Nebel
„Die sollen mal den Nebel abstellen, da draußen!“ sagte Herr Krön und setzte sich wieder auf die Couch, denn er hatte gerade am Fenster gestanden.
„Tja, wenn das gehen würde“, sagte seine Frau und schaute von ihrer Näharbeit auf.
Inzwischen war Herr Krön wieder aufgestanden und murmelte:
„Jetzt ist er kaputt und nicht mal drei Wochen alt, dieser blöde Fernseher!“
„Sei mal ruhig“, unterbrach ihn Frau Krön, „hörst du das?“
„Oder vielleicht liegt das bloß an der Antenne, bei dem Wetter.“
„Karl-Heinz, ob du das hörst?“
„Was denn?“
„Na das da draußen, das Heulen?“
„Das ist der Wind.“
„Keine Spur. Kein Blatt bewegt sich!“
„Ach was du wieder hörst!“
Plötzlich erstrahlt der Bildschirm wieder. Mit zu lauter Stimme wird ein Film angesagt.
„Mach leiser!“
„Sei mal ruhig, Bärbel, du, meine Lieblingsschauspielerin kommt, Elisabeth Bachmann, Manfred Kreuter auch!“
„Karl-Heinz, bitte!“
„Du, da kommen jetzt Folgen, jede Woche kommt jetzt son Film.“
„Mach leiser, bei Gott nochmal!“
„Ja doch.“
Herr Krön macht leiser. Frau Krön war aufgestanden und lauschte einem Heulen, was Herr Krön völlig unverständlich war, denn er hörte nichts.
„Jetzt reichts mir, ich geh da mal runter.“
„Frau, bist du von Sinnen! Was soll das?“
„Das Heulen kommt aus Fiedlers Haus.“
„Du weißt genau, daß der alte Fiedler vor zehn Jahren gestorben ist und daß das Haus völlig leer von lebenden Wesen ist!“
„Na und wer heult dann so?“
„Was hörst du denn da?“
„Es hört sich an wie Windgeheul, nur etwas seltsamer, als wenn jemand dazu pfeift. Ich geh mal rüber, vielleicht hat dort jemand Kummer?“
„Jetzt um die Zeit, wenn es da heulen würde, wären schon viel mehr Leute da!“
„Ach was, wenn du zu feige oder zu faul bist, geh ich eben allein.“
Frau Krön läßt sich nicht aufhalten. Sie wirft sich ein Tuch über und geht. Karl-Heinz Krön hört die Haustür knarren und zuknallen. er will seine Frau vom Fenster aus beobachten, aber der Nebel läßt nichts erkennen.
Er war wütend. Wie hatte er sie gehen lassen können. So etwas albernes. Er wartete auf Bärbel. Was sie wohl erzählen wird.
‚Bestimmt wird sie sich verhört haben; aber daß sie so albern sein kann?!‘ denkt Herr Krön.
Der Film im Fernsehen hat begonnen. Karl-Heinz schaltete aus. Er war unruhig. Gestern hatten sie sich schon gestritten. Die Ehe war nicht die beste. Als sie geheiratet hatten, war er 39 und sie 23 Jahre alt. Aus Angst vor Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit im Eheleben flüchtete er sich in ein mürisches, rechthaberisches Wesen. Er spielte den guten Mann, der sich auf seine Frau herablassen muß, um die Lücken in seinem Charakter zu verdecken. Sie war früh eine artige Hausfrau geworden. Sie hatte es nicht geschafft, die Schale seines Herzens zu brechen. Tief im Herz fühlte K.-H., daß sein Leben wie ein ewiges Warten war. Befriedigung spürte er in keiner Weise. Kinder hatten sie auch keine; Hauptgrund gegenseitigen Beschimpfens und Streit.
Nun war schon eine halbe Stunde vergangen, Bärbel war noch nicht erschienen. Karl-Heinz zog sich eine Kutte über und ließ ebenfalls die Haustür knarren und wieder zuschlagen.
Seit dem waren sie nie wieder gesehen.