften, er nahm ein Schluck aus seinem Bierglas, zwinkerte kurz mit den Augen, drehte sich um und schaute dann wieder diesem Menschen zu, der ihn aus heiterem Himmel verzaubert hatte. Sie war nicht groß, aber auch nicht klein, nicht dünn und nicht dick, sie war ideal, trug ein weißes Top, das vor dem Bauch geschnürt wurde und ihren Busen zwar verbarg, aber nicht versteckte, dazu eine Hüfthose mit einem Schlag, auch weiß, dazu ein paar halbhohe Stiefel mit einem Muster, das er von seiner Position nicht erkannte. Die Haare, braun, schulterlang, waren zu zwei Zöpfen zusammen gebunden worden, die bei jeder Bewegung lustig mittanzten. Er schaute ihr zu, wie sie sich zu einem Lied von Weezer bewegte, wie sie ihren Körper dem Klang der Musik anpasste und es schien ihm so, als ob sich nur noch sie und er in dieser Disko befanden, die Musik verstummte nicht, sie wurde leiser, und nun tanzte sie nur noch für ihn.
Das Problem ist, dass viele Menschen nicht wissen, wie man tanzt, sie bewegen sich zwar zu der Musik, das heißt sie versuchen es, manche schaffen es tatsächlich, sich dem Rhythmus anzupassen, andere wiederum hampeln einfach nur rum, heben ihre Beine, werfen die Arme wie in unkontrollierten Zuckungen um sich und das war’s, andere wiederum versuchen einen Tanzstil aus einem der vielen Musikvideos zu kopieren und erhoffen sich dadurch einen besonderen Einfluss auf das andere Geschlecht. Er musste an einen dieser Hip-Hop-Schuppen denken, wo die Frauen alle Flittchen sind, was anscheinend die Musik mit sich bringt, sie tanzen, lassen sich antanzen, reiben sich schließlich an einem und ehe man sich versieht, steckt man drin und hat seinen Spaß. Er hasste zwar diese Art der Menschen, die ihr Leben anscheinend komplett dem Sex gewidmet hatten, aber wenn man ein Abenteuer wollte, musste man sich unter dieses Volk mischen.
Sie war anders. Sie fühlte die Musik, sah sie, konnte jeden einzelnen Ton auf ihrem Körper spüren und versank darin, ließ ihre Augen geschlossen, um mehr von diesen magischen Momenten aufzusaugen. Ihr schien es so, als ob die Menschen, die auf der Tanzfläche tanzten, nicht wirklich existierten, sie fühlten sich zwar echt an, jedes mal wenn sie Ausversehen jemanden berührte oder jemand sie berührte, aber sie waren nicht da, nicht wirklich. Den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen und die Töne fühlen, das war heute Abend ihr Wunsch, den sie sich erfüllte.
Das Lied verstummte und es kam ein neues, irgendwas von Primus, sie öffnete die Augen und blickte zu der Empore, die sich über der Tanzfläche befand. Ihre Augen suchten die einzelnen Menschen ab, die sich dort oben hingestellt hatten, um zu schauen, zu reden oder zu trinken. Sie erblickte einen Mann in einer Jeans, ein blau kariertes Hemd, das nicht in die Hose gesteckt war und Turnschuhe, schwarz oder ein sehr dunkles blau. Sein Bein gab unbemerkt den Rhythmus des Liedes an. Seine Haare waren kurz und mit etwas Gel in die richtige Form gebracht. Er war nicht schlecht, ein Mann, den man nicht auf den ersten Blick wahrnahm, doch etwas war an ihm, das sie faszinierte, etwas Undeutliches, etwas Geheimnisvolles, etwas Mysteriöses.
Sie bewegte sich zu dem Lied, was ihr nicht schwer fiel, sie durfte bloß nicht die Augen aufmachen, durfte nicht an den Mann denken, der auf der Empore stand, sondern musste versuchen, wieder ihren Schwung zu erlangen, was ihr jedoch nicht gelang. Als sie die Augen schloss, sah sie diesen Mann an der Empore stehen, das Bier in der einen Hand, eine Zigarette in der anderen, er hielt diese Gegenstände einfach nur fest, zwar war das Bier schon halb leer und die Zigarette qualmte vor sich hin, doch in ihrer Phantasie hielt er diese Gegenstände nur in der Hand und benutzte sie nicht, er war wie eine Wachsfigur, die einfach nur da stand, sich aber nicht bewegte.
Ihm fiel auf, dass sie anscheinend Probleme hatte, auf dieses Lied zu tanzen, er bemerkte, dass sich die Bewegungen, die vorher so wunderschön ausgesehen hatten, zu umständlichen Figuren verwandelten. Er nahm einen Zug an der Zigarette, stieß den Qualm in kleinen Kreisen wieder aus und trank an seinem Bier. Trotz oder grade wegen diesen eigenartigen Bewegungen musste er die Frau beobachten, er fragte sich, ob sie ihn bemerkt hatte, ob sie wusste, dass er hier stand und sie beobachtete, ob er ihr aufgefallen war, unter diesen ganzen Menschen.
Sie kam nicht wieder rein, ihre Bewegungen wurden schwerfälliger, krampfhafter, ungewollter und nach dem letzten Ton ging sie von der Tanzfläche, lehnte sich an eine Wand und schaute nach oben. Der Mann war noch da, er suchte anscheinend eine Person auf der Tanzfläche, ihr Herz schlug auf einmal schneller, pumpte mehr Blut als gewöhnlich durch ihren Körper und ließ ihre Hände zittern. Was suchte dieser Mann bloß? Sie hoffte heimlich, dass sie es war, was der Mann suchte, doch wieso sollte er es machen, wieso sollte er sie suchen, sie, die so unbedeutend aussah, so klein war unter den ganzen Menschen, die sich zu den Klängen eines Liedes bewegten, das sie nicht kannte. Sie schloss wieder die Augen, wollte diesen Mann vor ihrem geistigen Auge wiedersehen, ihn fragen, wie sein Name war und wo er herkam und was er suchte. Sie wollte wissen, wie er lebte, wie er dachte und wie es mit ihm war. Sie hatte viele Freunde gehabt, war nie sehr begehrt gewesen, hatte aber auch schon die magischen Momente eines One-Night-Stands erlebt, den sie jedoch im Nachhinein verurteilte, wünschte diese Begegnung nie gemacht zu haben. Der Mann erschien ihr und ihr Herz schlug wieder schneller, sie spürte ein Kribbeln zwischen ihren Schenkeln, merkte ein ungewolltes Verlangen nach seinen Händen, wollte seinen Atem in ihrem Nacken spüren und zärtlich seinen Namen ausstoßen, den sie nicht kannte.
Es ärgerte ihn, er hatte sich nur für einen kurzen Moment umgedreht, warum wusste er schon gar nicht mehr, hörte noch die letzten Töne des Liedes und als das Neue anfing und er wieder auf die Tanzfläche schaute und versuchte, die Frau zu sehen, die er so lange beobachtet hatte, war sie verschwunden, sie war nicht mehr da. Er suchte die Tanzfläche ab, die sich mehr und mehr füllte, dachte darüber nach, wo sie jetzt stecken könne, wahrscheinlich bei ihrem Freund, aber vielleicht hatte sie ja keinen Freund, vielleicht war sie alleine hier oder mit Freunden, sie war weg, er versuchte sie sich in sein Gedächtnis zu rufen, er wollte doch soviel wissen, wollte sie doch noch fragen wie ihr Name war, wie der Engel hieß, der sein Herz gestohlen hatte, doch nun war sie weg. Er dachte nach, dachte an ihren Körper, an ihre Ausstrahlung, ja diese Frau hatte sie noch, sie hatte Ausstrahlung, das was viele Menschen heute einfach nicht mehr haben, Charme, Charakter, eben Ausstrahlung.
Er zündete sich eine neue Zigarette an, nahm noch einen Schluck von seinem Bier, das herrlich kühl seinen Rachen runterlief und erinnerte sich an diesen kurzen Augenblick, an diese zwei Lieder, an den Moment, als es so ausgesehen hatte, als ob sie nur für ihn tanzte, als es so ausgesehen hatte, als ob sie nicht in einer Disko wären, sondern in einem kleinen Raum, leise Musik, und sie tanzte nur für ihn, bewegte sich nur für ihn und er fühlte sie, konnte sie anfassen, sie streicheln, über ihre Beine, ihren Po, würde dann aufstehen, sie an sich ranziehen und ihr einen intensiven Kuss geben während er ihren Po leicht nach oben zog und sie würde dann seine Erektion spüren und beide wären glücklich. Nach dem Kuss würden sie sich hinlegen, sie mit ihrem Kopf auf seinen Bauch und sie würden einfach nur daliegen, bräuchten nicht zu reden, das würde den Moment vernichten, ein Wort würde die Magie, die sich in dem Raum gesammelt hätte, zerstören.
Sie ging an die Theke, bestellte sich ein Wasser, trank, lehnte sich an den Tresen und schaute nach oben auf die Empore, er war verschwunden. Ob er es gefunden hatte, was er suchte, sie wusste es nicht, er würde nun wahrscheinlich zu seiner Freundin gehen, ihr durch die Haare streicheln, sie war gewiss wunderschön, und ihr etwas Liebes ins Ohr flüstern. Sie war traurig darüber.
Er hielt das Bierglas in seiner rechten Hand, als er die Treppen zu der Theke herunterging, sich durch die Menge durch quetschte und sich an den Tresen stellte, hinter dem eine Blondine stand und eifrig die Bestellungen der Menschen entgegen nahm. Er schaute nach rechts und nach links, und plötzlich schlug sein Herz schneller. Es raste in seinem Körper und er verspürte diese Aufregung in seinem Magen, von der er schon so viel gelesen hatte. Ein Gefühl des Glücks stieg in ihm auf.
Sie schaute nur für einen kurzen Augenblick nach rechts, warum, wusste sie schon gar nicht mehr, sie hatte, so glaubte sie, einen angenehmen Duft verspürt und wollte wissen, von wo er kam. Dann bemerkte sie es, sie wusste von wo er kam und von wem.
Ihre Blicke trafen sich, er schaute ihr tief in die Augen und sie ihm, Sie verlor sich in seinen fröhlich schimmernden Farben und er versank in ihren braunen Augen, es war ein Moment der absoluten Freiheit, sie schwebte plötzlich durch den Raum, wenn sie nun die Blicke von einander ließen, würden sie sich nie wieder finden, würden weggespült werden und unter einer Masse erdrückt werden, sie mussten sich anschauen, jede Sekunde genießen. Beide waren glücklich, beide waren stolz. Die Gefühle, die sie in diesem Moment entwickelten, konnten sie nicht beschreiben, durften sie nicht beschreiben, die Zeit wäre zu kurz um es in Worte zu fassen, ihr Leben wäre verschwendet, wenn sie sich nicht anschauen könnten.
Er gab sein Bier ab, dachte darüber nach, ob er noch was sagen sollte, wie lange hatten sie sich nun angeschaut, in einer Zeiteinheit ausgedrückt wohl nur ein paar Sekunden, doch kam es ihm vor wie eine Ewigkeit, wie ein Leben. Er musste was sagen, musste sich aus seiner momentanen Lage befreien und einfach nur zu ihr gehen, einfach nur ein Wort sagen, einen Satz und dann wüsste er, dass er leben würde. Diese Frau würde ihm das Gefühl geben, das er schon so lange suchte und noch nie gefunden hatte. Sie müsste ihn aufwecken aus seinem Traum. Doch wie sollte er es machen? Was sollte er sagen? Ihm war heiß, er bemerkte die Menschen nicht, die sich an ihm vorbeidrängten und ihn schubsten, er spürte nun das erste Mal, dass er lebte.
Sie trank, sah ihn dabei an und fühlte sich groß, stark, er war es, er war es, wonach sie gesucht hatte, er war es. Sie warf in einem Schwung ihre Zöpfe nach hinten, nahm noch einen Schluck und schaute ihn weiter an. Wieso kam er nicht rüber, er müsste ja nichts sagen, einfach nur dastehen und sie könnte dann merken, dass er real war, kein Traum, keine Phantasiegestalt, sondern ein lebender Mensch, so wie sie es war.
„Oh...Hallo.“ Das erste Wort ist immer das Entscheidende, man weiß nicht genau, was man sagen soll, das Herz rast, die Hände zittern, man darf sich jetzt keine Zigarette anzünden, sonst merkt sie ja, dass man Angst hat, doch vor was sollte man Angst haben? Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, hat man doch nichts zu verlieren, doch trotzdem benimmt man sich anders, eigenartig.
Wie es weiterging, war für beide unverständlich, sie fingen an, sich zu unterhalten, über dies, über das, über ihr Leben. Was sie waren, wer sie waren, wo sie herkamen und so weiter, er bestellte sich noch ein Bier, sie eine Cola, er rauchte, sie nicht, sie waren begeistert von einander. Die Menschen um sie herum verschwanden, wurden zu undeutlichen Geschöpfen, die einfach nur da waren, mit denen man nichts anfangen konnte und nichts anfangen wollte, denn sie hatten sich ja endlich gefunden. Beiden kam es so vor, als hätte ihr Leben sich nur um diesen Moment gedreht, als ob sie nur auf der Welt seien, um diesen magischen Moment des ersten Kennenslernen zu genießen.
Die Stunden verstrichen, die Musik wurde schlechter, die Menge verließ die Disko, es wurden weniger und weniger, bis fast alle weg waren, ein paar Tanzwütige schleppten ihre Körper noch zu dem ein oder anderen Lied, versuchten sich im Rhythmus der Musik zu bewegen, andere, die zuviel Bier getrunken hatten, lagen müde in einer Ecke, schliefen oder ruhten sich einfach nur aus, die Frauen, die jetzt noch in der Disko waren, waren besoffen oder sehr einsam und hofften, dass sie jetzt noch einen für die Nacht bekommen würden, doch das war den Beiden, die so verliebt in einer Ecke standen und sich unterhielten, egal. Sie hatten ihre Namen schon getauscht, sie redeten sich mit Vornamen an und nach jedem Satz kamen ihre Lippen sich näher, bis es endlich zum ersten Kuss kam, zeitgleich mit einem Lied von Laura Moore. Ihre Zungen berührten sich, es gab leise, kaum hörbare Schmatzgeräusche und sie waren vereint, sie gehörten zusammen, von diesem Zeitpunkt an, für immer.
Er fuhr sie nach Hause, ließ das Radio aus, da er noch ihre Stimme hören wollte, sie hatte eine
engelsgleiche Stimme, die soviel Wärme und Hoffnung ausstrahlte, dass er grinsen musste. Er fragte sich immer wieder, womit er so eine Frau verdient hatte, er wollte sie nicht für eine Nacht, er wollte zwar schon noch mit ihr hoch gehen, einen Kaffee trinken, sich noch unterhalten, dann mit ihr ins Bett gehen und gemeinsam einschlafen, keinen Sex, das würde diesen Moment doch zerstören und er hatte Angst vor dem nächsten Morgen, wenn er dann neben ihr aufwachen würde, sich anziehen würde und die Wohnung verlassen, nein, er wollte kein Sex, nicht heute, nicht gleich.
Sie redete und redete und er hörte ihr einfach nur zu, mit seinen wachen Augen, in denen man sich verlaufen konnte, sein Gesicht strahlte sowohl Kindlichkeit, als auch Alter aus, er hatte viel erlebt, Militär, Kriseneinsatz, dann Studium, zwei Auslandssemester, er war weit rumgekommen und war noch nicht einmal alt, Mitte zwanzig, und schon soviel erlebt, sie war glücklich. In ihrem Kopf malte sich ein Bild ab, was wenn er sie nur für eine Nacht haben wollte, sollte sie es dann trotzdem machen, ja, sie würde ihm in dieser Nacht alles geben, was er wollte und er wäre glücklich, dann würde er wieder kommen, ja, das würde er.
Sie erklärte zwischen ihren Erzählungen immer wieder den Weg, sagte immer wieder da vorne links, gib Acht, da steht ein Blitzer, da vorne musst du dich schon rechts einordnen. Aber sie verlor nicht dabei ihren Erzählungsfaden. Sie erzählte von dem Urlaub in Schweden, mit einer Freundin, eigentlich war es ihr Ex-Freund gewesen, doch das würde ihn wahrscheinlich verschrecken, es war doch so ein schöner Urlaub mit ihm gewesen und diese Zeit war schön gewesen, nicht so schön wie dieser Moment, aber trotzdem schön und lustig. Sie hatten sich damals geliebt, unter dem freien, sternenbedeckten Himmel und sie träumte noch heute von dieser Nacht, aber das würde sie ihm doch heute nicht erzählen, auch nicht morgen, vielleicht nie, vielleicht auch schon bald, das wusste sie noch nicht.
Immer wieder rief sie sich in Gedanken zu, dass sie es nicht so weit treiben sollte, sie kannte ihn ja nicht, sie wusste doch noch gar nicht, was das für ein Typ war, der soviel erlebt hatte, was konnte sie ihm schon bieten? Ja, sie war verliebt, aber war er es auch, glaubte er auch an die Liebe auf den ersten Blick oder brauchte er länger dazu, egal, sie würde ihn schon behalten können, sie würde um ihn kämpfen, komme was wolle, sie würde ihn lieben.
Er verspürte die Angst, war er ihr zu alt, würde sie ihn den auch irgendwann einmal lieben, nicht heute, das bestimmt nicht, aber vielleicht in ein paar Wochen oder Monaten, vielleicht dann irgendwann, selbst wenn es Jahre dauern würde, er würde auf sie warten. Keine Frau hatte ihn je so in den Bann gezogen wie sie, noch nicht einmal seine erste Liebe, wobei es doch immer wieder heißt, dass man diese nie vergisst. Doch ihm kam es in diesen Momenten so vor, als sei seine erste Liebe so weit verschwunden, dass er Mühe hatte, sich an ihr Gesicht zu erinnern. Er war jung gewesen, vierzehn, fast fünfzehn, sie war im gleichen Alter gewesen, hatte in dem Nachbarhaus gewohnt und an einem Sommermorgen hatten sie zusammen im Garten gelegen und erzählt. Dann hatten sie sich geküsst und ein paar Wochen später hatten sie Sex gehabt, ihr hatte es weh getan, er hatte es langweilig gefunden, nicht spannend, als er in sie eingedrungen war, sich wie ein Tier auf und ab bewegt hatte und schließlich abgespritzt hatte, ihm hatte es keinen Spaß gemacht und ihr auch nicht. Dann war das zweite Mal gekommen, das Dritte und das Vierte, es war immer schöner und entspannender geworden, schließlich hatten sie sich getrennt, aber dieser Augenblick war weit hinter ihm, an diese Momente dachte er nicht mehr, als er im Auto neben diesem Engel sitzte und ihr zuhörte.
Der Wagen bog in einen Parkplatz ein. Das war also ihr zu Hause, ein Hochhaus, acht Stockwerke. Sie wohnte im Fünften, manchmal war der Aufzug kaputt, dann hieß es, die ganzen Treppenstufen hoch und runterlaufen, was sehr ermüdend war, wenn man zum Beispiel zur Uni rennen musste, da man nicht schon wieder zu spät kommen wollte. Ja, sie war ein Morgenmuffel, kam morgens nicht richtig in die Gänge, aber sie war kein Nachtmensch, sie brauchte nicht stundenlang in irgendwelchen Diskos abzuhängen, zu saufen, zu tanzen und so ein Zeug. Manchmal schloss sie sich einfach in ihr Zimmer ein, machte eine ruhige CD an, legte sich in ihr großes Himmelbett und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Manchmal schaute sie auch stundenlang aus dem Fenster, beobachtete die Natur, wie sie sich innerhalb von nur einer Stunde veränderte. Viele Menschen haben einfach nicht mehr diese Ruhe, erkennen die Schönheit der Natur nicht mehr, (dass) sie da ist und was da ist, ist nicht mehr schön, nicht mehr so faszinierend wie der Regenwald zum Beispiel, der ist zwar auch noch da, aber so weit weg, dass er wieder spannend ist, aber sie würde ja viel zu viel erzählen und sie würde ihn doch bestimmt langweilen. Er schüttelte den Kopf, schaute auf die Uhr, kurz vor sechs, bald würde die Sonne aufgehen, ob sie mit ihm den Sonnenaufgang beobachten wollte, denn er glaubte fest an die Theorie, dass Menschen, die sich einen Sonnenaufgang zusammen anschauen immer wieder, bei jedem Sonnenaufgang, den sie beobachten, an diesen einen Menschen denken, und sie nickte. Er kenne ein schönes Plätzchen, nicht weit weg von hier, da hatte er früher öfters mit seinem Auto gestanden, kein Knutsch- oder Fummelplatz. Kaum einer wusste, dass dieser Platz existierte, er hatte ihn durch Zufall entdeckt und war von diesem Plätzchen begeistert. Er fuhr zu dem Platz und er hatte Recht, wie sie feststellte, der Platz war wunderschön. Sie konnten alles sehen, die Lichter der Stadt, die Autobahn, über die vereinzelt noch ein paar Autos fuhren, sogar ihr Hochhaus, wo sie wohnte und er zeigte ihr das Haus, in dem er wohnte, gleich hinter dem hohen Turm, fünfhundert Meter davon entfernt, ja, wir haben ein eigenes Haus, ich wohne unter dem Dach, manchmal im Sommer setze sich mich auf das Dach und genieße die Wärme und die Luft, die da oben geht.
Sie küssten sich, sie berührten sich an Stellen, die sie eigentlich beide noch nicht berühren wollten und sie hatten Sex. Alles das ging beiden zu schnell, sie wollten doch warten, sie hatten es sich doch vorgenommen und nun, in diesem Augenblick, war alles zu spät, sie hatten es gemacht und es war für beide wunderschön. Sie liebten sich, sie spürten sich und fühlten sich so nah, wie noch nie.
Der Sonnenaufgang war vorbei, es war kurz vor acht, als er sein Auto startete und sie nach Hause fuhr. Er bog wieder in den Parkplatz ein, küsste sie und sie stieg aus. Er fuhr los, sie winkte ihm nach, bildete stumm mit ihren Lippen die Worte „Ich Liebe Dich“ und schaute ihm nach. Er beobachtete sie im Rückspiegel, wie sie da mit ihrer weißen Hose und dem weißen Top stand und ihm winkte. Er formte einen Kussmund und küsste in den Spiegel, er konnte seine Augen noch nicht von ihr lassen. Er sollte sie anrufen sobald er zu hause war, wollte nur wissen ob er gut angekommen war, machte sich halt Gedanken. Er musste schmunzeln.
Er schaute immer noch in den Spiegel, als er von dem Parkplatz fuhr und sie stand immer noch da und winkte. Er hätte besser auf die Straße geschaut, dann hätte er auch den Lastwagen bemerkt, der sich von rechts näherte, ihm direkt in die Seite fuhr. Sein Wagen hob ab, der Lastwagen bremste, sein Wagen überschlug sich und er wurde in dem Auto hin und her geschleudert. Sie schaute zu, konnte nicht schreien, konnte nichts machen, sie war in diesem Moment erstarrt, alles was sie wollte, wurde von diesem Lastwagen vernichtet. Das Auto überschlug sich, hob vom Boden ab, krachte wieder auf den harten Asphalt. Sie erkannte, wie ein Arm blutig aus dem Fenster hing. Sie wollte hin rennen, doch ihre Beine versagten, dann brach sie zusammen und weinte.
Das Erste, was er wieder bemerkte, war das helle Licht und diese Stimme. Es war die Stimme von ihr, die ihm etwas zurief und er rannte, er rannte zu diesem Licht hin und zu der Stimme. Da wo sie war, musste es doch einfach schön sein.