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Nachtspielereien
Es war schon schummrig, als Tim vom Fußballspiel mit seinen Freunden nach Hause ging. Er wollte nicht so recht. Die kühle Luft, der süßliche Geruch der Nacht und irgendwie auch eine jugendliche Abenteuerlust ergriffen von seinem Herz Besitz, aber sein Pflichtgefühl war klar wie die Nacht: Er mußte nach Hause, sonst gab es wieder Ärger. Er lief schnell die Abkürzung über das Nachbargrundstück und stand nach einiger Kletterei schon im Garten seines Elternhauses. Es war merkwürdig still und vor allem alles dunkel.
Tim trat ohne ein Zögern ein und schaltete das Licht an. Mit einem Sirren ging ebendies an. "Hallo?" rief er. "Keiner da?" Aber da fiel sein Blick auch schon auf den Zettel auf dem Küchentisch.
"Lieber Tim, wir sind nochmal kurz zu deinem Bruder gefahren und bringen ihm noch einige Sachen, die er vergessen hat. Bis heute Abend gegen Neun Uhr sind wir aber wieder da!"
Sein Bruder war erst vor kurzem ausgezogen, aber Daniel, so der Name, vergaß so einiges. Unbesorgtheit? Ein wenig Heimweh? Egal!
Die Tür fiel ins Schloß und schon stand Tim im Vorgarten des Hauses. Er
blickte zurück: In der Dunkelheit sah das Haus ganz anders aus. Ein Kaugummi im Mund drehte er sich um und wetzte Richtung Abenteuer...
Tim wußte ganz genau, dass er nicht einfach so raus durfte, nicht ohne Abmeldung und auch nicht mehr zu dieser Zeit, aber es war ein zu verführerisches Geschenk gewesen. Er rannte die Straße Richtung Park entlang und freute sich spitzbübisch über seine kleine Reise in die nächtliche Welt seiner Stadt. Die Lampen, die schon vor einigen Minuten den "offiziellen" Abend eingeläutet hatten, tauchten die Straße in ein unwirkliches Licht. Es war eine Jeder-Stadts-Straße, mit Buschwerk links und rechts und sogar mit Fußgängerweg. Tim bemerkte da zum ersten mal die Stille, die auf der Stadt lastete. Vom Buschwerk kam der Wind, der diese Stille noch wirklicher erschienen ließ und in der Ferne bellte der obligatorische Hund. Es war kein Vogel zu hören, nur das Brausen der entfernten Autos und entfernt ein vages Hupen.
Da hatten sich die üblichen Verdächtigen ja eingefunden um die Nacht auch gebührend zu feiern.
Während Tim all diese Eindrücke in sich wie ein Schwam aufsog, bemerkte er auch schon etwas tolles: Einige Jugendliche standen an irgendeinen Parkzaun und benahmen sich merkwürdig. Sich freuend versteckte Tim sich selbst in einem dunklen Busch und schlich sich vor. Er behielt grade mal so viel Abstand, dass er zwar alles hören konnte, sie ihn aber nicht erwischten. Seine übertriebene Spaßauslegung machte sich bezahlt, denn einer dieser Halbstarken war Bruno,
der Stadt bester Angeber. Bruno sprach das aus, was alle dort wohl dachten:
"Was ist jetzt? Wollt ihr rein oder bleibt ihr draußen und rennt zu Mami? Ich gehe!"
Einer der Jugenlichen stammelte etwas und ging weg. "Ja, lauf nur Heim und weine! Wehe du verpetzt uns, mein Freund!" Zustimmendes Gebrumme in der Mannschaft und schon stiegen die ersten Angeber über den Zaun. Tim, dessen Herz schon mächtig schlug und ihn beinahe verraten hätte (so dachte er), wartete noch einige Zeit, nach dem der Letzte über dem Zaun war und kam aus dem Busch raus. Er guckte sich um und wunderte sich, wo sie wohl hin wollten. Aber er brauchte nicht lange zu grübeln und er sah schon, wo er war:
Einige Grabsteine und Wege, die die Dunkelheit freimütig offenbarte, brachten Tim zum zittern. Der Stadtfriedhof!
In all der Aufregung und der Abenteuerlust hatte er nicht gewußt, dass er hier lang lief. Die Nacht macht eben alle Straßen gleich! Tim lief schnell weiter, bedacht, nicht so viel Lärm zu machen.
Tim hielt erst an, als er einige Straßen weiter war. Aber nun war er ganz schön erschöpft und setzte sich erstmal in eine Haltestelle. Zur Ruhe gekommen, blickte er sich um. Ihm stach sogleich das Kino ins Auge, mit all seiner Neonreklame und der Spiegelung in den Pfützen, die die schware Straße
etwas interessanter aussehen ließen. Gleich um die Kurve war das "Achtziger Jahre Kaufhaus" wie es sein Papa nannte, eine Ruine, die noch nicht neu genutzt wurde. Neben dem Kino war auch der erste Laden, der von dem Kino profitierte: Kallies Imbiß. Tims Magen knurrte, als er bedachte, dass er sich ein belegtes Brot mitnehmen hätte können. Egal, nun war er halt hungrig. Tim kramte in seiner Hose und förderte einiges zu Tage: Ein Gummiband, mehrere Fussel und sogar noch etwas Geld. Sein Knurren zwang ihn schließlich in den Laden. Vorher guckte er noch mal, ob nicht jemand drin saß, den er kannte.
Da dies nicht der Fall war trat er ein.
Später erinnerte sich Tim noch an den ersten Gedanken, den er von dem Laden hatte: Die wenigen Menschen drinnen und der neuartigen Ausstattung wie sie in jedem Imbiß wohl aussahen. Der Geruch von Frittenfett und allerlei anderer Gerüche, wo Zigarettengeruch eine kleine aber feine Nebenrolle spielte. Die wenigen Menschen warteten wohl auf die nächste Aufführung oder waren schlicht hungrig, aber Tim traute sich nicht, näher hinzusehen. Dafür aber war die Bedienung nun Mittelpunkt seines Interesses. Eine ältere Dame blickte ihn leicht verwundert an. Sie schien schon länger hier zu arbeiten, bewegte sich mit einer erfahrenen Gangart umher und tat dies und jenes. Sie stellte etwas, was Tim nicht sah weg und musterte ihn genau. Würde sie merken, dass er gar nicht hier sein durfte? Aber die Frau blaffte nur: "Was darfs sein?"
Tim war leicht verblüfft, aber blieb tapfer. Er blickte ihr fest in ihre grauen Augen und sprach mit fester Stimme: " Ich würde gerne einmal das da haben!"
Sein Zeigefinger ruhte auf Etwas, was mit Lebensmittelfarben, Licht und anderen Spielereien leckerer aussah als das, was man tatsächlich bekam...
Tim saß wieder auf der Bank in der Haltestelle und verschlang gierig sein Essen, als er der Menschenmasse bewußt wurde, die vor dem Kino umherging.
Entweder kamen oder gingen die Leute. Tim war es einerlei. Er warf den Müll in die Tonne und ging seiner Wege.
Über dem Kirchplatz gingen zu dieser Zeit keine Leute. Eine einsame Katze, die im Inhalt einer Mülltonne wühlte, wurde Zeuge eines einzelnen kleinen Menschens, der zusammen zuckte, als die Uhr ihn 8 mal zu verhönen schien. War es schon so spät?
Tim mußte sofort zurück! Er rannte die Straßen zurück, nahm schon wieder eine Abkürzung durch einen kleinen Knick. Die Dunkelheit, das unheimliche Bewegen der Blätter der Bäume ignorierte er genauso wie die Rufe einer Frau, die "Hey, Junge!" rief.
Tim sprang förmlich durch die Hecke in den Garten seines Klassenkameraden und hetzte über einiges Spielsachen im Garten in Richtung Auffahrt. Er öffnete
und schloß die Gartentür leise und preschte auch schon wieder vorwärts. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust und seine Füße gaben beinahe nach.
Aber er wollte irgendwann wieder in der Nacht unterwegs sein, nicht erst wenn er aus seinem Zimmer durfte...
Der Junge hechtete über den Spielplatz und wußte, dass er kurz vor dem Ziel war.
"Renn!Renn!" dachte er. Er sprang über ein Reittier und flitze den Schotterweg lang. Ein Auto fuhr gerade die Straße entlang, als ein Schatten schon das nächste Grundstück betrat. Tim wetzte auch wieder durch einen ihm allerdings fremden Garten. Er stolperte über einen Gartenschlauch und fiel hin.
Ein wenig Pause würde ihm wohl gut tun.... Tim hielt lange genug inne, um sich in Erinnerung zu rufen, warum er draußen war. Der süßliche Duft frisch gemähten Grases mit der kühle der Nacht war für ihn so toll wie am Anfang. Er
lauschte noch mal den Nachtgeräusche und seine Abenteuerlust war wieder da. Nicht voll, aber etwas. Eine Stimme brachte ihn in die Wirklichkeit zurück:
"Siehst du was Schatz?" instinktiv kauerte sich Tim hinter einem Beet mit hochwachsendem Grünzeug und hoffte, dank der Dunkelheit für irgendwas gehalten zu werden, nur nicht als Junge. Die Silhouette eines Mannes war im Lichtstrahl zu sehen, der auf den Rasenboden geworfen wurde. Tim sah diesen Schatten gut und duckte sich noch weiter. "Nein, war wohl sonst was" Und das Licht verdunkelte sich. Tim ließ sich die Gelegenheit nicht noch erklären und nutzte die Chance und kletterte über den Zaun. Er war nun auf einem Weg und sah schon sein Haus. Neben Tim gluckerte ein Bach in der Dunkelheit vor sich hin. Der Wind frischte auf und ein Junge, der wie Tim aussah lief Richtung Straße und darüber hinaus auf ein Haus zu. Ein Türknall versicherte dem möglichen Zuschauer dieser Szene, dass der Junge wohl im Haus war.
Es war schon fast Neun. Er nutzte die Zeit noch, seine Sachen zu überprüfen, sie auszuziehen und in den Wäschekorb zu legen. Er machte sich frisch und schlüpfte ins Bett, wo er auch schon beinahe eingeschlafen war. Das offene Fenster rief ihm noch mal das in Erinnerung, was er erlebt hatte und ließ ihn einschlummern.
Und so hörte er auch nicht, dass sich ein Wagen die Kiesauffahrt entlang schlich und sich schließlich Türen öffneten und zugeschlagen wurden...
Nachtrag: Meine erste "offiziell" vorgestellte Geschichte. Nicht eine meiner besten, aber eine, die mir in Gedanken gekommen ist.