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Nachts
Drei Uhr achtundzwanzig.
Die grellen roten Zahlen des Radioweckers waren das Einzige, was Sarah in dem dunklen Zimmer erkennen konnte. Der blinkende Doppelpunkt wühlte sich in ihre Sehnerven. Unruhig wälzte sie sich hin und her. Der Gedanke, dass Julian zwei Türen weiter in seinem Bett lag und schlief, ließ sie nicht zur Ruhe oder gar zum Schlafen kommen. Nach der Party und dem - nicht ganz unabsichtlich - verpassten Zug hatte er sie kurzerhand samt seinem Schlafsack ins Gästezimmer einquartiert. In seinen Schlafsack gekuschelt, schloss sie die Augen und atmete seinen Geruch ein. Doch je länger sie so dort lag, desto stärker begann sie sich nach ihm zu sehnen. Sie stellte sich vor, er läge neben ihr. Sein Atem in ihrem Nacken, seine Hände auf ihrer Haut.
Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit ihm. Es war letzten August. Auf dem Flur zum Hörsaal war sie mit ihm zusammengestoßen, als sie gleich am ersten Tag zu spät zur Vorlesung kam. Er hatte sich entschuldigt, obwohl es ihre Schuld gewesen war und lächelnd hatte er ihr geholfen, ihre Unterlagen wieder einzusammeln, die verstreut auf dem Boden lagen. Das Grün seines T-Shirts hatte auf eine faszinierende Weise zu dem Blau seiner Augen gepasst und sein Lächeln war das eines kleinen Jungen gewesen, bei dem man sich nie ganz sicher sein konnte, was er gerade ausgeheckt hatte. Seine Haut hatte nach Sommer gerochen, warm und sonnengetränkt.
Leise seufzend drehte sie sich auf den Bauch, schob die Arme unter das Kopfkissen und vergrub ihr Gesicht darin.
„Willst du ewig darauf warten, dass er den ersten Schritt macht? Los, geh zu ihm! So eine Gelegenheit bekommst du nicht wieder!“ Gleich der Stimme, die in ihrem Kopf eindringlich anschwoll, sie in Versuchung führte, zog sich eine nervöse Aufgeregtheit durch ihren ganzen Körper.
Sarah kroch aus dem warmen Schlafsack und setzte sich auf den Rand des Bettes. Drei Uhr zweiunddreißig. Sie atmete tief durch und stand auf. Der Flokati unter ihren Füßen kitzelte. Langsam drückte sie die Türklinke hinunter und spähte in den dunklen Flur hinaus. Nächtliche Stille, nur unterbrochen durch das leise Ticken einer Wanduhr. Sie fror.
Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen und wollte umkehren, doch etwas in ihr zog sie weiter. Es war zu spät zurück zu gehen, sie würde sich morgen für die verpasste Chance hassen, aber sie wusste, wenn dieser Versuch misslang, sie würde Julian niemals wieder in die Augen sehen können.
Ihr Herz pochte beinahe schon schmerzhaft, als sie endlich vor seiner Tür stand und die Hand auf die Klinke legte. Mit einem leisen Quietschen gab die Tür den Weg frei und Sarah huschte ins Zimmer. Der Raum war dunkel, doch durch die nur halb geschlossenen Jalousien an denen der Nachtwind spielte, drang genug Mondlicht hinein, dass sie ihn erkennen konnte. Ruhig lag er in seinem Bett, Mondschein tanzte auf seiner nackten Haut wie zärtlich neckende Finger. Sarah blieb stehen und sah ihn an, folgte mit ihrem Blick den geschwungenen Linien seines schlafenden Körpers. Der Wunsch ihn zu berühren ließ sie weiter gehen. Sie kniete sich neben sein Bett und betrachtete ihn. Gleichmäßig hob und senkte sich sein Brustkorb und Sarah streckte die Hand aus, strich behutsam über die weichen Härchen seines Unterarmes.
„Ach Julian“, wisperte sie. Er schrak hoch und sah sie benommen an.
„Sarah? Was machst du hier?“
„Ich, ich konnte nicht schlafen und da …“
Er richtete sich auf.
„Verstehe. Sarah, Sarah …“ Ein Grinsen umspielte seine Mundwinkel, als er sie betrachtete, wie sie nur mit seinem T-Shirt und einem Slip bekleidet neben dem Bett kniete.
„Was hättest du denn mit mir gemacht, wenn ich nicht aufgewacht wäre?“ Fragend hob er die Augenbrauen und Sarah glaubte, einen Anflug von Spott in seinem Blick erkennen zu können.
Sie sah zu Boden und fühlte sich plötzlich nicht mehr wie eine erwachsene Frau, sondern wie eine Fünfzehnjährige, die gerade von ihrem Schwarm dabei erwischt wurde, wie sie seinen Namen mit roten Herzen verzierte.
„Tut mir Leid, ich weiß auch nicht, warum ich her gekommen bin“, murmelte sie.
Sie wollte aufstehen, doch Julian griff nach ihrem Handgelenk, hielt sie fest und ließ sie nicht entkommen.
„Ich schon.“ Er lachte.
„Und jetzt willst du einfach wieder gehen und deinen Plan nicht beenden? Das geht aber nicht.“ Er schüttelte den Kopf.
Sarah wurde übel. Machte er sich über sie lustig? Ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, zog Julian sie zu sich aufs Bett, ohne jedoch ihr Handgelenk los zu lassen. Er sah sie an, griff mit seiner freien Hand in ihren Nacken und zog ihren Kopf so dicht an sein Gesicht, dass sie seinen warmen Atem spürte. Im Mondlichtdunkel sah sie den Blick in seinen blauen Augen. Dort war etwas, das sie bisher noch nie gesehen hatte. Eine Weile verging, ohne dass einer von ihnen auch nur ein Wort sprach. Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus, sie begann zu zittern.
„Ich stehe auf mutige Frauen“, sagte er schließlich, drückte sie auf das Bett und gab ihr einen Kuss. Behutsam tastete sich seine Zungenspitze zwischen ihre Lippen. Sie griff in sein Haar, stieß vorsichtig mit ihrer Zungenspitze gegen seine und begann ihn zu schmecken. Julian ließ ihr Handgelenk los und glitt dabei mit seiner Hand unter das T-Shirt.
Sein Atem ging stoßweise, als er ihren Hals küsste und eine feuchte Spur auf ihrer Haut hinterließ. Ein leises Seufzen kam über Sarahs Lippen.
„Zieh das Shirt aus“, flüsterte er. Ohne auch nur einen Augenblick darüber nachzudenken, erfüllte sie seinen Wunsch. Sie ließ sich zurück sinken und er sah sie an.
„Du bist wirklich schön. Seltsam, dass ich das nicht schon vorher bemerkt habe.“
Sarah sah ihm in die Augen, berührte seine Brust, ertastete vorsichtig jeden Zentimeter, als könne sie etwas beschädigen, wenn sie nicht vorsichtig genug war.
„Ich …“
„Pssst.“ Julian legte einen Finger auf ihre Lippen. „Sag nichts. Du bist doch nicht zum Reden gekommen, oder?“
Kaum merklich schüttelte sie den Kopf.
„Na also.“ Julian fuhr mit einem Finger unter den Saum ihres Slips und hob ihn leicht an. Nach und nach bahnten sich weitere Finger ihren Weg unter den dünnen Stoff und streichelten Sarahs weiche Haut. Sie biss sich auf die Unterlippe und er ließ seinen Blick nicht von ihr ab. Es schien, als wolle er sehen, wie hilflos sie seine Berührungen machten.
„Ich möchte, dass du ihn für mich ausziehst.“ Während er sprach sah er ihr in die Augen und seine Stimme jagte Sarah einen wohligen Schauer über den Körper. Sie hob ihr Becken und schob den schwarzen Stoff immer tiefer. Flink winkelte sie die Beine an und der Slip landete mit einer gekonnten Fußbewegung hinter dem Bett.
„Braves Mädchen.“
Julian beugte sich hinunter und Sarah konnte ihn riechen. Sie roch nicht nur sein Aftershave, sie roch ihn. Mit geschlossenen Augen atmete sie den Duft seiner warmen Haut ein. Die feinen Haare auf seiner Brust kitzelten ihren Bauch, als er sich auf sie lehnte. Wieder trafen sich ihre Lippen und Sarah öffnete sie bereitwillig, um seiner Zunge Einlass zu gewähren.
Immer wieder trafen sich ihre Zungenspitzen, neckten einander oder entzogen sich dem anderen. Ihr wurde angenehm schwindelig.
Sie hatte Angst, jeden Moment aufzuwachen und feststellen zu müssen, dass alles nur wieder einer dieser Träume war, die sie schweißnass und erregt zurück ließen. Doch sie wachte nicht auf.
Stattdessen widmete Julian sich weiter ihrer Zunge, ihren Lippen und ihren Brüsten. Seine schmalen, feingliedrigen Finger zeichneten sanfte Linien auf Sarahs Haut und strichen jedes Zeitempfinden aus ihrem Bewusstsein. So wie sich zuvor ihre Lippen seiner Zunge öffneten, ließ sie ihn nun den Weg in ihren Schoß finden. Sie schloss die Augen und krallte ihre Finger in die Bettdecke, auf der sie lag. Langsam und zärtlich liebte er sie und sie wünschte sich, ihn nie wieder loslassen zu müssen, doch zu gut wusste sie, dass der nächste Morgen genau das von ihr fordern würde.
Doch jetzt war sie hier mit ihm und es war Nacht. Ihre Nacht.
Sarah hielt ihn fest, tastete mit ihren Händen über den feuchten Haaransatz in seinem Nacken, glitt die Wirbelsäule hinab und schob sich seinem Becken entgegen.
Ihr Herz klopfte ihm fiebrig entgegen, hastete sich von Schlag zu Schlag, synkopisch zu seinen Stößen.
Sie spürte die Wärme in ihrem Schoß, als sie kam und als sie später in seinen Armen lag, er ihr eine Strähne aus der Stirn strich und heiser flüsterte, sie habe dabei seinen Namen gerufen, lächelte sie, denn sie wusste, dass sie dies oft tat, wenn sie alleine war und ihn ihre eigene Hand ersetzte.
„Julian, ich…“ Sarah hob den Kopf und sah ihn an. Er schlief. Nichts unterschied dieses Bild von dem, als sie das Zimmer betreten hatte. Nichts, außer seinen noch immer geröteten Wangen.
Sie ließ Julian schlafend zurück, zog sich an und verließ das Haus. Sie wollte ihn nicht sagen hören, dass es ihm Leid tat. Nicht jetzt.