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Nebelromanze
Sie löste sich mit weichen Bewegungen von ihrem Gewand und ließ sich auf dem Moos nieder. Der sie umgebende Nebel nahm dem Mond jede Schärfe seiner Kontur, verschlang das silbrige Licht, um es sich gänzlich zu eigen zu machen und die Nacht in einen blassen Schimmer zu tauchen. Die hochragenden Tannen, deren Wipfel im dichten Dunst verborgen lagen, schlossen die Lichtung in einen schwarzer Schleier ein, verliehen ihr mütterliche Geborgenheit.
Der Waldboden gab unter ihrem Leib schwach nach und schmiegte sich an ihren Rücken. Eine Weile lang tat sie nichts als den kraftlosen Lichtball, der hinter dem Gewölk, einer erlöschenden Kerze gleich, nur noch in kaltem Glanz zu funkeln vermochte, aus ihren großen Augen zu mustern. Dann endlich, als sie diese für einen Moment schloss, spürte sie ihn.
Als streife sie nur ein flüchtiger Luftzug, strich er über ihre Stirn, schob das dunkle Haar beiseite, welches wogend ihr Haupt umgab und im Mondlicht wie ein nächtlicher See glitzerte. Sie hielt die Augen weiter geschlossen, während er liebevoll ihr Gesicht befühlte. Als zerbräche das zarte Antlitz bei einer stärkeren Berührung, umspielte er ihren geschwungenen Nasenrücken, hielt an seiner Spitze kurz inne, um dann auf ihre Lippen herabzusinken, ein Abbild weiblicher Kurven, weich und elegant, wie von der Hand eines Künstlers gemalt.
Die beinahe unwirkliche Berührung endete, bevor sie in einen Kuss überging. Das Mädchen reckte das Kinn in die Höhe, um der schwindenden Liebkosung zu folgen, und atmete unter leisem Begehren kaum hörbar aus. Ihre Wimpern zitterten, bis sie spürte, wie er wieder begann, sie zu streicheln. Er umschlang ihre Brust, seine Berührung schwamm das Tal zwischen den sich fein aufschwingenden Anhöhen in einem Fluss hinab und mündete auf dem Bauch, der sich im Schimmer des Mondes gleich einem Ozean in Ebbe und Flut hob und senkte im steigenden Rhythmus ihres Atems.
Bald umspielte er ihr rundes Becken und verweilte dort. Ihre Lider bebten, als sie sich dem höchsten Rausch der Sinne näherte, sie öffnete die Augen und – die Liebkosung nahm ein abruptes Ende. Der Nebel, der sich zwischen ihren Beinen verdichtet hatte, verflüchtigte sich, sie wollte nach ihm greifen, doch sie fasste nur in den bemoosten Waldboden.
„Warum bist du von mir gewichen?“, klagte sie leise und wollte dem Nebel einen vorwurfsvollen Blick schenken, blinzelte jedoch nur ziellos in die Tiefen des Dunstes.
Da sprach der Nebel, obwohl ihm keine Sprache zu eigen war, und seine unwirkliche Stimme schien aus fernster Ferne und nächster Nähe zugleich zu erklingen.
„Kann eine Illusion weichen?“, glaubte sie zu hören.
„Du bist keine Illusion, wie sonst könnte ich deine Berührungen spüren?“, gab sie verzagt zur Antwort.
„Es sind keine Berührungen, du musst aufhören, dich deinen Träumereien von mir hinzugeben.“
„Ich träume nicht! Ich liebe dich doch!“
Darauf schwieg der Nebel, als habe er nie stimmlos gesprochen, und sogleich war der Klang seiner Worte vergessen. Sie warf ihren Kopf zu beiden Seiten, er war doch noch überall, sie konnte ihn sehen, nur erfassen konnte sie ihn nicht. Als sie die Arme um ihn zu schlingen versuchte, scheiterte sie erneut und fiel zu Boden.
„Ich lasse dich nicht los!“
„Wie könntest du auch etwas loslassen, was du nie festgehalten hast?“, sprach der Nebel nun wieder ungeduldig. „Aber was bin ich denn ohne dich?“
„Mit mir bist du nicht mehr als ohne mich, und deine unerschütterliche Einbildung ändert daran nichts. Vergiss mich, ich bin dein Trug!“
„Nein!“
Ein Wind kam auf und blies unter zornigem Heulen den Nebel hinfort. Er riss ihr Kleid mit sich und gab sie, nun der Klarheit der Nacht ausgeliefert, ihrer verletzlichen Nacktheit preis. Die Tannen bäumten sich auf und grollten, der Mond öffnete seine Fratze und schrie, schrie, schrie in erbarmungslosem Hohn wie eine wahnsinnige Sirene, so laut, so schrill, dass ihre Welt in unzählige scharfe, schroffe Scherben zerbrach.