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Natur
Natur
Ich sitze plötzlich senkrecht in meinem Bett. Mache keinen Mucks, bewege mich nicht. Der Baum steht einfach da, die Blätter rascheln über meinem Kopf, als würden sie schon immer dort wehen. Wenn ich mich jetzt bewege, ist alles vorbei, denn es scheint so, als würde dieser meterlange Baum dort, aus meiner Bettdecke entspringen. Er steht dort zwar ziemlich fest, ich habe aber trotzdem das Gefühl, dieses Holzungetüm könnte jeden Moment auf mich fallen und mich zerquetschen. Ok, sage ich mir, bleib ruhig, dann passiert dir nichts. Einen Moment lang glaube ich mir diese Lüge noch, doch als mir runde, kalte Schweißperlen von der Wange herab auf meine Schulter tropfen, weiß ich wieder, dass ich in höchster Gefahr schwebe. Wieso ausgerechnet ein Baum? Wieso kein Kühlschrank oder ein Bügelbrett? Ein Baum ist für mich, wie eine Ausgeburt der Hölle. Ewigkeiten ist es her, dass ich einen Fuß vor meine Junggesellenbude gesetzt habe. Bin bekennender Naturhasser. Wozu raus und einkaufen gehen, wenn es mir mein Computer erlaubt Homeshopping zu betreiben? Aber genug geschwärmt von der schönen, neuen Technikwelt. Denn jetzt habe ich andere Probleme. Mir wird kalt, fange an zu zittern und mir wird klar wieso. Dieser Baum hat tatsächlich ein riesiges Loch in mein Flachdach gerissen. „Hmm, schöner Sternenhimmel“, denke ich, doch auch der kann mich jetzt nicht trösten. Die Boulevardpresse wird sich freuen. „Mann von Baum in Wohnung erschlagen“. So könnte die morgige Schlagzeile lauten, stelle ich mir vor und muss schmunzeln. Ich wende meinen Blick von dem klaren Himmel ab, um auf meinen Wecker zu schauen, als mir plötzlich bewusst wird, dass dieser nicht mehr an seinem Platz steht. Er ist weg, genauso wie mein Nachttisch und der Boden zu meiner Rechten. Anstelle der schrecklichen Fliesen, die meine Mutter damals für mich aussuchte, ziert nun meinen Boden jetzt ein saftig, grüner Rasen. Na super! Was kommt als nächstes? Ein See in meinem Bad oder ein Alpenpanorama vor meiner Wohnungstüre? „Bäume, Wiesen, Seen“. Das klingt wie eines dieser Lieder, die meine Eltern damals auf Wanderungen immer fröhlich vor sich hin pfiffen. Wie ich sie hasste. Jeden Sonntag hieß es: „Raus in die Natur“. Wahrscheinlich ist das der Ursprung meines Grolls gegen die ganze Welt da draußen und aus dem Grund kommt die Naturgewalt jetzt in meine Wohnung, um mich zu erschlagen. Nein, ich werde kämpfen. Und zwar nicht gegen die Natur sondern gegen mich und meinen Widerwillen. Nach einem Jahr der Vereinsamung zuhause, in dem ich vielen Freunden sagte ich wäre viel unterwegs und zu beschäftigt um mich um Beziehungen zukümmern, bin ich vereinsamt und habe meine Arbeit als freier Journalist von meinem Schreibtisch aus erledigt. Doch nun habe ich einen Plan. Ich werde vor die Tür gehen, sehr bald.Es wird langsam hell. Vögel zwitschern. Ich öffne meine Augen und gehe raus.