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Nachtfalter
Wenn Sie mich einen Falschmünzer nennen, der lediglich Streifen von Mondlicht in Staub auf verrosteten Maschinen verwandelt, stimme ich Ihnen nicht zu. Auch wenn manche Staub als Flüstern der Materie bezeichnen.
Am Scheitelpunkt meiner letzten Nacht in der Stadt wartete eine Phantomfreude auf mich, deren unterdrückte Wildheit mich zum Flüstern zwang. Ich war zu einem Fest eingeladen und bemerkte beim Näherkommen die Beleuchtung des Hauses: von weitem sah es aus, als ob Fabriklampen in weinroten Behältern gesammelt worden wären. Streng bewachte Feuersteine dienten als Eintrittskarten für diesen magnetischen Abschlussball. Bekleidet mit einem schmetterlingsfarbenen Anzug passierte ich den zwecklosen Türsteher. Jenseits der Schwelle erwartete mich eine Festgesellschaft, die sich in einem Zustand berechnender Ausgelassenheit befand. Die Wände inhalierten gierig die ausgeschwitzte Konversation. Weibliche Wesen trugen Schmuck aus Mondgestein und benetzten ihre Haut mit Düften aus orchideenförmigen Phiolen.
Ich wurde von einem maßlosen Kommunikationsprofessor in eine Diskussion über die Fortschritte bei der Kanalisation von Bewusstseinsströmen verwickelt. Um mich abzulenken, nahm ich von den Tabletts der schlafwandelnden Kellner immer wieder Gläser mit einem violetten Getränk. Es schmeckte nach windblütigen Früchten. Bald war ich berauscht.
Im Pool mit dem türkisfarbenen Wasser schwammen drei Frauen, die wie Schwestern aussahen. Ich setzte mich in einen Gartenstuhl und beobachtete, wie sie ihre Bahnen zogen, die das Wasser hinter ihnen zum Glitzern brachten wie Kometenschweife. Weder sprachen sie miteinander noch beachteten sie mich. Die vanillegelben Mäuler der Jasminblüten riefen mir stumme Botschaften zu. Ein Mann mit einem psychologischen Nacken setzte sich neben mich. Er starrte nicht die Frauen an, sondern mich. Ich wandte mich ihm zu und fragte ihn, ob er jemals die Gedanken einer Eidechse gemalt hätte. Er antwortete, die Ahnung eines verfrühten Passworts sei genau so viel wert wie ein neutraler Gesichtsausdruck.
Auch unser Versuch, über die Berge des Innern zu sprechen, führte zu nichts. Seine teleskopischen Gedankengebäude bohrten sich in meine trunkenen Gehirnwindungen. Ich stand auf, verließ den Pool und fand mich in einem zungenförmigen Zimmer wieder, in dem nichts als ein nachtschwarzer Tisch stand, aber eine Eingebung trug mir zu, dass sich hier vor kurzem noch erregte Diskutanten befehdet hatten. Nun waren selbst die Stühle verschwunden, der Tisch leer - bis auf die rundäugige Brille im Schatten der Yuccapalme; vergeblich sann ich darüber nach, ob ich sie an einem der Gäste wahrgenommen hatte.
Eine Frau mit mathematischen Augenlidern trat ein. Ich glaubte sie zu kennen, doch kaum öffnete ich den Mund, fuhr sie mich an, dass schon meine Blicke so laut schrien, dass ihr die Ohren weh täten. Ich entschuldigte mich mit den Wirkungen des Cocktails. Sie lachte boshaft und sagte, dieser enthielte überhaupt keine Rauschmittel, sondern nur die Samen von Nachtschattengewächsen. Ich schwieg, weil sie mir das einzige Wort im Mund umgedreht hatte, das ich hätte sagen können. Es war überhaupt mein Problem, dass mein Wortschatz überwiegend aus distanzierten Erdbrocken bestand, mit denen ich hilflos um mich zu werfen pflegte.
Sie ließ mich stehen und verließ das Zungenzimmer. Als ich zum Pool zurück kam, waren die drei Schwestern verschwunden. Sogar das Wasser war aus dem Becken gelassen worden, und auf den Fliesen liefen drei Ratten in Panik umher, auf der Suche nach einem Ausweg. Der Genickpsychologe, den ich an seinem Platz im Dunkeln übersehen hatte, fragte mich nach den pornographischen Gedichten meines blinden Zwillingsbruders. Ich antwortete ihm, dass ich nicht einmal einen Halbbruder hätte. Sein flackernder Blick ängstigte mich zu Tode, und ich floh aus dem Garten.
* * *
Wie ein Schlafwandler musste ich meinem Pfad durch die Nacht gefolgt sein, als mich ein monotones Wispern weckte. Der Garten war nicht mehr zu sehen, stattdessen fand ich mich in einer finsteren Gasse wieder. In der Stille schienen Stimmen sogar aus den Ritzen zwischen den Katzenköpfen zu dringen. Am Himmel leuchtete ein mir fremder Mond. Rasch wandte ich den Blick ab, als sähe ich es nicht. Als sich das Klappern der Pferdehufe näherte, öffnete sich eine Tür und ein salamandergesichtiger Mann zog mich ins Haus. Die Fackeln an den Wänden verliehen unseren Schatten die Umrisse von kämpfenden Wölfen.
Während er einen Schlüsselbund von seinem Gürtel nahm, fragte er mich, ob ich die Lemminge gesehen hätte.
Nur Ratten, gab ich zurück. Er grunzte verächtlich und stieß die Flügeltüren auf, die den Blick in einen Raum von schier unermesslichen Dimensionen freigaben. Gravitätisch kreisten Galaxien im Hintergrund, die Ringe eines Planeten schimmerten violett. Es war die Farbe -
Sprich jetzt nicht, zischte der Alte mit dem Reptilienkopf und bedeutete mir, voranzugehen.
Kaum hatte ich einen Schritt in den Raum hinein getan, überkam mich das Gefühl freien Falls, jedoch ohne mich in Angst zu versetzen. Ich trieb zwischen den Sternen und fühlte mich schrumpfen, auf die Größe eines Kindes, einer Maus, eines Insekts, Bakteriums, Atoms, Leptons, eines Lucions, eines Matissons, immer weiter schrumpfte ich, bis der verstörende Eindruck einer negativen Körpergröße all meine Empfindungen wie ein schwarzes Loch anzog.
Ich war nichts mehr. Sinnlos, mich nach der Tür hin umzuwenden - ich hatte keinen Kopf mehr und keine Muskeln, ihn zu bewegen. Der masselose Späher, der durch das Weltall trieb.
So passierte ich die Hochzeit zweier Sternhaufen, die sich gegenseitig in tangentialer Vektorialität durchdrangen. Planeten küssten sich und verließen doch ihre seit Äonen durchmessenen Bahnen nicht. In dieser immerwährenden Hochzeitsnacht wollte ich bleiben, doch hatte ich die Empfindung, mich langsam von ihr fortzubewegen, ohne dies durch ein Sensorium bestätigen zu können.
Millionen von Jahren vergingen.
Als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, murmelte ich einen Dank, doch das Reptiliengesicht hielt mich am Arm fest.
Das Hochzeitsgeschenk, raunte er. Auf meinen verdutzten Blick hin wiederholte er die Aufforderung und fragte, ob ich die Gastgeber brüskieren wolle. Ich wusste keine Antwort. Wir starrten uns an, bis ein Baum zwischen uns gewachsen war. So seinen Blicken entzogen, schlich ich aus dem Haus, wo mich Jasminduft einhüllte. Ich sank in das Gras und betrachtete, vom Zweigwerk verborgen, die ruhelosen Köpfe des Schwesternpaars.